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Robert Walser

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Robert Walser (Ende der 1890er Jahre)

Robert Walser (geb. 15. April 1878 in Biel, Kanton Bern; gest. 25. Dezember 1956 nahe Herisau, Kanton Appenzell Ausserrhoden) war ein deutschsprachiger schweizerischer Schriftsteller.

Leben

1878–1897

Robert Otto Walser stammte aus einer kinderreichen Familie. Sein Bruder Karl Walser war ein Bühnenbildner und Maler. Walser wuchs in Biel an der deutsch-französischen Sprachgrenze zweisprachig auf. Er besuchte dort die Primarschule und das Progymnasium, das er, da die Familie den Schulbesuch nicht mehr bezahlen konnte, vor dem Examen verließ. Schon früh war Walser theaterbegeistert; sein Lieblingsstück war Die Räuber von Schiller. Überliefert ist ein Aquarell Karl Walsers, das Robert Walser als Karl Moor zeigt.

Von 1892 bis 1895 machte Walser eine Lehre bei der Kantonalbank von Bern in Biel. Im Anschluss arbeitete er kurze Zeit in Basel. Walsers Mutter, die „gemütskrank“ (eine zeitgenössische Bezeichnung für eine psychische Erkrankung, eventuell eine Depression) war, starb 1894, nachdem sie schon länger hatte gepflegt werden müssen. Nach Ansicht des Schweizer Germanisten Peter von Matt war die symbiotische Beziehung Robert Walsers zu seiner Mutter konstitutiv für dessen Schaffen.[1] 1895 zog Walser nach Stuttgart, wo sein Bruder Karl lebte. Dort arbeitete er bei der Union Deutsche Verlagsgesellschaft und beim Verlag Cotta als Bürokraft und versuchte nebenbei ohne Erfolg Schauspieler zu werden, wozu er bei einer Schauspielerin des Hoftheaters vorsprach. Zu Fuß wanderte er in die Schweiz zurück, wo er sich Ende September 1896 in Zürich anmeldete. In den folgenden Jahren arbeitete Robert Walser häufig – wenn auch unregelmäßig und in rasch wechselnden Anstellungen als Büroangestellter und Schreibkraft. Als einer der ersten deutschsprachigen Autoren führte er das Angestelltendasein in der Folge als Topos in die Literatur ein.

1898–1912

Die Zeitschrift Die Insel. Erste Umschlagseite der Erstausgabe (Ausschnitt), Oktober 1899. Im Heft vier Gedichte von Robert Walser.

1898 veröffentlichte der Kritiker Joseph Victor Widmann eine Reihe von Gedichten Walsers in der Berner Zeitung Der Bund. Franz Blei, dadurch auf ihn aufmerksam geworden, führte ihn 1899 in den vom Jugendstil geprägten Kreis um die Zeitschrift Die Insel ein, wo er unter anderen Frank Wedekind, Max Dauthendey und Otto Julius Bierbaum kennenlernte. In der Insel erschienen in der Folge Gedichte, Dramolette und einzelne Prosastücke Walsers.

Walsers Hauptwohnsitz – die Zimmer wechselte er häufig – sollte noch bis 1905 Zürich bleiben, wobei er für einige Zeit auch in Thun, Solothurn, Winterthur und München lebte. 1903 absolvierte er die Rekrutenschule und war ab dem Sommer „Gehülfe“ eines Ingenieurs und Erfinders in Wädenswil bei Zürich. Diese Episode sollte den Stoff für seinen Roman Der Gehülfe (1908) liefern. 1904 erschien Walsers erstes Buch Fritz Kochers Aufsätze im Insel Verlag.

