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Navid Kermani
Navid Kermani (persisch نوید کرمانی, * 27. November 1967 in Siegen) ist ein deutscher Schriftsteller, Publizist und habilitierter Orientalist. Er wurde mit zahlreichen renommierten Kultur- und Literaturpreisen ausgezeichnet. 2015 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.[1]
Leben
Kermani wurde als vierter Sohn iranischer Eltern geboren, die im Jahr 1959 in die Bundesrepublik Deutschland eingewandert waren. Er hat die deutsche und die iranische Staatsbürgerschaft. Kermani wuchs in der vom Protestantismus geprägten Stadt Siegen auf und besuchte dort das Fürst-Johann-Moritz-Gymnasium und das Gymnasium am Rosterberg (heutiges Peter-Paul-Rubens-Gymnasium).[2] Er ist mit der Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur verheiratet; sie sind Eltern von zwei Töchtern und leben in Köln.[3] Sein Vater ist Arzt und arbeitete im katholischen St.-Marien-Krankenhaus Siegen, Kermanis drei ältere Brüder sind ebenfalls praktizierende Ärzte.[4]
Bereits als Schüler im Alter von fünfzehn Jahren arbeitete Kermani als freier Mitarbeiter für die Lokalredaktion der Westfälischen Rundschau.[5] Während des Studiums schrieb er für überregionale deutsche Zeitungen und von 1996 bis 2000 war er fester Autor im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Kermani studierte Orientalistik, Philosophie und Theaterwissenschaft in Köln, Kairo und Bonn. Unterstützt von der Studienstiftung des deutschen Volkes verfasste er eine Dissertation mit dem Titel „Gott ist schön“.[6] Damit wurde er 1998 im Fach Orientalistik an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn promoviert; 2006 habilitierte er sich im Fach Orientalistik mit der Schrift „Der Schrecken Gottes – Attar, Hiob und die metaphysische Revolte“. Von 2000 bis 2003 war er Long Term Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Heute lebt er als freier Schriftsteller im Kölner Eigelsteinviertel.
In den Themen seiner literarischen Arbeit kreist Kermani um menschliche Grenzerfahrungen angesichts des Todes, im Alltag, der Erfahrung der Musik oder der Sexualität. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen in der Ästhetik des Koran und der islamischen Mystik.[7] Kermani ist auch als Reporter aus den Krisengebieten der Welt bekannt geworden. Im September 2014 berichtete er für das Nachrichtenmagazin Der Spiegel aus dem Irak;[8][9][10][11] im Oktober 2015 reiste er den Flüchtlingen auf deren Route in umgekehrter Richtung von Budapest in die Türkei entgegen.[12] Die Reportagen erschienen später in erweiterter Fassung als Buch und wurden auch Teil des interkulturellen Musikprojekts "MASS FOR PEACE in times of flight"[13], das vom Syrian Expat Philharmonic Orchestra zusammen mit der syrischen Sopranistin Rasha Rizk 2018 uraufgeführt wurde.[14]
Seit Oktober 2007 ist Kermani Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, von 2009 bis 2012 war er Senior Fellow am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen (KWI).[15] 2009 wurde Navid Kermani außerdem zum Korrespondierenden Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Hamburg ernannt. Er war von 2006 bis 2009 Mitglied der Deutschen Islamkonferenz. Seit 2013 gehört er dem Kuratorium des Avicenna-Studienwerks an.
Im Sommersemester 2010 war Kermani Gastdozent für Poetik an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main.[16] Im Wintersemester 2011/12 hielt er die Göttinger Poetikvorlesungen,[17] 2014 die Mainzer Poetikvorlesungen.[18] Im Sommersemester 2013 war er Gastprofessor für Ideengeschichte des Islam an der Goethe-Universität Frankfurt. Im Frühjahr 2014 lehrte er als Max Kade Distinguished Visiting Professor deutsche Literatur am Dartmouth College in den Vereinigten Staaten.[19]
2015 war er Jurymitglied der Auszeichnung Das außergewöhnliche Buch des Kinder- und Jugendprogramms des Internationalen Literaturfestivals Berlin.
