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Retrozession (Finanzbranche)

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In der Finanzbranche der Schweiz versteht man unter Retrozessionen (ausserhalb der Schweiz lt. EU-Finanzmarktrichtlinie MiFID auch als Anreize bezeichnet), Entgelte (Provisionen) zu Gunsten der Vertriebsstellen. Retrozessionen werden von Produktanbietern bezahlt, in der Vermögensverwaltung auch von der Depotbank des Vermögensverwalters. Zu Retrozessionen in anderen Ländern (Deutschland, Österreich) und anderen Branchen (u.a. Gesundheit, Assekuranz, Werbung) siehe den Artikel Kick-back.

Kategorien

Retrozessionen, umgangssprachlich auch „Retro(s)“ genannt, lassen sich in der Finanzbranche grob in folgende Kategorien unterteilen:

  • Rückvergütungen eines Teils der Management-Gebühr bei Finanzprodukten: Die sogenannten Bestandesretrozessionen, auch Bestandespflegekommissionen genannt, werden von Produktanbietern an Vermögensverwalter bezahlt. Als Gegenleistung dafür, dass die Produkte eingesetzt werden, geht durchschnittlich rund die Hälfte der Verwaltungsgebühr an den Vertrieb. Diese Zahlungen werden regelmässig, meist quartalsweise, ausbezahlt. Diese Retrozessionen wurden durch ein Urteil des Schweizer Bundesgerichts vom 30. Oktober 2012 für unzulässig erklärt (siehe unten).
  • Rückvergütungen des Ausgabeaufschlages bei Investmentfonds: Wer Anlagefonds kauft, muss oftmals einen sogenannten Ausgabeaufschlag bezahlen. Wird der Fonds dem Kunden durch einen Dritten vermittelt, erhält dieser normalerweise den gesamten Ausgabeaufschlag.
  • Rückvergütungen bei Devisengeschäften: Wird von einem Vermögensverwalter für mehrere seiner Kunden ein Devisengeschäft getätigt, sind die Konditionen deutlich besser als für einen (einzelnen) Privatkunden. Oft erhält der Vermögensverwalter die Differenz.
  • Rückvergütungen bei der Depotführungsgebühr: Ein Vermögensverwalter vereinbart mit der Depotbank für seinen gesamten Kundenbestand eine einheitliche Depotführungsgebühr. Der Kunde erhält aber nur einen geringen Rabatt oder zahlt die banküblichen Konditionen. Die Differenz geht an den Vermögensverwalter.
  • Retrozessionen existieren außerdem im Kreditkartengeschäft: Bei der Akzeptanz von Kartenzahlungen muss der Anbieter dem Kreditkartenunternehmen einen Rabatt einräumen. Einige Kreditkartenunternehmen erstatten einen Teil davon ihren Kunden, etwa mit sog. "Kickback-Kreditkarten".

Ursache und Problematik von Retrozessionen

Vergütung von Vertriebsleistungen als primärer Grund

Anbieter von Finanzprodukten sind auf das Vertriebsnetz bzw. den Kundenstamm der Finanzberater und Vermögensverwalter angewiesen. Deshalb werden Provisionen an Berater bezahlt, wenn diese sich für ein Produkt des Anbieters entscheiden. Bei Tätigung von Transaktionen kann eine Bank Gebühren und Einnahmen erzielen. Mit Rückvergütungen beteiligt die Bank den externen Vermögensverwalter an diesem Umsatz. Diese Provisionen stellen ein auch in anderen Bereichen der Wirtschaft übliches Anreizsystem dar. Problematischer sind Retrozessionen, die die Bank selbst vom Emittenten eines Wertpapiers dafür bekommt, dass ihre eigenen Vermögensverwalter im Auftrag ihrer Kunden und auf deren Rechnung Wertpapiere ordern, denn hier droht ein Interessenkonflikt.

Interessenkonflikt als zentrales Problem

Banken, Produktvermittler und Vermögensverwalter haben in vielen Bereichen gleiche Interessen, die nicht mit denen des Anlegers übereinstimmen müssen. Durch Retrozessionen wird gefördert, dass der Vermögensverwalter auch im Interesse der Bank und nicht nur im Interesse seiner Kunden handelt. Weil er einen Teil der Gebühren rückvergütet erhält, ist er nicht immer daran interessiert, die Gebühren für seine Kunden niedrig zu halten. Weil der Vermögensverwalter bei seinen Anlageentscheidungen meist viel Spielraum hat, kann er seine Einnahmen durch höhere Bank- und Produktgebühren deutlich steigern. Eine höhere Transparenz kann diesen Interessenkonflikt mindern.