Im Spätsommer 1905 absolvierte er in Berlin einen Kurs zur Ausbildung als Diener und ließ sich als solcher im Herbst 1905 einige Monate auf Schloss Dambrau in Oberschlesien anstellen. Die Thematik des Dienens wird in der Folge sein Werk durchziehen – besonders ausgeprägt in seinem Roman Jakob von Gunten (1909). Anfang 1906 ging Robert Walser wieder nach Berlin, wo sein Bruder Karl Walser, der dort schon einige Zeit als Maler, Buchgrafiker und Bühnenbildner lebte, ihm Zugang zu Literaten-, Verleger- und Theaterkreisen eröffnete. Zeitweise arbeitete Walser als Sekretär der Künstlervereinigung Berliner Secession. Unter anderem machte er in dieser Zeit die Bekanntschaft des Verlegers Samuel Fischer, des Industriellen Walther Rathenau und des Schauspielers Alexander Moissi.

In Berlin schrieb Walser seine Romane Geschwister Tanner, Der Gehülfe und Jakob von Gunten. Die Bücher wurden im Verlag von Bruno Cassirer veröffentlicht; sein Lektor dort war Christian Morgenstern. Neben den Romanen schrieb er in dieser Zeit Prosastücke, in denen er sprachspielerisch und sehr subjektiv aus der Sicht eines ärmlichen Flaneurs populäre Lokale wie beispielsweise „Aschinger“ oder die „Gebirgshallen“ skizziert. Die Romane und Prosastücke – von denen viele in der Schaubühne erschienen – fanden eine sehr positive Aufnahme. Unter anderem priesen Robert Musil und Kurt Tucholsky die Prosa Walsers, und solch unterschiedliche Autoren wie Hermann Hesse und Franz Kafka zählten Walser zu ihren Lieblingsautoren.

Kleine Prosastücke publizierte Robert Walser in Zeitungen und Zeitschriften. Diese „kleine Form“ sollte zu seinem Markenzeichen werden. Der größte Teil seines Werks besteht aus solchen Prosastücken – literarischen Skizzen, die sich einer genaueren Kategorisierung entziehen. Auswahlen aus diesen Texten wurden auch als Bücher veröffentlicht, so in den Bänden Aufsätze (1913) und Geschichten (1914).

1913–1929

Landeskunde der Schweiz, 1914 – Walsers Bruder Hermann war Professor für Geografie in Bern

1913 ging Walser in die Schweiz zurück, wo er anfangs bei seiner Schwester Lisa in der Pflegeanstalt für Geisteskranke in Bellelay wohnte, in der sie als Lehrerin arbeitete. Dort lernte er die Wäscherin Frieda Mermet kennen, mit der ihn ab dann eine enge Freundschaft verband. Nach einem kurzen Aufenthalt bei seinem Vater in Biel bezog er schließlich daselbst im Juli 1913 eine Mansarde im Hotel Blaues Kreuz. 1914 starb Walsers Vater.

In Biel schrieb Robert Walser eine Vielzahl von kleinen Prosastücken, die in Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland und der Schweiz erschienen sowie in Auswahl in den Bänden Kleine Dichtungen (1915), Prosastücke (1917), Kleine Prosa (1917), Poetenleben (1918) und Seeland (1919) gedruckt wurden. Der Spaziergang (1917) ist eine Prosaarbeit, die zunächst selbständig herauskam, dann überarbeitet in Seeland. Walser, der immer schon ein begeisterter Spaziergänger war, begann in dieser Zeit regelmäßig lange Fußtouren, oft auch Nacht- und geradezu Gewaltmärsche zu unternehmen. In seinen Prosastücken dieser Zeit wechseln solche aus der Sicht des Wanderers, der fremd durch die nahe Fremde geht, sich ab mit spielerischen Aufsätzen über Schriftsteller und Künstler.

Während des Ersten Weltkriegs musste Walser wiederholt Militärdienst leisten. Ende 1916 starb Walsers Bruder Ernst, der einige Zeit schon psychisch erkrankt war, in der Heilanstalt Waldau. 1919 nahm sich Walsers Bruder Hermann, Professor der Geographie in Bern, das Leben. Walser geriet in dieser Zeit, auch da er durch den Krieg von Deutschland weitgehend abgeschnitten war, in die Isolation. Zudem konnte er als freier Schriftsteller, obwohl er eifrig produzierte, kaum leben. Anfang 1921 zog Walser deshalb nach Bern, wo er für einige Monate eine Stellung als Bibliothekar im Staatsarchiv annahm. In Bern lebte er sehr zurückgezogen und wohnte in möblierten Zimmern, die er häufig wechselte.

