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Religionsethnologie

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Religionsethnologie (lateinisch religio „gewissenhafte Berücksichtigung“, altgriechisch ethnos „Volk“, und -logie) ist ein Fachgebiet der Ethnologie (Völkerkunde) und untersucht Religionen bei den weltweit 1300[1] Ethnien und indigenen Völkern, in Abgrenzung zur Religionssoziologie vor allem bei (ehemals) schriftlosen Kulturen.[2] Religionsethnologie ist somit auch ein Teilbereich der Religionswissenschaft. Sie beschäftigt sich vornehmlich mit folgenden Fragen:

Es geht dabei in der Regel nicht um theologisch-philosophische Wahrheitsdebatten, sondern es wird versucht, Fragen zur gesellschaftlichen und individuellen Relevanz religiöser Anschauungen, Handlungsweisen und Erzeugnisse zu beantworten. Daher wird in der Forschung auch eher gelebte Religion beobachtet und weniger dozierte Religion ausgelegt. Da sie als Beobachter aber zu verstehen versucht, enthält sie sich bewusst eines wertenden Standpunkts.

Spezifizierte Teilgebiete der Religionsethnologie sind die Religions­ethnographie und die Religions­ethnohistorik.

Forschungsgegenstand der Religionsethnologie sind beispielsweise Mythen, Riten und Rituale, Opfer, Denkweisen, Zusammenhänge zwischen Wirtschaftsform, Sozialorganisation und Religion, sakrale Gegenstände, Umgang mit den Ahnen und Gottesvorstellungen.[3]

Geschichte

Als Begründer der Religionsethnologie gelten Edward Tylor, James Frazer und Émile Durkheim. Sie waren auch die ersten, die dabei den bewusstseinspsychologischen Aspekt in ihre religionsethnologischen Forschungen einbezogen haben. Einer der ersten, die den Begriff innerhalb von Buchtiteln angewandt haben, war Ferdinand Lipowsky. Das erste explizite Standardwerk dazu stammt von Carl August Schmitz.

Die frühe Religionsethnologie hatte sich vor allem mit der Frage beschäftigt, welchen Ursprung Religion hat. Man glaubte in sog. „primitiven“ Gesellschaften eine frühe Entwicklungsstufe der Menschheit erkennen zu können. Daraus wurden dann evolutionistische Religionsmodelle abgeleitet (so John Lubbock, James Frazer, Edward Tylor). Der Religionssoziologe Émile Durkheim hatte jedoch einen weit größeren Einfluss auf die Entwicklung der Religionsethnologie, als die Pioniere des Faches.[4]

Die evolutionistischen Theorien wurden später von Bronislaw Malinowski verworfen, er war der erste, der einen funktionalistischen Ansatz vertrat, wodurch ein Paradigmenwechsel in der Religionsethnologie eingeleitet wurde. Von Malinowski stammt die Etablierung der wichtigsten Methode der Religionsethnologie, die teilnehmende Beobachtung.[4]

Der Strukturfunktionalismus Alfred R. Radcliffe-Browns orientierte sich mehr an Émile Durkheim, hier wird die Rolle der Religion nicht auf das Individuum bezogen, sondern auf gesellschaftliche Zusammenhänge, die Rolle der Religion wird in der Stabilisierung der Gesellschaft gesehen, indem durch diese Gruppenstrukturen aufrechterhalten werden.[5]

Bei Evans-Pritchard geht es nicht mehr um Funktionen von Religion, sondern um die Rekonstruktion religiöser Systeme in ihrer eigenen Logik, und das Verständlichmachen dieser Systeme durch ihre eigenen Voraussetzungen.[5]

Seit den 60er Jahren wandte man sich vermehrt der Analyse symbolischer Formen zu, hier sind Mary Douglas und Victor W. Turner zu nennen, die eine interpretative Wende eingeleitet hatten, die sich auch in anderen Kulturwissenschaften wiederfinden lässt.[5]

