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Neurussland

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Dieser Artikel behandelt die historische Region Neurussland; zur 2014 kurzzeitig bestehenden Region siehe Föderativer Staat Neurussland.
Eine deutsche Karte Neurusslands aus dem Jahre 1855
Das Gebiet vor dem Entstehen Neurusslands, 1648, (Süden oben) mit einem breiten Streifen von „Loca deserta“ („verlassenen Gegenden“). Am linken Kartenrand links Asow. „Meotis Palus“ ist das Asowsche Meer

Neurussland (russisch Новороссия, Noworossija) war ein historisches Gebiet, das ab dem Jahre 1764 so genannt wurde, nachdem das Russische Kaiserreich das Osmanische Reich und dessen Vasallenstaat Krimkhanat zurückgedrängt und das Gouvernement Neurussland gebildet hatte. Das in verschiedenen Verwaltungseinheiten wechselnd bezeichnete Gebiet umfasste vor allem den Süden der heutigen Ukraine mit dem historischen Bessarabien, teilweise auch die Ostukraine sowie Teile Südrusslands, welche am Asowschen und am Schwarzen Meer liegen.[1]

Geschichte

Vor der Eingliederung ins Russische Reich war das Gebiet Neurusslands lange Zeit zwischen Polen-Litauen, dem Osmanischen Reich und dem Russischen Reich umkämpft gewesen. Dies und die regelmäßigen Überfälle der Tataren des Krimkhanats und der Nogaier-Horde hatten zur Folge, dass diese Steppengebiete trotz ihrer fruchtbaren Schwarzerde nur gering besiedelt waren und den Namen „Wildes Feld“ trugen.

Der nördliche Teil der Provinz wurde ab dem 16. Jahrhundert zum Land der Saporoger Kosaken, flüchtiger ruthenischer Bauern aus Polen-Litauen und russischer Bauern und Leibeigener des Zaren Iwan IV., die dort das Hetmanat der Dnjepr-Kosaken errichteten. Von dort überfielen und verwüsteten sie ihrerseits das Hinterland der osmanisch-tatarischen Küstenstädte. Das Hetmanat legte auf der Suche nach Verbündeten 1654 mit dem Vertrag von Perejaslaw den Treueeid auf den Zaren ab. Gegen die Kosaken war von den Osmanen das Eyâlet Silistrien eingerichtet worden, das Teile der Gebiete umfasste, die später (wie auch das Krimkhanat) zum Gouvernement Neurussland gehörten.

Potjomkin und Katharina II. (Fotomontage).

Eine breitangelegte Kolonisierung und Erschließung Neurusslands erfolgte während und nach dem Russisch-Türkischen Krieg 1768–1774 unter der Führung des Fürsten Grigori Potjomkin, der von Kaiserin Katharina II. als Feldherr und oberster Verwalter fast unbeschränkte Kompetenzen erhielt. Das Land wurde an den russischen Adel verteilt, der Kolonisten aus Zentralrussland mitbrachte. Zudem wurden viele ausländische Kolonisten angeworben, überwiegend Deutsche, Serben und Griechen. Die Anzahl der Leibeigenen war geringer als in anderen Gebieten.[2] In kurzer Zeit wurden neue Städte gegründet, darunter Odessa, Noworossijsk, Sewastopol, Jekaterinoslaw (heute: Dnipro), Alexandrowsk (heute: Saporischschja), Nikolajew (heute: Mykolajiw), Cherson, Mariupol und andere.

Die Hauptstadt Neurusslands war kurzzeitig Krementschug, später wurde das 1784 neugegründete Jekaterinoslaw zum Verwaltungszentrum. Eine besondere Rolle fiel dem Aufbau der Hafenstädte zu, weil Russland auf seinem Drang zu den Meerengen eine leistungsfähige Flotte im Schwarzen Meer brauchte, um die Osmanen zurückzudrängen. Das ursprüngliche Gouvernement Neurussland wurde zwischen 1796 und 1802 wiederbelebt, die Gebiete waren zu jener Zeit nicht beständig. Der Name bestand im 1822 gegründeten Generalgouvernement Neurussland-Bessarabien bis 1874 namentlich fort, dessen erste General-Gouverneure schon ab 1805 eingesetzt worden waren. Nach 1802 gab es auf diesem Gebiet die Gouvernements Bessarabien, Cherson, Jekaterinoslaw und das die Krim und Gebiete nördlich davon umfassende Gouvernement Taurien.

