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Richard Cohn

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Richard Cohn (geb. 25. Juli 1878 in Leipzig; gest. 20. April 1959 in Hamburg) war ein deutscher Rechtsanwalt und Vorsitzender des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten in Leipzig.

Leben

Familie

Sein Vater, Siegmund Cohn (* 28. Februar 1845 in Kösten; † 23. März 1908 in Leipzig), war Kaufmann und Inhaber eines bedeutenden Importgeschäftes für Getreide- und Futtermittel in Leipzig. Aus dessen Ehe mit der Fabrikantentochter Minna, geborene Gottschalk (* 10. Oktober 1852 in Bernburg; † 16. Januar 1937 in Leipzig), entstammten fünf Kinder:

  • Erhard (1861–?)[1]
  • Jenny (1871–1966)[2]
  • Alfred (1877–1894)
  • Richard
  • Walter (1891–1958)[3]

Ausbildung und Beruf

Richard Cohn besuchte von 1888 bis 1897 das renommierte Königliche Gymnasium in Leipzig. Nach bestandener Reifeprüfung studierte er Rechtswissenschaften an den Universitäten München, Berlin und Leipzig.

Nach Ableistung seiner militärischen Dienstpflicht legte er 1902 sein Referendarexamen und kurz danach seine Promotion mittels einer Dissertation zum Thema Die Kautionshypothek des Bürgerlichen Gesetzbuches ab. Sein Referendariat absolvierte er in Oederan und Leipzig. Nach bestandenem Staatsexamen in Dresden wurde er durch ein Schreiben des sächsischen Justizministeriums vom 5. März 1906 als Rechtsanwalt am königlichen Amtsgericht und am Landgericht Leipzig zugelassen. Als junger Anwalt war er unter anderem in der Kanzlei von Victor Mieses (1861–1939) beschäftigt.

Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges erfolgte seine Einberufung zum Kriegsdienst in der königlich-sächsischen Infanterie. Während der gesamten Zeit des Krieges war er an der Front eingesetzt, zunächst als Offiziersstellvertreter, dann als Leutnant und Kompanieführer. Als solcher wurde er während seiner Einsätze vier Mal verwundet und erhielt neben mehreren anderen Kriegsauszeichnungen das Verwundetenabzeichen in Mattweiß und das Eiserne Kreuz I. Klasse.

Nach Kriegsende eröffnete er eine eigene Rechtsanwaltskanzlei in der Leipziger Innenstadt.[4] 1923 wurde er zum sächsischen Notar bestellt. Richard Cohn gehörte zu den erfolgreichen Anwälten Leipzigs. In den Jahren 1924 bis 1931 betrug sein Jahreseinkommen über 20 000 Reichsmark, das war in dieser Zeit das Zehnfache des durchschnittlichen Bruttoeinkommens. Als Alleinstehender[5] hielt er sich eine großzügige Wohnung im noblen Stadtteil Gohlis.[6] Unter der Kollegenschaft erfreute er sich allgemeiner Achtung.[7]

Bereits in den Jahren vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten, ab 1931, machten sich die Hinwendung weiter Bevölkerungskreise zum Nationalsozialismus und dessen judenfeindlicher Propaganda für Cohn in Form von Auftragsrückgängen bemerkbar.

Während der Zeit des Nationalsozialismus

Die offizielle Verfolgung der Juden begann in Deutschland am 1. April 1933, als alle Eingangstüren zu jüdischen Geschäften und Anwaltskanzleien mit Warnhinweisen plakatiert und Posten zur Verhinderung des Betretens solcher Geschäfte und Kanzleien aufgestellt wurden. Jüdischen Anwälten war es ab dieser Zeit untersagt, Gerichtsgebäude zum Zwecke der Berufsausübung zu betreten, was für Cohn einen enormen Rückgang an Aufträgen zur Folge hatte.

Am 7. April 1933 wurde das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums und das Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erlassen. Letzteres legitimierte die Rücknahme der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft für nichtarische Anwälte bzw. die Verweigerung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft für nichtarische Personen. Ausgenommen davon waren die Frontkämpfer des I. Weltkrieges oder nichtarische Personen, deren Väter oder Söhne im I. Weltkrieg gefallen waren.

Nach dem Ausschluss aller jüdischen Mitglieder aus den Militärvereinen trat Richard Cohn 1934 dem Reichsbund jüdischer Frontsoldaten bei, der ab 1935 die einzige noch erlaubte jüdische Organisation im Deutschen Reich war. Der Reichsbund stand unter ständiger Kontrolle der Gestapo und war dieser gegenüber meldepflichtig. 1938 wählte man Cohn zum 1. Vorsitzenden für die Ortsgruppe Leipzig.

