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Sexualisierte Gewalt

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Sexualisierte Gewalt und sexualisierter Machtmissbrauch sind Begriffe, die „sexuelle Gewalt“ gemäß feministischem Verständnis nicht als Ausleben sexueller Bedürfnisse deuten, sondern als Ausübung von Macht interpretieren. Sie werden Handlungen mit geschlechtlichem Bezug ohne Einwilligung beziehungsweise Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen und insbesondere Delikten wie zum Beispiel sexuelle Nötigung, Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Kindern übergeordnet. Sexualisierte Gewalt wird dabei der physischen Gewalt (zum Beispiel Körperverletzung und Misshandlung von Schutzbefohlenen) und der psychischen Gewalt nebengeordnet.[1]

Der Ausdruck „Gewalt“ trifft die Wertung, dass die Täter nicht Opfer im Sinn von Fehltritten und die Opfer nicht Mittäter im Sinn von Provokateuren seien.[2] Als Verletzungen als Folgen von Gewalt zählen ausdrücklich auch seelische Traumata mit psychosomatischen Folgen. Die Grenzen zwischen Gewalt und Machtmissbrauch sind hierbei fließend. Die Definitionen sind nicht deckungsgleich mit den Straftatbeständen; viele feministisch orientierte Gruppen und Organisationen beanspruchen z. B. eine Definitionsmacht für Betroffene.[3]

Allgemein anerkannt ist heute, dass es weibliche und männliche Opfer im Kindes-, Jugendlichen- und Erwachsenenleben gibt,[1] sowie männliche und weibliche Täter. Doch beispielsweise sind bei sexualisierter Gewalt gegenüber Frauen 99 Prozent der Täter Männer.[4] Und auch bei sexualisierter Gewalt gegenüber Männern, werden häufiger Männer als Täter benannt.[1] Sexuelle Belästigung ist eine der häufigsten Erscheinungsformen von Gewalt gegen Frauen.

Über die Jahrzehnte verschob sich die gesellschaftliche Bewertung vieler Arten sexuellen Fehlverhaltens. Was früher oft mit einer Täter-Opfer-Umkehr abgewehrt, oder als unverschämtes Verhalten des Täters bewertet wurde, wird heute als kriminell angesehen und zur Anzeige gebracht. Dadurch steigt die Anzeigebereitschaft. Außerdem wird ein langsamer Rückgang der Fälle verzeichnet.[5]

Formen

Zu den Formen sexualisierter Gewalterfahrung in Kindheit und Jugend und Erwachsenenalter zählen nach dieser Definition beispielsweise:[1]

  • Ungewolltes Berühren, Küssen oder Auf-den-Schoß-Nehmen
  • Sexuelles Belästigen und Bedrängen
  • Drängen oder Erzwingen von Geschlechtsverkehr oder sexuellen Handlungen
  • Drängen oder Zwingen zum Anschauen von oder Mitwirken in pornografischen Handlungen in Fotografie, Film oder Internetchat
  • Drohungen für den Fall, dass sich das Opfer nicht auf sexuelle Handlungen einließe
  • Verheiratung minderjähriger Frauen[6]
  • Prostitution[7]

Sexualisierte Gewalt bei Kriegen und Genoziden

In Wissenschaft und internationaler Justiz wurde sexualisierte Kriegsgewalt bis in die 1990er Jahre als unvermeidlicher Bestandteil von Kriegen marginalisiert und naturalisiert. Dabei wurde übersehen, dass Vergewaltigungen auch strategisch als Kriegswaffe eingesetzt werden, um Frauen wie Männer zu erniedrigen und ganze Gemeinschaften zu zerstören.[8]

