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Ostforschung

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Ostforschung bezeichnete bis in die 1990er Jahre die Erforschung des deutschen Volkstums und der Kulturleistungen Deutscher in Ostmitteleuropa. Forschungsgegenstände waren Geschichte, Sprache, Migration, Recht, Religion und Geographie.

Unter dem Begriff „Ostforschung“ als zentralem Bestandteil der völkischen Wissenschaften wird heute dieser Teil deutscher Wissenschaft geschichtlich hinsichtlich Verlauf und Kontinuitäten bis in die 1990er Jahre erforscht und von einigen der betroffenen Institutionen selbstkritisch aufgearbeitet. Besonders diese Selbstreflexion bezeichnet einen Paradigmenwechsel und führt unter anderem zur Umbenennung von Instituten. So wurde beispielsweise die „Zeitschrift für Ostforschung“ in „Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung“ umbenannt. Der Begriff Ostforschung wird wie der Begriff Westforschung für aktuelle Forschungen heute kaum noch verwandt.

Geschichte der Ostforschung

Ihren Ursprung hat die Ostforschung in der im 18. Jahrhundert entstehenden Geschichtswissenschaft. Ihr ethnozentrierter Ansatz war eng verbunden mit der Deutschtums- und Volkskunde. Ihre ideologische Ausrichtung folgte den Grundsätzen des Vaterländischen und stand im Zeichen der Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871. Der Grundsatz des Vaterländischen wurde unkritisch übernommen und bildete den allgemeinen Rahmen. In ihrer deutsch-nationalen Ausrichtung wurden Kultur und Geschichte anderer Bewohner, besonders der jüdischen, polnischen, kaschubischen und tschechischen sowie die der Sinti und Roma ausgeblendet. Die durchgehende Ausrichtung ihrer Arbeit durch das politisch-ideologische Umfeld ist erst seit wenigen Jahren Gegenstand selbstkritischer Forschung.

Schutz des Auslandsdeutschtums

Geopolitische Vorstellungen des Alldeutschen Verbandes konnten sich bereits 1894 auf die Ostforschung stützen. Der „Schutz des Auslandsdeutschtums“ wurde zur aktiven Außenpolitik des Deutschen Reiches. Neben der Kolonialforschung diente auch die Ostforschung wesentlich zur Legitimierung dieser Politik. Nicht wenige Professoren und Intellektuelle der Ostforschung engagierten sich wissenschaftlich wie politisch für das Grenzlanddeutschtum und den Schutz deutscher Volksgruppen.

Zwischenkriegszeit

Auch nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg entwickelte die Ostforschung einen ausgeprägten Antislawismus und war an der Ausbildung der Herrenmenschenideologie beteiligt. Im Zentrum standen Rassenlehren und die Politikberatung, die einen „Lebensraum“ im Osten gewinnen wollte. Besonders die in der Ostforschung sich etablierende Volks- und Kulturbodenforschung verband sich eng mit dem „Volkstumskampf“. Die in der Ostforschung vielfach anzutreffende sozialdarwinistische Überzeugung führte zur Höherstellung der deutschen Kultur und zur Abwertung slawischer Kulturen.

Namhafte Wissenschaftler waren hier unter anderem der Sprach- und „Urheimatkundler“ Ernst Schwarz, die Historiker Albert Brackmann, Hermann Aubin, Kurt Oberdorffer, Erich Keyser, die Volkstumsforscher Max Hildebert Boehm, Herbert Cysarz, Erich Gierach, Emil Lehmann, die Geographen Albrecht Penck und Nikolaus Creutzburg, der Professor für Osteuropäische Geschichte Josef Pfitzner, der Völkerrechtler Hermann Raschhofer, der führende sudetendeutsche Volkskundler Bruno Schier wie auch Walter Kuhn, der Professor für Rechtsgeschichte an der Prager deutschen Universität Wilhelm Weizsäcker, der Nationalökonom Theodor Oberländer, der Rassenlehrer und Sozialanthropologe Karl Valentin Müller, der spätere NS-Historiker Theodor Mayer und der Geograph und Geopolitiker Karl Haushofer.

