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Sikhismus

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Das Khanda, das religiöse Symbol der Sikhs
Das Ek Onkar, das den zentralen Grundsatz der Einheit Gottes darstellt, ist ein weiteres Symbol des Sikhismus. Es entstammt der Gurmukhi-Schrift.

Die Sikh-Religion (Panjabi: ਸਿੱਖੀ, sikhī) ist eine im 15. Jahrhundert entstandene monotheistische Religion, die auf den Wanderprediger Guru Nanak zurückgeht. Die im Punjab (Nord-Indien) begründete Reformbewegung – im deutschen Sprachraum auch als Sikhismus bezeichnet – hat heute rund 23 Millionen Anhänger, wovon die Mehrzahl in Indien lebt.[1]

Die Sikh-Religion betont die Einheit der Schöpfung und verehrt einen gestaltlosen Schöpfergott, der weder Mann noch Frau ist. Weitere wesentliche Merkmale sind die Abkehr von „Aberglauben“ und traditionellen religiösen Riten sowie die Ablehnung sozialer Hierarchien. Obwohl das Kastensystem den Alltag der Sikhs durchdringt, weil es im indischen Alltag übermächtig ist, wird es abgelehnt. In der religiösen Praxis gibt es verschiedene formale Vorgaben zum Beispiel bezüglich Kleidung, Namensgebung und Auftreten.

Die Sikh-Religion orientiert sich nicht an der Einhaltung religiöser Dogmen, sondern hat das Ziel, religiöse Weisheit für den Alltag nutzbar zu machen. Guru Nanak sowie seine neun nachfolgenden Gurus (religiöse Vorbilder) unterstreichen in ihren Einsichten, die schriftlich in dem Werk Guru Granth Sahib überliefert sind, ihr Verständnis, über vorhandene Religionen hinauszugehen, und distanzieren sich inhaltlich von den dominierenden religiösen Traditionen ihres Zeitalters, darunter Buddhismus, Hinduismus und Islam.

Verbreitung

Verbreitung der Sikhs in der Welt

Über 80 Prozent der rund 23 Millionen Sikhs (wörtlich Schüler) leben in der indischen Ursprungsregion: in den Bundesstaaten Punjab und Haryana sowie in den Unionsterritorien Delhi und Chandigarh. Von diesen knapp 19 Millionen indischen Sikhs leben 75 Prozent im Bundesstaat Punjab. In Indien bilden Sikhs mit rund 2 Prozent Bevölkerungsanteil die viertgrößte Religionsgemeinschaft des Landes.

In Nordamerika (rund 530.000), Großbritannien (rund 230.000) sowie in südostasiatischen Staaten, vor allem in Malaysia, Singapur und Thailand, leben zusammengenommen mehr als eine Million Sikhs. In Deutschland leben etwa 5.000–10.000 Sikhs,[2] vor allem in Ballungszentren wie Frankfurt am Main, Köln, Hamburg, München und Stuttgart. In Österreich leben knapp 2.800 Sikhs (Stand 2001).[3] In der Schweiz sind keine genauen Zahlen bekannt, die Zahl wird auf etwa 1000 geschätzt. Im Gegensatz zu Großbritannien und Nordamerika, wo Sikhs weithin bekannt sind und auch wichtige (staatliche) Ämter bekleiden, sind sie in Mitteleuropa aufgrund ihrer relativ geringen Zahl eher unbekannt.[4]

Religiöse Praxis

Erscheinungsbild

Sikh-Familie: Der Vater und der ältere Sohn tragen den traditionellen Turban, die jüngeren Söhne den für Jungen üblichen „Patka“, der aus einem Stück Stoff besteht.

Praktizierende Sikhs, vor allem männliche Religionsanhänger, erkennt man an einem kunstvoll gebundenen Turban (Dastar). Die Kopfbedeckung samt ungeschnittenem Haar – eine Tradition, die zu Zeiten der Gurus fortschreitend an Bedeutung gewann – drückt entsprechend dem Selbstverständnis der Sikhs Weltzugewandtheit, Nobilität und Respekt vor der Schöpfung aus.[5] Der Turban darf zu jeder Zeit und an jedem Ort getragen werden. Im Alter zwischen 12 und 16 Jahren bekommen die Jungen in der dastar bandi Zeremonie, welche im Gurdwara stattfindet, ihren ersten Turban überreicht[6]. Manche Sikh-Frauen, besonders in England, tragen ebenfalls einen Dastar. Fast alle Sikhs tragen als Zeichen der Gemeinschaft einen Armreif.

Kara (Armreif), Kangha (Kamm) und Kirpan (Dolch)

Sikhs, die sich für die Bruderschaft Khalsa haben initiieren lassen (siehe auch Geschichte), tragen die fünf Kakars. Diese umfassen:

  • Kes (ungeschnittenes und gepflegtes Haar): Abgrenzung von asketischen Traditionen, Respektsbekundung für die Schöpfung, d. h. ein Sikh lehnt sich nicht gegen die Naturgesetze auf, die Gott erschuf.
  • Kangha (Holzkamm): Er wird für die Haarpflege getragen.
  • Kirpan (Dolch/Schwert): Als Zeichen dafür, dass Sikhs Arme, Schwache und Unschuldige verteidigen.
  • Kara (eiserner Armreif): Der Reif wurde ursprünglich zum Schutz gegen Schwerthiebe getragen.
  • Kachera (eine Unterhose die bis zu den Knien geht): Diese Unterhose gilt als Zeichen der sexuellen Mäßigung.

Namensgebung

Sikhs tragen in der Regel gleichlautende Nachnamen. Als Ausdruck von Geschwisterlichkeit tragen Sikh-Männer den gemeinsamen Nachnamen Singh (Löwe), Frauen heißen mit Nachnamen Kaur (Prinzessin; grammatikalisch richtig: Prinz). Die Namensgebung wurde von Guru Gobind Singh im 17. Jahrhundert eingeführt.

Die Verwendung der gleichen Namen soll einen Kontrapunkt zu der in Indien verbreiteten sozialen Hierarchisierung darstellen, die sich in den Nachnamen zeigt. Dennoch verwenden manche Sikhs noch einen Nachnamen, zum Beispiel den ihrer Vorfahren oder ihres Herkunftsortes; zuweilen stellen sie ihren Beruf vor den Namen oder verwenden als getaufte Sikhs den Zunamen Khalsa.