In der Berner Zeit radikalisierte sich Walsers Stil. In immer stärker verdichteter Form schrieb er „Mikrogramme“ (so genannt nach der winzigen, schwer zu entziffernden Bleistiftschrift, die Walser zur Niederschrift benutzte), das heißt Entwürfe zu Gedichten, Prosastücken, Szenen und einen ganzen Roman (Der Räuber), von denen er nur einen Teil auch mit der Feder in Reinschrift ausführte, um sie Redaktionen zum Abdruck einzureichen. In diesen Texten verdichtete er seinen sprachspielerisch subjektiven Stil zu noch höherer Abstraktion. Viele Texte dieser Zeit arbeiten auf mehreren Ebenen – sie können sowohl als naiv-verspielte Feuilletons gelesen werden wie auch als hochkomplexe, anspielungsreiche Montagen. Walser nahm dabei gleichermaßen Einflüsse aus der Hoch- wie auch Trivialliteratur auf und erzählte beispielsweise die Handlung von Bahnhofsromanen nach, jedoch so, dass das – nie genannte – Original nicht mehr wiederzuerkennen war. Ein großer Teil von Walsers Werk entstand in diesen sehr produktiven Jahren in Bern, er fand jedoch nur noch für ein schmales Buch einen Verlag: Die Rose (1925). Die meisten Texte erschienen nur weit verstreut in Zeitungen und Zeitschriften, wenn sie nicht überhaupt unveröffentlicht bei ihm liegen blieben oder verloren gingen, wie ein weiterer Roman namens Theodor. Die in den mikrographischen Bleistiftentwürfen enthaltenen sonst unbekannten Texte wurden 1985–2000 von Bernhard Echte und Werner Morlang entziffert und in sechs Bänden ediert (Aus dem Bleistiftgebiet). Zuvor hatten daraus Jochen Greven und Martin Jürgens 1972 erst den Räuber-Roman und die Felix-Szenen entziffert und herausgegeben.

1929–1956

Heilanstalt Waldau, Gemälde von Adolf Wölfli, 1921

Anfang 1929 begab sich Walser, der schon seit einiger Zeit von Angstzuständen und Halluzinationen geplagt wurde, nach einem geistigen Zusammenbruch auf Rat eines Psychiaters und Drängen seiner Schwester Lisa Walser in die Heilanstalt Waldau bei Bern. In einem Arztprotokoll heißt es: „Der Patient gibt zu, Stimmen zu hören.“ Von einer freiwilligen Selbsteinlieferung kann daher vielleicht nicht gesprochen werden. In der Anstalt normalisierte sich Walsers Zustand nach einigen Wochen und er verfasste und publizierte weiter Texte, wenn auch mit Pausen und insgesamt sehr viel weniger als in den vorausgegangenen Jahren. Dabei bediente er sich weiterhin der von ihm als „Bleistiftmethode“ bezeichneten Schreibweise: In kleinster deutscher Kurrentschrift, deren Buchstaben gegen Ende dieser Phase kaum mehr höher als ein Millimeter waren, schrieb er Gedichte und Prosatexte, auch Mikrogramme genannt, die er in einem zweiten Arbeitsgang auswählend und redigierend mit der Feder ins Reine übertrug. Allerdings sind nicht viele Entwürfe aus dieser Zeit erhalten, mehr Reinschriften und veröffentlichte Texte. Erst als Walser gegen seinen Willen 1933 in seinen Heimatkanton in die Heil- und Pflegeanstalt Herisau versetzt wurde – und vermutlich auch, weil mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten ein wesentlicher Markt zur Veröffentlichung seiner Texte in deutschen Zeitungen und Zeitschriften verschwunden war –, hörte er mit dem Schreiben auf.

