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Selbsterfüllende Prophezeiung

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Die selbsterfüllende Prophezeiung (engl. self-fulfilling prophecy) beschreibt das Phänomen, dass ein erwartetes Verhalten einer anderen Person (Prophezeiung) durch eigenes Verhalten erzwungen wird.[1] Erwartet jemand ein bestimmtes Verhalten von seinem Gegenüber, erzwingt er durch eigenes Verhalten genau dieses Verhalten. Im Gegensatz zur selbsterfüllenden Prophezeiung steht die selbstzerstörende Prophezeiung, bei der der Betreffende sich so verhält, dass die Prophezeiung gerade nicht in Erfüllung geht.

Den Begriff erwähnte Otto Neurath erstmals 1911.[2] Als Auslöser für die Verbreitung beider Begriffe gelten jedoch mitunter Paul Watzlawick[3] und Robert K. Merton. Dieser bezeichnete den Denkfehler, die eigene Rolle zu übersehen und die Ereignisse dann als Beweis für die eigene Vorhersage anzuführen, pointiert als reign of error („Fehlerherrschaft“, als Wortspiel zu reign of terror „Schreckensherrschaft“).[4] In englischsprachigen Fachbeiträgen wird die selbsterfüllende Prophezeiung mit self-fulfilling prophecy übersetzt, die selbstzerstörende Prophezeiung mit self-defeating prophecy oder mit self-destroying prophecy.

Erklärungsprinzip in der Soziologie

Die „selbsterfüllende Prophezeiung“ ebenso wie die „selbstzerstörende Prophezeiung“ wurden von Robert K. Merton (1948) als soziale Mechanismen zur Erklärung der Auswirkungen bestimmter Einstellungen und Handlungsweisen analysiert, gemäß dem sog. Thomas-Theorem: „Wenn die Menschen Situationen als real definieren, sind sie in ihren Konsequenzen real.“[5]

Merton demonstriert an exemplarischen Fällen, wie das soziale In-Erscheinung-Treten einer Prognose die ausschlaggebende Ursache dafür wird, dass diese Prognose wahr wird. So kann unter geeigneten Umständen das Auftauchen des Gerüchts über Finanznot einer Bank zu deren tatsächlichem Zusammenbruch führen; sei dieses Gerücht anfangs objektiv begründet oder nicht. Ein anderes Beispiel nimmt Merton aus dem Bereich der sozialen Vorurteile: so haben viele Angehörige der weißen Arbeiterklasse gegenüber Farbigen das Vorurteil, diese seien „Verräter an der Arbeiterklasse“, weil sie als Lohndrücker am Arbeitsmarkt aufträten. Daher sollten diese auch von der Mitgliedschaft in Gewerkschaften ausgeschlossen werden. Dieses Vorurteil wirkt dann aber als eine Prognose, die sich selbst erfüllt. Denn dadurch, dass Farbige von der Gewerkschaftsmitgliedschaft ausgeschlossen werden, sind dieselben praktisch dazu gezwungen, sich als Lohndrücker zu betätigen.

In der berühmten Studie „An American Dilemma“ unter Leitung von Gunnar Myrdal wurden die Rassenvorurteile in den USA ebenfalls auf einen sich selbst verstärkenden Prozess von Vorurteilen zurückgeführt, die ihre eigene Bestätigung produzieren. Die Lebensbedingungen der farbigen Bevölkerung auf niederstem Standard führen zu Vorurteilen der weißen Bevölkerung gegenüber Farbigen, was wiederum dazu führt, dass Farbige diese Bedingungen nicht verlassen können. Die Ergebnisse der Studie haben dazu geführt, dass das Oberste Gericht gegen die Rassentrennung an den Schulen entschied, was als offizielle Anerkennung der Theorie der kumulativ-zyklischen Verursachung auszulegen ist.[6]

Jedwede öffentliche Verbreitung von Vorhersagen oder auch von Warnhinweisen vor möglichen Ereignissen kann zu erwünschten oder unerwünschten Änderungen in den Verhaltensweisen der Empfänger dieser Informationen führen, die selber den prognostischen Gehalt dieser Informationen verstärken oder reduzieren. Am bekanntesten ist diese Erscheinung bei Wahlprognosen, weshalb Wahlumfragen kurz vor dem Wahltermin in vielen Staaten gesetzlich untersagt sind.