Männliche Sikhs werden mit Sardar oder dem eher ländlichen Bhaiji oder Bhai Sahib („Bruder“) angesprochen, weibliche mit Sardarni, Bibiji („Frau“) oder Bhainji („Schwester“).

Gurdwara

Der Goldene Tempel in Amritsar, Indien

Ein Gurdwara („Tor zum Guru“) ist ein Tempel der Sikh. Gurdwaras werden immer dort errichtet, wo die Anzahl der Sikhs es rechtfertigt, einen solchen zu bauen. In Gurdwaras beten die Sikh und halten Gebetsgesänge (Shabad Kirtan) ab. Gurdwaras stehen allen Menschen unabhängig von ihrer Konfession offen. So weisen z. B. im bekanntesten Tempel, dem Goldenen Tempel von Amritsar, vier Eingänge in die vier Himmelsrichtungen, um zu zeigen, dass die Sikhs allen Menschen offen gegenüberstehen und sie willkommen heißen in ihrem Tempel.

Jeder, der einen Gurdwara betritt, ist zum Tragen einer Kopfbedeckung verpflichtet. Dagegen ist eine Verbeugung vor dem Altar, auf dem der Guru Granth Sahib aufbewahrt wird, keine allgemeine Pflicht, sondern drückt nur die Ehrerbietung gegenüber den Gurus aus. In den meisten Gurdwaras ist vor dem Altar ein Kästchen zum Einwerfen von Geld angebracht. Für Besucher eines Gurdwaras ist es mittlerweile Sitte, eine Spende einzuwerfen, jedoch keineswegs Pflicht. Das Geld wird kurz vor der Verbeugung eingeworfen, der Betrag ist frei wählbar. Manche große Gurdwaras sind rund um die Uhr offen.

Getrennt wird das Gurdwara entsprechend indischer Kultur in Bereiche für Männer und Frauen, wobei kleine Kinder sich meistens bei ihren Müttern befinden. Trotzdem ist es gestattet, sich auf die Seite des anderen Geschlechtes zu setzen.

Gesessen wird im Schneidersitz und auf dem Boden.

Morgens, mittags und abends findet ein gemeinsames vegetarisches Mahl statt, das Langar. Es wird durch die Spenden finanziert und von ehrenamtlich arbeitenden Sikhs selber zubereitet. Hauptbestandteile eines solchen Langars sind meistens die Linsensuppe Dal, die oft auch Speise der Armen ist und daher die Gleichheit aller Menschen betont, und Chapati roti, manchmal auch Reis und Sabji, Mischgemüse.

Während der gemeinsamen Gottesdienste in den Andachtsstätten wird aus dem Granth vorgelesen. Das heilige Buch (Adi Granth) ist das heute anerkannte heilige Schriftstück der Sikhs. In ihm befinden sich Lieder, Hymnen und Gedichte. Diese Schriftvorlesungen werden von einem "Granthi" vorgenommen. Diese Granthi sind Menschen, welche die heiligen Texte ausgiebig studiert haben. Grundsätzlich kann jeder Sikh, Mann oder Frau, als Granthi wirken.[7]

Ernährungsgewohnheiten

Die Frage des Fleischverzehrs wird in der Sikh-Religion kontrovers diskutiert. Es gibt sowohl Sikhs, die Fleisch verzehren, als auch Vegetarier.[8][9] Abgelehnt wird das Essen von Fleisch eines ritualistisch getöteten Tieres, also Halāl-Fleisch und koscheres Fleisch.

Dem Guru Granth Sahib zufolge wissen diejenigen, die sich über Fleisch streiten, nichts über Spiritualität oder Meditation. Auszug aus dem Guru Granth Sahib, Ang (Seite) 1289:

ਮਃ ੧ ॥ मः १ ॥ mehlaa 1
ਮਾਸੁ ਮਾਸੁ ਕਰਿ ਮੂਰਖੁ ਝਗੜੇ ਗਿਆਨੁ ਧਿਆਨੁ ਨਹੀ ਜਾਣੈ ॥ ਕਉਣੁ ਮਾਸੁ ਕਉਣੁ ਸਾਗੁ ਕਹਾਵੈ ਕਿਸੁ ਮਹਿ ਪਾਪ ਸਮਾਣੇ ॥
ਗੈਂਡਾ ਮਾਰਿ ਹੋਮ ਜਗ ਕੀਏ ਦੇਵਤਿਆ ਕੀ ਬਾਣੇ ॥ ਮਾਸੁ ਛੋਡਿ ਬੈਸਿ ਨਕੁ ਪਕੜਹਿ ਰਾਤੀ ਮਾਣਸ ਖਾਣੇ ॥
ਫੜੁ ਕਰਿ ਲੋਕਾਂ ਨੋ ਦਿਖਲਾਵਹਿ ਗਿਆਨੁ ਧਿਆਨੁ ਨਹੀ ਸੂਝੈ ॥ ਨਾਨਕ ਅੰਧੇ ਸਿਉ ਕਿਆ ਕਹੀਐ ਕਹੈ ਨ ਕਹਿਆ ਬੂਝੈ ॥
„Die Narren streiten über Fleisch, doch sie wissen in Wahrheit nichts von Meditation oder spiritueller Weisheit. Was können wir Fleisch und was Gemüse nennen? Was von beidem führt zur Sünde?
Es war der Brauch der Götter, Rhinozerosse zu töten, und ein Festmahl aus den Brandopfern zu machen. Jene, die auf Fleisch verzichten und ihre Nasen rümpfen, wenn sie in dessen Nähe sitzen, verschlingen bei Nacht Menschen.
Sie üben sich in Heuchelei und stellen sich vor anderen Leuten zur Schau, verstehen aber rein gar nichts von Meditation oder spiritueller Weisheit. Oh Nanak, was kann den Blinden gesagt werden? Sie können nicht antworten oder überhaupt verstehen, was gesagt wird.“

Auch untersagt im Rehat Marayada, dem Code der Verhaltensnormen, sind Tabak (den Guru Gobind Singh als „jagat jhoot"[10], die Lüge der Welt, bezeichnete), Alkohol und andere Drogen, die den Geist beeinflussen.