In der Heilanstalt Herisau besuchte ihn ab 1936 sein Bewunderer und späterer Vormund, der Schweizer Schriftsteller und Mäzen Carl Seelig, der später in dem Buch Wanderungen mit Robert Walser über seine Gespräche mit Walser aus dieser Zeit berichtet hat. Carl Seelig bemühte sich früh darum, den fast schon vergessenen Robert Walser durch Neuausgaben seiner Werke wieder bekannt zu machen. Nach dem Tod des Bruders Karl (1943) und der Schwester Lisa (1944) übernahm Seelig die Vormundschaft. Walser, der zwar verschroben war, aber schon lange keine Zeichen psychischer Krankheit mehr zeigte, lehnte es in dieser Zeit wiederholt ab, die Anstalt zu verlassen.

Robert Walser liebte lange, einsame Spaziergänge. Am ersten Weihnachtsfeiertag 1956 starb er an einem Herzschlag bei einer Wanderung durch ein Schneefeld, wo er kurz darauf gefunden wurde. Die Fotografien des toten Spaziergängers im Schnee erinnern fast unheimlich an ein ähnliches Bild eines Toten im Schnee aus Robert Walsers erstem Roman Geschwister Tanner.

Werk und Rezeption

Allgemeines

Typisch für Robert Walsers Texte ist eine verspielte Heiterkeit, unterlegt jedoch von oft handfesten existenziellen Ängsten. Viele besonders der frühen Werke wirken beim ersten Lesen naiv und verspielt, doch hinter dieser vermeintlichen Einfachheit verbergen sich zum einen sehr moderne, genaue Alltagsbeobachtungen, die andererseits häufig weg von der Realität in eine höchst künstliche, selbstbezogene Form- und Sprachwelt führen. Heute gehören Walsers Texte, die erst ab Mitte der 1960er Jahre vollständig ediert wurden, gerade deshalb zu den wesentlichen Werken der literarischen Moderne. In seiner Sprache finden Anklänge an das Schweizerdeutsche einen charmanten und frischen Ausdruck, während gleichzeitig sehr persönliche Betrachtungen verwoben werden mit „Texten über Texte“, das heißt Reflexionen über oder auch Variationen von anderen literarischen Werken. Dabei mischt Walser oft Trivialliteratur mit Hochliteratur.

Walsers Phasen

Grob gesagt lässt sich Walsers Werk in vier Epochen unterteilen: die frühen Werke, die im Umfeld von Jugendstil und Ästhetizismus standen; die vergleichsweise realistischen Werke der Berliner Zeit, in der sämtliche zu Lebzeiten Walsers veröffentlichten Romane entstanden; die vordergründig stark auf Heimatkunst und Schweizer Sujets zurückgreifenden Schriften der Bieler Zeit; und die immer abstrakter, hermetisch werdenden Prosastücke, Gedichte und Dramolette der Berner Zeit, die dem Umfang nach den größten Teil von Walsers Werk ausmachen.

Die Anfänge: 1898–1905

Walser debütierte mit Gedichten (viele davon erschienen 1909 in dem von Karl Walser illustrierten Band Gedichte).

Im Bureau
Der Mond blickt zu uns hinein,
er sieht mich als armen Kommis
schmachten unter dem strengen Blick
meines Prinzipals.
Ich kratze verlegen am Hals,
Dauernden Lebenssonnenschein
kannte ich noch nie.
Mangel ist mein Geschick;
kratzen zu müssen am Hals
unter dem Blick des Prinzipals.
Der Mond ist die Wunde der Nacht,
Blutstropfen sind alle Sterne.
Ob ich dem blühenden Glück auch ferne,
ich bin dafür bescheiden gemacht.
Der Mond ist die Wunde der Nacht.
(1897/98)

Hier, nimmt man die letzte Strophe, werden Klischees der Romantik bzw. der seinerzeit sehr beliebten Neuromantik aufgegriffen und mit einer in der ersten Strophe geschilderten Alltagssituation aus dem einfachen Leben vermeintlich ungeschickt in Beziehung gesetzt. Was Walser hier, wie in seinen frühen Prosastücken, gelingt, ist es, abgelebte, erstarrte literarische Formen mit einer neuen Perspektive „von unten“ (der des kleinen Angestellten, einer Bürokraft – des „Kommis“) in Verbindung, in Kontrast zu setzen und so mit neuem Leben zu erfüllen. Walsers frühe Texte – hier ist sich die Kritik einig – gelten als frühe Beispiele einer Angestelltenliteratur, die das damals noch neue Sujet der Bürowelt in die Literatur holt.

