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Scheinselbständigkeit

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Die Scheinselbständigkeit erweckt auf dem Arbeitsmarkt den Rechtsschein der Selbständigkeit, obwohl tatsächlich ein Arbeitsverhältnis besteht.

Allgemeines

Ob jemand Arbeitnehmer, arbeitnehmerähnliche Person, Freiberufler, freier Mitarbeiter, Selbständiger, Scheinselbständiger oder Unternehmer ist, hat für ihn und seinen Auftraggeber/Arbeitgeber erhebliche Rechtsfolgen. Diese betreffen das Arbeitsrecht, Sozialrecht, Sozialversicherungsrecht und Steuerrecht.

Neue Arbeitsformen ermöglichen die Wahrnehmung von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten wie etwa die Entwicklung der plattformbasierten Arbeit beispielsweise in der Gig Economy, in der kleine Aufträge kurzfristig an Freelancer vergeben werden, so beispielsweise beim Lieferdienst (Takeaway.com und deren Tochtergesellschaft Lieferando in Deutschland) oder bei Fahrdiensten wie Uber und MyTaxi. Sie können ebenfalls zur Scheinselbständigkeit beitragen.

Da aus der Feststellung einer abhängigen Beschäftigung, unter anderem zusätzliche Abgaben, insbesondere die Arbeitgeberbeiträge folgen, gilt heute die Scheinselbständigkeit dem deutschen Gesetzgeber als eine Form der Schwarzarbeit. Da die zugrundeliegenden Rechtsbegriffe sehr unscharf sind und von Seiten der Sozialversicherungsträger und Gerichte unterschiedlich ausgelegt werden, ist eine zuverlässige Unterscheidung zwischen zulässiger Selbständigkeit und sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung bei Vertragsbeginn vorab jedoch nicht möglich, außer bei grobem Missbrauch.

Während der Begriff der Scheinselbständigkeit aus der politischen Debatte (abseits der Betroffenen) zunehmend verschwindet, ist er durch einen anderen Begriff ersetzt worden. Seit etwa 2012[1] findet der Begriff Werkvertrag bzw. „Missbrauch von Werkverträgen“ in Deutschland zunehmend Verwendung in der politischen Debatte, war auch Bestandteil des Koalitionsvertrages 2013 zwischen CDU/CSU und SPD. Im Fokus steht dabei primär die Verlagerung ehemaliger Kerntätigkeiten eines Betriebes zu anderen Betrieben, oft unter begleitender massenweiser Verlagerung ehemaliger Arbeitnehmer in diese Werkvertragsbetriebe.[2]

Öffentliche Meinung

Die öffentliche Wahrnehmung der Scheinselbständigkeit, auch in der Politik, unterscheidet sich deutlich von Rechtslage. In der öffentlichen Wahrnehmung gibt es vor allem folgende Kriterien, die zur Scheinselbständigkeit genannt werden:

  • nur ein Auftraggeber über einen längeren Zeitraum,
  • kein Angestellter (Solo-Selbständig bzw. Solo-Entrepreneur),
  • arbeitet primär in den Räumen des Auftraggebers und
  • zahlt keine gesetzlichen Sozialbeiträge, sondern in private Sicherungssysteme ein.

Dass auch Volljuristen den gleichen Fehleinschätzungen wie Laien unterliegen können, zeigt die Unsicherheit besonders deutlich auf. Die genannten Kriterien spielen bei rechtlichen Prüfungen nur eine sehr untergeordnete Rolle. Bis heute ist es rechtlich, zumindest im Prinzip, irrelevant, ob der Selbständige einen Tag oder drei Jahrzehnte für diesen Auftraggeber tätig ist. Sind die ersten beiden Kriterien dauerhaft erfüllt, wird der Selbständige in Deutschland lediglich rentenversicherungspflichtig, kann aber nach Gesetz legal selbständig sein. Ob er hingegen scheinselbständig ist, entscheidet sich davon weitgehend unabhängig an weiteren Kriterien, z. B. der Prüfung der Weisungsunabhängigkeit oder freier Orts- und Zeiteinteilung. Die Arbeit in den Räumen des Auftraggebers wird dabei berücksichtigt, jedoch nur geringfügig. Dies führt dazu, dass auch vermeintlich Selbständige, auf die obige Kriterien nicht zutreffen, als scheinselbständig eingeordnet werden können.