Materielle Bedürfnisse

Im Gegensatz zum Hinduismus akzeptieren Sikhs die Wichtigkeit materieller Bedürfnisse und deren Befriedigung. Sie lehnen die Askese entschieden ab. Vielmehr gilt ehrliche Arbeit als ein Weg zur Erlösung. Brüderlichkeit, auch mit Nichtgläubigen, gehört zu den Grundsätzen des Sikhismus, weshalb der Ertrag ihrer Arbeit auch mit anderen geteilt werden soll.

„Nur der allein, Oh Nanak, kennt den Weg, der arbeitet im Schweiße seines Angesichts und dann teilt mit all den anderen.“ (Guru Granth, S. 1245)

Persönlicher Reichtum ist für das geistliche Leben eines Sikhs dennoch kein Hindernis. Lehrer der Religion predigen ihren Anhängern, dass sie ein normales Leben führen sollen, was für Sikhs ebenso das Erlangen von Reichtum beinhalten kann. Neben dem Streben nach Wohlstand steht die Sikh-Religion auch dem Streben nach Ansehen nicht im Weg, es wird sogar gesagt:

„Ein Sikh muss anderen ein Beispiel geben; er soll ein besserer Bauer, ein besserer Geschäftsmann und ein besserer Beamter sein.“ (Gobind Singh Mansukhani: Introduction to Sikhism)

Der Guru Granth Sahib

Die Lebensweise der Sikhs ist tief in den schriftlichen Niederlegungen der Begründer verwurzelt. Die gesammelten Schriften der Gurus sowie der Heiligen aus Nord-Indien wird Guru Granth Sahib genannt. Das Werk wird von Sikhs als „Guru“ angesehen, da es das spirituelle Vermächtnis der Gurus darstellt. Granth kommt von dem Sanskrit-Wort grantha, zu Deutsch „Buch“. Das Wort Sahib (Herr) drückt die große Wertschätzung aus. Das Werk, geschrieben in der von den Gurus entwickelten Schrift Gurmukhi, setzt sich aus ausführlichen Niederlegungen der ersten fünf Gurus, des neunten Gurus sowie der „Bhagats“ - das sind Heilige und Weise verschiedenster sozialer Herkunft - zusammen. Die Schriften wurden von Guru Arjan, dem fünften Guru, im Jahre 1604 in dem Werk Adi Granth zusammengetragen. Später ergänzte der zehnte Guru, Guru Gobind Singh, das Werk mit den Schriften des 9. Gurus. Das Werk ist seither als Guru Granth Sahib bekannt. Ihm wird innerhalb der Sikh-Gemeinschaft seit 1708 die Autorität und Würde des Gurus zugesprochen.

Außergewöhnlich an dieser Komposition, die auf musikalischen Melodiefolgen (Raga, Rag) beruht, ist die Einbeziehung verschiedener Sprachen – unter anderem Panjabi, Hindi und Braj – sowie Verse diverser Bhagats, darunter Kabir und Ravidas. Die Verwendung verschiedener Sprachen, Rags sowie Verse Heiliger unterschiedlichster Herkunft sollen den religionsübergreifenden Charakter der Sikh-Religion betonen. Die bis heute erhaltene Originalschrift, die in der heutigen Standardausgabe 1430 Seiten umfasst, basiert auf einer sorgfältig ausgearbeiteten Systematik: einem ausgefeilten, speziell für die Schrift entwickelten grammatikalischen System. Die Inhalte sind nach Autoren, Themen und Melodiefolgen geordnet.[11]

Einige Zitate aus dem Guru Granth Sahib, die Einblick in das Wesen der Sikh-Religion geben, finden sich im Artikel Adi Granth.

Religiöse Überzeugungen

Die religiösen Einsichten der Sikh-Religion sind im Guru Granth Sahib in metaphorischer Poesie festgehalten. Fortwährendes Gottvertrauen sowie die Verinnerlichung und das Leben spiritueller Weisheit im Alltag (Nam) stehen dabei im Mittelpunkt.[12]

Glaubensbekenntnis

Die Sikhs glauben an den einen höchsten Gott, der weder männlich noch weiblich ist. Der Guru Granth Sahib, das Heilige Buch, beginnt mit dem „Mul Mantar“, d. h. „Wurzel-Mantra.“ Es ist das Glaubensbekenntnis:

„Mool Mantar: Nur ein Gott
Wahrheit ist der Name
Der Schöpfer ohne Furcht
Ohne Hass. Unsterblich.
Über Geburt und Tod.
Selbsterleuchtet.
Offenbart durch den wahren Guru.“

Ein universeller Schöpfergott
ਸਤਿ ਨਾਮੁ Sein Name ist die Wahrheit (Er ist wahr)
ਕਰਤਾ ਪੁਰਖੁ Er ist der Schöpfer.
ਨਿਰਭਉ Ohne Furcht
ਨਿਰਵੈਰੁ Ohne Hass
ਅਕਾਲ ਮੂਰਤਿ ਅਜੂਨੀ ਸੈਭੰ Er ist unsterblich, von ihm kann keine Statue erschaffen werden, ohne Geburt und Tod 

(Er hat keine Jahreszahl und existiert aus sich selbst)

ਗੁਰ ਪ੍ਰਸਾਦਿ ॥ Offenbart durch den wahren Guru
॥ ਜਪੁ ॥ Singen und Meditieren, Beten
ਆਦਿ ਸਚੁ ਜੁਗਾਦਿ ਸਚੁ ॥ Wahr im primären Beginn. Wahr durch alle Zeiten.
ਹੈ ਭੀ ਸਚੁ ਨਾਨਕ ਹੋਸੀ ਭੀ ਸਚੁ ॥੧॥ Wahr hier und jetzt. Guru Nanak sagt er wird für immer wahr bleiben

Schöpfungsverständnis

Das Wesen der Schöpfung ist nach Überzeugung der Sikh-Religion unergründbar. Das Universum, das sich gemäß dem Evolutionsprinzip fortwährend weiterentwickelt, wird als unermesslich angesehen. Der Wille der Schöpfung manifestiert sich diesem Verständnis nach in den Grundgesetzen der Natur. Der Schöpfer wird als bedingungslos liebend, unendlich, unfassbar, feindlos, namenlos, geschlechtslos – daher auch die Verwendung „Mutter“ für die „Schöpferin“[13] – und formlos beschrieben.[14] Sie vereint drei wesentliche Naturen: Transzendenz, Immanenz und Omnipräsenz. Da der Schöpfung demnach das Göttliche innewohnt, wird sie als durchgängig beseelt und gleichermaßen heilig angesehen.[15] Die wiederholte Verwendung scheinbar unvereinbarer Aussagen soll die schwer zu durchschauende Natur der Schöpfung verdeutlichen: „Hast tausend Augen und hast doch kein einziges, hast tausend Gestalten und doch keine einzige“.[16]

Leben nach dem Tod

Sikhs glauben daran, dass Menschen und Tiere eine Seele haben, die immer wieder in verschiedene Lebensformen wiedergeboren werden kann. Die Seele kann einige Lebensformen durchlaufen haben, bis sie die des Menschen (die höchste Stufe der Bewusstseinswahrnehmung) erreicht hat.