Interessenkonflikte bestehen insbesondere bei Kundenbeziehungen, die auf Mandatsbasis (Vermögensverwaltungsvertrag) bearbeitet werden. Hier kann das Auftragsrecht solche Zahlungen auch ohne ausdrückliche Vereinbarung verbieten, wie bereits in mindestens einem vor dem Schweizer Bundesgericht behandelten Fall festgestellt wurde. Inzwischen gibt es erste Vermögensverwaltungen, die Ihren Kunden freiwillig sämtliche Retrozessionen rückvergüten, z.B. die DCD AG aus Gossau (SG), um Interessenskonflikte zu vermeiden. Retrozessionen stellen bei den meisten Banken jedoch einen relevanten Anteil der Netto-Einnahmen dar, was auch Bank-Bilanzen zeigen. Da Finanzberater bei Banken meist auch erfolgsabhängig bezogen auf die von Ihnen erzielten Erträge vergütet werden (neben weiteren Erfolgskriterien wie z.B. Neuakquisitionen), haben sie einen Anreiz, ihren Kunden Anlagen anzubieten, die solche Erträge eventuell stärker maximieren als den Nutzen des Kunden. Verbraucherschützer empfehlen den Anlegern daher, die Konditionen von Vermögensverwaltungsmandaten bei nicht unabhängigen Verwaltern (bankeigene und andere) genau prüfen.

Es sind auch Fälle bekannt, bei denen die Geschäftsleitung einer Bank ihren Vermögensverwaltern die Anweisung gab, die Produkte eines bestimmten Fondsanbieters zu bevorzugen und dafür spezielle zusätzliche Vergütungen gewährte.

Rückforderung von Retrozessionen in der Schweiz

Entscheidung des Bundesgerichts vom 22. März 2006

Im März 2006 hat das Schweizer Bundesgericht entschieden, dass Vermögensverwalter in vielen Fällen Retrozessionen, die ihnen von Dritten zugeflossen waren, an ihre Kunden herausgeben müssen (BGE 132 III 460 vom 22. März 2006, bestätigt durch 137 III 393 vom 29. August 2011). Grundlage bildete dabei Art. 400 I OR (Obligationenrecht), wonach ein Beauftragter verpflichtet ist, auf Verlangen jederzeit über seine Geschäftsführung Rechenschaft abzulegen und dem Auftraggeber alle Vermögenswerte herauszugeben, die mit dem Auftrag in einem inneren Zusammenhang stehen.

Das Schweizer Konsumentenschutzmagazin „Kassensturz" bietet auf dieser Grundlage auf seiner Internetseite einen Musterbrief zur Rückforderung einbehaltener Retrozessionen zum Herunterladen an (weiteres siehe Weblinks). Retrozessionen können jedoch nur zurückgefordert werden, wenn der Anleger nicht auf diese Zahlungen verzichtet hat. Eine Gegenreaktion der Banken und vieler Vermögensverwalter auf das Urteil vom 22. März 2006 war jedoch, dass sie Verzichtserklärungen für eine Rückforderungen von Retrozessionen in ihre Verträge aufnahmen. Wirksam sind diese nach geltender Rechtsprechung jedoch nur, wenn der Kunde über das Anfallen von Retrozessionen nicht nur grundsätzlich orientiert war, sondern er auch die mögliche Bandbreite dieser Retrozessionen kannte und mittels expliziter Unterschrift sein Einverständnis gegeben hat.

Das Urteil des Bundesgerichts vom 30. Oktober 2012

Ende Oktober 2012 hat das Schweizer Bundesgericht in einem Grundsatzurteil entschieden, dass einem Anleger mit Vermögensverwaltungsmandat nicht nur Anspruch auf die Erstattung von Retrozession hat, die seiner Bank von konzernfremden Produkteanbietern zugeflossen waren, sondern dass auch konzerninterne Retrozessionen (sog. „Bestandespflegekommissionen") dem Anleger gehören, falls dieser nicht ausdrücklich und vorab auf sie verzichtet hat. Seitdem ist in der Schweiz eine breite Debatte über die Zukunft der Retrozessionen und über die tatsächliche Reichweite des Erstattungsanspruchs im Gange. Umstritten ist insbesondere:

  • Ob der Erstattungsanspruch sich nur auf Bankkunden mit Vermögensverwaltungsmandat bezieht oder analog auch auf andere Depotkunden ("Anlageberatungskunden"),
  • ob die Verjährungsfrist für entsprechende Rückforderungen fünf oder zehn Jahre beträgt[1], die Schweizer Steuerbehörden (Finanzdirektion des Kantons Zürich, 12. Februar 2013) gehen von einer Verjährungsfrist von zehn Jahren aus (s.u.),
  • ob die Banken solche Erstattungen von sich aus vornehmen müssen oder ob dies nur auf Antrag zu geschehen hat (so die bisherige Praxis fast aller Banken),
  • wie erstattete Retrozessionen nachträglich zu besteuern sind (siehe unten),
  • welche Formulierungen der Geschäftsbedingungen Rückforderungen zulassen und
  • welche Formulierungen der Geschäftsbedingungen Retrozessionen für die Zukunft ausschließen.