Bei der Wahl des deutschen Bundespräsidenten 2010 gehörte Kermani auf Vorschlag der hessischen Grünen der 14. Bundesversammlung an. Am 23. Mai 2014 hielt Navid Kermani die vielbeachtete Festrede anlässlich der Feierstunde des Deutschen Bundestags zum 65. Jahrestag des Grundgesetzes.[20][21][22] Für die Wahl des deutschen Bundespräsidenten 2017 wurde er als möglicher Kandidat ins Gespräch gebracht.[23][24]
Werk
Kermani vermag es, so Gustav Seibt in der Süddeutschen Zeitung, auf unangestrengte Weise zu Positionen von Herder, Goethe, Rückert und dem Orientalismus der deutschen Klassik Bezug zu nehmen und sich ebenso kompetent zu Lessing, Kleist, Hölderlin und Kafka zu äußern wie zur islamischen Mystik.[25] Bereits Kermanis Erzählung über den kanadischen Rockmusiker Neil Young, Das Buch der von Neil Young Getöteten (2002), ist in großen Zeitungen rezensiert worden.[26]
Im November 2005 inszenierte Kermani in Köln das Schauspiel Hosea nach Texten der Bibel und Friedrich Hebbels.[27][28] Sein 2005 veröffentlichtes Buch Der Schrecken Gottes – Attar, Hiob und die metaphysische Revolte wurde von Zeitungen als „heilsam verstörend“ (NZZ) oder „buchstäblich grenzsprengend“ bezeichnet.[29] Das Kulturmagazin von Ö1 zieht Parallelen zu früheren Arbeiten Kermanis, deren religiös-vergleichende Metaphysik ebenfalls von der Frage der Theodizee geprägt war.[30]
Im Herbst 2005 hielt Kermani im Wiener Burgtheater die Festrede zum 50. Jahrestag der Wiedereröffnung des Hauses, in der er die Flüchtlings- und Asylpolitik der EU in Frage stellte.[31] Anfang 2007 erschien sein Roman Kurzmitteilung. 2011 wurde Kermani mit dem Hannah-Arendt-Preis ausgezeichnet. In der Begründung der Jury heißt es: „Kermanis Offenheit des Auges negiert überlieferte Begrenzungen. Er weicht nicht aus ins Universelle, sondern denkt transkulturell und transreligiös, ohne je der so naheliegenden Gefahr zu erliegen, das tatsächlich Trennende zu überspielen oder zu übergehen.“ (Die Laudatio wurde gehalten von Marie Luise Knott).[32]
Kermanis Roman Dein Name wurde für den Deutschen Buchpreis 2011 nominiert.[33] Außerdem erhielt der Orientalist 2012 den Kleist-Preis.[34] Mit Verweis auf sein Buch Dein Name erhielt Kermani 2014 den Joseph-Breitbach-Preis.[35]
Kermani setzt sich für die weltanschauliche Neutralität des Staates ein.[36] Der Orientalist kritisiert jedoch einen mit der „kompletten Verdrängung des Religiösen“ einhergehenden „religiösen Analphabetismus“, der zu einer „grundlegenden Verarmung der Gesellschaft“ führe.[37] Daher benennt Kermani die religiöse Toleranz und Religionsfreiheit als bedeutsamen europäischen Wert und fordert, im Sinne der Aufklärung, Rücksicht auf Glauben und Weltanschauung anderer.[38][39]
Auf Kermanis Idee aus dem Jahre 2007 – zusammen mit dem Intendanten des Hauses der Kulturen der Welt in Berlin, Bernd M. Scherer – geht die am 27. Oktober 2012 in Köln eröffnete Akademie der Künste der Welt zurück.[40]
Positionen und Aktuelles
Irakkrieg
Den Irakkrieg lehnte Kermani ab. Die Herrschaft unter Saddam Hussein sieht er davon unabhängig als ein schlimmes Terrorregime an, dessen Ende er begrüße.[41] Im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung und seinem Buch Strategie der Eskalation[42] meinte Kermani 2005, dass im Irakkrieg nicht nur die USA, sondern auch Europa versagt hätten – und dass die Alte Welt im Begriff sei, dieselben Fehler im Konflikt mit dem Iran zu wiederholen. Der Islamwissenschaftler behauptet, dass das „amerikanische Projekt einer Neuordnung des Nahen Ostens“ den meisten Iranern heute ungleich näherstehe „als die sich so altruistisch gebende Politik der Europäer“. Dass Europa so tue, als gebe es im Iran noch Reformbemühungen, nennt Kermani Selbstbetrug. Als Beleg führt er die von Irans Herrschern geknebelte Pressefreiheit, die inhaftierten Oppositionellen und die Gängelung der Parlamentswahlen zur Wiederherstellung einer „konservativen“ Mehrheit an. „Krieg ist das falsche Mittel. Aber Befreiung nicht das falsche Ziel“, so Kermani.