Die Wiedergeburt (Reinkarnation) ist ein leidvoller Kreislauf, da die Seele viele Male den Verlust z. B. der Eltern, der eigenen Familie und des eigenen Körpers, ertragen musste.

Die Bestimmung des Menschen ist es, aus dem Kreislauf der Wiedergeburt zu entkommen und die Seele mit Gott eins werden zu lassen, in dem man den Weg der Gurus folgt und die vollkommene Erleuchtung erlangt.

Nach Guru Nanak ergibt es jedoch keinen Sinn, sich mit geschehenen Dingen zu beschäftigen. Es zählt nur das Hier und Jetzt. Nanak spricht damit auch die damaligen Yogis an, die Tage und Nächte damit verbracht haben, was sie werden bzw. waren.

Lebenseinstellung

Der Sikhismus geht davon aus, dass jede Tat und jeder Gedanke eine Konsequenz haben wird, und postuliert ein Naturgesetz von Ursache und Wirkung (siehe auch Karma). Ein zentrales Thema ist die Überwindung des Egoismus. Laut den Religionsgründern ist das Haupthindernis für inneren und sozialen Frieden das Hängen am eigenen Ich und an weltlichen Dingen (Maya).

Innerer Frieden, auch Mukti („Erlösung“) genannt, könne durch ein erwachtes und aufgeklärtes Bewusstsein erreicht werden, welches das Gefühl des Getrenntseins von allem Existierenden als Illusion durchschaut. Erlösung bezieht sich dabei auf das Erleben der schöpferischen Einheit zu Lebzeiten eines Menschen. Um ein erwachtes Bewusstsein zu entwickeln, ist laut Guru Granth Sahib die Nutzung von Urweisheiten, die dem Menschen potenziell innewohnen, essenziell.[17] Ein Leben, das sich an diesen Weisheiten ausrichtet, zeichne sich durch eine ganzheitliche Lebensführung aus, die von fortwährender Verbundenheit mit der Schöpfung, innerer Zufriedenheit und Bemühen um menschlichen Fortschritt geprägt sei.[18] Diese Haltung wird auch mit dem Wort „Meditation“ ausgedrückt.[19]

Tugenden

Es wird daher größter Wert auf eine tugendhafte Lebensführung gelegt.[20] Als Eckpfeiler des Sikh-Seins gelten ein sozial ausgerichtetes Familienleben, der ehrliche Verdienst des Lebensunterhaltes sowie lebenslange spirituelle Entwicklung. Der Dienst an Mitmenschen sowie das Bemühen um Beseitigung sozialer Ungerechtigkeiten werden als wichtige Form der Gotteshingabe angesehen. Frauen und Männern wird eine gleichberechtigte Rolle mit gleichen Rechten und Pflichten zugesprochen.

Hingegen werden Rituale, Pilgerfahrten, die Wiederholung von Mantren oder eines bestimmten Namens für Gott sowie die Ausübung von spezifischen Yoga- und Meditationstechniken für eine tiefgehende religiöse Haltung als weniger wichtig eingestuft.

Aberglaube, Okkultismus, Asketentum, religiöses Spezialistentum – wozu auch Priester gerechnet werden – das Mönchs- und Nonnentum sowie Mittler zwischen dem Menschen und dem Schöpfer werden abgelehnt, da jedem Menschen das Potenzial zugesprochen wird, das Göttliche direkt in sich selbst und im Alltag mit anderen zu erfahren.[21]

Geschichte

Quellen

Die Geschichte der Sikhs lässt sich im Groben gut rekonstruieren. Allerdings sind einige Details bis heute ungeklärt. Bei verschiedenen Kriegen gingen bedeutende historische Quellen verloren. Die frühe Geschichte der Gurus basiert vornehmlich auf den Janam-Sakhian, Legendenerzählungen über das Leben der Gurus. Diese schriftlich enthaltenen Hagiografien wurden ausnahmslos viele Jahrzehnte, teilweise sogar Jahrhunderte nach dem Tod der Gurus geschrieben. Sie entsprechen der mündlichen indischen Erzähltradition, die auf Ausschmückungen und Wundererzählungen basiert. Die Erzählungen bergen zahlreiche interne Widersprüche und Inhalte, die konträr zu den Aussagen der Gurus und anderen historischen Quellen stehen. Wie verschiedene Wissenschaftler betonen, ist für ein angemessenes historisches Verständnis eine wörtliche Interpretation dieser historischen Quellen irreführend.[22] Ein weiteres Problem besteht darin, dass Manuskripte nachträglich verändert worden sind.[23]

Weitere historische Quellen wurden von muslimischen und hinduistischen Schreibern verfasst. Zudem existieren Quellen britischer und deutscher Orientalisten sowie christlicher Missionare, die im Zuge der Kolonisation Indiens erste fremdsprachliche Werke mit offensichtlich ethnozentristischem Zugang über die Sikhs anfertigten.[24] Die Grundzüge der historischen Entwicklung der Sikhs lassen sich durch Quellenvergleiche zwischen verschiedenen historischen Dokumenten und den Originalschriften der Gurus sowie prominenter Zeitgenossen wie Bhai Gurdas (15. Jahrhundert) wie folgt rekonstruieren:[25]

Die Zeit der Gurus

Ein seltenes Gemälde im Tanjore-Stil aus dem späten 19. Jahrhundert; dargestellt sind die zehn Gurus sowie Bhai Bala und Bhai Mardana

