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Parlamentarisches Regierungssystem

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Dieser Artikel behandelt das Regierungssystem als Gegenentwurf zum präsidentiellen Regierungssystem. Parlamentarische Demokratie wird auch häufig synonym zu Repräsentative Demokratie verwendet.
Weltkarte über die Regierungssysteme
Regierungssysteme der Welt
Stand: 2011

Als parlamentarisches Regierungssystem bezeichnet man jene Ausformungen parlamentarischer Systeme westlicher Demokratien, in denen die Regierung zu ihrer Wahl und in ihrer Amtsausübung auf die direkte oder indirekte Unterstützung durch das Parlament angewiesen ist. Hierbei sind die beiden Institutionen personell miteinander verzahnt und das Parlament besitzt ausgeprägte Kompetenzen, in erster Linie die Wahl und Absetzung der Regierung. Bedeutend ist auch, dass der Vorsitzende der Regierung (also der Chef wie beispielsweise der Kanzler oder ein Ministerpräsident) vom Parlament gewählt wird und erweiterte Rechte gegenüber den Ministern besitzt.

Den alternativ bekannten Typ des demokratischen Regierungssystems nennt man Präsidialdemokratie mit dem Prototyp der Vereinigten Staaten von Amerika. Die Mischform mit Elementen beider Typen nennt man semipräsidentielles Regierungssystem, wobei ein ausgeprägtes Beispiel in der Fünften Französischen Republik vorzufinden ist.

Begriffliche und institutionelle Entwicklung

Begrifflich stammt „Parlament“ vom altfranzösischen Wort „parlement“ – sprechen, sich unterhalten – ab; der französische Begriff taucht erstmals im 12. Jahrhundert auf als Bezeichnung für die Reichsversammlungen der fränkischen Könige. Im England des 13. Jahrhunderts wurde die Unterredung des Königs mit den Ständen als „parliamentum“ bezeichnet, welche den Ursprung des heutigen Parlamentarismus bildet. Erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts verbreitet sich der Begriff auch in Deutschland, steht aber nach wie vor in gewisser Konkurrenz zu Begriffen wie „Tag“ oder „Versammlung“ (Bundestag, Landtag).

Unter der Herrschaft vom König Alfons IX. wurden die „Cortes“ des Jahres 1188 in der Stadt León gehalten, d. h. das erste europäische Parlament (Sp. Cortes, Ständeversammlung) mit der Beteiligung des dritten Etats (die Bourgeoisie der Städte). In diesem Parlament wurden die Unverletzlichkeit der Privatwohnung und die Unverletzlichkeit der Post anerkannt, sowie die Notwendigkeit für den König, das Parlament einzuberufen, um den Krieg zu erklären oder den Frieden zu schließen. Verschiedene individuelle und kollektive Rechte wurden garantiert. Die Cortes von Benavente (im Jahr 1202) erweiterten die Grund- und Wirtschaftsrechte des Königreichs León und seiner Bewohner (Keane 2009: 169–176).[1]

Als Ursprungsland des Parlamentarismus wird gemeinhin das englische System erachtet, welche auf eine kontinuierliche, 800-jährige relativ ungebrochene Evolution politischer Institutionen hin zu dem heutigen System aufweist. Aus den königlichen Beratern entwickelte sich mit der Ausbildung des englischen Feudalsystems der „Rat des Königs“ (curia regis), der sich nach und nach ein Mitspracherecht unter anderem bei der Steuererhebung aneignete. Im 13. Jahrhundert wurde dieses Gremium dann um die „commons“, d. h. Bürgerliche (Handwerker, Gildenmitglieder, Händler und Ritter) erweitert, und somit eine zweite Kammer etabliert. Die beiden Kammern konnten nach und nach ihre Rechte im Budgetrecht erweitern. Das Budgetrecht war somit eine der ersten Kompetenzen, die sich die Kerne zukünftiger Parlamente gegenüber den Monarchen erstreiten konnten, und über welches sie im Zeitverlauf immer wieder auch andere Politikbereiche indirekt auch gegen den Willen der Monarchen beeinflussen konnten (engl. power of the purse, „Macht des Geldbeutels“). Außer in Russland, Dänemark und Norwegen setzte sich durch, dass die Erhebung von Abgaben (über die feudalen hinaus) nicht ohne Zustimmung der Betroffenen erfolgen durfte, das Steuerbewilligungsrecht der Stände blieb in den meisten Ländern bis in das 17. Jahrhundert hinein erhalten (außer in Frankreich, in dem sie es 1440 wieder verloren). Die „Power of the Purse“ half den Parlamenten somit, sich unentbehrlich zu machen und führte zu einer schrittweisen Konzentration von Souveränität in den Parlamenten.