So wird aktuell von der Deutschen Rentenversicherung Bund die Anzahl der Auftraggeber quasi als irrelevant erachtet, und jedes einzelne Auftragsverhältnis unabhängig geprüft, wiewohl dies sowohl dem allgemeinen Rechtsverständnis wie auch früheren Gesetzesfestlegungen widerspricht. Begründet wird dies damit, dass auch Arbeitnehmer mehrere Anstellungsverhältnisse haben können.

Im Unterschied zur öffentlichen Annahme ist (die Gefahr einer) Scheinselbständigkeit, genauer die Feststellung einer abhängigen Beschäftigung, keine Eigenschaft des Selbständigen, sondern eine Eigenschaft der Umstände, die der Auftraggeber in der konkreten Beauftragung schafft. Der Wunsch an einen zu beauftragenden Selbständigen, er möge bitte Nachweise erbringen, dass er nicht scheinselbständig sei, entbehrt damit jeder Grundlage. Im Unterschied zur Rechtslage etwa in den Niederlanden gibt es im spezifisch deutschen Recht keine allgemeine Zertifizierung oder Prüfung. Da jeder Auftrag für sich betrachtet wird, bestimmt der Auftraggeber im Wesentlichen selbst das Vorliegen der Bedingungen mit, etwa, ob er versucht, Vorschriften zu machen, die der freien Zeiteinteilung zuwiderlaufen. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass das Vorliegen einer Scheinselbständigkeit in einem Fall keineswegs die Selbständigkeit des Betreffenden komplett negiert.

Rechtsfragen

Durch den Arbeitsvertrag wird der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen gemäß § 611a BGB zur Arbeitsleistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen. Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen. Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an.

Betroffen sind drei weitgehend unabhängige Rechtsgebiete: das Sozialversicherungsrecht, das Arbeitsrecht und das Steuerrecht. Die größte Rolle, insbesondere im Zusammenhang mit Statusfeststellungsverfahren oder Prüfungen zur Sozialversicherung, spielt dabei das Sozialrecht. Insbesondere folgt aus der Feststellung der Scheinselbständigkeit im Sozialrecht, also der Verpflichtung zu Sozialversicherungszahlungen (für beide Parteien), etwa nicht direkt ein Arbeitsverhältnis im Sinne des Arbeitsrechts.

§ 7 Abs. 1 SGB IV definiert Beschäftigung als die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. § 5 Abs. 5 SGB V geht davon aus, dass Personen, die im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Erwerbstätigkeit regelmäßig mindestens einen Arbeitnehmer mehr als geringfügig beschäftigen, dass sie hauptberuflich selbständig erwerbstätig sind. § 2 SGB VI erklärt selbständig Tätige für rentenversicherungspflichtig.

Rechtsentwicklung

Ab 1999 bis zur Gesetzesnovelle des Sozialgesetzbuches 2003 wurde Scheinselbständigkeit nach § 7 Abs. 4 SGB IV vermutet, wenn mindestens drei der folgenden fünf Kriterien erfüllt waren:

  • im Wesentlichen und auf Dauer – rund fünf Sechstel des Umsatzes – wird für einen Auftraggeber gehandelt
  • der Selbständige beschäftigt keine sozialversicherungspflichtigen Mitarbeiter
  • der Auftraggeber lässt entsprechende Tätigkeiten regelmäßig durch seine nichtselbständigen Arbeitnehmer verrichten
  • der Selbständige lässt keine unternehmertypischen Merkmale erkennen
  • die Tätigkeit entspricht ihrem äußeren Erscheinungsbild nach der Tätigkeit, die vorher für denselben Auftraggeber in einem Beschäftigungsverhältnis ausgeübt wurde.[3]

Ab 2003 besagte § 7 Absatz 4 SGB IV lediglich, dass Personen, die Gründerzuschuss nach § 421 Abs. 1 SGB III beantragt haben, für die Dauer ihrer Förderung widerlegbar als Selbständige beurteilt werden.[4] Mit Wirkung vom 1. Juli 2009 wurde Absatz 4 ersatzlos gestrichen.[5]

Der 12. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat im März 2017 die Höhe des Honorars von Selbständigen relativ zum Verdienst von Angestellten als neues Kriterium eingeführt.[6][7] Die Honorarhöhe sei demnach ein „gewichtiges“ Kriterium / Indiz für eine echte Selbständigkeit (im konkreten Fall waren dies 40 Euro bis 41,50 Euro je Betreuungsstunde). Allerdings handelt es sich auch bei der Honorarhöhe nur um einen bei der Gesamtwürdigung zu berücksichtigenden Anhaltspunkt, weshalb weder an die Vergleichbarkeit der betrachteten Tätigkeiten noch an den Vergleich der hieraus jeweils erzielten Entgelte beziehungsweise Honorare überspannte Anforderungen gestellt werden dürfen.

