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Gender

Aus Jewiki
(Weitergeleitet von Soziales Geschlecht)
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Dieser Artikel behandelt einen Begriff aus der Sozialforschung. Für das Institut, siehe Europäisches Institut für Gleichstellungsfragen (GENDER). Für das Musikinstrument im indonesischen Gamelan siehe Gender (Metallophon).

Der Begriff Gender [ˈdʒɛndɐ] bezeichnet als Konzept die soziale oder psychologische Seite des Geschlechts einer Person im Unterschied zu ihrem biologischen Geschlecht (engl. sex). Der Begriff wurde aus dem Englischen übernommen, um auch im Deutschen eine Unterscheidung zwischen sozialem („gender“) und biologischem („sex“) Geschlecht treffen zu können, da das deutsche Wort Geschlecht in beiden Bedeutungen verwendet wird. Er dient vor allem als Terminus technicus in den Sozial- und Geisteswissenschaften.

Begriffsgeschichte und Definition

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Ausbruch aus der Geschlechterrolle; eine Brigantin in Süditalien, 19. Jahrhundert

Der Begriff Gender bezeichnet zum einen die soziale Geschlechterrolle (engl. gender role) beziehungsweise die sozialen Geschlechtsmerkmale. Er bezeichnet also alles, was in einer Kultur als typisch für ein bestimmtes Geschlecht angesehen wird (zum Beispiel Kleidung, Beruf und so weiter); er verweist nicht unmittelbar auf die körperlichen Geschlechtsmerkmale (sex).

Der Begriff wurde in dieser Bedeutung zunächst auf Personen angewandt, die sich als „Intersexuelle“ oder „Transsexuelle“ nicht ohne Weiteres als männlich oder weiblich einordnen ließen. In diesem Kontext führte der US-amerikanischen Psychologe John Money 1955 die Begriffe „gender role“ und „gender identity“ ein, um die Diskrepanz zwischen erwartetem und tatsächlichem Verhalten solcher Personen diskutieren zu können. Dieses waren ursprünglich als „sex role“ beziehungsweise „sex identity“ beschrieben worden, jedoch war gerade bei diesen Personen das körperliche Geschlecht, also sex, nicht eindeutig.

„Der Begriff Geschlechtsrolle (gender role) wird benutzt, um all jene Dinge zu beschreiben, die eine Person sagt oder tut, um sich selbst auszuweisen als jemand, der oder die den Status als Mann oder Junge, als Frau oder Mädchen hat.“

Money, 1955

Seine Theorie, dass das Identitätsgeschlecht eines Menschen erst mit etwa drei Jahren entwickelt und vorher beliebig veränderbar sei, versuchte Money 1966 an dem damals 22 Monate alten Bruce Reimer zu belegen, den er nach einer missglückten Genitalbeschneidung einer chirurgischen Geschlechtsumwandlung unterzog und von seinen Eltern als Mädchen Brenda aufziehen ließ. Als Brenda von ihrer Geschichte erfuhr, nahm sie den Namen David an und ließ die Umwandlung rückgängig machen. Er heiratete und adoptierte mehrere Kinder seiner Frau. David Reimer nahm sich 2004 das Leben. Das Experiment gilt weithin als gescheitert, wenn auch John Money es als durchschlagenden Erfolg im Sinne seiner Theorien sah.

In seiner heutigen, sozialkonstruktivistischen Konnotation wurde der Begriff von Harold Garfinkel etabliert, der ihn auf den Fall der neunzehnjährigen Agnes anwandte, einer Patientin Robert Stollers an der University of California. Agnes’ Geschichte wurde von Garfinkel Ende der 1950er durch Interviews mit ihr und den verantwortlichen Ärzten nachgezeichnet und bildete einen wichtigen Teil seiner 1967 erschienenen Studies in Ethnomethodology. Während in der soziologischen Verwendung des Genderbegriffs zunächst der Fokus auf Abweichungen von Geschlechtsnormen dominierte, rückten in den 1970er Jahren auch Mädchen und Frauen, die Geschlechtsnormen entsprachen, in das Blickfeld der Forschung. Das Genderkonzept wurde in diesem Zug vor allem von der feministischen Forschung als Konzept entdeckt und weiterentwickelt. Die Unterscheidung von „sex“ als natürlichem, unabänderlichem Geschlecht einerseits und „gender“ als sozial ausgehandeltem, veränderlichem Konzept andererseits bildete dabei die Basis für Kritik an den Verhältnissen zwischen Männern und Frauen. So wurden etwa die psychologischen und physischen Zuschreibungen, auf denen der Ausschluss von Frauen von bestimmten Berufen basierte, hinterfragt, indem die Unterschiede zwischen einzelnen Ländern in Geschlechts- und Berufsbildern aufgezeigt wurden.[1]

Gender in den Gender Studies

Gender bezeichnet ein von sozialen und kulturellen Umständen abhängiges Geschlecht und damit eine soziokulturelle Konstruktion.

Besonders die Gender Studies bestreiten einen kausalen Zusammenhang von biologischem und sozialem Geschlecht und dessen Kontinuitätsbestreben. Das soziale Geschlecht wird vielmehr als eine Konstruktion des Geschlechts (Doing Gender) verstanden. Hierbei geht es zwar vordergründig um die Zuordnung von Menschen in eine typisch männliche oder typisch weibliche Rolle, aber auch um den Wert der Geschlechtsrolle. Gender beschreibt vor allem die Art und Weise, in der Männer und Frauen sich zu ihrer Rolle in der Gesellschaft selbst positionieren und wie sie diese Rolle bewerten.