Konfiguration des parlamentarischen Systems

Je nach Herangehensweise haben verschiedene Autoren zu unterschiedlichen Zeiten versucht, parlamentarische Systeme zu beschreiben bzw. zu umschreiben. Der Politikwissenschaftler Klaus von Beyme stellt folgenden Katalog auf:

  1. Eine enge Verbindung zwischen Exekutive und Legislative, verbunden mit der Kompatibilität von Abgeordnetenmandat und Ministeramt (fehlt aber z. B. in Luxemburg oder Niederlande).
  2. Premierminister und übrige Minister stammen in der Regel aus dem Parlament; einzelne Ressorts (Außen-, Verteidigungs- und technisches Ministeramt) hatten dabei lange die Tendenz, Experten von außerhalb anzuziehen.
  3. Die Regierung muss zurücktreten (demissionieren), wenn die Parlamentsmehrheit ihr das Vertrauen entzieht (politische oder parlamentarische Ministerverantwortlichkeit); meist entwickelte sich ein Misstrauensvotum, sonst auch Vertrauensfrage der Regierung, oder feindliche Abstimmung/Budgetverweigerung des Parlaments.
  4. Das Parlament hat das Recht, durch Interpellationen (förmliche Anfrage) die Regierung zu kontrollieren, sowie sich Informationen über andere Hilfsmittel wie Untersuchungsausschüsse zu verschaffen; dadurch wird die Entscheidung über die Anwendung der Sanktion Vertrauensmechanismus erleichtert; auch diente manchmal das Budgetrecht als Sanktion.

Klassifikation eines parlamentarischen Systems

Weitere Möglichkeiten für die Klassifikation eines Systems als parlamentarisch:

  • Die Kompatibilität von Parlamentsmandat und Regierungsamt
    Im parlamentarischen System ist die Bekleidung eines Regierungsamts und eines Parlamentsmandats durch eine Person rechtlich zulässig und zudem politisch notwendig. In einigen politischen Systemen, wie dem des Vereinigten Königreichs, müssen die Minister gar aus den Reihen des Parlaments hervorgehen. Diese Kompatibilität führt zu einer personellen Verschränkung der beiden Staatsgewalten Exekutive und Legislative, berührt jedoch nicht deren institutionelle Teilung.
  • Die Absetzbarkeit der Regierung durch das Parlament
    Die Funktion der Regierungskontrolle kommt in parlamentarischen Systemen vornehmlich dadurch zum Ausdruck, dass das Parlament befähigt ist, die Regierung aus politischen Gründen abzusetzen. Dies erfolgt durch das so genannte Misstrauensvotum, welches die Regierung zum Abdanken verpflichtet und die Neuwahl des Regierungsoberhauptes zur Folge hat. Diese Kompetenz kann sich auch auf einzelne Minister beziehen. Der Auftrag zur Regierungsbestellung hingegen liegt zwar häufig beim Parlament, ist aber kein zwingender Bestandteil dieses Systemtyps. Durch diesen Umstand ist die Regierung in der Erhaltung ihres Amtes vom Parlament abhängig.
  • Auflösbarkeit des Parlaments durch die Regierung
    Die Regierung behält sich das Recht vor, das Parlament aufzulösen. Somit ist auch das Parlament graduell von der Regierung abhängig, wenngleich eine Auflösung des Parlaments im parlamentarischen System den Rücktritt der Regierung zur Folge hat.

Primärmerkmale

Die oben genannten Konfigurationen haben bestimmte Auswirkungen auf die Zusammenarbeit von Parlament und Regierung sowie die innere Struktur des Parlaments, die sich wie folgt gestaltet:

  • Strikte Partei- und Fraktionsdisziplin
    Da Parlament und Regierung derart voneinander abhängig sind, ist es zugunsten einer stabilen Regierung unerlässlich, dass das Regierungsoberhaupt seine Partei bzw. Fraktion im Parlament unter Kontrolle hat. Im Gegensatz zu präsidentiellen Systemen gestaltet sich die Bindung der Parlamentarier daher zu Gunsten der eigenen Partei bzw. Fraktion und zu Ungunsten des jeweiligen Wahlkreises. Demgegenüber steht das Prinzip des freien Mandats, welches dem Abgeordneten bei einzelnen Entscheidungen eine Gewissensfreiheit einräumt.
  • Die Regierungsmehrheit
    Als Regierungsmehrheit gilt die Menge der Abgeordneten im Parlament, welche durch ihre Unterstützung die Regierung im Amt hält. Sie umfasst also sämtliche Regierungsmitglieder, die Angehörigen der Regierungspartei und eventuell die Koalitionsparteien. In präsidentiellen Systemen, wo die Regierung und ihr Oberhaupt unabhängig von parlamentarischen Mehrheiten sind, gibt es eine solche Regierungsmehrheit nicht.
  • Die klar erkennbare Opposition im Parlament
    Im Gegenzug zur Regierungsmehrheit gibt es auch eine erkennbare Opposition im Parlament. Anders gesprochen sind hier Regierung und Opposition im Parlament klar voneinander zu unterscheiden. Im präsidentiellen System hat diese Unterscheidung keine große Bedeutung, da dort der Präsident mit so genannten Ad-hoc-Mehrheiten regiert; solchen also, die sich nur für eine jeweilige Entscheidung und weitgehend unabhängig von strukturellen Partei- und Koalitionsgrenzen bilden. Die Opposition bringt ihre Position in den parlamentarischen Prozess ein und trägt dadurch zur Kontrolle der Regierungsarbeit bei. Dabei kann sie, abhängig vom jeweiligen Parteiensystem gar eine Gegenregierung für einen eventuellen Regierungswechsel bereitstellen, wie etwa das Schattenkabinett im britischen Unterhaus

Sekundärmerkmale

  • Die doppelte Spitze der Exekutive
    In parlamentarischen Systemen kennt die Exekutive zwei Oberhäupter; neben den Regierungschef tritt der Staatschef. Anders als im präsidentiellen System handelt es sich bei diesen Ämtern zwangsläufig um zwei verschiedene Organe (siehe Beispiel der Schweiz), die mit einer jeweils eigenen Legitimation ins Amt kommen. In Monarchien ist der Staatschef der Monarch; das Amt wird dabei vererbt. In Republiken hingegen wird er gewählt, entweder direkt vom Volk oder durch die Delegierten einer Versammlung. Der Regierungschef wird in beiden Fällen gewählt.

Parlamentarische Republik

Der Begriff parlamentarische Republik bezieht sich oftmals auf die republikanische Form des parlamentarischen Regierungssystems. Teilweise wird sie aber auch zur allgemeinen Klassifikation einer (semipräsidentiellen) Republik mit bedeutungsvollem Parlament verwendet. Im ersteren Fall bestehen die Aufgaben des Staatsoberhauptes, welches kein Monarch ist, sondern durch eine Wahl bestimmt wird, vor allem in der Repräsentation des Staates nach innen und außen. Neben der starken Stellung des Regierungschefs ist ebenfalls kennzeichnend, dass der Ministerpräsident vom Parlament gewählt wird und die Minister seines Kabinetts bestimmt. Die Regierung ist im Gegensatz zum Präsidialsystem unmittelbar vom Vertrauen des Parlaments abhängig. Das dieser Machtverteilung zugrundeliegende Prinzip ist der Parlamentarismus.

Da das Konzept der parlamentarischen Republik heterogen ist, genügt kein Blick in entsprechende Gesetzestexte. Die Kompetenzverteilung wird maßgeblich vom Durchsetzungsvermögen der Einzelpersonen in politischen Ämtern bestimmt. Dementsprechend gibt es folgende Kategorien:

Exekutivkooperation
Es handelt sich um eine Gleichverteilung des Einflusses zwischen den beiden Exekutivorganen Regierung und Staatsoberhaupt. Sie ist etwa in Italien oder Österreich anzutreffen.
Kanzlerdominanz
Von Kanzlerdominanz (auch Kanzlerdemokratie) spricht man, wenn der Regierungschef als maßgeblicher politischer Akteur auftritt. In der Bundesrepublik Deutschland spricht man immer in solchen Perioden von Kanzlerdominanz, in denen der derzeitige Bundeskanzler als starke Persönlichkeit auftritt; also etwa in den Zeiten Konrad Adenauers oder Helmut Schmidts. Ein viel zitiertes Gegenbeispiel stellt die Ära Kurt Georg Kiesingers dar.
Versammlungsdominanz
Dieser Subtyp des parlamentarischen Systems bezeichnet die dominante Stellung des Parlaments im Staat, ist jedoch heute nur mehr selten vorzufinden. In der Schweiz kann insofern davon gesprochen werden, als das Parlament die Mitglieder des aus Sicht der Checks and Balances relativ schwachen Bundesrates (die Schweizer Regierung) wählt (Art. 175 Bundesverfassung); im Gesetzgebungs-Prozess andererseits ist die Legislativ-Kompetenz des Parlaments durch die Möglichkeit, Referenden über Gesetze (Art. 138 ff. BV) zu erzwingen, zurückgebunden (Direkte Demokratie).

