Jewiki unterstützen. Jewiki, die größte Online-Enzy­klo­pädie zum Judentum.

Helfen Sie Jewiki mit einer kleinen oder auch größeren Spende. Einmalig oder regelmäßig, damit die Zukunft von Jewiki gesichert bleibt ...

Vielen Dank für Ihr Engagement! (→ Spendenkonten)

How to read Jewiki in your desired language · Comment lire Jewiki dans votre langue préférée · Cómo leer Jewiki en su idioma preferido · בשפה הרצויה Jewiki כיצד לקרוא · Как читать Jewiki на предпочитаемом вами языке · كيف تقرأ Jewiki باللغة التي تريدها · Como ler o Jewiki na sua língua preferida

Nordisches Modell

Aus Jewiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Dieser Artikel behandelt einen Umgang mit Prostitution. Zum Konzept in einem Wohlfahrtsstaat siehe Schwedisches Modell.

Der Begriff Nordisches Modell (auch Schwedisches Modell) bezeichnet eine Variante zur Bekämpfung von Prostitution durch die Bestrafung der Kunden und Kundinnen der Prostituierten (Sexkaufverbot). Dabei zielt das Verbot allgemein auf bezahlte sexuelle Handlungen unter Erwachsenen ab, auch wenn diese einvernehmlich sind, wohingegen der Umgang mit Menschenhandel und Gewalt zusätzlich durch andere Gesetze geregelt wird.

In Schweden gilt seit 1999 ein Sexkaufverbot; auch in Norwegen, Island, Frankreich, Irland und Nordirland wird eines angewendet. Da in den nordischen bzw. skandinavischen Ländern ein derartiges Verbot ursprünglich umgesetzt wurde, erfolgt die Bezeichnung nach dieser Region.

Unterstützung und Kritik

Vor allem die Regierungen der Staaten, die bisher ein Sexkaufverbot eingeführt haben, bewerten das meist als Erfolg.[1] Die akademische Forschung zum Sexkaufverbot kommt jedoch zu einer differenzierteren Einschätzung.[2][3][4]

Die Kriminalisierung von Kunden wird oft von Feministinnen unterstützt, da im Nordischen Modell die Bekämpfung der Prostitution nur die Kunden, aber nicht die Prostituierten treffen soll. Jedoch zeigen Studien, dass das Gesetz die Beurteilung von Prostitution negativ beeinflussen kann, sodass auch ein immer größerer Teil der Bevölkerung bereit ist, auch Prostituierte selbst zu bestrafen.[5] Kritiker des Verbots weisen darauf hin, dass Sexarbeiterinnen auch unter diesem Modell weiterhin rechtlich diskriminiert würden und Gewalt nicht hinreichend sanktioniert würde.[6][7] Auf Initiative der britischen Europa-Abgeordneten Mary Honeyball sprach das EU-Parlament am 26. Februar 2014 eine „nicht bindende Entschließung“ aus: Alle Mitgliedsstaaten der EU sollen in Zukunft die Prostitution in ihren Ländern verbieten, bei Zuwiderhandlungen sollen die Freier bestraft werden, nicht die Sexarbeiterinnen. Die nicht bindende Resolution wurde mit 343 Stimmen angenommen, 139 Abgeordnete stimmten dagegen, 105 enthielten sich.[8][9] Die Resolution wurde insbesondere durch ICRSE, dem europäischen Netzwerk von Sexworker-Organisationen, kritisiert.[10]

Wissenschaftler bezweifeln nicht nur den Wert und die Wirksamkeit des Nordischen Modells, sondern auch die Tatsache, dass es überhaupt ein „Nordisches“ Modell gibt. Zwar würde überall der Kunde bestraft, aber der weitaus komplexere und vielschichtige rechtliche Umgang mit Prostituierten unterscheide sich in den verschiedenen Ländern sehr stark.[11] Auch die Vorstellung, man könne durch die allgemeine Kriminalisierung von sexuellen Handlungen gegen Geld Menschenhandel verringern, stößt auf Kritik. Im Sinne des sozialstaatlichen Schwedischen Modells sollten Sozialleistungen verbessert und nicht Kunden kriminalisiert werden; zudem würde Prostitution weiterhin, aber im Untergrund stattfinden, wodurch sich die Lage von Sexarbeitern verschlechtern würde.[12][13]