Beispielsweise könnte eine Gruppe von Frauen ein eigenes Geschlecht (Gender) bilden, das sich einerseits auszeichnet durch die natürliche Anbindung an ihr biologisches Geschlecht, andererseits durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht. Die soziale Bedeutung eines solchermaßen konstruierten sozialen Geschlechts wird als variabel beschrieben. Das Geschlecht und besonders seine Bewertung hängen ab von den in einer Gesellschaft vorherrschenden Machtstrukturen. So ist die Genderproblematik in einer matriarchalen Gesellschaft anders als in einer patriarchalen, weil die Begriffe Männlichkeit und Weiblichkeit in den verschiedenen Gesellschaften auch unterschiedlich bewertet werden und darüber gesellschaftliche Anspruchs- und Wahrnehmungsperspektiven geprägt werden, die sich so auch selbst reproduzieren können. Das jeweilige Individuum empfindet, bedingt durch seine Sozialisation, diese Rollen- und Perspektivverteilung als normal.

Kritik an der begrifflichen Trennung von sex und gender

Die begriffliche Trennung zwischen dem biologischen Geschlecht (sex) und dem sozialen Geschlecht (gender) erschien – und erscheint immer noch – vor allem seit den Achtzigerjahren im sozialwissenschaftlich-feministischen Diskurs als zentral.[2] Judith Butler lehnt die Trennung zwischen Sex und Gender allerdings ab, denn diese sei rein artifiziell und gehe zurück auf den Kartesischen Dualismus, nämlich die von Descartes begründete philosophische Auffassung, dass Körper und Geist unabhängig voneinander, nebeneinander existierten. Die Trennung zwischen Sex und Gender impliziere, der Mensch bestehe, so wie auch Descartes die Dichotomie zwischen Körper und Geist aufmacht, zum Ersten aus seinem biologischen Geschlecht, das heißt seinem Sex, seinem biologischen, unhinterfragbaren, natürlich gegebenen Körper, und zum Zweiten aus seinem sozialen Geschlecht, das heißt seinem Gender, seinem vom Körper unabhängig quasi frei wählbaren Geschlecht. Nach Butler erscheint aber nicht nur das soziale Geschlecht als Konstruktion, sondern auch das biologische Geschlecht als hinterfragbare Wahrheit oder als eine kulturelle Interpretation des Körperlichen. Das, was man als Gender leben könne, sei letztlich abhängig davon, welche körperlichen Möglichkeiten man habe. Und diese körperlichen Möglichkeiten wiederum würden bereits kulturell interpretiert.[3]

Siehe auch

Weiterführende Literatur

  • Hadumod Bußmann, Renate Hof (Hg.): Genus – Geschlechterforschung/Gender Studies in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Kröner, Stuttgart 2005, ISBN 3-520-82201-6
  • Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1991, ISBN 3-518-11722-X
  • Norbert Elias: Wandlungen der Machtbalance zwischen den Geschlechtern. Eine prozeßsoziologische Untersuchung am Beispiel des antiken Römerstaats. In KZfSS Jg. 38, 1968, S. 425-449; wieder in: Jürgen Friedrichs & Karl Ulrich Mayer & Wolfgang Schluchter, Hgg.: Soziologische Theorie und Empirie. KZfSS. Westdeutscher Verlag, Opladen 1997, ISBN 3-531-13139-7 S. 125-149
  • Ulrich Enderwitz: Die Sexualisierung der Geschlechter. Eine Übung in negativer Anthropologie. Ça Ira, Freiburg/Br. 1999, ISBN 3-924627-60-6
  • Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz: Frau – Männin – Menschin. Zwischen Feminismus und Gender. Butzon & Bercker, Kevelaer 2009, ISBN 978-3-7666-1313-4
  • Andrea Griesebner: Feministische Geschichtswissenschaft. Eine Einführung. Löcker, Wien 2004, ISBN 3-85409-410-8
  • Genus – Münsteraner Arbeitskreis für Gender Studies (Hrsg.): Kultur, Geschlecht, Körper. Agenda, Münster 1999, ISBN 3-89688-061-6
  • Marlis Hellinger, Hadumod Bußmann (Hrsg.): Gender Across Languages, The linguistic representation of women and men, Volume 3. John Benjamins, Amsterdam 2003. ISBN 1-58811-210-1 und ISBN 1-58811-211-X
  • Claudia Koppert, Beate Selders (Hrsg.): Hand aufs dekonstruierte Herz. Verständigungsversuche in Zeiten der politisch-theoretischen Selbstabschaffung von Frauen. Königstein: Ulrike Helmer 2003.
  • Judith Lorber: Genderparadoxien. Leske & Budrich, Opladen 1999, ISBN 3-8100-3743-5.
  • Ursula Pasero, Christine Weinbach (Hrsg.): Frauen, Männer, Gender Trouble. Systemtheoretische Essays. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-518-29237-4
  • Paula-Irene Villa: Sexy Bodies. Eine soziologische Reise durch den Geschlechtskörper. Leske + Budrich, Opladen 1999, ISBN 3-8100-2452-X

Weblinks

Quellen

Literatur

  • Judith Lorber: Constructing Gender. The Dancer and the Dance. In: James A. Holstein, Jaber F. Gubrium: Handbook of Constructionist Research. The Guildford Press, New York 2008. ISBN 1-59385-305-X, S. 531–544.

Einzelnachweise

  1. Lorber 2008, S. 532–537.
  2. Susanne Schröter: FeMale. Über Grenzverläufe zwischen den Geschlechtern. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/Main 2002, ISBN 3-596-15716-1 , Seite 39.
  3. Judith Butler: Variationen zum Thema Sex und Geschlecht. Beauvoir, Wittig und Foucault. In: Nunner-Winkler: Weibliche Moral. Die Kontroverse um geschlechtsspezifische Ethik. Campus: Frankfurt/Main 1991, ISBN 3-593-34338-X.
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