Parlamentarische Monarchie

Hauptartikel: Parlamentarische Monarchie

Innerhalb der monarchischen Form des parlamentarischen Regierungssystems kann der Monarch nicht tonangebend sein, da ihm dazu die obligatorische demokratische Legitimation fehlt. Stattdessen übernimmt er weitestgehend repräsentative Funktionen. Selbst in Monarchien, deren Gesetze dem Monarchen darüber weit hinausgehende Kompetenzen gewährleisten, nimmt er diese kaum noch wahr. Dominant ist hier der vom Parlament gewählte Regierungschef. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer Parlamentarischen Monarchie.

Die Rolle des Parlaments

Es ist ein bekanntes Paradoxon, dass gerade in parlamentarischen Systemen das Parlament über wenig Handlungsspielraum verfügt. Die folgende Untergliederung soll diesen Umstand erläutern:

Arbeitsparlament
Von Arbeitsparlamenten spricht man dann, wenn das Parlament neben dem Beschluss von Gesetzen auch wesentlich an deren Ausarbeitung und Einbringung in die parlamentarische Debatte beteiligt ist. Dafür bedient sich das Parlament seiner Ausschüsse.
Redeparlament
Ist das Parlament funktional auf Gesetzesbeschlüsse beschränkt und überlässt die Arbeit weitgehend der Regierung, spricht man vom Redeparlament. Gerade dieser Typus ist in parlamentarischen Demokratien häufig vorzufinden. Da gerade durch die Abhängigkeit der Regierung vom Parlament eine starke Fraktionsdisziplin vorherrscht, ist das Parlament in seiner Fähigkeit beschränkt, gegen die Regierung zu arbeiten. Diese verfügt schließlich über eine Mehrheit im Parlament und hat somit in der Regel mit keiner starken parlamentarischen Opposition zu rechnen. In diesem Fall beschränkt sich das Parlament weitgehend auf Debatten. Da jedoch, wie oben geschildert, die Regierungsmitglieder weitgehend dem Parlament angehören, nimmt es die Regierungskontrolle durch Befragungen wahr.

Literatur

  • Ernst Fraenkel, Karl-Dietrich Bracher (Hrsg.): Staat und Politik, Das Fischer Lexikon, Bd. 2, Frankfurt am Main 1964.
  • Jürgen Hartmann (Hrsg.): Westliche Regierungssysteme, Parlamentarismus, präsidentielles und semi-präsidentielles Regierungssystem. Aus: Grundwissen Politik, Bd. 29, Opladen 2000.
  • John Keane (Politikwissenschaftler, WZB Berlin): The Life and Death of Democracy, London 2009.
  • Stefan Marschall: Parlamentarismus. Eine Einführung. Nomos 2005.
  • Dieter Nohlen (Hrsg.): Lexikon der Politik, Bd. 5: Begriffe, München 1998.
  • Winfried Steffani: Parlamentarische und präsidentielle Demokratie. Strukturelle Aspekte westlicher Demokratien, Opladen 1979.
  • Winfried Steffani (Hrsg.): Regierungsmehrheit und Opposition in den Staaten der EG. Opladen 1991.
  • Winfried Steffani (Hrsg.): Zur Unterscheidung parlamentarischer und präsidentieller Regierungssysteme. In: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 14. Jg. (1983), Heft 3, S. 390–401.
  • Uwe Thaysen, Roger H. Davidson, Robert G. Livingstone (Hrsg.): US-Kongreß und Deutscher Bundestag. Bestandsaufnahme im Vergleich, Opladen 1988.
  • Quirin Weber: Parlament – Ort der politischen Entscheidung? Legitimationsprobleme des modernen Parlamentarismus – dargestellt am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland, Basel 2011, ISBN 978-3-7190-3123-7.

Weblinks

Einzelnachweise

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