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Ressentiment

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Ressentiment ist ein Lehnwort aus dem Französischen und bedeutet so viel wie „heimlicher Groll“. Dem Ressentiment liegt regelmäßig das Gefühl dauernder Ohnmacht gegenüber erlittener Ungerechtigkeit und Niederlage oder persönlichen Zurückgesetztseins zugrunde. Es findet sich sowohl individualpsychologisch wie in sozialpsychologisch-historischer Ausprägung. In der Philosophie ist das Ressentiment Gegenstand der Moralkritik.

Begriffsgeschichte

Ressentiment ist eine Substantivierung von frz. ressentir, (nachhaltig) empfinden, merken; wörtl. etwa nach-fühlen im zeitlichen Sinn. Es ist erstmals im 16. Jahrhundert in der französischen Literatur belegt und wird ursprünglich auch in einem neutralen Sinn etwa für das dauerhaft verbindliche Gefühl der Dankbarkeit gebraucht.[1] „Insgesamt“ jedoch, so das Historische Wörterbuch der Philosophie, „bezeichnet R.[essentiment] eher Empfindungen negativen Inhalts, weil sich negative Empfindungen nachhaltiger einprägen als positive“.[2] Der Gebrauch des Wortes im Deutschen ist Ausdruck des Mangels einer muttersprachlichen Entsprechung und geschieht in letzterem Sinn. Seine Verwendung hier ist wesentlich mit der moral- und demokratiekritischen Philosophie Friedrich Nietzsches verknüpft.

Ressentiment-Gedanke in der Philosophie

Der dem moralphilosophischen Begriff zugrunde liegende Gedanke findet sich schon in Platons Dialog „Gorgias“; dort trägt Kallikles im Streitgespräch mit Sokrates seine Vorstellung vom „richtigen Leben“ vor:

„[W]ie könnte wohl ein Mensch glückselig sein, der irgend wem diente? Sondern das ist eben das von Natur Schöne und Rechte, was ich dir nun ganz frei heraus sage, daß wer richtig leben will, seine Begierden muß so groß werden lassen als möglich, und sie nicht einzwängen; und diesen, wie groß sie auch sind, muß er dennoch Genüge zu leisten vermögen durch Tapferkeit und Einsicht, und worauf seine Begierde jedesmal geht sie befriedigen. Allein dies, meine ich, sind eben die Meisten nicht im Stande, weshalb sie grade solche Menschen tadeln aus Scham, ihr eignes Unvermögen verbergend, und sagen, die Ungebundenheit sei etwas Schändliches, um, wie ich auch vorher schon sagte, die von Natur besseren Menschen einzuzwängen; und weil sie selbst ihren Lüsten keine Befriedigung zu verschaffen vermögen, so loben sie die Besonnenheit und die Gerechtigkeit, ihrer eigenen Unmännlichkeit wegen.“[3]

Kallikles sieht in aller einschränkenden Moral das Wirken beschämter Ohnmacht. Sokrates begrüßt den Freimut dieses Bekenntnisses zum uneingeschränkten Lust- und Machtprinzip und widerlegt die Gleichsetzung von Gut und lustvoll bzw. angenehm.

Die früheste Quelle für den Gebrauch des Wortes dürfte der Essay Montaignes Feigheit ist die Mutter der Grausamkeit sein.[4] Ressentiment ist hier das Gefühl, das der Überlegene im Kampf dem Unterlegenen beibringt, indem er auf die Tötung verzichtet und somit seine Überlegenheit nachhaltig in dessen Bewusstsein verankert. Als verfeinerte Stufe der Vergeltung bejaht Montaigne die Erzeugung des Ressentiments durch das Leben-Lassen gegenüber dem barbarischen Töten des Feindes, welches Zeichen der nicht überwundenen Angst und also der Feigheit und des Ressentiments auf Seiten des Siegers sei.[5]

Nietzsche

Friedrich Nietzsche gewinnt seinen Ressentiment-Begriff in der Auseinandersetzung mit Eugen Dühring, der den Begriff in die deutschsprachige philosophische Debatte einführt und zugleich dessen radikale, wertpolemische Verwendung vorgibt.[6] Dühring hatte -in einer Art Neuauflage der Kallikleischen Argumentation- alle Rechtsbegriffe, insbesondere den grundlegenden der Gerechtigkeit überhaupt, die dem Naturrecht des Stärkeren entgegentreten, aus dem Ressentiment erklärt (Der Werth des Lebens, 1865). In Gegensatz dazu tritt nun Nietzsche, der zwar ebenso keine "höheren", den realen Machtverhältnissen übergeordneten Werte anerkennt, jedoch eine immanente Gerechtigkeit zwischen Ebenbürtigen bzw. Gleichstarken annimmt.