Tatsächlich berufen sich heute mit wenigen Ausnahmen die meisten Schweizer Banken auf die Gültigkeit der von ihren Kunden nach dem o.g. Urteil vom 22. März 2006 abgegebenen Verzichtserklärungen. Einzelne Banken haben unterdessen von sich aus Rückzahlungen vorgenommen. Viele Banken haben bereits nach dem ersten Bundesgerichtsentscheid zum Thema Retrozessionen von 2006 die Verträge angepasst, umstritten ist aber, ob diese Änderungen dem Kunden jeweils hinreichend klar verdeutlicht haben, auf welche Beträge er mit ihrer Annahme möglicherweise verzichtet. Anlegerschützer argumentieren, dass nur solche Änderungen von Verträgen und Geschäftsbedingungen Erstattungen ausschließen, bei denen der Bankkunde explizit über die Höhe des damit verbundenen Verzichts informiert wurde. Ohnehin haben viele unabhängige Vermögensverwalter und Finanzberater ihre Verträge noch nicht an die geänderte Rechtsprechung angepasst. Bei Rückerstattungen stellt sich auch die Frage von deren Besteuerung, die vom Steueramt Zürich neu aufgeworfen wurde. Zudem hat sich ein Initiant der Aufklärungsseite www.retrozessionen.com darauf spezialisiert.

Besteuerung erstatteter Retrozessionen

Zur steuerlichen Behandlung von zurückbezahlten Retrozessionen gemäß § 20 StG hat die Finanzdirektion des Kantons Zürich in einer Amtsmitteilung vom 12. Februar 2013 Stellung genommen. Das Steueramt unterscheidet dabei zwischen Banken-Retrozessionen und Produkte-Retrozessionen: Bei ersteren verrechnen die Banken ihren Kunden für den Kauf und Verkauf von Wertpapieren Gebühren in Form der sog. Courtage. Einen Teil davon leiten sie den (bankexternen) Vermögensverwaltern weiter, die die Transaktionen veranlasst haben. Dagegen leiten bei Produkte-Retrozessionen die Emittenten von Wertpapieren ("Produkteanbieter") einen Teil der Managementgebühren Vermögensverwaltern oder Banken weiter, wenn sie deren Produkte in ihren Kundendepots halten. Zu diesen Retrozessionen gehören auch die "Bestandespflegekommissionen". In beiden Fällen zahlt der Anleger zu viel, jedoch profitiert im ersten Falle der (bankunabhängige) Vermögensverwalter und nur im zweiten Falle die Bank selbst. Auf diese Produkte-Retrozessionen bezieht sich auch das Urteil des Bundesgerichts vom 30. Oktober 2012.

Das Steueramt Zürich hat nun in der o.g. Mitteilung klargestellt: "Die Rückerstattung von zu Unrecht erhobenen Produkte-Retrozessionen ist steuerbarer Vermögensertrag. Die Rückerstattung von Banken-Retrozessionen ist im Privatvermögen einkommenssteuerlich unbeachtlich." Letzteres deswegen, da es sich steuerlich um erstattete Anlagekosten handelt. Da diese Kosten steuerlich abzugsfähig waren, bleibt ihre spätere Erstattung ohne steuerliche Folgen.

Möglicher künftiger Verzicht auf Retrozessionen

Einem Bericht der Neuen Zürcher Zeitung vom 31. Oktober 2013 zufolge, bereiteten "die Banken ... sich aufgrund des regulatorischen Drucks auf eine Geschäftswelt vor, in der Retrozessionen zunehmend geächtet sind". Dies bestätige eine aktuelle Mitteilung der Großbank Credit Suisse, die ab 1. Juli 2014 "bei ihren Vermögensverwaltungsmandaten nur noch solche Anlageinstrumente ein(setzen werde), die keine Retrozessionen, Bestandespflegeprovisionen oder Vertriebsentschädigungen" zu ihren Gunsten enthalten. Damit folge die Credit Suisse der UBS. Die NZZ berichtet weiter, dass es in der Debatte um die Verjährungsfrist für die Rückforderung von Retrozessionen "für die Finanzhäuser um Milliarden gehen" dürfte. "Viele Banken spielten bei dem Thema bisher auf Zeit."[2]

Siehe auch

Weblinks

Allgemeine Informationen

Rechts- und Steuerfragen

Rückforderung von Retrozessionen in der Schweiz

Einzelnachweise

  1. Unklare Verjährungsfrist (PDF; 82 kB), www.retrozessionen.com, 23. April 2013, Sibylle Brodkorb, Rechtsanwältin, Winterthur
  2. Michael Ferber: Credit Suisse verzichtet auf Retrozessionen, NZZ vom 31. Oktober 2013
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