Ähnlich verfährt er in Texten wie in den in Fritz Kochers Aufsätzen gesammelten Prosastücken. Abgegriffene Themen, die tausende von Schülern dem Beispiel der Klassiker folgend in Schulaufsätzen abhandeln müssen, greift er, ohne dabei direkt ironisch oder parodistisch vorzugehen, auf - und unterläuft sie durch seine beinah sklavische Verehrung der vorgegebenen Form, seine ganz unironische Art, das noch so platte Thema ernsthaft, persönlich und als wäre es neu behandeln zu wollen: „Es ist schwer, über die Natur zu schreiben, besonders für einen Schüler der A-Klasse. Über Menschen geht es an: man hat feste Züge. Die Natur aber ist so verschwommen, so fein, so ungreifbar, so unendlich. Dennoch versuche ich es. Ich liebe es, mich mit dem Schweren herumzubalgen. Nichts ist unmöglich habe ich schon irgendwo sagen gehört.“ (Die Natur, 1902) Hier zeichnen sich bereits Charakteristiken ab, die Walsers gesamtes Werk durchziehen: Bescheidenheit, Unterwürfigkeit, die jedoch so halsstarrig ist, dass sie das, dem sie sich zu unterwerfen vorgibt, gerade umso mehr untergräbt.

1905–1913: Die Berliner Jahre

In seiner Berliner Zeit entstanden nicht nur Walsers Romane Geschwister Tanner, Der Gehülfe und Jakob von Gunten, sondern auch zahlreiche, in großen Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichte Prosastücke, die das Leben im wilhelminischen Berlin aus der Sicht von unten, der Sicht eines kleinbürgerlichen Müßiggängers schildern: „Wenn einer den Mund gerade voll hat, so sehn zu gleicher Zeit seine Augen einen, der mit Hereinschieben betätigt ist an. Und die Leute lachen nicht einmal, auch ich nicht. Seit ich in Berlin bin, habe ich mir abgewöhnt, das Menschliche lächerlich zu finden.“ (Aschinger, 1908)

Dieser „Realismus“ findet sich am deutlichsten im Roman Der Gehülfe. In anderen Texten jedoch, allen voran Jakob von Gunten, verwandelt sich diese realistische Welt, ohne deshalb romantisch oder märchenhaft zu werden, in ein unbegreifliches Monstrum, das, mit allen banalen Details des Alltags versehen, doch gerade deswegen ein noch größeres, ganz und gar undurchdringliches Rätsel aufwirft. Nicht ohne Grund bewunderte Franz Kafka, dessen frühe Texte ähnlich funktionieren, besonders Walsers Arbeiten aus dieser Zeit.

1913–1921: Schweizer Provinz

Diese Jahre verbrachte Robert Walser überwiegend in Biel (Schweiz).

1921–1933: Schreiber und Schriftkünstler

Robert Walser siedelt nach Bern über. Ab 1929 setzt er seine literarische Arbeit in der Heilanstalt Waldau bei Bern noch bis 1933 fort.

Rezeption

Zug «Robert Walser»

Walser, der vielleicht mit Ausnahme seiner frühen Jahre im Umkreis der Zeitschrift Die Insel nie einer literarischen Schule, Gruppe oder Richtung angehörte, war vor dem Ersten Weltkrieg und auch noch in den 1920er Jahren ein angesehener, viel veröffentlichter Autor, zuletzt freilich fast nur noch als Feuilletonist. In den 1930er Jahren geriet er jedoch zumal in Deutschland schnell in Vergessenheit, woran auch Carl Seeligs Editionen, die in der Schweiz erschienen und fast nur dort beachtet wurden, wenig änderten.