Der Begründer Guru Nanak wurde 1469 in Talwandi, im heutigen Nankana Sahib in Pakistan, geboren. Der junge Nanak befasste sich schon früh mit Grundfragen des Lebens. Bereits während seiner Schulzeit, wo er mit ausgezeichneten Leistungen auffiel, distanzierte er sich öffentlich von bestehenden religiösen Traditionen, wie z. B. dem brahmanischen Initiationsritual der „Heiligen Schnur“.[26] Er hinterfragte vor allem die Sinnhaftigkeit verbreiteter religiöser Praktiken, Dogmen, die Autorität bestehender religiöser Schriften (u. a. Simrats und Veden) sowie die Hierarchisierung der Gesellschaft. Guru Nanak, Vater von zwei Kindern, begab sich nach verschiedenen Anstellungen bei der lokalen Stadtverwaltung mit nicht ganz vierzig Jahren auf ausgedehnte Reisen. Die Hagiografien berichten von Besuchen in Mekka, dem heutigen Irak und Afghanistan. Der Religionsgründer konnte zahlreiche Menschen für seine Lebenshaltung gewinnen. Gegen Ende seiner Lebenszeit gründete Guru Nanak mit zahlreichen Schülern die Stadt Kartarpur im heutigen pakistanischen Teil des Punjabs und lebte dort bis zu seinem Hinscheiden als Bauer. Vor seinem Tod trug er einem seiner Schüler auf, seine Vision fortzuführen. Guru Nanak folgen neun Gurus.

Der Wirkungszeitraum der zehn Gurus im Überblick:

Guru Leben
Guru Nanak Dev 1469–1539
Guru Angad Dev 1504–1552
Guru Amar Das 1479–1574
Guru Ram Das 1534–1581
Guru Arjan Dev 1563–1606
Guru Har Gobind 1595–1644
Guru Har Rai 1630–1661
Guru Har Krishan 1656–1664
Guru Tegh Bahadur 1621–1675
Guru Gobind Singh 1666–1708

Zwar erklärte der fünfte Guru Arjan Dev die Guruwürde für erblich, jedoch ernannte der zehnte und letzte Guru keinen Nachfolger.

„Wer den Guru zu sehen wünscht, suche im Ādi Granth“

Ādi Granth: S. 371

Die Sikhs entwickelten sich unter der Führung der zehn Gurus zunehmend zu einer religiösen und später dann auch zu einer politischen Macht in Nord-Indien. Die Bewegung der Sikhs fiel unter anderem dadurch auf, dass sie bestehende religiöse Traditionen und Riten kritisch hinterfragte, das brahmanische Kastenwesen ablehnte, Frauen eine gleichberechtigte Stellung in der Gesellschaft zusprach, religionübergreifende Unterweisung und Freiküchen anbot, Landreformen durchführte und eigene Münzen prägte. Die Betonung religiöser wie politischer Souveränität wurde zusehends kritisch beäugt.

Die bis dahin weitgehend ungestörte Entwicklung der jungen Religion fand mit dem Tode des liberalen Mogulkaisers Akbar 1605 ein Ende. Sein Nachfolger Jahangir (1569–1627) leitete eine Ära der Gewalt gegenüber Andersgläubigen ein. Davon waren auch die Sikhs betroffen. 1606 wurde der fünfte Guru, Guru Arjan, auf Befehl von Jahangir zu Tode gefoltert; ein Grund lag in der Bewertung des Aad Granth als blasphemisch. Der nachfolgende Guru Har Gobind betonte daraufhin die Notwendigkeit, sich gegen religiöse und politische Intoleranz zur Wehr zu setzen. Die Sikhs bauten unter seiner Führung ihre Streitkräfte weiter aus. 1675 wurde der neunte Guru von den Machthabern in Delhi hingerichtet. Guru Gobind Rai, der sich nach der Gründung der Khalsa-Bruderschaft Gobind Singh nannte, übernahm als letzter menschlicher Guru die Guruwürde. Er war, wie bereits einige Gurus zuvor, in zahlreiche Verteidigungsschlachten gegen lokale Machthaber und Bergfürsten involviert. Während seiner Guruschaft gingen zahlreiche wichtige Originalschriften verloren.

Guru Gobind Singh gründete um 1699 die Bruderschaft Khalsa, die es sich laut Überlieferung zur Aufgabe machte, gegen Tyrannei und religiöse Intoleranz vorzugehen. Als Ausdruck allzeitiger Einsatzbereitschaft verpflichteten sich die Mitglieder, fünf Kakars zu tragen.[27] Einen weiteren bis heute spürbaren Einfluss hatte darüber hinaus die Etablierung des Repräsentationsmodells der „Panj Pirare“. Um Alleingängen einzelner Mitglieder vorzubeugen, sollten wichtigen Institutionen fortan fünf Sikh-Männer oder Sikh-Frauen vorstehen, die sich durch besondere Tugendhaftigkeit auszeichneten. Historisch blieb unklar, was genau sich am Gründungstag abspielte. Die vorliegenden Quellen berichten übereinstimmend von der Gründung des Khalsa, der Initiation tausender Sikhs und der damit verbundenen neuen Namensgebung (Singh und Kaur). Die Beschreibungen der genauen Umstände widersprechen sich jedoch in den Details.

Die Zeit nach den Gurus

Nachdem der zehnte Guru 1708 an den Folgen eines Attentates gestorben war, verstärkten sich die Unruhen in Nordindien. Die Gemeinschaft der Sikhs verlor zusehends ihre Dynamik. Die von den Gurus eingeleiteten Reformen wurden nur vereinzelt weitergeführt und die von ihnen begründete Lebensweise verlor durch fortwährende Kriegswirren an Bedeutung. Ahmad Schah Durrani fiel mehrere Male in Nordindien ein. Dabei starben mehrere zehntausend Sikhs, da sie als religiöse Minderheit verfolgt wurden. Sie waren teilweise gezwungen, im Untergrund zu leben. Die Sikhs erholten sich in den nachfolgenden Jahrzehnten nur langsam von den Kriegswirren.

Der einer Sikh-Familie entstammende Ranjit Singh nutzte die Uneinigkeit der Herrscher von Lahore, stürmte die Stadt und wurde 1799 Herrscher des Punjabs. Nach seinem Tod 1839 zerfiel das Reich rasch. Nach dem Ersten und Zweiten Sikh-Krieg wurde der Punjab 1849 von der britischen Kolonialmacht annektiert.