Es kam beispielsweise zu Massenvergewaltigungen beim Genozid in Bangladesh. Die Gesamtzahl an Vergewaltigungsdelikten wird nach Angaben von Gendercide Watch auf 200.000 bis 400.000 geschätzt.[9][10] Viele Mädchen und Frauen wurden öffentlich, vor den Augen ihrer Familie vergewaltigt. Viele begingen daraufhin Selbstmord. Viele wurden nach den Vergewaltigungen von ihren Familien zum Schutz der Familienehre verstoßen.[11] Nach Erringung der Unabhängigkeit richtete die neue Regierung von Bangladesh zusammen mit der International Planned Parenthood Federation in Dhaka und anderen Orten des Landes Rehabilitationszentren ein, in denen die Frauen medizinisch versorgt und Abtreibungen durchgeführt wurden.[12]

Sexuelle Belästigungen in Deutschland

Das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend hat 2004 eine repräsentative Untersuchung veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass insgesamt 58,2 % aller befragten Frauen sexuelle Belästigung erlebt haben. Knapp die Hälfte (49 %) der Frauen, die angaben schon einmal sexuell belästigt worden zu sein, haben schon Situationen erlebt, in denen sie sich ernsthaft bedroht fühlten, oder Angst um ihre persönliche Sicherheit hatten. Außerdem gaben 9 % der Frauen, die sexuelle Belästigung erlebt hatten, an, dass eine oder mehrere Situationen zu ungewolltem Geschlechtsverkehr oder zu körperlicher Gewalt geführt haben.[13]

Folgen sexualisierter Gewalt

Sexuelle Gewalt zieht erhebliche Folgen für Körper und Seele nach sich. 44 % der Frauen, die sexuelle Gewalt erlebt haben, trugen körperliche Verletzungen davon. Besonders stark ist der Anteil der Frauen, die nach sexueller Gewalt unter psychischen Folgen leiden (78,8 %). Die häufigsten Symptome sind: Niedergeschlagenheit und Depressionen, Schuld- und Schamgefühle, dauerndes Grübeln und Schlafstörungen, sowie eine negative Auswirkung auf das Selbstwertgefühl und auf die zwischenmenschlichen Beziehungen.[4]

Prävention

Zentrale Inhalte der Präventionsarbeit an der Grundschule zielt auf Strategien des Widerstands gegen Gewalt auf und Hilfen bei der Aufdeckung von Gewalt. Hierzu gehört insbesondere das Wissen des Kindes mit Bezug auf:[14]

  • das Bestimmungsrecht des Kindes über den eigenen Körper,
  • die Wahrnehmung von Gefühlen/Vertrauen auf die eigene Intuition,
  • die Unterscheidung zwischen „guten“, „schlechten“ und „komischen“ Berührungen,
  • das Recht des Kindes, Nein zu sagen, wenn jemand es auf eine Art berührt, die ihm nicht gefällt,
  • die Existenz „guter“ und „schlechter“ Geheimnisse,
  • Unterstützungsangebote für das Kind,
  • die Sexualerziehung.

Das Thema ist vor allem auch im Bereich des Sports für Kinder und Jugendliche relevant. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) weist auf die Gefahr sexualisierter Übergriffe hin, indem die im Sport entstehende Nähe und Bindung missbraucht wird (siehe auch: Kapitel „Sexuelle Belästigung“, Abschnitt „Sexuelle Übergriffe in Schule und Sport“). Der DOSB unterstreicht die Notwendigkeit, „offen und ohne falsche Scheu“ in Sportvereinen und -verbänden über sexualisierte Gewalt zu sprechen und betont: „Der Vorstand einer Sportorganisation muss glaubwürdig vermitteln, dass jede Form sexualisierter Gewalt und Grenzüberschreitung sowie herabwürdigender, sexistischer Äußerungen, Blicke und Handlungen nicht geduldet werden. Ein solches Klima des frühzeitigen, offenen und geregelten Umgangs mit Grenzverletzungen ist im Übrigen auch die beste Prävention vor allen Formen sexualisierter Gewalt.“[15]

Sporttrainer führen aus, dass Körperkontakt mit Kindern und Jugendlichen in bestimmten Situationen adäquat sein kann, zum Beispiel wenn es darum geht, Hilfestellungen beim Turnen zu geben, die Körperhaltung zu korrigieren oder Trost zu geben.[16] Auch der Landessportbund Berlin (LSB) und die Sportjugend Berlin unterscheiden zwischen normalem und grenzüberschreitendem Körperkontakt.[17]