Wenn ein Verbraucher seine Präferenzen für ein bestimmtes Gut verändert, nur weil er die Konsumpräferenzen anderer Verbraucher beobachten kann, so wird dieser soziale Effekt in der Mikroökonomie als Mitläufereffekt bezeichnet.[7] Ein entsprechendes Anlegerverhalten wird auch „Herdenverhalten“ genannt.

Als Problem der Methodologie

Die Tatsache, dass veröffentlichte Prognosen auf das prognostizierte Systemverhalten zurückwirken, wird nicht selten als Argument vorgebracht, um die Prognostizierbarkeit solcher Systeme überhaupt für unmöglich zu bezeichnen.[8]

Methodologisch wird hierdurch ein komplexes Problem aufgeworfen, weil in den Prognosen der experimentellen Naturwissenschaften durch die genaue Einhaltung einer Versuchsanordnung die uns geläufige zweiwertige Logik oft reicht: Die Prognose ist dann je nach Versuchsausgang entweder wahr oder falsch (W|F). Für die Prognose in den Sozialwissenschaften wird aber zur Aufnahme aller Optionen der hörenden Betroffenen eine Erkenntnis theoretisch mehr als zweiwertige Logik wie zum Beispiel die Günther-Logik benötigt.

  • Beispiel: Auf die Prognose, ein Schiff werde morgen nach der Ausfahrt kentern, kann der Kapitän damit reagieren, dass er sich diesem „Entweder-Oder“ von Kentern oder Nichtkentern gar nicht stellt, sondern eine dritte Option wählt, nämlich im Hafen liegen bleibt – ein bereits von Aristoteles überlegtes Beispiel. Wie ist das logisch zu fassen? Günther setzt hier neben „W“ und „F“ den dritten Wert „V“ ein [9] Siehe auch: Polykontexturalitätstheorie.

Beispiele

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Selbsterfüllende Prophezeiung:

  • Ein als Vorhersage getarntes, gezieltes Gerücht entfaltet eine Eigendynamik, die es schließlich wahr macht. Dieses Mittel wird u.a. bei Machtkämpfen in der Politik und der Wirtschaft eingesetzt.
  • Der Glaube an die Vorhersage „Bei diesem Leistungstest werde ich versagen“ führt zu so verschlechterten Leistungen, dass das Vorhergesagte eintritt.
  • Die Furcht vor der Konfrontation mit einem zu hohen Blutdruck lässt den Blutdruck bei vielen Menschen vor einer Messung derart ansteigen, dass tatsächlich erhöhter Blutdruck gemessen wird.
  • Die Angst vor Stürzen führt bei Senioren zu einer höheren Zahl von Stürzen.[10]
  • Kritiker von Horoskopen machen darauf aufmerksam, dass Vorhersagen wie „Du wirst in dieser Woche eine Frau näher kennenlernen“ oder „Dir droht diese Woche ein Verkehrsunfall“ zu einer Änderung des Verhaltens derer führen könnten, die daran glauben: Sie sprechen zum Beispiel mutiger als sonst jemanden an oder fahren ängstlicher. Damit werde also nicht bewiesen, dass Horoskope real beweisbare gültige Voraussagen seien.
  • Ein klassisches Experiment wurde 1968 von Robert Rosenthal an US-amerikanischen Grundschulen durchgeführt: Zunächst überzeugte er mit einem Scheintest das Kollegium davon, dass bestimmte, von ihm zufällig ausgewählte Schüler so genannte hochintelligente „Aufblüher“ seien, die in Zukunft hervorragende Leistungen zeigen würden. Bei einer Intelligenzmessung am Schuljahresende hatten sich die meisten dieser Schüler tatsächlich im Vergleich zu ihrem am Anfang des Schuljahres erfassten Intelligenzniveau stark verbessert (45 Prozent der als „Überflieger“ oder „Aufblüher“ ausgewählten Kinder konnten ihren IQ um 20 oder mehr Punkte steigern und 20 Prozent konnten ihn gar um 30 oder mehr Punkte steigern). Dieser Pygmalion-Effekt (ähnlich: Rosenthal-Effekt) wurde seither viele Male repliziert.[1][11][12]

Selbstzerstörende Prophezeiung:

  • Die Vorhersage eines Unglücks (etwa einer Brandkatastrophe) führt dazu, dass Maßnahmen eingeleitet werden, die dieses Unglück unmöglich machen.
  • Ein Attentat wird vorhergesagt, weshalb Gegenmaßnahmen ergriffen werden, sodass das Attentat vereitelt wird.
  • Die Prophezeiung des überwältigenden Wahlsieges durch eine populäre, politische Partei kurz vor dieser Wahl führt dazu, dass aufgrund dessen ihre Wähler der Wahl fernbleiben, da ihnen der Wahlsieg auch ohne ihre Stimme sicher erscheint.