Politischen und ideologischen Einfluss auf die Ostforschung hatten unter anderem der Jurist und Politiker Rudolf Lodgman von Auen, der Geograph Friedrich Ratzel, der Volkspädagoge Rudolf Lochner, der Lehrerausbilder Eugen Lemberg, der Volkstumskämpfer Ernst Lehmann, der Redakteur und Volkstumspropagandist Hans Krebs, der Schriftsteller Guido von List, der Volkstumskämpfer und Finanzier Alfred Hugenberg und der Schriftsteller Hans Grimm.

Nationalsozialismus

Für die Außenpolitik des NS-Regimes bekam die Ostforschung eine politikberatende Funktion. Das Lebensraum-Konzept nahm eine zentrale ideologische Stellung ein. Personell gab es kaum Unterschiede zu den bisherigen Ostforschern, ihrer Methodik und ihrem Vokabular.

Ein noch recht unbeleuchteter Aspekt der NS-Ostforschung ist der „Kriegseinsatz der Wissenschaft“. Bei dieser Aktion durch verschiedene Kommissionen deutscher Wissenschaftler der Volkstumsforschung, die zum „Kriegseinsatz“ gebildet wurden, wurde sich der Archive, Bibliotheken und Museen der besetzten Länder bemächtigt.[1]

Frank-Rutger Hausmann analysierte 1999 erstmals in seinem Buch Deutsche Geisteswissenschaft im Zweiten Weltkrieg die 'Aktion Ritterbusch' (1940–1945), die Verbindungen der NS-Volkstumsforschung zu den Forschungen in der Zwischenkriegszeit, zu den NS-Ideologemen und der Verwendung ihrer Semantik, die interdisziplinären und mit den politischen Ideologien verbundenen Merkmale eines „Gemeinschaftswerks“, die Abwehr der Wissenschaftler nach dem Krieg, ihren durchdringenden Einfluss auf die bundesrepublikanischen Wissenschaften und ihre Versuche, die eigenen Arbeiten vom Nationalsozialismus zu trennen.

Hausmann zitierte die Krakauer Zeitung von 1941, um exemplarisch die ideologische Verbundenheit mit dem Nationalsozialismus und das Ziel einer Germanisierung Europas zu demonstrieren. In einem Zeitungsartikel über einen Bericht zur „Buch- und Dokumentenschau“ der Technischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg „Deutsche Wissenschaft im Kampf um Reich und Lebensraum“ heißt es: „Die deutsche Geisteswissenschaft hat sich im Kriege zu einer weltumspannenden Gemeinschaft zusammengefunden, um entscheidende Probleme der deutschen Lebensordnung, des deutschen Weltbildes und der Neugestaltung Europas auf Grund wissenschaftlicher Erkenntnis darzustellen“.

Im Zentrum des Ritterbusch-Unternehmens stand also die „Idee einer neuen Ordnung Europas“. Walther Wüst, der Kurator des „SS-Ahnenerbes“ und Günther Lutz formulierten das ideologische Konzept in „Wissenschaft als völkische Notwendigkeit – Kriegseinsatz, Aufgabe und Zukunft der deutschen Wissenschaft“ in der Zeitschrift „Deutscher Wissenschaftlicher Dienst (DWD)“, die Walther Wüst im Stuttgarter Kohlhammer Verlag herausgab.

Eine der ersten kritischen Abrechnungen mit der Rolle der Ostwissenschaften unter dem Nationalsozialismus war ein Vortrag von Werner Philipp, Ordinarius für osteuropäische Geschichte, den er anlässlich der Universitätstage 1966 der Freien Universität Berlin unter dem Titel „Nationalsozialismus und Ostwissenschaften“ gehalten hat.

Siehe auch: Generalplan Ost, Reinhard Heydrich-Stiftung, Karls-Universität Prag, Reichsgau Sudetenland, Gau, Lebensraum, Untermensch, Volkstumspolitik, Theodor Oberländer

Seit 1950

Überblick

Die Ergebnisse der Potsdamer Konferenz und die Ansprüche der Vertriebenen bestimmten wesentlich die Ostforschung

Nach 1945 reorganisierte sich die deutsche Ostforschung im Westen und in der späteren Bundesrepublik. Ein erstes Zentrum bildete sich 1950 in Marburg. Dort gründeten Bruno Schier, Eugen Lemberg, Hermann Aubin, Josef Hanika, Kurt Oberdorffer, Wilhelm Weizsäcker und andere bekannte Ostforscher den Johann Gottfried Herder-Forschungsrat. Dem Forschungsrat war ein Netzwerk von Wissenschaftlern und Vereinen angeschlossen, zu dem sich auch das Collegium Carolinum zählen kann.