Robert Walser wurde erst ab den 1970er Jahren in breiterem Umfang wiederentdeckt, obwohl Christian Morgenstern, Robert Musil, Kurt Tucholsky, Franz Kafka, Walter Benjamin und Hermann Hesse zu seinen großen Bewunderern gehört hatten. Seither sind fast alle seine Schriften durch eine umfangreiche Werkausgabe und die Edition der späten Entwurfmanuskripte zugänglich gemacht worden. Walsers Wirkung auf so unterschiedliche zeitgenössische Autoren wie beispielsweise Martin Walser, Peter Bichsel, Ror Wolf, Peter Handke, Elfriede Jelinek, W. G. Sebald oder auch Max Goldt ist bedeutend.

2003 schuf die Schweizer Grafikerin Käthi Bhend das Bilderbuch Einer, der nichts merkte zu einem Abschnitt aus dem Prosatext "Lampe, Papier und Handschuh" von Robert Walser (abgedruckt in dem Band "Spaziergang" bei Suhrkamp). [2]

1967 hat Robert Walsers Schwester Fanny Hegi-Walser ihren Nachlass an die 1966 von Dr. Elio Fröhlich gegründete Carl Seelig-Stiftung abgetreten unter der Bedingung, dass alle Dokumente in einem zu gründenden Robert Walser-Archiv verwahrt, gepflegt und zugänglich gemacht werden sollen. Getragen von der Stiftung wurde dieses 1973 gegründet. 1996 wurde von der Carl Seelig-Stiftung die Robert Walser-Gesellschaft mitinitiiert und die Stiftung selbst wurde 2004 in die Robert Walser-Stiftung Zürich umbenannt (ab 2009 Robert Walser-Stiftung Bern). Aufgrund von finanziellen Schwierigkeiten erfolgte 2009 der Umzug nach Bern und die Eröffnung des Robert Walser-Zentrums.

In seiner Heimatstadt Biel wurde 1978 die Stiftung Robert Walser Biel/Bienne gegründet, die den Robert Walser-Preis verleiht.

Nach Robert Walser wurde ein Neigezug der SBB benannt.

Auszeichnungen

  • André-Gide-Preis für Auszüge (77 Texte) aus Mikrogramme in der Übersetzung in das Französische durch Marion Graf, 2002 (unter dem Titel Le Territoire du crayon. Microgrammes. Genf: Edition Zoé, 2000)

Werke

Gesamtwerk

Kritische Robert Walser-Ausgabe

  • Band I.1 Fritz Kocher’s Aufsätze. Kritische Edition und Reprint der Erstausgabe. Hrsg. Hans-Joachim Heerde, Barbara von Reibnitz und Matthias Sprünglin. Frankfurt a.M., Basel 2010, 197 und 129 Seiten, gebunden. Textband und Reprint der Erstausgabe zusammen im Schuber. ISBN 978-3-7965-2463-9
  • Band I.2 Geschwister Tanner (Erstdruck). Hrsg. Wolfram Groddeck, Barbara von Reibnitz und Matthias Sprünglin. Frankfurt a.M., Basel 2008. 340 Seiten, gebunden im Schuber, ISBN 978-3-86600-024-7
  • Band I.3 Der Gehülfe (Erstdruck). Kritische Edition der Erstausgabe. Hrsg. Angela Thut und Christian Walt. Frankfurt a.M., Basel 2012, 328 Seiten, gebunden im Schuber. ISBN 978-3-86600-084-1
  • Band I.4 Jakob von Gunten. Ein Tagebuch. Kritische Edition des Erstdrucks. Hrsg. von Hans-Joachim Heerde. Frankfurt a.M., Basel 2013, 176 Seiten, gebunden im Schuber. ISBN 978-3-86600-154-1
  • Band III.1 Drucke im Berliner Tageblatt. Hrsg. von Hans-Joachim Heerde. Frankfurt a.M., Basel 2013. 407 Seiten, gebunden im Schuber. ISBN 978-3-86600-174-9
  • Band III.3 Drucke in der Neuen Zürcher Zeitung. Hrsg. von Barbara von Reibnitz und Matthias Sprünglin. Frankfurt a.M., Basel 2013. 518 Seiten, gebunden im Schuber. ISBN 978-3-86600-172-5
  • Band IV.1 Geschwister Tanner (Manuskript). Hrsg. Wolfram Groddeck, Barbara von Reibnitz und Matthias Sprünglin.Frankfurt a.M., Basel 2008. 412 Seiten, Großformat, mit ca. 290 Hs.-Faksimiles und CD-ROM. Gebunden im Schuber, ISBN 978-3-86600-022-3
  • Band IV.2 Der Gehülfe (Manuskript). Hrsg. Angela Thut und Christian Walt. Frankfurt a.M., Basel 2012. 421 Seiten, Großformat, mit ca. 200 Hs.-Faksimiles und CD-ROM. Gebunden im Schuber. ISBN 978-3-86600-087-2

