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Reichsgraf

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Reichsgraf war eine – nicht offizielle – Standesbezeichnung im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Einerseits wurden damit gelegentlich die Inhaber einer reichsunmittelbaren Grafschaft bezeichnet (die man auch gefürstete Grafen genannt hat) und die zumeist Anfang des 19. Jahrhunderts als „Standesherren“ durch die Mediatisierung ihre Souveränität und Reichsstandschaft verloren, jedoch weiterhin dem Hochadel angehörten; andererseits wurden manchmal auch die gewöhnlichen Grafen so bezeichnet, sofern dieser Titel als Standeserhöhung durch den römisch-deutschen Kaiser verliehen und daher im ganzen Reich gültig war. Es handelte sich jedoch in dieser Form nie um einen offiziellen Titel.

Reichsgraf als Inhaber eines reichsunmittelbaren Territoriums

Sitzung des Immerwährenden Reichstags in Regensburg im Jahr 1640 (nach einem Stich von Matthäus Merian)

Die Inhaber einer Grafschaft, die unmittelbar dem Kaiser unterstand und sonst keiner anderen weltlichen Obrigkeit unterworfen war (einer Reichsgrafschaft), wurden als reichsunmittelbare Grafen bezeichnet. Ihre besondere politische Stellung bildete sich seit dem Mittelalter heraus und blieb bis zur Auflösung des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation 1806 bestehen.

Ursprung

Im Merowinger- und Frankenreich war ein Graf königlicher Amtsträger, der in einer Verwaltungseinheit (Grafschaft, Gau) die königlichen Hoheitsrechte ausübte und in bestimmten Bereichen (Mark, Königsburg, Pfalz, Königsgut) Stellvertreter des Königs bzw. Kaisers war. Nach Entstehung der jüngeren Stammesherzogtümer wurden die bisherigen Grafen Vasallen der Herzöge in ihrem Stammesgebiet. Seit den Ottonen wandelte sich die Bedeutung des Grafentitels durch seine zunehmende Erblichkeit und die Einbindung ins Lehnssystem vom ursprünglichen Amt zum Begriff für die zusammengefassten Rechte eines Adligen in einem bestimmten Bereich. Die Grafenrechte wurden durch Tausch, Verkauf und Erbteilungen immer mehr privatrechtlich behandelt. Dadurch zersplitterten die alten Grafschaften immer mehr und wurden mit anderen Rechten zu neuen verkleinerten Grafschaften zusammengefasst. Außerdem wurden auch viele Grafschaften an Bischöfe und Erzbischöfe verschenkt, damit der unmittelbaren Herrschaft des Königs entzogen, und unter mehreren Vasallen verteilt. Als äußeres Zeichen dieser Entwicklung setzte sich vermehrt die Bezeichnung der Grafschaft nach dem Herrschaftsmittelpunkt des Grafen anstatt nach der Lage in einem Gau für die Grafschaft durch. Da die Könige und Kaiser neben diesen Titeln auch noch andere eigene Besitztümer wie Grafschaften, Herzogtümer oder Königsgut besaßen, verblieben dennoch viele Territorien, die nach dem Ende der Stauferzeit reichsunmittelbar werden konnten. Daneben gelang es vielen Grafen, die in der Frühzeit Vasallen von Stammesherzögen oder Bischöfen waren, sich mit der Zeit aus deren Lehenshoheit zu lösen. Aus all diesen Grafschaften entwickelten sich viele, die mit der Zeit nur noch als unmittelbar dem Kaiser unterstellt galten, und deren Inhaber Reichsgraf bzw. reichsunmittelbarer Graf waren und Sitz und Stimme im Reichstag erhielten.

Macht und politische Rolle

Sitz und Stimme im Reichstag machten ihn zum reichsunmittelbaren und standesherrlichen Grafen. 1521 gab es im Heiligen Römischen Reich 144 Reichsgrafschaften, 1792 nur noch 99. Gründe für diese Abnahme sind Standeserhebungen, Aussterben von Geschlechtern und Mediatisierung durch mächtigere Reichsfürsten. Reichsunmittelbare, standesherrliche Grafschaften bestanden besonders in den so genannten königsnahen Gebieten wie Schwaben oder Franken, waren aber auch im Nordwesten des Reiches zu finden.

Um ihre politischen Interessen wirksamer durchsetzen zu können und um ihre Unabhängigkeit zu bewahren, organisierten sich die standesherrlichen Grafen in Grafenvereinen und hielten Grafentage ab. Auf Reichstagen, beginnend im 16. Jahrhundert, und im Immerwährenden Reichstag bildeten die standesherrlichen Grafen innerhalb des Reichsfürstenrates Grafenbänke, auch Reichsgrafenkollegien genannt. Anfang des 16. Jahrhunderts entstanden das wetterauische und das schwäbische Reichsgrafenkollegium, zu denen 1640 noch das fränkische und 1653 das westfälische Reichsgrafenkollegium kamen. 1792 gab es vier Reichsgrafenbänke (geordnet nach Anzahl der intern stimmberechtigten Mitglieder):

  1. die (Niederrheinisch-)Westfälische Grafenbank (33)
  2. die Wetterauische Grafenbank (25)
  3. die Schwäbische Grafenbank (24)
  4. die Fränkische Grafenbank (17)

Ende der Reichsunmittelbarkeit

Mit der Rheinbundakte und Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 1806 wurden die meisten reichsunmittelbaren Grafschaften mediatisiert und fielen an benachbarte größere deutsche Staaten.