„Zeitschrift für Ostforschung“ nannte sich 1952 das zentrale Publikationsorgan. Der Ostforscher Hermann Aubin wurde 1953 zum Präsidenten des Verbandes der Historiker Deutschlands gewählt. Auch in dieser Zeit und in dieser Funktion hob er den „Anteil der Germanen am Wiederaufbau des Abendlandes nach der Völkerwanderung“ hervor. Der gemeinnützige Verein wird seit 1950 bis heute durch Landes- und Staatsmittel gefördert.

Die Kontinuitäten in der Methodik, den Biographien und dem Vokabular der Ostforschung auch nach 1945 wurden erstmals seit den 1990er Jahren in Teilen der Ostforschung Gegenstand eigener Untersuchungen.

Der Kalte Krieg und die Vertriebenen-Problematik prägten die politischen Rahmenbedingungen der Ostforschung in der Nachkriegszeit. In dieser Zeit war die „Ostforschung“ der Bundesrepublik das ständige Ziel in der Regel scharfer polemischer Kritik seitens des Ostens, die dort in einer Fülle einschlägiger Publikationen ihren Niederschlag fand. In der DDR gab es sogar an der Humboldt-Universität in Berlin eine spezielle „Abteilung für Geschichte der imperialistischen Ostforschung“ mit eigenen Publikationsorganen, unter anderem den vertraulichen „Informationen über die imperialistische Ostforschung“, Jg.1. 1960ff.

Mit dem in den 1990er-Jahren einsetzenden Paradigmenwechsel in dieser Wissenschaft, begann sie sich für internationale Forschungsstandards zu öffnen. In Verbindung damit nennt sie sich nunmehr „Ostmitteleuropa-Forschung“ statt „Ostforschung“.

J. G. Herder-Forschungsrat und Herder-Institut e. V.

Johann Gottfried von Herder prägte den deutschen Volksbegriff und wurde Namenspatron der Ostforschung

Heute ist das im April 1950 gegründete Institut eine der zentralen Institutionen der historischen „Ostmitteleuropaforschung“. Der Begriff Ostforschung wird seit ca. 1994 nicht mehr verwendet. Geboten wird eine wissenschaftliche Serviceeinrichtung mit 42 festangestellten Mitarbeitern. Gesamtetat 3,67 Millionen Euro.

Eigenpublikationen der Ostforschung und der Ostmitteleuropa-Forschung zu ihrer Geschichte

  • Fünfunddreißig Jahre Forschung über Ostmitteleuropa. Veröffentlichungen der Mitglieder des J. G. Herder-Forschungsrates 1950–1984. Hrsg. v. J. G. Herder-Forschungsrat, Marburg/Lahn 1985.
  • Hugo Weczerka: Johann Gottfried Herder-Forschungsrat. In: Erwin Oberländer (Hrsg.): Geschichte Osteuropas. Zur Entwicklung einer historischen Disziplin in Deutschland, Österreich und der Schweiz 1945–1990. Stuttgart 1992, S. 256–275.
  • Hugo Weczerka (Hrsg.): Aspekte der Zusammenarbeit in der Ostmitteleuropa-Forschung. Tagung des Herder-Instituts und des J. G. Herder-Forschungsrates am 22./23. Februar 1994, Marburg 1996.
  • Die Arbeit des Forschungsverbundes Ostmitteleuropa in den Jahren 1990–1996. Historische Kommissionen. J. G. Herder-Forschungsrat mit seinen Fachkommissionen. Hrsg. als Manuskript des J. G. Herder-Forschungsrates. Marburg 1997. 63 S.
  • Hugo Weczerka: 1950 – 50. Gedenkjahr: Gründung des Johann Gottfried Herder-Forschungsrates und des Johann Gottfried Herder-Instituts in Marburg an der Lahn. In: Ostdeutsche Gedenktage 2000, Hrsg. Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, Bonn 1999, S. 384–392.