Einen bedeutenden Einfluss auf einen Paradigmenwechsel in der Ethnologie und Religionsethnologie hatte Clifford Geertz, man wandte sich allgemein von der Struktur zur Bedeutung, vom Funktionalen zum Inhaltlichen, das Interesse galt nun der Erforschung von Symbolsystemen und symbolischen Handlungen in den verschiedenen Kulturen. Ab den 80er Jahren wurde jedoch auch dieser Ansatz einer Kritik unterzogen, in den Vordergrund des Interesses und der Kritik traten damit der Ethnologe als Autor und die von ihm verfassten Schriften.[6]

Symbolforschung der Religionsethnologie

In Bezug auf die Religionswissenschaft besteht der wichtigste Beitrag der Religionsethnologie darin, dass sie die Aufmerksamkeit auf Symbolsysteme und deren Erforschung gerichtet hat. Claude Lévi-Strauss betrachtete es beispielsweise als Hauptaufgabe der Ethnologie, das symbolische Denken in seinen Grundstrukturen zu erforschen. Mit diesem Ansatz hat Levi-Strauss die Ethnologie stark erweitert, hin zu einer Anthropologie der Kommunikation. Edmund Leach hat daraufhin komplexe Systeme von Klassifikationen und Nomenklatur von Symbolen herausgearbeitet. Die Ethnologie richtet bei der Symbolforschung ihr Interesse vor allem auf Mythos und Ritual. Mary Douglas’ Ansatz war es zum Beispiel, die Zusammenhänge zwischen Ritualen und Gesellschaftsordnungen herzustellen, zu diesem Zweck erforschte sie die Symbolik körperlicher Erfahrungen, die nach Douglas’ Vorstellungen von sozialer Ordnung und ritueller Inszenierung symbolisch vermitteln. Dies stellt die Grundlage dar, kulturelle Strukturen festzustellen, die mit religiösen Verhaltensweisen verbunden sind.[7]

Victor W. Turner entwirft im Zusammenhang mit Forschungen zu Ritualen eine Theorie religiöser Symbolik. Rituale stellen für ihn ein Konglomerat von Symbolen dar. Durch eine Analyse dieser Symbole in ihren elementaren Zusammenstellungen versucht er, das Ritual zu entschlüsseln. Symbole werden als sehr komplex angesehen, da sie eine Vielzahl von Bedeutungen haben, im Ritual stellen sie gesellschaftliche und individuelle Zusammenhänge wie Konflikte, Wertvorstellungen, Hoffnungen, Widersprüche sinnlich erfassbar dar.[7]

Clifford Geertz gilt als bedeutendster Vertreter der symbolischen Richtung der Kulturanthropologie. Er ist auf die Untersuchung der verschiedenen kulturellen Symbolsysteme einer Gesellschaft, die auch die Religion einschließt, ausgerichtet. Seine Analyse der Symbole als Dichte Beschreibung soll die gesamte Komplexität symbolischer Bedeutungssysteme erfassen und nicht nur einzelne Daten präsentieren.[8]