Das Bundessozialgericht präzisierte auch seine Rechtsprechung zur Weisungsbindung. Hierfür seien Weisungen von erheblichem Gewicht erforderlich. Gelegentliche Weisungen sowie die ohnehin irrelevanten fachbezogenen Weisungen können die Selbständigkeit nicht gefährden.

Auch die Vereinbarung eines festen Stundenhonorars spräche nicht zwingend für eine abhängige Beschäftigung, wenn es um reine Dienstleistungen geht und aufgrund der Eigenheiten der zu erbringenden Leistung ein erfolgsabhängiges Entgelt regelmäßig ausscheide.

Abgrenzungen

Selbständigkeit setzt voraus, dass es sich weder um „arbeitnehmerähnliche Personen“ (etwa § 92a HGB; Einfirmen-Handelsvertreter) oder des § 12a TVG (freie Mitarbeiter für Rundfunk- und Fernsehanstalten, die wirtschaftlich abhängig und vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig sind) noch um Heimarbeiter oder Hausgewerbetreibende (§ 2 HAG) handelt. Bei freien Mitarbeitern handelt es sich um beruflich selbständige Personen mit einem Dienstvertrag im Sinne des § 611 BGB.[8] Auf sie finden die Regeln des Arbeitsrechts keine Anwendung. Freiberufler üben selbständig wissenschaftliche, künstlerische, schriftstellerische, unterrichtende oder erzieherische Tätigkeit aus wie die selbständige Berufstätigkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Rechtsanwälte, Notare, Patentanwälte, Vermessungsingenieure, Ingenieure, Architekten, Handelschemiker, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, beratenden Volks- und Betriebswirte, vereidigten Buchprüfer, Steuerbevollmächtigten, Heilpraktiker, Dentisten, Krankengymnasten, Journalisten, Bildberichterstatter, Dolmetscher, Übersetzer, Lotsen und ähnlicher Berufe gehören (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG).

Unternehmer kann auch sein, wer keine Arbeitnehmer hat (etwa ein Handelsvertreter); Arbeitgeber kann jemand sein, ohne Unternehmer zu sein (ein Rentner beschäftigt Hauspersonal). Der niedergelassene Arzt ist zwar selbständig, aber kein Unternehmer, weil die Ausübung der Heilkunde nicht als Gewerbe gilt (§ 6 GewO), wohl aber Arbeitgeber von Arzthelferinnen. Im Normalfall ist der Arbeitgeber jedoch zugleich der Unternehmensträger und ist das Arbeitsrecht gleichsam Innenrecht des Unternehmens.[9]

Die Abgrenzung zum Arbeitnehmer hat seit jeher den Gesetzgeber, die Fachliteratur und die Rechtsprechung befasst. Diese beschäftigen sich unter anderem mit der Rechtsfrage, ob jemand durch das Direktionsrecht den Weisungen eines anderen unterliegt oder nicht (Arbeitsrecht) oder ob er Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit oder Einkünfte aus selbständiger Arbeit erzielt (Steuerrecht).

Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Arbeitsvertrages im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremd bestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist[10] und in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert ist. Ob ein Werkvertrag, ein Dienst- oder ein Arbeitsverhältnis besteht, zeigt der wirkliche Geschäftsinhalt. Zwingende gesetzliche Regelungen für Arbeitsverhältnisse können nicht dadurch abbedungen werden, dass Vertragsparteien ihrem Arbeitsverhältnis eine andere Bezeichnung geben; ein abhängig beschäftigter Arbeitnehmer wird nicht durch Auferlegung einer Erfolgsgarantie zum Werkunternehmer.[11] Widersprechen sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung, ist Letztere maßgebend.[12]

Kriterien

Die Bundesgerichte, vor allem das Bundesarbeitsgericht (BAG) und das Bundessozialgericht (BSG) haben Kriterien erarbeitet, anhand derer die Scheinselbständigkeit beurteilt werden kann. Indizien für selbständige Tätigkeit sind:

Je mehr jemand selbständig und unabhängig von Dritten arbeitet, umso eher liegt Selbständigkeit vor.