Die betroffenen, bis dahin reichsunmittelbaren, standesherrlichen Grafengeschlechter behielten nach den Abmachungen des Wiener Kongresses jedoch ausdrücklich ihren Rang als Standesherren und galten damit den regierenden Häusern als ebenbürtig.

Wenige Ausnahmefälle bestanden innerhalb des Rheinbundes einige Jahre länger, meist nach Erhebung zu Fürstentümern durch Napoleon, und wurden spätestens 1815 durch den Wiener Kongress mediatisiert. Dieses Datum überdauerten wiederum nur die ehemaligen Reichsgrafschaften Lippe, Reuß (mehrere Linien) und Schaumburg-Lippe, die als Fürstentümer bis 1918 weiterbestanden.

Reichsgraf als Inhaber eines im ganzen Reich gültigen Titels

Diplom über die Erhebung des Freiherrn Anton Schenk von Stauffenberg (Wilflinger Linie) in den Reichsgrafenstand durch Kaiser Joseph II., 1785

Als Reichsgrafen wurden auch solche Träger des Adelstitels Graf bezeichnet, die ihren Grafenstand durch eine Urkunde des römisch-deutschen Kaisers oder eines Reichsvikars verliehen bekommen hatten. Da während der Sedisvakanzen des Kaiserthrons der jeweilige Reichsvikar diese Kompetenz innehatte, erfolgten gerade in diesen Phasen – gegen Zahlung – weitaus mehr „Grafungen“ als durch die Kaiser selbst.

Eine durch den Kaiser ausgesprochene Standeserhöhung war, soweit nicht ausdrücklich anders vorgesehen, im ganzen Reich anerkannt und bedurfte keiner weiteren Naturalisierung durch die reichsunmittelbaren Fürsten. Demgegenüber galten Standeserhöhungen, die nicht durch den Kaiser vorgenommen wurden, grundsätzlich nur in den Ländern des nobilitierenden Landesherrn. Auf diese Weise konnte etwa ein König von Preußen nur einen Titel mit Gültigkeit innerhalb des Königreichs Preußen verleihen, womit aber auch nur die außerhalb des Reichsgebiets gelegenen, ursprünglich polnischen Thronlehen Ostpreußen und Westpreußen gemeint waren, nicht aber das wesentlich größere Kurfürstentum Brandenburg auf Reichsgebiet; die übrigen Kurfürsten oder geringeren Reichsstände mussten indes immer beim Kaiser um Erhebung nachsuchen. Hingegen konnte der römisch-deutsche Kaiser aus dem Haus Habsburg entweder einen erbländisch-österreichischen Titel verleihen (in seiner Eigenschaft als Regent der habsburgischen Erblande, insbesondere als König von Böhmen oder Ungarn, mit Gültigkeit des Titels nur für dieses Gebiet) oder aber einen Titel des Heiligen Römischen Reiches (in seiner Eigenschaft als Kaiser, mit Gültigkeit des Titels im gesamten Heiligen Römischen Reich).

Eine Höherstellung gegenüber von anderen Monarchen erhobenen (nicht-standesherrlichen) Grafen war damit nicht verbunden, auch keine Reichsstandschaft oder Zugehörigkeit zum Hochadel. Im 17. und 18. Jahrhundert lautete die Bezeichnung daher (zum Beispiel in Urkunden) gelegentlich „Des heiligen römischen Reichs Graf von ...“. Die Bezeichnung Reichsgraf ist zumeist erst im 19. Jahrhundert aufgekommen, vor dem Hintergrund einer romantischen Sehnsucht nach der untergegangenen Reichseinheit, und stellte keinen offiziell zu führenden Titel dar, sondern diente lediglich – einordnend und beschreibend – der Unterscheidung von solchen Grafenerhebungen, die nicht durch den römisch-deutschen Kaiser zu Zeiten des Alten Reichs erfolgt waren. Von den Heroldsämtern wurde die Führung des (so nicht existenten) Titels „Reichsgraf“ untersagt, auch der Deutsche Adelsrechtsausschuß widerspricht der zumeist gutgläubigen, jedoch traditionswidrigen Führung dieses niemals offiziell verliehenen Titels, der auch als Teil des Familiennamens kaum je Eingang in die Pässe gefunden haben dürfte. Das Deutsche Adelsblatt lässt daher grundsätzlich das Reichs- in allen Familienanzeigen heraus.

Die „vom Reich Gegraften“ besaßen in der Regel keine Reichsstandschaft (wie die reichsunmittelbaren); allerdings gab es bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts auch Ausnahmen, die sogenannten Personalisten: Bis 1653 konnte die Reichsstandschaft vom Kaiser auch solchen Personen verliehen werden, die über kein reichsunmittelbares Territorium verfügten. Später war zum Erwerb der Reichsstandschaft zumeist der Besitz eines reichsunmittelbaren Territoriums, die Zustimmung des betreffenden Kollegiums und die Einwilligung des Kaisers erforderlich (Kooption und Admission).

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