Einzelausgaben

Hörbücher

Theateraufführungen

Verfilmungen

  • Jakob von Gunten. Filmregie: Georg Bühren, Theaterregie: Martin Jürgens, Buch: Martin Jürgens, Petra Moser, Andreas Ramstein, 2001
  • Jakob von Gunten. Regie: Peter Lilienthal, Drehbuch: Ror Wolf und Peter Lilienthal, 1971
  • Der Gehülfe. Regie: Thomas Koerfer, 1975
  • Der Vormund und sein Dichter. Regie und Drehbuch: Percy Adlon, 1978 (freie Verfilmung von Seeligs Wanderungen mit Robert Walser)
  • Robert Walser (1974–1978). Regie, Drehbuch: HHK Schoenherr
  • Waldi. Regie und Drehbuch: Reinhard Kahn, Michael Leiner (nach der Erzählung Der Wald), 1980
  • Institute Benjamenta, or This Dream People Call Human Life. Regie: Stephen Quay, Timothy Quay, 1995
  • Branca de Neve. Regie: João César Monteiro, 2000
  • Robert Walser – Ein Poetenleben. Fernsehdokumentation von Ernst Buchmüller, 2003
  • Ich stehe immer noch vor der Tür des Lebens. Robert Walser und die Kunst des Unterliegens. Regie: Peter Hamm, 1986.
  • Er, der Hut, sitzt auf ihm, dem Kopf. Robert Walser-Geschichten. Ein Sehbuch, gelesen von Bruno Ganz. Regie: Walo Deuber, 2006.