Nietzsche beschreibt die „Psychologie des Ressentiments“ als Selbstvergiftung durch gehemmte Rache: „Einen Rachegedanken haben und ihn ausführen, heißt einen heftigen Fieberanfall bekommen, der aber vorübergeht: einen Rachegedanken aber haben, ohne Kraft und Mut ihn auszuführen, heißt […] eine Vergiftung an Leib und Seele mit sich herumtragen.“[7]

In der Genealogie der Moral (1887) wendet Nietzsche diesen Gedanken auf die „Historie der Moral“ an. Die Vergiftung durch das Ressentiment korrumpiert die allgemeinen Wertschätzungen: „Während der vornehme Mensch vor sich selbst mit Vertrauen und Offenheit lebt (gennaios ‚edelbürtig‘ unterstreicht die nuance ‚aufrichtig‘ und auch wohl ‚naiv‘), so ist der Mensch des Ressentiment weder aufrichtig, noch naiv, noch mit sich selber ehrlich und geradezu. Seine Seele schielt; sein Geist liebt Schlupfwinkel, Schleichwege und Hintertüren, alles Versteckte mutet ihn an als seine Welt, seine Sicherheit, sein Labsal; er versteht sich auf das Schweigen, das Nicht-Vergessen, das Warten, das vorläufige Sich-verkleinern, Sich-demütigen.“[8]

Das Ressentiment findet seinen wert- und weltgeschichtlichen Niederschlag in der jüdisch-christlichen Moral, die als Sklavenmoral von reaktivem, verneinenden Charakter der vornehmen, bejahenden, Herrenmoral der Römer gegenübergestellt wird. An die Stelle der ursprünglichen, „vornehmen“ Schätzwerte „gut“ vs „schlecht“ tritt nun die Moral von „gut“ und „böse“. Durch die Zurückdrängung des ursprünglichen Racheimpulses (durch Delegation der Rache an Gott bzw. Delegation der Strafe an den Staat) wird eine Verinnerlichung des Menschen erzwungen, die zur Ausbildung der moralischen Begriffe (Sünde, Schuld, Gewissen) im modernen Sinn führt. Diese jedoch verleugnen, so Nietzsche, ihre Herkunft aus dem Ressentiment und beanspruchen Absolutheit, was eine „Kritik der moralischen Werte“ als Frage nach dem „Wert der Werte“ notwendig macht. Dieser Kritik unterliegen insbesondere die modernen europäischen Demokratien, deren grundlegenden Wert Nietzsche als „Wille zur Gleichheit historisch aus der Ressentiment-Moral herleitet. Sie mündet in der moralischen Utopie des Übermenschen als Befreiung vom „Geist der Rache“ überhaupt.[9]

Max Scheler

Eine phänomenologische Analyse des Ressentiments im kritischen Anschluss an Nietzsche hat Max Scheler in Das Ressentiment im Aufbau der Moralen (1912) geliefert. Scheler geht es insbesondere um eine Rehabilitierung der christlichen Ethik gegenüber dem universalen Ressentimentverdacht Nietzsches.[10]

Er präzisiert den Begriff als „dauernde psychische Einstellung, die durch systematisch geübte Zurückdrängung von Entladungen gewisser Gemütsbewegungen und Affekte entsteht, welche an sich normal sind und zum Grundbestande der menschlichen Natur gehören“, was zu einer spezifischen Deformation der Wertwahrnehmung führt: Beim Ressentiment handelt es sich um „das wiederholte Durch- und Nachleben einer bestimmten [feindseligen] emotionalen Antwortreaktion gegen einen anderen“, die den Kern der Persönlichkeit tangiert, ohne sich in deren spontanen Ausdrucks- und Handlungsbewegungen zu manifestieren.