Kölner Moscheebau
Am 4. Juni 2007 veröffentlichte Kermani, ebenfalls in der Süddeutschen Zeitung, eine Reportage über eine Bürgeranhörung zum Moscheebau in Köln-Ehrenfeld, in der er sich von der offenen Gesprächsatmosphäre begeistert zeigte und den anwesenden Bürgern „Demokratie in Reinkultur“ bescheinigte. Es gebe in Köln eine „breite weltoffene Mitte“, die wesentlich toleranter sei als mancher Intellektuelle.[43]
Hessischer Kulturpreis
2009 erhielt Kermani, nach zwischenzeitlicher Aberkennung – zusammen mit Kardinal Karl Lehmann, dem ehemaligen Kirchenpräsidenten von Hessen-Nassau Peter Steinacker und dem Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden Salomon Korn – den Hessischen Kulturpreis, dessen Verleihung 2009 unter das Motto interreligiöser Toleranz[44] gestellt worden war.
Der Preis wurde ihm am 20. März 2009 angetragen, nachdem der ursprünglich vorgesehene Fuat Sezgin die Annahme mit der Begründung, sein Mitpreisträger Salomon Korn befürworte die Militäraktionen Israels, abgelehnt hatte. Am 13. Mai 2009 erfuhr Kermani von der Aberkennung der Auszeichnung.[45] Ausschlaggebend dafür war, dass Lehmann und Steinacker sich kritisch zu Kermani geäußert hatten. Sie nahmen Anstoß an einem Feuilleton-Artikel Kermanis über ein Kreuzigungsgemälde von Guido Reni, der am 14. März 2009 in der NZZ veröffentlicht worden war. Darin hatte Kermani geschrieben: „Für mich formuliere ich die Ablehnung der Kreuzestheologie drastischer: Gotteslästerung und Idolatrie.“[46] Im Fortgang allerdings berichtet er von einer Erschütterung dieser Auffassung durch die ästhetische Erfahrung: „Erstmals dachte ich: Ich – nicht nur: man –, ich könnte an ein Kreuz glauben.“ Am 24. April 2009 äußerte Lehmann in einem Brief an den hessischen Ministerpräsident Roland Koch, dass er „unter diesen Umständen den Preis nicht in Empfang nehmen kann“.[47] Er begründete dies später unter anderem mit seiner Meinung nach erwartbaren Medienreaktionen, „wenn ich in dieser Situation und möglicherweise noch im Bischofsgewand neben Navid Kermani den Preis entgegengenommen hätte.“[47] Aus dem Brief an Koch wurden zudem Zweifel Lehmanns ob der Preiswürdigkeit Kermanis bekannt: „So hat er mit 41 Jahren und angesichts der bisher zugänglichen Veröffentlichungen und erbrachten Leistungen ein unglaublich großes Verzeichnis an Auszeichnungen und Preisen vorzubringen. […] Er ist zweifellos intellektuell begabt und recht gebildet, in der Zwischenzeit auch habilitiert. Aber – lassen Sie mich dies wenigstens fragen – ist es denn mit 41 Jahren schon ein Lebenswerk, das hier die Auszeichnung eines Hessischen Kulturpreises verdient und dies bei den vielen Menschen, die sich in unserem Land gerade auch ehrenamtlich für Kultur einsetzen.“[48] Sein Tonfall wurde von Kommentatoren als „subtil […] diffamieren[d]“,[48] „blasiert“, „infam“ und „herablassend“[49] wahrgenommen; auch Kermani empfand ihn als „diffamierend“.[45] Lehmann allerdings erklärte: „Mit keinem Wort habe ich den Ausschluss von Navid Kermani vom Preis auch nur insinuiert, geschweige denn erwartet oder gar angemahnt. Ich habe auch keinen diffamierenden Brief über ihn geschrieben.“[47] Kermani, der von Anfang an gegenüber dem Protokollchef des Landes Hessen seine „Differenzen […] mit dem hessischen Ministerpräsidenten Koch“[45] offengelegt hatte, erklärte, es sei für einen säkularen Staat „nicht hinnehmbar, dass ein Ministerpräsident auf Anweisung eines Kardinals so handelt“, und kommentierte, die Angelegenheit mache deutlich, dass „Kochs Versuch, sich durch die Vermittlerrolle im interreligiösen Dialog von früheren ‚schmutzigen Wahlkämpfen reinzuwaschen‘ […] ‚gründlich in die Hose gegangen‘“ sei.[50][51]