Die in Deutschland geltenden gesetzlichen Regelungen wurden mehrfach überarbeitet. Nachdem 1999 zunächst anhand einzelner konkreter Umstände eine Einstufung vorgenommen wurde, ist nunmehr lediglich in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV geregelt: „Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.“ Wichtig zum Verständnis ist der Begriff Anhaltspunkte. Der Selbständige wird in einer umfassenden Gesamtschau bzw. Gesamtabwägung beurteilt, für die laut Bundessozialgericht folgendes nötig ist: „Eine rechtmäßige Gesamtabwägung setzt nämlich voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls wesentlichen Indizien festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und dann nachvollziehbar gegeneinander abgewogen werden.“[16] Zu diesen Kriterien zählen daher nach wie vor auch die Arbeitszeitgestaltung, die Möglichkeit, die vereinbarte Leistung auch durch Dritte erbringen zu lassen und der gesamtunternehmerische Auftritt. Damit ist auch die Zahl der Auftraggeber relevant, auch wenn diese kein direktes Kriterium (mehr) ist. Das Gleiche gilt für Akquiseverhalten, Marktauftritt sowie unternehmerisches Risiko.

Rentenversicherungspflichtige Selbständige

Auch wenn ein Beschäftigter nicht scheinselbständig ist, kann er gleichwohl rentenversicherungspflichtig sein. Dies ist in § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI geregelt. Neben einer Aufzählung von rentenversicherungspflichtigen (weil als besonders schutzwürdig eingeordneten) Berufen wie etwa Lehrer, Künstler und Pflegepersonen wird dort unter 9. der umgangssprachlich so bezeichnete arbeitnehmerähnliche Selbständige definiert,[17] aber nicht wörtlich so genannt. Verkürzt sind dies Selbstständige, die

  1. keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen und
  2. auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind.

Wer keinen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt, muss dafür sorgen, dass er mehr als 1/6 des Umsatzes mit einem zweiten Auftraggeber im Kalenderjahr macht, und zwar im selben Tätigkeitsfeld. Für Selbständige, die zwei unterschiedliche selbständige Tätigkeiten ausüben (beispielsweise als Musiker und Personaltrainer), gilt dies nicht. Diese vom Gesetzgeber explizit vorgesehenen Grenzbereiche führen eher ein Schattendasein und werden sowohl von der Rentenversicherung, die lieber gleich auf Scheinselbständigkeit prüft, als auch von den betroffenen Freiberuflern mit einem Auftraggeber oft ignoriert. Insbesondere schützt eine Rentenzahlung nicht vor der Einstufung als Scheinselbständiger.

Eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht ist auf Antrag möglich. Zum einen kann man sich in den ersten drei Jahren als Existenzgründer auf Antrag von der Rentenversicherungspflicht befreien lassen. Zum anderen besteht nach § 6 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 SGB VI nach Vollendung des 58. Lebensjahres eine unbefristete Befreiungsmöglichkeit, wenn nach einer zuvor ausgeübten selbständigen Tätigkeit erstmals Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI eintritt. Eine gesetzliche Versicherungspflicht besteht nicht, wenn der Selbständige die Pflichtgrenzen und die Altersgrenze überschritten hat und davor schon privat versichert war. Die gesetzlichen Sozialversicherungen würden den Betreffenden nicht mehr als Mitglied aufnehmen.

Kontrollen und Strafbarkeit

Der Gesetzgeber ist seit langer Zeit bemüht, Scheinselbständigkeit zu bekämpfen. Im Zuge dessen hat er im Jahre 2004 mit § 1 Abs. 2 Nr. 1 Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz (SchwarzArbG) die Scheinselbständigkeit als einen Fall der Schwarzarbeit definiert. Zuständig für die Aufdeckung unrechtmäßiger Arbeitsverhältnisse ist die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) der Hauptzollämter.

In aller Regel liegt auch ein Verstoß gegen § 266a Abs. 1 StGB vor, weil die Arbeitnehmeranteile vorenthalten wurden.

Rechtsfolgen

Ein Scheinselbständiger wird als Arbeitnehmer eingestuft. Für diesen gilt das Arbeitsrecht (Kündigungsschutz, Urlaub, Arbeitgeberanteile), Steuerrecht (Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit) oder Sozialrecht.