Literatur

  • Jürg Amann: Robert Walser. Eine literarische Biographie in Texten und Bildern. Diogenes, Zürich 2006, ISBN 3-257-06553-1.
  • Walter Benjamin: Robert Walser. 1929 (Aufsatz) Volltext.
  • Klaus Bonn, Edit Kovács, Csaba Szabó (Hrsg.): Entdeckungen. Über Jean Paul, Robert Walser, Konrad Bayer und anderes. 2002, ISBN 3-631-38399-1.
  • Christoph Bungartz: Zurückweichend vorwärtsschreiten. Die Ironie in Robert Walsers Berner Prosa. Lang, Bern 1988, ISBN 3-631-40485-9 (zugleich Dissertation Universität Bonn, 1988).
  • Bernhard Echte: Robert Walser. Sein Leben in Bildern und Texten. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2008, ISBN 978-3-518-41860-4.
  • Anna Fattori, Margit Gigerl (Hrsg.): Bildersprache. Klangfiguren. Spielformen der Intermedialität bei Robert Walser. Fink, München 2008, ISBN 978-3-7705-4711-1.
  • Anna Fattori, Kerstin Gräfin von Schwerin (Hrsg.): „Ich beendige dieses Gedicht lieber in Prosa“. Robert Walser als Grenzgänger der Gattungen. Heidelberg, Winter 2011, ISBN 978-3-8253-5597-5.
  • Elio Fröhlich, Peter Hamm (Hrsg.): Robert Walser. Leben und Werk in Daten und Bildern. Insel, Frankfurt am Main 1980, ISBN 3-458-31964-6.
  • Robert Frank: Ferne Nähe / Distant Closeness. Hommage für / A Tribute to Robert Walser. Schriften des Robert Walser-Zentrums 3, 2012, ISBN 978-3-9523586-2-7.
  • Lucas Marco Gisi: Das Schweigen des Schriftstellers. Robert Walser und das Macht-Wissen der Psychiatrie. In: Martina Wernli (Hrsg.): Wissen und Nicht-Wissen in der Klinik. Dynamiken der Psychiatrie um 1900. Transcript, Bielefeld 2012, ISBN 978-3-8376-1934-8, S. 231–259.
  • Lucas Marco Gisi, Reto Sorg (Hrsg.): Jedes Buch, das gedruckt wurde, ist doch für den Dichter ein Grab oder etwa nicht? Robert Walsers Bücher zu Lebzeiten. Schriften des Robert Walser-Zentrums 1, 2009, ISBN 978-3-9523586-0-3.
  • Jochen Greven: Robert Walser. Figur am Rande in wechselndem Licht. Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-596-11378-4.
  • Jochen Greven: Robert Walser – ein Außenseiter wird zum Klassiker; Abenteuer einer Wiederentdeckung. Libelle, Lengwing 2003, ISBN 3-909081-39-8.
  • Wolfram Groddeck, Reto Sorg, Peter Utz, Karl Wagner (Hrsg.): Robert Walsers 'Ferne Nähe'. Neue Beiträge zur Forschung. 2. Aufl. Fink, München 2007, ISBN 978-3-7705-4517-9.
  • Christoph Jakob: Robert Walsers Hermeneutik des Lebens. Shaker, Aachen 1998, ISBN 3-8265-3854-4.
  • Elfriede Jelinek: er nicht als er (zu, mit Robert Walser). Ein Stück. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-518-41024-5.
  • Martin Jürgens: Seine Kunst zu zögern. Elf Versuche zu Robert Walser. Oktober, Münster 2006, ISBN 3-938568-46-1.
  • Katharina Kerr (Hrsg.): Über Robert Walser. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1979 (3 Bände), ISBN 3-518-06983-7.
  • Robert Mächler: Das Leben Robert Walsers. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1976, ISBN 3-518-39986-1.
  • E.Y. Meyer: Eine entfernte Ähnlichkeit. Eine Robert-Walser-Erzählung. Folio, Wien 2006, ISBN 3-85256-341-0.
  • Catherine Sauvat: Vergessene Welten. Biographie zu Robert Walser. Bruckner und Thünker, Köln 1993, ISBN 3-905208-01-6.
  • Diana Schilling: Robert Walser. Rowohlt, Reinbek 2007, ISBN 978-3-499-50660-4.
  • Roland Stark: Sprache auf der Goldwaage – Robert Walser und Der Buntscheck. Schriften des Robert Walser-Zentrums 2, 2012, ISBN 978-3-9523586-1-0.
  • Carl Seelig: Wanderungen mit Robert Walser. Suhrkamp, Frankfurt am Main 10. A. 2001, ISBN 3-518-01554-0.
  • Dietrich Seybold: Robert Walser. In: Andreas Kotte (Hrsg.): Theaterlexikon der Schweiz. Band 3. Chronos, Zürich 2005, ISBN 3-0340-0715-9, S. 2044 f.
  • Matthias Weishaupt (Red.): Robert Walser in der Heil- und Pflegeanstalt Herisau (Themenheft). Appenzellische Jahrbücher, Band 133, 2005 (Volltext)

Weblinks

 Commons: Robert Walser – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Peter von Matt: Die tintenblauen Eidgenossen. Über die literarische und politische Schweiz. dtv, München 2004, S. 214.
  2. Rezension in "Zeit-online", 2004.
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