Quelle

Literatur

  • Anton Quack: Heiler, Hexer und Schamanen. Die Religion der Stammeskulturen. 2004.
  • Ferdinand Lipowsky: Der historische Gottesbeweis und die neuere Religionsethnologie. Der religionshistorische Gottesbeweis als kausaler Gottesbeweis, 1938.
  • Carl August Schmitz: Religionsethnologie (Religions-Ethnologie). 1964.
  • Christa Bausch: Geburtsriten in Polynesien. Eine religionsethnologische Untersuchung. 1967.
  • Walter Hirschberg: Religionsethnologie und ethnohistorische Religionsforschung eine Gegenüberstellung. 1972; 1976.
  • Enrico Nodari: Religionsethnologische Analyse des Divinationsphänomens, dargestellt an ethnographischem Material aus Schwarzafrika. 1975.
  • Josef Franz Thiel: Ahnen, Geister, höchste Wesen religionsethnolog. Unters. im Zaïre-Kasai-Gebiet. 1977.
  • Gustav Ränk: Der mystische Ruto in der samischen Mythologie. Eine religionsethnologische Untersuchung. Almqvist Wiksell, Stockholm 1981 ISBN 91-22-00411-4.
  • Norbert Heck: Melanesische Kultbewegung als religionsethnologisches Phänomen und Problem einer verstehenden Ethnologie der Cargo-Erwartung als Sinnerfüllung täglicher Mühsal. 1982.
  • Ingrid Thurner: Die transzendenten und mythischen Wesen der San (Buschmänner) e. religionsethnolog. Analyse histor. Quellen. 1983.
  • Matthias Laubscher: Religionsethnologie. In: Fischer, Hans (Hg.): Ethnologie. Eine Einführung. Berlin 1983, S. 231-256.
  • Josef Franz Thiel: Religionsethnologie Grundbegriffe der Religionen schriftloser Völker. 1984.
  • Gabriele Weiss: Elementarreligionen. Eine Einführung in die Religionsethnologie. 5. Auflage. 1986.
  • RüdigerSchott: Afrikanische Erzählungen als religionsethnologische Quellen dargestellt am Beispiel von Erzählungen der Bulsa in Nordghana. 1990.
  • Phu'ó'c-Tha'o Hà: Der Mensch und das Universum Fragen und Antworten über Gott, Esoterik, Anthropologie, Religionsethnologie, Theosophie, Theologie, Weltreligionen und Cao-Daismus; (der große Weg der dritte Phase der Amnestie, Rettung, Erziehung und Erlösung Gottes). 1993.
  • Thomas Hauschild: Religionsethnologie. Dekonstruktion und Rekonstruktion. In: Schweizer, Th., M. Schweizer und W. Kokot (Hrsg.): Handbuch der Ethnologie. Berlin 1993, S. 305-330.
  • Eveline Dürr: Religionsethnologische Beiträge zur Amerikanistik. 1997.
  • Nils-ArvidBringéus: Volksfrömmigkeit schwedische religionsethnologische Studien. 2000.
  • Roland Mischung: Religionsethnologie. In: H. Fischer, B. Beer (Hrsg.): Ethnologie. Einführung und Überblick. 5. Auflage. Berlin 2003, S. 197–220.
  • Fritz-Bronislaw Malinowski Stolz, Axel In-Michaels (Hrsg.): Klassiker der Religionswissenschaft. 1997, S. 247–263.
  • Klaus Hock: Einführung in die Religionswissenschaft. 2. Auflage. WBG, Darmstadt 2006, ISBN 978-3-534-24664-9.
  • Bettina E.Schmidt: Einführung in die Religionsethnologie. Ideen und Konzepte. Reimer, Berlin 2008.

Weblinks

 Themenliste: Religionsethnologie – Übersicht völkerkundlicher Artikel im Portal:Ethnologie

Einzelnachweise

  1. Der Ethnographic Atlas des amerikanischen Anthropologen George P. Murdock enthält mittlerweile Datensätze zu 1300 Ethnien (Stand Dezember 2012 im InterSciWiki), von denen oft nur Stichproben ausgewertet wurden und werden, beispielsweise im HRAF-Projekt.
  2. Klaus Hock: Einführung in die Religionswissenschaft. 2. Auflage. WBG, Darmstadt 2006, S. 110.
  3. Klaus Hock: Einführung in die Religionswissenschaft. 2. Auflage. WBG, Darmstadt 2006, S. 115–127.
  4. 4,0 4,1 Klaus Hock: Einführung in die Religionswissenschaft. 2. Auflage. WBG, Darmstadt 2006, S. 112.
  5. 5,0 5,1 5,2 Klaus Hock: Einführung in die Religionswissenschaft. 2. Auflage. WBG, Darmstadt 2006, S. 113.
  6. Klaus Hock: Einführung in die Religionswissenschaft. 2. Auflage. WBG, Darmstadt 2006, S. 115.
  7. 7,0 7,1 Klaus Hock: Einführung in die Religionswissenschaft. 2. Auflage. WBG, Darmstadt 2006, S. 125.
  8. Klaus Hock: Einführung in die Religionswissenschaft. 2. Auflage. WBG, Darmstadt 2006, S. 126.
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