Odessa entwickelte sich in dieser Zeit zu einem wichtigen Handelshafen und der nach Sankt Petersburg, Moskau und Warschau viertgrößten Stadt des Kaiserreichs. Zum wichtigsten Kriegshafen wurde Sewastopol auf der Krim (siehe Flottenstützpunkt Sewastopol). Viele der Mitglieder der revolutionären Narodnaja Wolja, welche nach 1870 den Zarismus stürzen wollten, stammten aus dem multiethnischen Gebiet Neurusslands.[3][4]

Mit dem Ende des Zarenreichs (Oktoberrevolution 1917) verschwand jede Verwaltungseinheit dieses Namens. Während der Russischen Revolution existierten im südlichen Gebiet für zwei Monate die proklamierte Sowjetrepublik Odessa sowie per Dekret Lenins eine Sowjetrepublik Donezk-Kriwoi Rog, welche weitere Gegenregierungen zur Ukrainischen Volksrepublik bilden sollten. Im östlichen Teil existierte auch eine anarchistisches „Freies Territorium“. Bei der schließlich (aufgrund mangelnder Unterstützung in der Bevölkerung) militärischen Erschaffung der Ukrainischen SSR durch die Bolschewiki wurde ihr der Großteil des ehemaligen Neurussland angeschlossen, was die Ukrainer zu mehr Loyalität bewegen sollte. Damit sollte auch die einheitsrussische Weiße Bewegung geschwächt werden. Im Rahmen der bolschewistischen Nationalitätenpolitik (Korenisazija und Ukrainisierung) wurden die Namen 'Neurussland'[5] und Kleinrussland verboten (letzterer für den Norden der Ukraine). 1954 übergab Nikita Chruschtschow (er war nach Stalins Tod zu seinem Nachfolger geworden) die Halbinsel Krim an die Ukraine. Die Halbinsel Krim hatte bis dahin (außer während der Besetzung durch die Wehrmacht 1941–1944) unter der Verwaltung der Russischen SFSR gestanden.

Ende 2013 begannen prowestliche Proteste in der Ukraine („Euromaidan“ in Kiew); im Februar 2014 stürzte die Regierung von Wiktor Janukowytsch.

Damit begann der Krieg in der Ostukraine. In prorussischen und russischen Kreisen – auch vom russischen Präsidenten Putin[6][7] – wird der Begriff „Neurussland“ seitdem vermehrt verwendet.

Bis Mai 2015 trat unter dem Namen „Neurussland“ die konföderative Union der proklamierten Volksrepubliken Donezk und der Lugansk auf. Im weitesten Sinne waren damit alle Gebiete des ukrainischen Südostens gemeint, in denen der Gebrauch der russischen Sprache in der Ukraine überwiegt, also auch die Oblast Charkiw, die historisch zur Sloboda-Ukraine und nicht zu Neurussland gehörte. 2015 wurde das Projekt zur Ermöglichung der Umsetzung des Abkommens von Minsk für eingefroren erklärt.[8][9]

Einwanderungspolitik

Die Vormundschaftskanzlei für ausländische Ansiedler in Sankt Petersburg war bis ins Jahr 1766 für die Verwaltung der nichtrussischen Ansiedler zuständig. Danach entstand das Saratower Fürsorgekontor für ausländische Ansiedler in Saratow. Dieser Ansatz bewährte sich und so entstand 1799 das Neurussland-Fürsorgekontor für ausländische Ansiedler und 1803 ein Kontor unter der Leitung des Herzogs von Richelieu für die Siedler im Gebiet von Odessa. 1804 übernahm er zusätzlich noch die Leitung des Neurussland-Fürsorgekontors. Im Jahr 1818 beaufsichtigte das Neurussland-Fürsorgekontor 84 Kolonien mit 17.000 Bewohnern und das Kontor in Odessa 44 Kolonien mit 15.500 Bewohnern. Nach Jahren des Massenandrangs von Siedlern aus zahlreichen Ländern wurde im Jahr 1819 die offizielle Werbung um Kolonisten eingestellt.[10]