Im Jahre 1873 formten die Sikhs die zivilgesellschaftliche Singh-Sabha-Bewegung. Diese hatte zum Ziel, die Sikh-Gemeinschaft wieder mit den Lehren der Gurus vertraut zu machen. Die Singh-Sabha-Bewegung strebte zudem danach, die Hoheit über die historischen Gurdwaras zurückzuerlangen, die sich seit den machtpolitischen Wirren mehrheitlich unter der Kontrolle brahmanischer Priester (Mahants) befanden. Zum Teil arbeiteten sie eng mit der britischen Kolonialmacht zusammen. Die Mitglieder der Singh Sabha, die vor allem einer gebildeten Schicht entstammten, veröffentlichten zahlreiche Publikationen über die Lehren der Gurus sowie die Geschichte der Sikhs. Es bildeten sich zudem erste religiöse sowie politische Gruppierungen, darunter die bis heute einflussreichen SGPC und die Partei Akali Dal. Mitglieder der Singh Sabha waren federführend an der Erarbeitung eines Verhaltenskodex für die Sikh-Gemeinschaft beteiligt. Der Kodex, der nach langwierigen Verhandlungen mit Vertretern unterschiedlicher Sikh-Gruppen in einer Kompromissversion verabschiedet wurde, stellt einen Meilenstein der Institutionalisierung der Sikh-Religion dar.[28]

Die Sikhs nach der Unabhängigkeit Indiens

Am 15. August 1947 entließ Großbritannien Indien in die Unabhängigkeit. Die ehemalige Kolonie wurde geteilt, der Staat Pakistan gegründet. Es entstanden ein pakistanischer und ein indischer Punjab. Millionen von Menschen, darunter viele Sikhs, mussten von dem entstandenen pakistanischen Teil in den indischen Teil umsiedeln. Während der Unabhängigkeitsbestrebungen kam es zu kommunalen Unruhen und Greueltaten, bei denen viele Menschen starben. Nach der Unabhängigkeit entstanden zusehends politische Spannungen zwischen der hinduistisch geprägten Zentralregierung und religiösen Minderheiten, auch mit den Sikhs. Unter Premierministerin Indira Gandhi wurde den Sikhs 1966 nach zahlreichen politischen Protesten die Punjabi-Suba, eine eigene Sprachprovinz, zugestanden. Die von Hindus dominierten Gebiete wurden abgetrennt und in dem neu gegründeten Bundesstaat Haryana zusammengeschlossen. 1973 verabschiedeten Sikh-Führer die Anandpur Sahib Resolution. Darin forderten sie die Einsetzung Chandigarhs zur alleinigen Hauptstadt des Punjabs, stärkere politische Autonomie sowie eine Überarbeitung des Artikels 25 der indischen Verfassung, der die Sikhs und andere religiöse Minderheiten entgegen ihrem Selbstverständnis der Kategorie Hindu zuschreibt.

In den 1980er Jahren kam es zunächst zu politischen und dann zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der indischen Regierung und Sikh-Gruppierungen, die weitreichende Autonomie für den Punjab sowie die Wahrung der Menschenrechte und mehr Religionsfreiheit einforderten. Unter den Sikhs bildete sich eine Gruppe um Bhindranwale; sie setzte sich vehement für eine stärkere Autonomie ein und legitimierte den Gebrauch von Waffengewalt zu Verteidigungszwecken. Die Gruppe verlagerte im Zuge des schwelenden Konflikts ihr Hauptquartier in den Komplex des Darbar Sahib innerhalb des Harimandir Sahib, des „Goldenen Tempels“. Die Zentralregierung übernahm daraufhin die Kontrolle über den Punjab und verhängte eine Nachrichtensperre.

Nach erfolglosen Verhandlungen wurde das heutige religiöse Zentrum der Sikhs, der Harimandir Sahib in Amritsar, am 3. Juni 1984 – einem hohen Feiertag – von indischen Truppen gestürmt (Operation Blue Star). Nach Angaben der indischen Armee starben mehrere hundert Sikhs und 83 indische Soldaten während der Operation. Die Opferzahlen sind jedoch umstritten, teilweise werden wesentlich höhere Zahlen angegeben.

Am 31. Oktober 1984 wurde Premierministerin Indira Gandhi von zwei Sikh-Leibgardisten erschossen. In Delhi und im Punjab fanden daraufhin Pogrome statt, denen tausende Sikhs zum Opfer fielen. Die Autonomiebewegung wurde in den Folgejahren mit militärischer Gewalt durch die Zentralregierung zerschlagen. Menschenrechtsorganisationen beklagten regelmäßige Menschenrechtsverletzungen, Folter und Polizeiwillkür. Die Aufarbeitung der Unruhen durch Human Right Wing beispielsweise brachte Funde systematischer Verfolgung von Sikhs zu Tage: Mehrere zehntausend Leichen getöteter Sikhs wurden in Massengräbern gefunden.[29] Viele Sikhs verließen während dieser Zeit ihre Heimat und siedelten sich im Westen an.

Sikhs zelebrieren ihr traditionelles Neujahrsfest in Toronto, 2005

Erst Anfang der 1990er Jahre beruhigte sich die Lage im Punjab wieder. Seither wechselte die Regierung im Punjab regelmäßig, wobei die Akali Dal dominiert. Bei der ersten Wahl im neuen Jahrtausend löst die Kongresspartei die Akali Dal im Punjab ab. 2007 wiederum gewann die Akali Dal die Wahlen im Bundesstaat. Der renommierte Ökonom Manmohan Singh, der den wirtschaftlichen Reformprozess Indiens entscheidend mit prägte, wurde 2004 als erster Sikh zum Ministerpräsidenten Indiens ernannt.

Missverständnisse

Verwechselung mit anderen Religionen

Der Sikhismus wird oft mit dem Hinduismus oder dem Islam gleichgesetzt. Aufgrund ihrer Kopfbedeckung werden Sikhs häufig mit Muslimen verwechselt.