Um zu verhindern, dass Straftäter und Personen mit unlauteren Absichten über eine Tätigkeit im Sport in die Nähe von Kindern gelangen und deren Vertrauen missbrauchen, rufen der LSB und die Sportjugend Berlin die Sportvereine und Sportverbände zur Beteiligung an einer Kinderschutzerklärung auf, welche u. a. die Selbstverpflichtung enthält, nur fachlich geeignete Personen im Jugendbereich einzusetzen und insbesondere ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis zu verlangen.[18]

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 Gewalt gegen Männer in Deutschland. Pilotstudie, Juli 2004 (online; PDF; 7,4 MB) Seiten 20, 62, 113, 153
  2. Über „Definitionsmacht“. Blog des Antisexismusbündnisses, 14. März 2008 (online)
  3. Wildwasser Wiesbaden, Christa Oppenheimer: Was hat die Arbeit gegen sexuelle Gewalt mit Feminismus zu tun? (PDF; 167 kB), S. 9
  4. 4,0 4,1 Prof. Dr. Ursula Müller, Dr. Monika Schöttle: Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland. (https://www.bmfsfj.de/blob/84316/10574a0dff2039e15a9d3dd6f9eb2dff/kurzfassung-gewalt-frauen-data.pdf).
  5. Michael Tonry: Why Crime Rates Are Falling Throughout the Western World. In: Crime & Justice. 43, Nr. 1, 2014 S. 8, doi:10.1086/678181 (alternativer Volltextzugriff: scholarship.law.umn.edu).
  6. Gewalt gegen Frauen: Die Fakten. UNRIC, abgerufen am 23. Januar 2016.
  7. Inwiefern sind professionelle Prostituierte Opfer sexualisierter Gewalt?. Leuphana Universität Lüneburg, abgerufen am 9. September 2019.
  8. Deutschlandfunkkultur.de, Andreas Baum, Gedemütigt, erniedrigt, beschämt, 14. Februar 2018
  9. Gendercide Watch: Genocide in Bangladesh, 1971. In: gendercide.org. 22. Februar 1971, abgerufen am 19. Januar 2015.
  10. Gerhard Klas: Die blutige Geburt Bangladeschs. vom 25. März 2011, SWR2.
  11. Samuel Totten, William Spencer Parsons: Centuries of Genocide. Routledge, 2013, ISBN 978-0-415-87191-4, S. 257.
  12. Erinnerung und Gegenwart: 40 Jahre Unabhängigkeit Bangladeschs (PDF) In: Netz – Bangladesch Zeitschrift Nr. 1, 33. Jahrgang, vom 28. Februar 2011.
  13. BMFSFJ - Sexuelle Belästigung. Abgerufen am 23. November 2017.
  14. Abschnitt „Prävention in der Schule“ im Kapitel „Sexualisierte Gewalt“. In: Online-Handbuch Gewaltprävention für die Grundschulen. „Wir stärken Dich e.V.“ und „Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V.“ (Kooperationsprojekt), abgerufen am 14. September 2015.
  15. Für Respekt und Wertschätzung – gegen sexualisierte Gewalt im Sport. Deutscher Olympischer Sportbund (DOSB), 27. November 2013, abgerufen am 14. September 2015.
  16. Iris Röll: Dürfen Lehrer Kinder noch trösten? Seite 6: Sporttrainer: „Ohne Körperkontakt geht’s nicht“. Focus, 12. Mai 2010, abgerufen am 14. September 2015.
  17. Körperkontakt im Sport ist normal!? – Grenzüberschreitungen. Landessportbund Berlin und Sportjugend Berlin, abgerufen am 14. September 2015.
  18. Zusammenarbeit für den Kinderschutz. Landessportbund Berlin und Sportjugend Berlin, abgerufen am 14. September 2015.
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Sexualisierte Gewalt aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.