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Objektbeziehungstheorie

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Die Objektbeziehungstheorie ist eine ursprünglich auf Melanie Kleins Arbeiten zurückgehende Weiterentwicklung der psychoanalytischen Theorie. Unter dem Begriff Objektbeziehungstheorie werden unterschiedliche Ansätze zusammengefasst, denen gemeinsam ist, dass sie die zentrale Bedeutung der frühen Mutter-Kind-Beziehung und der Vorstellungen des Kindes über sich und seine Bezugspersonen für die spätere Beziehungsgestaltung und für die Persönlichkeitsentwicklung herausstellen. Ein weiteres gemeinsames Merkmal ist die Hervorhebung von Übertragung und Gegenübertragung in der Anwendung des psychotherapeutischen Konzeptes.

Der Begriff Objekt hat im psychoanalytischen Sprachgebrauch einen deutlichen Wandel erfahren: In der orthodoxen Psychoanalyse gilt es als eine Person oder ein Gegenstand, der eine Triebregung aufheben kann (z. B. eine Person, die sexuelle Befriedigung verschafft). In der Objektbeziehungstheorie bezeichnet der Begriff einen reagierenden Partner, also eine Person, die auf die Äußerungen des Subjekts eingeht. Der Begriff erhält somit eine stark gefühlsbetonte Bedeutung und wird nur noch sekundär als Ziel der Triebregungen verstanden.

Objektbeziehung bezeichnet dabei die Beziehung des Subjektes zu seiner Welt. Sie bezeichnet die phantasierte bzw. vorgestellte Beziehung zu einer Person, die durchaus von der realen Interaktion abweichen kann.[1][2]

Entwicklung und Positionen der Objektbeziehungstheorie

Die Einführung und Anerkennung der Objektbeziehungstheorien ist eine der bedeutendsten Entwicklungen innerhalb der Entwicklung der Psychoanalyse. Während die Psychoanalyse Freuds einen Schwerpunkt auf das Konzept der Triebtheorie legte und den Menschen dadurch (tendenziell) als Einzelwesen betrachtete, lenkte Melanie Klein die Aufmerksamkeit der Psychoanalyse verstärkt auf die frühkindliche Entwicklung und die Auswirkungen der frühen Beziehungen zu Bezugspersonen. Sie folgte damit der Tradition ungarischer Psychoanalytiker wie Sándor Ferenczi und Michael Balint.

Klein vertrat den Gedanken, dass die Art und Weise, wie ein Mensch die Welt wahrnimmt und mit welchen Erwartungen er an sie herantritt, durch seine Beziehungen zu wichtigen frühen Bezugspersonen („Objekten“) geprägt wird. Diese Objekte können, nach dem Prinzip der Idealisierung und Entwertung, entweder geliebt oder gehasst werden.

Zwischen Melanie Kleins objekttheoretischem Ansatz und der dominierenden Schule Anna Freuds bildete sich eine weitere Strömung, die ideengeschichtlich zwischen diesen beiden Polen zu verorten ist. Eine zentrale Rolle spielte die sogenannte „Britische Objektbeziehungstheorie“ um William R. D. Fairbairn (1889–1964), Harry Guntrip (welcher Freuds Theorien als biologistisch und inhuman kritisierte), John D. Sutherland und Donald Winnicott.

Fairbairn stellte sich anders als Klein auch gegen Freuds dualistisches Triebkonzept. Die von ihm eingeleitete radikale Wendung vom Trieb zu Objektbeziehungen wurde auch als „Kopernikanische Wende“ der psychoanalytischen Persönlichkeitsforschung bezeichnet. Auf Fairbairn bauten auch die Arbeiten von Daniel Stern und Otto F. Kernberg auf, die ein angeborenes Bedürfnis nach Beziehung und Bindung als grundlegend sowohl für die frühe Entwicklung als auch für die Therapie anerkennen. Im Zuge dieser Erkenntnis betonen sie die wichtige Bedeutung des Beziehungsgeschehens innerhalb der Therapie gegenüber der bloßen Deutung unbewusster Inhalte, die noch bei Freud im Zentrum der psychoanalytischen Tätigkeit stand.