Letztlich entschlossen sich Lehmann und Steinacker, nach einem Gespräch mit Kermani, doch zur gemeinsamen Annahme des Preises, der am 26. November 2009 schließlich an die vier Preisträger vergeben wurde. Ministerpräsident Koch entschuldigte sich dabei bei Kermani.[52] Sein Preisgeld spendete Kermani an den Pfarrer der katholischen Gemeinde St. Theodor in Köln-Vingst Franz Meurer.[53]
Arabischer Frühling
Im Februar 2011 würdigte Kermani den Arabischen Frühling, denn die Demonstranten seien für „Freiheit, Würde, Rechtsstaatlichkeit, Chancengleichheit“ auf die Straße gegangen. Die Politik westlicher Regierungen kritisiert er. „Kriminalität und Komplizenschaft (mit Diktaturen)“ scheinen, so der Autor, „in einigen europäischen Regierungspalästen normal geworden zu sein“. Positiv betont er die Rolle von Al-Dschasira, der Sender habe viel zur Debattenkultur beigetragen. Die Berichterstattung deutscher Medien, in denen laut Kermani Leute „darüber schwadronieren, dass im Islam Staat und Politik eins seien“, wies er als „religiös gefärbte koloniale Brille“ zurück; es ginge bei den Protesten nicht um Religion. Zudem wendet er sich gegen den Multikulturalismus als einen Kulturalismus, der Diktaturen begründe: „Man verfällt umgekehrt in den Relativismus und behauptet, dass die Menschen anderswo gar keine Demokratie wollten, weil sie nun einmal anders seien, andere Traditionen hätten“. Solch eine Sicht würde gegen das ursprüngliche linke Ziel, die Gleichheit aller Menschen und die Angleichung der Lebensverhältnisse, wirken. Allgemein habe die „Überbetonung von Andersartigkeit, sei es der Migranten oder der Hartz-IV-Empfänger, […] vor allem die Funktion, Unterschiede – vor allem auch ökonomische Unterschiede – zu zementieren“.[41]
„Triumph des Vulgärrationalismus“
Im Rahmen der intensiven öffentlichen Diskussion über das Beschneidungsurteil des Landgerichts Köln von 2012 veröffentlichte Kermani in der Süddeutschen Zeitung einen Artikel unter dem Titel „Triumph des Vulgärrationalismus“.[54] Hierin wirft er dem Landgericht vor, „mal eben so im Handstreich viertausend Jahre Religionsgeschichte für obsolet zu erklären.“ Aufklärung sei nicht nur die Herrschaft der Vernunft, sondern zugleich das Einsehen in deren Begrenztheit. „Der Vulgärrationalismus hingegen, der sich im Urteil des Kölner Landgerichts ausdrückt, setzt den eigenen, also heutigen Verstand absolut.“ Joachim Gauck hat die Bezeichnung „Vulgärrationalismus“ in seinen Stellungnahmen zur Beschneidungsdebatte übernommen.[55]
Rede zur Feierstunde 65 Jahre Grundgesetz, Mai 2014
Am 23. Mai 2014 erinnerte der Deutsche Bundestag in einer Feierstunde an die Verkündung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949. Kermani war als Festredner geladen. In seiner Rede analysierte er die Sprache des Grundgesetzes, verglich ihre Wirkmächtigkeit mit der der Lutherbibel.[56][57] Er sprach über die historischen Fortschritte der Nachkriegszeit und stellte fest, dass das Grundgesetz „Wirklichkeit geschaffen“ habe.[56] Kermani lobte die Bundesrepublik Deutschland, weil sie den Verfassungsnormen Geltung verschafft habe. Zugleich würdigte er die Integrationsbereitschaft und die Bemühungen der deutschen Gesellschaft. Mehrfach erwähnte er Willy Brandt. In Bezug auf ihn sagte er: „Wenn ich einen einzelnen Tag, ein einzelnes Ereignis, eine einzige Geste benennen wollte, für die in der deutschen Nachkriegsgeschichte das Wort Würde angezeigt scheint, (…) dann war es der Kniefall von Warschau“. Er übte scharfe Kritik an der Einschränkung des Asylrechts durch die Grundgesetzänderung von 1993 („Asylkompromiss“), die er als „Entstellung“ des Artikels 16a und eine „Verstümmelung“ der Verfassung bezeichnete.