Auf Grundlage der Nürnberger Gesetze entzog man ihm 1935 das Notariat. Am 10. November 1938 wurde Cohn ohne Verdacht auf eine strafbare Handlung festgenommen und für zehn Tage in das Leipziger Polizeigefängnis Wächterstraße, welches zugleich der Gestapo als Gefängnis diente, verbracht. Gleiches widerfuhr ihm nach dem Münchner Attentat auf Hitler für die Zeit vom 10. November bis 22. Dezember 1939. Bereits Ende 1938 beschlagnahmten die Behörden sein gesamtes Vermögen sowie einen großen Teil seines Einkommens, so dass ihm nur das Nötigste zur Bestreitung seines Lebensunterhalts blieb.

Aufgrund der 5. Verordnung des Reichsbürgergesetzes vom 27. September 1938 wurde auch den Frontkämpfern unter den Anwälten die Ausübung der Rechtsanwaltschaft ab dem 30. November 1938 untersagt. Im Dezember 1938 ernannte der Präsident des Oberlandesgerichts Dresden Cohn auf eigenen Antrag zu einem von insgesamt sechs Konsulenten für Leipzig, die nunmehr die anwaltliche Betreuung sämtlicher Leipziger Juden, besonders in Fragen von Ausreiseangelegenheiten, zu übernehmen hatten.

Da auch für Cohn die Lage immer bedrohlicher wurde und noch weitere schwerstwiegende Maßnahmen gegen die Juden bevorstanden, entschloss er sich zur Ausreise. Die Beschaffung eines Visums für die USA oder England scheiterte. Auf Vermittlung seines Schwagers Adolph Calmann gelang es ihm, bei dem in Hamburg ansässigen Generalkonsul von Haiti ein Visum zu kaufen.[8] Da ihnen andere Routen versperrt waren, wanderten Richard Cohn und seine in Hamburg ansässigen Geschwister Erhard, Walter, Jenny, sein Schwager Adolph sowie die Tochter seines Bruders Erhard am 10. Oktober 1940 gemeinsam über Russland, Japan und Panama nach Haiti aus. Die Devisenstelle bewilligte ihm die Mitnahme von 10 Reichsmark und einigen hundert Dollar.

Exilszeit in Montevideo

In Panama erfuhren Cohn und seine Angehörigen, dass ihr in Hamburg ausgestelltes Visum von den haitianischen Behörden nicht anerkannt wurde. Sie mussten daher auf dem japanischen Schiff bleiben, mit dem sie nach Panama übergesetzt waren. Schlussendlich verbrachte man sie nach Buenos Aires. Dort konnten sie nach zähen Verhandlungen das Schiff verlassen, wurden aber sofort im dortigen Einwanderungsgebäude interniert.[9]

Am 3. März 1942 erfolgte die Abschiebung nach Montevideo, wo sie sich aufgrund eines Touristenvisums ungehindert aufhalten konnten. An eine Berufsausübung als Rechtsanwalt in Uruguay war wegen fehlender Sprachkenntnisse und Nachweisen über erforderliche Examen nicht zu denken. So musste sich der völlig mittellose Cohn, gesundheitlich bereits stark eingeschränkt, von seinem Schwager, bei dem er gemeinsam mit seinem ebenfalls mittellosen Bruder Walter ein Unterkommen fand, unterhalten lassen.[10] Ein kleines Zubrot verdiente er sich als Hausierer für Tee, Kaffee und Schokolade,[11] konnte aber im Exilland letztlich nicht Fuß fassen.

Seit Inkrafttreten des Rückerstattungsgesetzes 1949 in Westdeutschland bemühte sich Adolph Calmann Haus und Grundstück in Hamburg zurückzuerhalten. Als dies nach einer Reihe von Prozessen Anfang 1954 gelang, beschlossen Adolph Calmann und die Geschwister Cohn, die bereits ein Jahr zuvor die deutsche Staatsangehörigkeit zurückerhalten hatten, nach Deutschland zurückzukehren.

Rückkehr nach Hamburg

Im Alter von 76 Jahren kehrte Richard Cohn als gebrochener Mann aus dem Exil nach Deutschland zurück. Er fand wiederum Wohnung bei seinem Schwager in Hamburg. Angesichts der Aussichtslosigkeit, im hohen Alter und in einer fremden Stadt nochmals erfolgreich als Anwalt praktizieren zu können, widmete er sich gegen freie Kost und Logis der Verwaltung des Grundbesitzes seines Schwagers und war ansonsten auf Fürsorgeleistungen angewiesen. Obwohl er als Emigrant mit ehemaligem Wohnsitz in der nunmehr sowjetisch besetzten Zone zunächst keinen Anspruch auf Wiedergutmachung in Westdeutschland hatte, stellte er gemäß der gesetzlich geregelten Härteklauseln des Hamburger Wiedergutmachungsgesetzes von 1953 beim Hamburger Senat im September 1954 einen Antrag auf Wiedergutmachung, der an die Sozialbehörde weitergeleitet und dort wegen fehlender Anwendungsvorschriften zunächst nicht bearbeitet wurde. Im Oktober 1956 erhielt er einen Wiedergutmachungbescheid in Höhe von 7200 DM. Zudem wurde ihm rückwirkend ab dem 3. August 1954 eine Rente in Höhe von monatlich 600,00 DM zugewiesen. Der Rechtsstreit um die Wiedergutmachungsleistungen endete jedoch erst mit dem Tod Richard Cohns im Jahre 1959.