Auch Donald W. Winnicott folgte Klein in ihren Annahmen, betonte aber, wie auch Fairbairn, die realen Umwelterfahrungen für die Entwicklung des Kindes gegenüber den Projektionen und phantasiemäßigenBesetzungen“, wie sie bei Freud noch im Zentrum der Betrachtung stehen. Eine bedeutende Stellung in Winnicotts Theorie nimmt dabei das sogenannte Übergangsobjekt ein, mit dessen Hilfe das Kind die Entwöhnung von der Mutterbrust und den Ausgang aus der engen symbiotischen Beziehung zur Mutter im Säuglingsalter verarbeitet und auffängt. Ein typisches Beispiel für ein Übergangsobjekt ist ein Kuscheltier oder eine Schmusedecke, die das Kind nicht mehr aus der Hand gibt.

Heinz Kohut entwickelte Kleins Ansatz zur Selbstpsychologie weiter. Diese untersucht, inwieweit ein Mensch Selbstobjekte (unterstützende Menschen, wichtige Gegenstände) benötigt, um die psychische Funktionsfähigkeit seines Selbst zu bewahren bzw. überhaupt erst aufzubauen.[3]

Auch Theorien aus dem Gebiet der Ich-Psychologie (Joseph Sandler, Entwicklungsmodell von Margaret Mahler, Jacobson u. a.) haben die Objektbeziehungstheorie stark beeinflusst und werden ihr häufig zugerechnet.

Eine Verbindung zwischen diesen Theorien und der empirischen Forschung schafft auch die Bindungstheorie von John Bowlby.

Insgesamt stellt die Objektbeziehungstheorie innerhalb der psychoanalytischen Theorie fast einen paradigmatischen Kurswechsel dar. Michael Balint kritisierte die orthodoxe Psychoanalyse mit ihrer Fokussierung auf das Phänomen der Triebe als eine „One Body Psychologie“. Mit der Hinwendung zur Erforschung der frühen Mutter-Kind-Interaktion wurde demgegenüber eine Umkehrung oder mindestens bedeutsame Erweiterung der Perspektive vollzogen.

Einzelnachweise

  1. Jean Laplanche, J. B. Pontalis: Vocabulaire de la Psychanalyse. 1967. (Das Vokabular der Psychoanalyse. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1973, ISBN 3-518-27607-7)
  2. W. Mertens: Einführung in die psychoanalytische Therapie. Band 1, Kohlhammer, Stuttgart 2000.
  3. Heinz Kohut: Narzißmus, Eine Theorie der psychoanalytischen Behandlung narzißtischer Persönlichkeitsstörungen. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1973, ISBN 3-518-27757-X, S. 129 ff.

Literatur

  • Howard A. Bacal, Kenneth M. Newman: Objektbeziehungstheorien – Brücken zur Selbstpsychologie. Frommann-Holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt 1994, ISBN 3-7728-1583-9.
  • William R. D. Fairbairn: Das Selbst und die inneren Objektbeziehungen. Psychosozial-Verlag, Gießen 2000, ISBN 3-89806-022-5.
  • Otto F. Kernberg: Objektbeziehungen und Praxis der Psychoanalyse. Klett-Cotta, Stuttgart 1992, ISBN 3-608-95936-X.
  • Jacques Lacan: Das Seminar. Buch IV: Die Objektbeziehung. 1956-57. Turia + Kant, Wien 2003, ISBN 3-85132-300-9.
  • Donald W. Winnicott: Reifungsprozesse und fördernde Umwelt. Studien zur Theorie der emotionalen Entwicklung. Psychosozial-Verlag, Gießen 2002, ISBN 3-89806-091-8.
  • Joseph Sandler, Anne-Marie Sandler: Innere Objektbeziehungen. Entstehung und Struktur. Klett-Cotta, Stuttgart 1999, ISBN 3-608-91717-9.
  • James F. Masterson: Das Selbst und die Objektbeziehungen. Theorie und Behandlung von Persönlichkeitsstörungen. Klett-Cotta, Stuttgart 2003, ISBN 3-608-91046-8.
  • Bernhard F. Hensel (Hrsg.): W. R. D. Fairbairns Bedeutung für die moderne Objektbeziehungstheorie: Theoretische und klinische Weiterentwicklungen. Psychozial-Verlag, Gießen 2006, ISBN 3-89806-431-X.
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