Hintergrund

Die öffentliche Darstellung der Sikh-Religion wird von ihren Anhängern zuweilen als irreführend empfunden. Die Sekundärliteratur beruht zum Teil auf historisch zweifelhaften Quellen. Außerdem führt die Reproduktion von bereits verfestigten Fehldarstellungen und -übersetzungen weiterhin zu falschen Darstellungen.[30] Nur wenige Bücher und Internetseiten beruhen auf einem quellenkritischen Ansatz und den ursprünglichen schriftlichen Niederlegungen der Gurus. Dies liegt nicht zuletzt an der Sprachbarriere. Die sprachlichen Feinheiten und die Metaphern des Guru Granth Sahib sind ohne Hintergrundwissen nicht angemessen zu verstehen.[31] Analysen von Lexikonbeiträgen und Internettexten, Publikationen und Übersetzungen zeigen, dass nach wie vor verfälschende Auslegungen des Guru Granth Sahib kursieren, die auf ethnozentristische Interpretationen durch westliche Wissenschaftler und brahmanische Gelehrte seit dem 19. Jahrhundert zurückgehen.[32]

Zu den Ursprüngen des Sikhismus

Einige Lexikabeiträge und Publikationen sehen die Ursprünge des Sikhismus in der Bhakti-Bewegung, dem Sufismus, dem Sant Mat oder dem Vishnuismus. Andere gehen davon aus, dass Guru Nanak und seine Nachfolger einen Synkretismus aus hinduistischen und islamischen Traditionen begründeten. Diese Sicht wurde vor allem durch westliche Orientalisten und brahmanische Gelehrte im 19. und 20. Jahrhundert etabliert.

Die Gurus sowie ihre Anhänger selber sahen sich jedoch als keiner der damaligen religiösen Bewegungen zugehörig an. Die Gurus sowie Zeitgenossen, die in der Gemeinschaft der Gurus lebten und darüber schrieben, wie z. B. Bhai Gurdas, betonen dies in ihren Schriften explizit.[33] Auch heutige Sikhs sehen sich als Anhänger einer eigenständigen, religiös orientierten Lebensweise.

Zu den Sikhs als „Kriegerkaste“

In wieder anderen Darstellungen werden Sikhs als Anhänger oder Mitglieder einer „Kriegerkaste“ angesehen. Diese Kategorisierung wurde ebenfalls von Orientalisten geprägt und später dann von Hindu-Nationalisten in den 1990er Jahren aufgenommen.

Eine Analyse der historischen Dokumente zeigt, dass die Gurus und ihre Anhänger sich explizit gegen Gewaltanwendung aus aggressiven Motiven heraus aussprechen. Gleichwohl nahmen Sikhs im Verlaufe der Geschichte an zahlreichen Verteidigungsschlachten teil und sahen das Recht auf Selbstverteidigung als menschliches Grundrecht an.[27] Am Ende des 19. Jahrhunderts kam es zu einer Neuinterpretation. Bestimmte Eliten der breiteren Sikhströmung begannen ein Selbstverständnis zu entwickeln und sich vom Islam und Hinduismus zu unterscheiden.

Religion oder Nation

Vorab ist zu bemerken, dass die Kategorien "Religion" und "Nation" einheitliche - und einheitlich akzeptierte - Erfindungen des 19. Jahrhunderts sind. Auch die Verbindung von Religion und Nation als religiöse Nation oder nationale Religion entstammen dieser Zeit. Diese Verbindung kann jedoch nicht endgültig gelöst werden. Nation kann sich definieren über Sprache, Ethnie, Kultur, Regierung und anderes. Religion kann helfen, Barrieren innerhalb einer pluralen Nation oder auch transnational zu überwinden (z.B. Sprache, Bildung, Kultur).

Bei den Sikhs sind Religion und Nation untrennbar verbunden. Diese Verbindung steht allerdings in einer permanenten Spannung. Am Beispiel des Sikhismus in Indien zeigt sich, dass die Wahrnehmung der Inder und die Selbstwahrnehmung der Sikhs auseinanderdriften. Während die Sikhs für sich eine nationale Identität schon seit dem 19. Jahrhundert propagieren, werden sie im Verständnis des heutigen Indien zwar als Religion angesehen, jedoch nicht als eigene Nation. Was zu dieser Diskrepanz und der schwierigen Integrierbarkeit der Sikhs mit ihrem eigenen Bewusstsein beiträgt, ist u.a. die Inkompatibilität zwischen der gesamt-indischen Einheit (als Nation) und dem Selbstverständnis der Sikhs, das Religion und Nation verbindet.

Sikhs in der Forschung

Was die Forschung über die Sikhs betrifft lassen sich verschiedenen Felder und Beteiligte am Diskurs über die Sikhs erkennen. Ein Problem am Diskurs ist, dass es keine strikte Trennung von bestimmten Sphären gibt. Sowohl in der Sphäre der Beteiligten, als auch an den Orten der geführten Diskussionen wird nicht immer konsequent getrennt zwischen religiösen und säkularen Positionen. So vermischen sich häufig "orthodoxe" Sikh-Positionen mit akademischer Forschung; teilweise spielt sogar die Politik in den Diskurs hinein. Diese teilweise stattfindende Vermischung wird von den Beteiligten der Diskussion allerdings nicht öffentlich kommuniziert oder eingestanden. Beispielhaft kann hier Arvind-Pal Mandir erwähnt werden. Der Autor, der über Sikhishismus, Sikh-Verständnis und ähnliche Themen schreibt, versucht einerseits herauszustellen, welche historischen Gegebenheiten zum heutigen Verständnis und Selbstverständnis der Sikhs beigetragen haben. Hierbei kommuniziert er auch die Ausformungsprozesse und die Historisierung, die besonders in der Kolonialzeit zur Herausbildung der Sikh-Identität geführt haben. Andererseits spannt er immer wieder einen Bogen zur postulierten Kontingenz der "Geschichte" der Sikhs, die auf den ersten Guru Nanak zurückgeht. Die Vermischung, die bei Mandir stattfindet, gründet wohl auf einerseits akademischem Interesse und Forschung, andererseits auf der Tatsache, dass Mandir selbst Sikh ist. Dieses Beispiel ermöglicht noch einmal einen vergleichenden Hinweis auf die Identitätsfrage, in der keine klare Trennung zwischen Religion und Nation stattfindet. Dieses Problem ist allerdings nicht Sikh-spezifisch, sondern findet sich in allen Konzepten von Nationalismus und Religion. Die Forschung könnte sich hier zum einen zum Ziel setzen, auf die Situation und Konstitution des aktuellen Diskurses aufmerksam zu machen und für den Rahmen der bestehenden Diskussion zu sensibilisieren. Zum anderen könnte ein Ziel oder Aufgabe sein, klare Narrative zu schaffen, in denen dann in einem einheitlichen Rahmen weiterdiskutiert wird.