Siehe auch

Weblinks

Literatur

Zweites Günther-Symposion zur Transklassischen Logik - Vorläufiges Résumé. C.A.U.S.A. 20 (Christian-Albrechts-Universität, Soziologische Arbeitsberichte). Kiel 1995. C.A.U.S.A

  • Robert K. Merton: The self-fulfilling prophecy. In: The Antioch Review. Band 8, 1948. S. 193-210.
  • Robert K. Merton: Soziologische Theorie und soziale Struktur. Berlin 1995 (engl. Original 1949), S. 399-413
  • Markus Schnepper: Robert K. Mertons Theorie der self-fulfilling prophecy. Peter Lang, Frankfurt a. M. 2004, ISBN 3-631-52420-X.
  • Helga Schachinger: Das Selbst, die Selbsterkenntnis und das Gefühl für den eigenen Wert. 2005, ISBN 3-456-84188-4.
  • M. Snyder, E. D. Tanke, E. Berscheid: Social perception and interpersonal behavior. On the self-fulfilling nature of social stereotypes. In: Journal of Personality and Social Psychology. (PDF; 901 kB) Band 35, 1977, S. 656-666
  • Paul Watzlawick: Anleitung zum Unglücklichsein. Piper, 1988, ISBN 3-492-22100-9.

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 The process by which one person's expectations about another become reality by eliciting behaviors that confirm the expectations. E. R. Smith, D. M. Mackie: Social Psychology. Psychology Press, 2. Auflage 2000, ISBN 0-86377-587-X, S. 94f.
  2. * Otto Neurath (1911): Nationalökonomie und Wertlehre, eine systematische Untersuchung, Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung, Bd. 20, Wien/Leipzig, 1911, S.52 – 114,
    in: Haller, Rudolf/ Ulf Höfer (1998): Otto Neurath. Gesammelte ökonomische, soziologische und sozialpolitische Schriften, Bd. 4 und Bd. 5, Wien: Hölder-Pichler-Tempsky, S. 470 – 518. Siehe besonders S. 517.
    • Otto Neurath (1921): Anti-Spengler,
      in: Haller, Rudolf/ Heiner Rutte (1981): Otto Neurath. Gesammelte philosophische und methodologischen Schriften, Bd. 1 und Bd. 2, Wien: Hölder-Pichler-Tempsky, S. 139 – 196. Siehe besonders S. 141.
  3. DER SPIEGEL Nr. 15/2007, „Register“-Nachruf auf Paul Watzlawick: dieser habe den Begriff geprägt
  4. Robert K. Merton, The self-fulfilling prophecy, in: Antioch Review, Jg. 8, 1948, S. 193-210
  5. Robert K. Merton: Die Eigendynamik gesellschaftlicher Voraussagen. In: Ernst Topitsch, (Hg.): Logik der Sozialwissenschaften. Kiepenheuer & Witsch Köln Berlin 1965 (Übersetzt aus: Robert K. Merton: Social theory and social structure. rev. enl. ed. New York 1957). S. 144 ff.
  6. Jay Weinstein: The Place Of Theory In Applied Sociology: A Reflection. Theory & Science (2000). ISSN 1527-5558. S. 18
  7. Harvey Leibenstein: Bandwagon, Snob, and Veblen Effects in the Theory of Consumers’ Demand, The Quarterly Journal of Economics (May 1950); siehe auch: Harvey Leibenstein: Beyond Economic Man: A New Foundation for Microeconomics. Harvard University Press : Cambridge, Mass. 1976.
  8. „Doch kann es keine wirkliche vorhersagende Wissenschaft für ein System geben, das möglicherweise sein Verhalten ändert, wenn wir ein Modell davon veröffentlichen.“ – Daniel Cloud in: Wissenschaftlicher Kapitalismus
  9. Vgl. Lars Clausen: Zur Asymmetrie von Prognose und Epignose in den Sozialwissenschaften. 1994, S. 169–180, insbes. S. 172ff.
  10. Studie von 2010 im British Medical Journal
  11. E. Aronson, T. D. Wilson, R. M. Akert: Sozialpsychologie. Pearson Studium. 4. Auflage 2004. ISBN 3-8273-7084-1 S. 23
  12. Elliot Aronson, Timothy D. Wilson, Robin M. Akert: Sozialpsychologie. 2008. München: Pearson Studium; Abbildung 3.6, S. 68
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