Konzepte

Zu den Konzepten und Paradigmen in der Ostforschung zählten unter anderem Bevölkerungswissenschaft/Demografie, die Deutsche Soziologie, Deutsche Volks- und Kulturbodenforschung, Kulturraumforschung und Raumordnung, Rassenkunde, Siedlungsgeschichte, Umvolkung, Volksgeschichte, Volkslehre, Volkssoziologie, Völkische Geographie, Deutsche Volkskunde und Raumforschung, Volksgruppenkunde.

Forschungs- und Publikationsprojekte

Forschungs- und Publikationsprojekte waren nach 1945 Auslandswissenschaften, Deutsche Ostsiedlung, Deutsche Volksliste, Atlas der Deutschen Volkskunde (ADV), Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ostmitteleuropa, Wörterbücher des Grenz- und Auslandsdeutschtums, Archivierung.

Publikationsorgane

Wichtige Publikationsorgane der Ostforschung waren Der Auslandsdeutsche, Deutsche Forschungen im Südosten, Jomsburg, Reich – Volksordnung – Lebensraum, Volk und Reich, Zeitschrift für Ostforschung und die vom Institut für deutsche Ostarbeit herausgegebene Zeitschrift Deutsche Forschung im Osten.

Polnische Westforschung

Die „Polnische Westforschung“, eine deutsche Wortschöpfung aus „polska myśl zachodnia“ (= „polnischer Westgedanke“), entwickelte sich als Antwort und wesentlich in Auseinandersetzung mit den in der deutschen Ostforschung in der Zwischenkriegszeit vertretenen Positionen, so dass sie, wie Jan M. Piskorski schreibt, „in gewissem Sinne ein nahezu getreues Spiegelbild der deutschen Ostforschung [wurde].“[2] Ihre Arbeit dauerte bis in die 1950er Jahre fort und legitimierte sich mit der „Rückkehr der deutschen Ostforschung auf das Feld der wissenschaftlich-publizistischen Auseinandersetzung“.[3] Ihr wichtigster Repräsentant war Zygmunt Wojciechowski, der von 1945 bis 1955 das in Posen ansässige Zentrum der Westforschung – das Instytut Zachodni (= West-Institut) – leitete. Mit neuer Orientierung, wobei Deutschland Schwerpunkt des Interesses bleibt, arbeitet das Institut seit dem Ende des Ost-West-Konflikts und der deutschen Wiedervereinigung weiter.

Literatur

  • Auf den Spuren der Ostforschung; Eine Sammlung von Beiträgen der Arbeitsgemeinschaft zur Bekämpfung der westdeutschen „Ostforschung“ beim Institut für Geschichte der europäischen Volksdemokratien, Leipzig 1962.
  • Michael Burleigh: Germany Turns Eastwards. A Study of ‚Ostforschung‘ in the Third Reich, Pan Books, London ²2002; ISBN 0-330-48840-6.
  • Jan M. Piskorski, Jörg Hackmann, Rudolf Jaworski (Hrsg.): Deutsche Ostforschung und polnische Westforschung im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik. Disziplinen im Vergleich, Osnabrück (fibre) 2003; ISBN 978-3-929759-58-7.
  • Gregor Thum (Hrsg.): Traumland Osten. Deutsche Bilder vom östlichen Europa im 20. Jahrhundert, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006; ISBN 3-525-36295-1.
  • Gunther Gebhardt, Oliver Geisler, Steffen Schröter (Hrsg.): Das Prinzip 'Osten'. Geschichte und Gegenwart eines symbolischen Raums. Transcript Verlag, Bielefeld, 2010. ISBN 978-3-8376-1564-7.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Das herausgearbeitet zu haben ist das lange vernachlässigte Verdienst von Michael Burleigh. 2001 stellte er im Vorwort zur Neuauflage seines 1988 zum ersten Mal erschienenen „Germany Turns Eastwards. A Study of ‚Ostforschung‘ in the Third Reich“ fest, dass sich inzwischen auch die deutsche Forschung für seinen dort behandelten Gegenstand interessiere: S. XI in Pan Books, London ²2002; ISBN 0-330-48840-6.
  2. Robert Brier: Der polnische „Westgedanke“ nach dem Zweiten Weltkrieg 1944–1950, Digitale Osteuropa-Bibliothek: Geschichte 3 (2003), URL: epub.ub.uni-muenchen.de (PDF; 828 kB) S. 13.
  3. Robert Brier: Der polnische „Westgedanke“ (2003), S. 84.
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