1818 wurde die Verwaltung der Siedler reorganisiert und das Fürsorgekomitee für ausländische Ansiedler in Südrussland in Cherson gegründet, welches drei Niederlassungen in den Gouvernements Jekaterinoslaw (heute: Dnipro), Cherson (mit Odessa) und Bessarabien hatte, welche jeweils die wirtschaftlichen und rechtlichen Probleme in ihrem Gebiet regelten. Das Komitee bestand bis 1871 bis zur Abschaffung der Privilegien für die Kolonisten. Siedler wurden unter anderem auch im deutschsprachigen Raum angeworben, daraus entstanden die in verstreuten Ortschaften lebenden Schwarzmeerdeutschen. Viele Siedler in der Steppe Neurusslands westlich des Dnepr und südlich von Krementschug waren polnische Juden. Sie kamen vor allem von 1839 bis 1882 aus dem Gebiet des heutigen Weißrussland östlich von Mogilew am Dnepr, das durch die erste Teilung von Polen-Litauen im Jahre 1772 russisch geworden war.[11] Die Kolonisten blieben in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegenüber den ukrainischen und russischen Bauern privilegiert. Sie hatten umfangreicheren Landbesitz, Steuerprivilegien und die Befreiung von Militärdienst erhalten.[12]

Deportationen

Nachdem im Deutsch-sowjetischen Krieg die Rote Armee die Oberhand gewann und vorrücken konnte (Mai 1944 Schlacht um die Krim, August 1944 Lwiw-Sandomierz-Operation), ließ Stalin am 18. Mai 1944 fast alle Krimtataren nach Sowjet-Usbekistan deportieren.

Stalin ließ auch etwa eine halbe Million Ukrainer[13] und ab 1947 etwa 150.000 Lemken[14] Richtung Westen deportieren (siehe Westverschiebung Polens und Operation Weichsel); außerdem ließ er (1946 bis 1949) hunderttausende Ukrainer nach Sibirien deportieren und Russen anstelle der Vertriebenen ansiedeln.[15]

Siehe auch

Weblinks

 Commons: Neurussland – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Literatur

Fußnoten

  1. С. А. Тархов: Изменение административно-территориального деления России за последние 300 лет. In: газета География. Moskau, 1. September 2001.
  2. Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine. S. 108.
  3. Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine. S. 134.
  4. Mit „Neurussland“ zu alter Größe. In: Kölner Stadt-Anzeiger. 4. September 2014.
  5. В. А. Дергачёв: Геополитическая трансформация украинского Причерноморья. Научные труды в семи книгах. — 1-е. — Издательский дом профессора Дергачёва. — Т. 7.
  6. Putins Bluff. In: Der Tagesspiegel. 9. Mai 2014. Kommentar
  7. Was ist dieses Neurussland, von dem Putin spricht? In: Stern. 3. September 2014.
  8. Neurussland ist beendet. auf: gaseta.ru, 20. Mai 2014.
  9. Russian-backed 'Novorossiya' breakaway movement collapses. In: Ukraine Today. 20. Mai 2015.
  10. Andreas Kappeler: Russland als Vielvölkerreich. Entstehung - Geschichte - Zerfall. 2. Auflage. München 1993, ISBN 3-406-36472-1, S. 52.
  11. Julius Elk: Die Jüdischen Kolonien in Russland. Georg Olms Verlag, 1970.
  12. Andreas Kappeler: Russland als Vielvölkerreich. Entstehung - Geschichte - Zerfall. 2. Auflage. München 1993, ISBN 3-406-36472-1, S. 53.
  13. Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine. C.H. Beck, München 1994, S. 226.
  14. Britta Böhme: Grenzland zwischen Mythos und Realität – Real- und Ideengeschichte des ukrainischen Territoriums. Berliner Debatte Wiss.-Verlag, Berlin 1999, S. 347 f.
  15. Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine. 1994, S. 224.
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