Auch Menschenrechtsorganisationen betrachten das Nordische Modell kritisch: So veröffentlichte Amnesty International 2016 einen Bericht über die "menschlichen Kosten" des Sexkaufverbotes in Norwegen. Dabei wird u. a. festgestellt, dass Betroffene nun höhere rechtliche und moralische Hürden zu überwinden hätten, um z. B. ein Verbrechen anzuzeigen.[14] Selbst- und Dachorganisationen von Prostituierten bzw. Sexarbeitenden (ICRSE[15] und NSWP[16]) lehnen das Sexkaufverbot, genauso wie andere Formen der Kriminalisierung einvernehmlicher Sexarbeit unter Erwachsenen ab.

Situation in Deutschland

In Deutschland unterstützt eine Mehrheit der Bevölkerung die Legalität der Prostitution.[17][18] Nur eine Minderheit setzt sich für ein Prostitutionsverbot ein.[19] Keine der im Bundestag vertretenen Parteien fordert in ihrem Parteiprogramm ein Sexkaufverbot. Einzelne Politiker aus unterschiedlichsten Parteien im Bundestag setzen sich für die Kriminalisierung der Kunden von Prostituierten ein. Eingang gefunden hat es 2013 als sog. „Schwedisches Modell“ in das Parteiprogramm der ÖDP.[20] Die MLPD sowie die Feministische Partei Die Frauen fordern es ebenfalls.

2014 entstand der Zusammenschluss aboliton2014; im Rahmen dessen wurde ein Forderungskatalog veröffentlicht, in dem u. a. ein gesetzliches Sexkaufverbot verlangt wird. Beteiligt haben sich einzelne Mitglieder von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Frauenverband Courage Essen, Kofra München, SOLWODI e. V., Initiative für Gerechtigkeit bei sexueller Gewalt, Die Linke, Terre des Femmes sowie des feministischen Blogs Die Störenfriedas.[21][22]

Am 21. Oktober 2016 hat die Große Koalition ein Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) verabschiedet, das zum 1. Juli 2017 in Kraft getreten ist.[23] Manche Organisationen sehen in darin einen ersten Schritt zur Einführung des Nordischen Modells in Deutschland.

Am 6. Juli 2017 beschloss das Kirchenparlament der Evangelischen Landeskirche in Württemberg ein Sexkaufverbot nach schwedischem Vorbild zu fordern.[24][25] Am 3. Juli 2018 forderte die Evangelische Allianz Deutschland ein Sexkaufverbot nach dem Nordischen Modell.[26]

In Deutschland üben verschiedene politische Seiten, wie feministische,[27] linke,[13] liberale Akteure, Kritik am Sexkaufverbot. Auch einige Organisationen, die sich mit Frauen- und Menschenrechten, sowie mit Menschenhandel beschäftigen, unterstützen das Sexkaufverbot nicht und setzen auf rechtebasierte Ansätze. Dazu gehört beispielsweise der KOK e. V., der Deutsche Frauenrat, der Bundesverband für Sexuelle und Erotische Dienstleistungen und der Hydra e. V.

Die Organisation Solwodi forderte im April 2019 die Anwendung des nordischen Modells in Deutschland.[28]