Ohnmächtig zur Rache am Verursacher rächt sich das im Ressentiment „verbissene“ Bewusstsein am transzendenten Wert durch Herabwürdigung („Detraktion“) bzw. Entwertung desselben. Was sich in Vorstufen des eigentlichen Ressentiments etwa als masochistische „Rachsucht“ äußert, welche „Vorfälle, die Anlaß zu einem inneren Racheakt geben können, […] geradezu […] triebartig“ aufsucht, zeigt sich charakteristischerweise in der von Scheler so genannten typischen „Ressentimentkritik“ (Genitivus subjektivus): Deren negativistische Grundhaltung zielt nicht auf Verbesserung des Kritisierten, sondern findet ihre Befriedigung im „Hochgefühl der grundsätzlichen Opposition“.

Max Webers Religionssoziologie

Mit einschränkender Kritik betrachtet auch Max Weber den Beitrag des Ressentiments im Sinne Nietzsches zu religiösen Wertvorstellungen der sog. „Pariareligiosität“. Der Einfluss des Ressentiments auf die „Theodizee des Leidens“ der Unterdrückten sei entgegen der unterstellten generellen Zuständigkeit eher gering, wenn auch nicht völlig zu vernachlässigen.

Tiefenpsychologie

Der Psychoanalytiker Léon Wurmser sucht den Ressentimentbegriff für die Tiefenpsychologie fruchtbar zu machen. In der Auseinandersetzung mit Nietzsche sieht er in dessen Verherrlichung der Stärke selbst das Ressentiment wirksam als „Kampf gegen die Scham“.

Der Psychiater und Psychotherapeut Michael Linden beschreibt neuerdings eine posttraumatische Verbitterungsstörung, die als extreme Ausprägung der Dynamik des Ressentiments verstanden werden kann.

Aktuelle Nachwirkung

In der gegenwärtigen Debatte greift der Medientheoretiker Norbert Bolz – unter Verkehrung der religiösen Vorzeichen gegenaufklärerisch – die Ressentimentkritik Nietzsches auf. In der Politikwissenschaft knüpft z. B. Roland Eckert an den aufklärerischen Ansatz von Nietzsche zur Erklärung politischen Bewegungen an.

Siehe auch

Weblinks

Wiktionary: Ressentiment – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. So bei Moliere, Le malade imaginaire, III. Akt, 14. Szene; Vgl. hierzu u. d. Folgenden: J. Ritter, K. Gründer(Hgg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 8, Sp. 919 ff.
  2. Historisches Wörterbuch der Philosophie, Sp. 921; Die Begründung dieses Wortgebrauchs finden die Autoren bei Balzac.
  3. Vgl. Gorgias, 491 ff.
  4. Essais, II.27.
  5. Vgl. Michel de Montaigne: Essais. Erste moderne Gesamtübersetzung v. Hans Stilett, Ffm. (BTB) 2000; Zweites Buch, S. 544–557.
  6. Diese Verwendung des Begriffs behauptet das wertstiftende Potential des Ressentiments, welche Werte dann, auf Grund ihrer unvornehmen Herkunft aus Rachsucht und Feigheit, als Pseudo-Werte desavouiert werden können. Eine in diesem Sinne nicht polemische Verwendung setzt allerdings den verletzten Wert der Entwicklung des Ressentiments voraus.
  7. Vgl. Menschliches, Allzumenschliches, Zweites Hauptstück. Zur Geschichte der moralischen Empfindungen, Aph. 60.
  8. Genealogie der Moral, Erste Abhandlung: »Gut und Böse«, »Gut und Schlecht«, 10.
  9. Vgl. Also sprach Zarathustra: Von den Taranteln; Von der Erlösung; s. a. Was bedeutet das "Ressentiment"? In: Nietzsche-online.
  10. Vgl. hierzu u. d. Folgenden: Max Scheler: Das Ressentiment im Aufbau der Moralen, Hg. Manfred S. Frings, Ffm. (Klostermann) 2. Auflage 2004.
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