Sozialversicherungsrechtlich gelten Scheinselbständige als Beschäftigte, so dass für sie Beiträge zur Sozialversicherung (Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung) zu entrichten sind. Bei der Berechnung der Beiträge des Unternehmers zur Gesetzlichen Unfallversicherung ist der Aufwand für Scheinselbständige bei der Lohnsumme einzustellen. Hierbei kann der Arbeitgeber (mit Ausnahme der zurückliegenden drei Monate) rückwirkend für bis zu 30 Jahre (bei vorsätzlicher Hinterziehung) zur Zahlung des Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteils verpflichtet werden. Der Arbeitnehmer haftet maximal drei Monate. Überwiegend wird deshalb auch ein Rückgriffsanspruch des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer für weiter zurückliegende Zeiträume verneint, selbst wenn feststeht, dass beide vorsätzlich handelten. Vor der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund können die Beteiligten eine Klärung der Statusfrage erreichen. Das Anfrageverfahren ist jedoch nur möglich, wenn die Deutsche Rentenversicherung im Zeitpunkt der Antragstellung selbst noch kein Verfahren eingeleitet hat. Auch beim Statusverfahren wird auf die Gesamtsituation abgestellt.

Wenn der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer gemeinsam zusammenwirken, um ein Arbeitsverhältnis in einen Werkvertrag umzuformulieren, kann der Arbeitgeber die Umsatzsteuer, die der Arbeitnehmer zu Unrecht in seinen Ausgangsrechnungen ausgewiesen hat, nicht als Vorsteuer abziehen. Es wird gemeinschaftlich Lohnsteuer hinterzogen, wenn das Arbeitsverhältnis nur auf dem Papier zum Werkvertrag umgestaltet wird.

Wer sich selbst erfolgreich in einen Arbeitsvertrag klagt, erreicht, dass der Arbeitgeber künftig die Hälfte der Beiträge zur Sozialversicherung tragen muss und für die Vergangenheit Pflichtversicherung in der Sozialversicherung rückwirkend entsteht. Die Beiträge hierfür muss der Arbeitgeber in voller Höhe allein aufbringen, also einschließlich des Arbeitnehmeranteils (§ 28e, § 28g SGB IV). War der Arbeitnehmer freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert, so werden ihm diese Beiträge erstattet.

Die verschiedenen Interpretationen im Arbeits- und Sozialrecht können zu der schwer erklärbaren Rechtssituation in Deutschland führen, dass ein Einklagen in Arbeitsverhältnisse für diejenigen, die dies wünschen, mit hohem Rechtsrisiko verbunden ist (insbesondere bei öffentlichen Auftraggebern,[18]) während umgekehrt Selbständige zur Aufgabe ihrer frei gewählten Existenz gezwungen werden. Inwieweit hier, insbesondere bei Grenzfällen wie arbeitnehmerähnlichen Selbständigen, Grundrechte wie die Vertragsautonomie ausreichend gewürdigt werden, kann im Einzelfall hinterfragt werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Schutzbedürftigkeit der Betroffenen sowie geleistete Einzahlungen in vorhandene Sozialversicherungssysteme nicht ausreichend vor einer Einschränkung der Vertragsfreiheit geprüft werden.

International

In Österreich wird Scheinselbständigkeit unterstellt, wenn jemand im erwerbsfähigen Alter als selbstständig tätiger Unternehmer auftritt, obwohl er eine Arbeit verrichtet, die der eines abhängig beschäftigten Arbeitnehmers gleich kommt. Dabei wird stets die Art der verrichteten Tätigkeit als Kriterium zur Einschätzung herangezogen. Die Behörden unterstellen mit dem Vorwurf einer Scheinselbstständigkeit, dass ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis umgangen werden soll, um steuerliche Abgaben und Sozialversicherungsbeiträge zu sparen. Auch ein Umgehen beispielsweise des Kündigungsschutzes auf Seiten der Auftraggeber wird hier automatisch unterstellt. Scheinselbständigkeit liegt vor, wenn jemand nach Vertrag zwar selbständige Dienst- oder Werksleistungen für ein fremdes Unternehmen erbringt, tatsächlich aber wie in einem Arbeitsverhältnis arbeitet. Der Unterschied zu einem angestellten Arbeitnehmer liegt vor allem darin, dass keine Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer bezahlt werden und die Rechte wie Kündigungsschutz und Urlaubsanspruch entfallen. Der Unterschied zu einem Selbständigen ergeben sich durch das Wegfallen typischen unternehmerischen Handelns wie die Erbringung von Leistungen im eigenen Namen und auf eigene Rechnung, Kundenakquise, Marketingmaßnahmen, freie Zeiteinteilung, Einsatz von Kapital und Mitarbeitern.