Naam oder Shabt

Laut dem "Sikhismus" bedeuted "Naam" oder "Shabt" die durch sich selbst wirkende Kraft, die alles erschaffene und alles durchdringende Gotteskraft. Im christlichen Glauben bezeichnet man es als "das heilige Wort". Im Anfang war das Wort, / und das Wort war bei Gott, / und das Wort war Gott. (Joh; 1,1). Im Hinduismus wird sie es als "Nad" bezeichnet, sie nennen es auch "Akash Bani" (eine Stimme, die vom Himmel herunterkommt). Unter den Moslem Sufis ist es als "Sultan-ul-azkar" (König des Gebets) bekannt.

Siehe auch

Literatur

  • Tilak Raj Chopra, Heinz Werner Wessler: Aus dem Guru Granth Sahib und anderen heiligen Schriften der Sikhs. Verlag der Weltreligionen, Berlin 2011
  • J. S. Grewal: The Sikhs of the Punjab. Cambridge University Press, New Delhi 1994
  • Bhai Gurdas: Varaan Bhai Gurdas Ji. Shiromani Gurdwara Parbhandak Committee, Amritsar 1998 (15. Jahrhundert)
  • Lothar Handrich: Heilung im Sikhismus in: V. Futterknecht, M. Noseck-Licul, M. Kremser (Hrsg.): Heilung in den Religionen. Religiöse, spirituelle und leibliche Dimensionen. Schriftenreihe der Österreichischen Gesellschaft für Religionswissenschaft Band 5; LIT-Verlag, Wien 2013
  • Lothar Handrich: Vorbereitung auf die göttliche Hochzeit. Altern im Sikhismus in: K. Baier, F. Winter (Hrsg.): Altern in den Religionen. Schriftenreihe der Österreichischen Gesellschaft für Religionswissenschaft Band 6; LIT-Verlag, Wien 2013
  • Karam Singh Historian (Hrsg.): A probe into Sikh History. Singh Brothers, Amritsar 1935
  • Nikky-Guninder Kaur: The Feminine Principle in the Sikh Vision of the Transcendent. Cambridge University Press, Cambridge 1993
  • Nikky-Guninder Kaur: Sikhism. An Introduction I.B.Tauris, London 2011
  • Max Arthur Macauliffe: The Sikh Religion: Its Gurus, Sacred Writings and Authors, Band 6; University Press, Oxford 1909
  • Gobinda Mukhoti, Rabji Kothari: Wer sind die Schuldigen? Bericht einer gemeinsamen Untersuchung der Ursachen und Wirkungen der Unruhen in Delhi vom 31. Oktober bis 10. November 1984. P.U.D.R. & P.U.C.L., Delhi 1984
  • Kahn Singh Nabha: Encyclopaedia of Sikh Literature. Bhasha Vibhag, Mahan Kosh 1930
  • Christopher Shackle, Arvind-pal Singh Mandair (Hrsg.): Teachings of the Sikh Gurus. Selections from the Sikh Scriptures. New York, Routledge 2005
  • Giani Gurdit Singh: Mudavni. Sahit Parkashan, Chandigarh 2003
  • Inder Singh: Misrepresentations of Religion. Fateh Publications, Patiala 2006
  • J. P. S. Uberoi: Religion, Civil Society and the State. A Study of Sikhism. Oxford University Press, Delhi 1996
  • Sahib Singh: About Compilation of Sri Guru Granth Sahib. Lok Sahit Parkashan, Amritsar 1996
  • Sahib Singh: Sri Guru Granth Sahib Darpan 1–10. Raj Publisher, Jalandar 1961
  • Marla Stukenberg: Die Sikhs. Religion, Politik, Geschichte. Beck, München 1995
  • Arvind-Pal Mandir: "Religion and the Specter of the West." New York, Columbia University Press, 2009
  • W.H. McLeod: "History and Tradition in the Study of the Sikh Faith." In: W.H. McLeod (Hg.): Essays in Sikh History, Tradition and Society. New Delhi, Oxford University Press, 2007
  • Arvind-Pal Mandir: "Sikhism. A guide for the perplexed." London, 2013

Weblinks

 Commons: Sikhism – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Angaben zur Verbreitung: Brockhaus Religionen, Mannheim 2007
  2. Religionswissenschaftlicher Medien- und Informationsdienst: Religionen in Deutschland: Mitgliederzahlen. Die Zahlen beziehen auf das Jahr 2009.
  3. Statistik Austria: Bevölkerung 2001 nach Religionsbekenntnis und Staatsangehörigkeit abgerufen am 25. November 2013.
  4. Zahlen zur Verbreitung, soweit nicht anders angegeben, wurden dem Brockhaus Religionen (Mannheim 2007) entnommen.
  5. Vgl. Uberoi, 1996
  6. Arvind-Pal Mandair: Sikhism. A Guide for the Perplexed.London, 2013
  7. http://www.sikhiwiki.org/index.php/Granthi
  8. Sind Sikhs Vegetarier? www.sikh-religion.de (Sikh-Forum)
  9. Misconceptions about eating meat Sikhs.org (englisch)
  10. [1] Seite 12
  11. Vgl. Singh 1996
  12. Guru Granth Sahib, S. 4, 1136, 1349.
  13. Kaur, 1993.
  14. Guru Granth Sahib, S. 1, 103.
  15. Guru Granth Sahib, S. 1427.
  16. Guru Granth Sahib, S. 13.
  17. Guru Granth Sahib, S. 39, 94, 466.
  18. Guru Granth Sahib, S. 6, 51, 106.
  19. Guru Granth Sahib, S. 16.
  20. Guru Granth Sahib, S. 4.
  21. Guru Granth Sahib, S. 9, 12, 491.
  22. Singh 2006.
  23. Singh 2003.
  24. Shackle & Mandair, 2005.
  25. Grewal, 1999.
  26. Guru Granth Sahib, S. 471.
  27. 27,0 27,1 Uberoi 1996.
  28. Grewal 1994, Historian 1935, Nabha 1930.
  29. Mukhoti & Kothari, 1984.
  30. Singh 2006; Shackle & Mandair 2005; Nabha 1930.
  31. Singh, 1961.
  32. Singh 2006; Shackle & Mandair 2005; Macauliffe 1909.
  33. Gurdas 15. Jahrhundert.
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