Einzelnachweise

  1. Illustrasjonsfoto: iStockphoto: Sex Purchase Act has altered Swedes’ attitudes towards prostitution. Abgerufen am 6. Januar 2019 (english).
  2. Niina Vuolajärvi: Governing in the Name of Caring—the Nordic Model of Prostitution and its Punitive Consequences for Migrants Who Sell Sex. In: Sexuality Research and Social Policy. 2018-07-03 ISSN 1553-6610, S. 1–15, doi:10.1007/s13178-018-0338-9 (https://link.springer.com/article/10.1007/s13178-018-0338-9).
  3. Daniela Danna: Client-Only Criminalization in the City of Stockholm: A Local Research on the Application of the “Swedish Model” of Prostitution Policy. In: Sexuality Research and Social Policy. 9, Nr. 1, 2012-03-01 ISSN 1553-6610, S. 80–93, doi:10.1007/s13178-011-0072-z (https://link.springer.com/article/10.1007/s13178-011-0072-z).
  4. Susanne Dodillet/Petra Östergren: Das schwedische Sexkaufverbot. Beanspruchte Erfolge und dokumentierte Effekte. (PDF; 285,39 kB) Abgerufen am 1. Juni 2019.
  5. Sonja Dolinsek: Prostitution und Menschenhandel (1): Die „Wahrheit“ über das „Nordische“ und „Schwedische“ Modell. In: menschenhandel heute. 1. Juli 2014, abgerufen am 6. Januar 2019.
  6. David Crouch: Swedish Prostitution Law Targets Buyers, but Some Say It Hurts Sellers. In: The New York Times. 2015-03-14 ISSN 0362-4331 (https://www.nytimes.com/2015/03/15/world/swedish-prostitution-law-targets-buyers-but-some-say-it-hurts-sellers.html).
  7. SPD-Frauen wollen Kauf von Sex komplett verbieten. Abgerufen am 9. Juli 2019.
  8. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 26. Februar 2014 zur sexuellen Ausbeutung und Prostitution und deren Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter.
  9. Die Freier bestrafen, nicht die Prostituierten, fordert das Parlament | Aktuelles | Europäisches Parlament. 26. Februar 2014, abgerufen am 2. Juli 2019.
  10. NSWP: ICRSE Campaign against the Honeyball Report calling for the adoption of the Swedish model across Europe. 2. Juli 2014, abgerufen am 6. Januar 2019 (english).
  11. Charlotta Holmström, May-Len Skilbrei: The ‘Nordic model’ of prostitution law is a myth. Abgerufen am 6. Januar 2019 (english).
  12. Punish the client, not the prostitute | News | European Parliament. 26. Februar 2014, abgerufen am 6. Januar 2019 (english).
  13. 13,0 13,1 Debatte: „Verbote verschieben Prostitution nur in den Untergrund, mit verheerenden Folgen für die betroffenen Frauen“. In: marx21. 16. Juni 2016, abgerufen am 6. Januar 2019.
  14. Amnesty International: The Human Cost of Crushing the Market: Criminalization of Sex Work in Norway. 26. Mai 2016, abgerufen am 1. Juni 2019 (english).
  15. “Hands off our clients!” - Advocacy and activism tool kit against the criminalisation of clients | Sex Work Europe. Abgerufen am 6. Januar 2019 (english).
  16. NSWP: Policy Brief: The Impact of ‘End Demand’ Legislation on Women Sex Workers. 12. Februar 2018, abgerufen am 6. Januar 2019 (english).
  17. Sollte es in Deutschland ein Prostitutionsverbot geben, bei dem die Freier statt der Prostituierten bestraft werden? Abgerufen am 9. Juli 2019.
  18. Ist Prostitution für Sie grundsätzlich akzeptabel? Abgerufen am 9. Juli 2019.
  19. Umfragen ‹ Bundesweit ‹ Umfragen & Analysen ‹ Infratest dimap. Abgerufen am 6. Januar 2019.
  20. 04.05.2013 – Pressemitteilung ÖDP eröffnet Wahlkampf und wählt Spitzenteam.
  21. Die Störenfriedas.
  22. Positionspapier von Abolition 2014.
  23. Gesetz zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen. www.gesetze-im-internet.de, 2019, abgerufen am 29. März 2019.
  24. Bericht aus der Synode: beraten & beschlossen Tagung der 15. Evangelischen Landessynode vom 6. bis 8. Juli 2017 (PDF; 429,71 kB).
  25. (Link nicht mehr abrufbar)
  26. 03.07.2018 – EAD „Die Würde der Frau ist unverkäuflich“.
  27. Was ist der StreitWert? | Falsche Freund_innen – Woran das Schwedische Modell scheitert. Abgerufen am 6. Januar 2019.
  28. Niklas Golitschek: Aussteigerinnen fordern Sexkaufverbot, Neues Deutschland-Website, 7. April 2019. Abgerufen am 13. Oktober 2019.
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Nordisches Modell aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.