Das Schweizer Recht unterscheidet zwischen selbstständiger und unselbstständiger Tätigkeit. Bei der selbstständigen Tätigkeit führt die arbeitende Person einen eigenen Betrieb, trägt das Unternehmerrisiko vollumfänglich und kümmert sich insbesondere selber um die Sozialversicherungen. Für ihre Tätigkeit erhält sie keinen Lohn, sondern den Gewinn aus ihrer Tätigkeit. Aus Sicht der Alters- und Hinterlassenenversicherung treten Selbstständigerwerbende am Markt unter eigenem Namen auf, arbeiten auf eigene Rechnung und tragen somit das wirtschaftliche Risiko selber. Zudem organisieren sie ihre Arbeit frei und unabhängig, sodass sie die Art und Weise der Arbeitsbedingungen, insbesondere die Arbeitszeiten, frei bestimmen können. Sie sind nicht weisungsgebunden wie es ein regulärer Arbeitnehmer wäre.

Literatur

  • Horst Henrici: Der rechtliche Schutz für Scheinselbständige. Verlag Dr. H. H. Driesen, Taunusstein 2002, ISBN 3-936328-02-1 (zugl.: Bremen, Universität, Dissertation, 2001).
  • Gregor Thüsing (Hrsg.): Scheinselbständigkeit im internationalen Vergleich. Peter-Lang-Verlag, Frankfurt am Main 2011, ISBN 978-3-631-60796-1.
  • Simon Gerber: Die Scheinselbständigkeit im Rahmen des Einzelarbeitsvertrages. Motive – Abgrenzung – Erscheinungsformen – Rechtsfolgen. Haupt, Bern 2002, ISBN 3-258-06619-1.
  • Ulrike Exner: Konsequenzen der Verkennung des arbeitsrechtlichen Status – Die Behandlung der Rechtsformverfehlung in arbeitsrechtlicher und sozialrechtlicher Sicht. Dissertation. Universität Hannover, 2005, ISBN 3-8325-1112-1.
  • Wolfgang Heidl: Scheinselbständigkeit. In: NWB. 17/2013, S. 1323 ff.
  • Denis Lanzinner: Scheinselbständigkeit als Straftat. Duncker & Humblot, Berlin 2014, ISBN 978-3428143771.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Tina Groll: Junge Arbeitnehmer: Der prekäre Jobeinstieg wird Normalität. In: Zeit Online. 5. Juli 2012, abgerufen am 14. März 2016.
  2. DGB, Die Rechtsfrage 5/2015, Werkverträge: Welche Rechte haben die Beschäftigten?
  3. Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit vom 20. Dezember 1999 (BGBl. 2000 I S. 2), durch das auch Abs. 1, S. 2 eingefügt wurde. Abs. 4 ursprünglich eingefügt durch das Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19. Dezember 1998 (BGBl. I S. 3843)
  4. Zweites Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 (BGBl. I S. 4621)
  5. Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 19. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3024)
  6. BSG, Urteil vom 31. März 2017, Az.: B 12 R 7/15 R
  7. Scheinselbständigkeit: Bundessozialgericht bewertet Honorarhöhe als Kriteriums für Selbständigkeit in Informatik Aktuell, ISIN 2511-7564. Abgerufen am 25. April 2017.
  8. BAG, Urteil vom 11. August 2015, Az.: 9 AZR 98/14
  9. Hermann Reichold, Arbeitsrecht, 2. Auflage, Beck, München 2006, § 2 Rn. 5, ISBN 3-406-53869-X
  10. BAG, Urteil vom 25. September 2013, Az.: 10 AZR 282/12 = BAG NZA 2013, 1348
  11. BAG, Urteil vom 25. September 2013, Az.: 10 AZR 282/12
  12. BAG, Urteil vom 29. August 2012, Az.: 10 AZR 499/11 = BAGE 143, 77
  13. BAGE 141, 299
  14. BAG, Urteil vom 15. März 1960, Az.: 1 AZR 301/57
  15. BSG, Urteil vom 31. März 2017, Az.: B 12 R 7/15 R
  16. BSG, Urteil vom 25. April 2012, Az.: B 12 KR 14/10 R
  17. Scheinselbständigkeit.de über arbeitnehmerähnliche Selbständige
  18. Bundestag soll 1,45 Millionen Euro nachzahlen. In: sueddeutsche.de. 7. Oktober 2014, abgerufen am 21. April 2018.
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