Sein Grab befindet sich auf dem Jüdischen Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf.

Werke

  • Die Kautionshypothek des Bürgerlichen Gesetzbuches. Dissertation. Nöske, Borna-Leipzig 1902.
  • Die nichtige offene Handelsgesellschaft im Rechtsverkehr und der Gläubigerschutz. Universitätsverlag, Leipzig 1930.

Literatur

Einzelnachweise

  1. Erhard Cohn (1939: Namensänderung in Cohrs; * 1. Oktober 1861 in Leipzig; † vermutlich während des Exils in Montevideo) war Kaufmann und Prokurist. Er heiratete am 24. Dezember 1906 in Hamburg die Lehrerstochter Christina Susanne Lugenheim (*30. Juli 1883 in Leipzig-Neustadt; † 12. November 1938 in Hamburg).
  2. Jenny Cohn (*14. September 1871 in Leipzig; † 11. Juli 1966 in Hamburg) war verheiratet mit dem promovierten Frauenarzt Ascher Adolph Calmann (* 15. Februar 1871 in Hamburg; † 7. Februar 1962 in Hamburg), "seit 1898 niedergelassener Facharzt für Gynäkologie/Geburtshilfe in der Hansestadt, war seither konsiliarisch im IK (Israelitisches Krankenhaus A.d.V.) tätig, auch nach Einrichtung einer eigenen Entbindungsanstalt des IK 1921 in enger Kooperation mit dessen Leiter Dr. John A. Storch. Calmann war Besitzer der 1919 erbauten angesehenen privaten Frauenklinik (Calmannsche Klinik) in der Johnsallee 68, zu deren Verkauf er 1938 durch die NS-Politik gezwungen wurde. Die Klinik ging in den Besitz des Diakonievereins Siloah über. Adolph Calmann arbeitete bis zu seiner Emigration erneut in seiner alten Klinik in der Johnsallee, in die das IK auf Anweisung der NS-Behörden im September 1939 aus St. Pauli umziehen musste. Calmann floh im November 1940 aus Deutschland und gelangte nach einer Odyssee nach Montevideo/Uruguay. 83-jährig kehrte er 1954 nach Hamburg zurück, er starb 1962 in seiner Heimatstadt". Quelle: Harro Jens: Erinnerungen an die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Israelitischen Krankenhauses in Hamburg, die während der NS-Diktatur 1933–1945 vertrieben, deportiert oder ermordet wurden. Hamburg 2017, S. 10.
  3. Walter Cohn (1939: Namensänderung in Cohrs; * 18. September 1891 in Leipzig; † 9. Mai 1958 in Hamburg) war promovierter Zahnarzt in Hamburg.
  4. Die Kanzlei befand sich in der Nicolaistraße 27–28; ab 1939: Hainstraße 7.
  5. Richard Cohn war geschieden. Er hatte keine Kinder.
  6. Seine Wohnung befand sich in der Beletage des Hauses Clausewitzstraße 2 (heute Franz-Mehring-Straße). 1933 löste er diese Wohnung auf und zog zu seiner Mutter in die Springerstraße 16. Nach deren Tod 1937 und der Beschlagnahmung seines Vermögens 1938 war er bei der Wohnungsvermittlung Henny Koppel, Robert-Schumann-Straße 10, zur Untermiete gemeldet.
  7. Rudolf Mothes: Lebenserinnerungen eines Leipziger Juristen, Teil C, S. 57: "Nach dem Tode seines Freundes Krause nahm Mieses den 1878 geborenen, 1906 zugelassenen, ungetauften Dr. Richard Cohn als Mitarbeiter auf, der sich allgemeiner Achtung der Kollegen erfreute. Vor der Hitler-Regierung floh er nach Montevideo, wo er schwere Zeiten erlebte. Wie er dem Kollegen Dr. Hans Otto mitteilte, hat er zeitweilig mit Schokolade hausiert."
  8. Das Visum kostete pro Person 1250 Reichsmark.
  9. Die Internierung in Buenos Aires erfolgte vom 25. Januar 1941 bis zum 3. März 1942. Während dieser Zeit wurden sie von Marinesoldaten bewacht und durften das Gebäude nur auf Antrag verlassen.
  10. Adolph Calmann konnte, unter stillschweigender Duldung der Behörden und der einheimischen Ärzteschaft, seinen Beruf in Emigrantenkreisen Montevideos ausüben und verfügte daher über ein regelmäßiges, wenn auch kleines Einkommen.
  11. Dabei schleppte sich Cohn in Montevideo mit zwei schweren Koffern voller Lebensmittel von Haus zu Haus.
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