[58] Dennoch betonte er die Chancen, die die Bundesrepublik gerade auch Einwanderern geboten habe, und schloss die Rede – in deren Namen – mit den Worten „Danke, Deutschland“.[56][59] Einzelne Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion kritisierten die Rede als einseitig oder tendenziös, Georg Nüßlein (CSU) verließ den Saal.[59] In den deutschen Medien ist die Rede dagegen positiv aufgenommen und besprochen worden.[60] Die Universität Tübingen hat sie als „Rede des Jahres 2014“ ausgezeichnet.[61]
Stellungnahme zur Offensive des „Islamischen Staates“ im Nahen Osten
In der Berliner Zeitung rief Kermani im August 2014 dazu auf, den „Islamischen Staat“ (IS) im Irak auch mit militärischen Mitteln zu stoppen. Er verglich den Konflikt von seiner Bedeutung her mit dem Ersten Weltkrieg und warnte vor einem Genozid an Christen, Jesiden und anderen religiösen Minderheiten. Er wies in seiner Stellungnahme auf die Bedeutung von humanitären Korridoren für Flüchtlinge hin und warnte vor einer „Pol-Pot-Version des Islam“ von „den Grenzen Irans bis an die Küste des Mittelmeers“.[62] In seiner Friedenspreis-Rede rief Kermani im Oktober 2015 dazu auf, sich „womöglich militärisch, ja, aber vor allem sehr viel entschlossener als bisher diplomatisch und ebenso zivilgesellschaftlich“ gegen den Islamischen Staat zu wenden. Er rufe nicht zum Krieg auf, weise aber darauf hin, dass der Krieg „nicht mehr allein in Syrien und im Irak beendet werden“ könne. Er könne „nur von den Mächten beendet werden, die hinter den befeindeten Armeen und Milizen stehen, Iran, die Türkei, die Golfstaaten, Russland und auch der Westen.“[63]
Rede an der Ludwig-Maximilians-Universität München
In einer Rede zum zwanzigjährigen Bestehen des Lehrstuhls für Jüdische Geschichte und Kultur an der LMU München berichtete Kermani von seinem Empfinden während eines Besuches des Vernichtungslagers KZ Auschwitz und davon, wie das Leben und Arbeiten in der deutschen Sprache eine Verantwortung für die Verbrechen des Zweiten Weltkrieges mit sich bringt.[64]
Stellungnahme zur Ausladung von Lisa Eckhart
Bei der Eröffnung des Hamburger Harbourfront-Literaturfestivals im September 2020 kritisierte er zwei Autoren, die es abgelehnt hatten, mit Lisa Eckhart auf der Bühne zu stehen, was zur Ausladung von Eckhart beigetragen hatte. Eckhart sei wegen ihres Debütromans Omama eingeladen worden, und „[…] die Bühne ist ein öffentlicher Raum, und indem eine unabhängige Jury ihren Roman ausgewählt hat, stand ihr das gleiche Recht zu, diesen öffentlichen Raum zu betreten […].“[65]
Auszeichnungen
- 2000: Ernst-Bloch-Förderpreis für sein Buch Gott ist schön: Das ästhetische Erleben des Koran (1999)
- 2003: Jahrespreis der Helga-und-Edzard-Reuter-Stiftung
- 2004: Schwarzkopf-Europa-Preis der Schwarzkopf-Stiftung Junges Europa[66]
- 2008: Stipendiat in der Villa Massimo
- 2009: Hessischer Kulturpreis[67]
- 2011: Buber-Rosenzweig-Medaille
- 2011: Hannah-Arendt-Preis
- 2012: Ehrenpreis des Kölner Kulturpreises 2012 für seine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Religionen sowie den von ihm betriebenen Dialog der Kulturen
- 2012: Kleist-Preis für Dein Name (2011)
- 2012: Cicero-Rednerpreis
- 2014: Gerty-Spies-Literaturpreis
- 2014: Joseph-Breitbach-Preis mit Bezug zu Dein Name (2011)[68]
- 2014: Deutscher Dialogpreis des BDDI[69]
- 2015: Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste
- 2015: Friedenspreis des Deutschen Buchhandels[1]
- 2016: Marion Dönhoff Preis für internationale Verständigung und Versöhnung[70]
- 2016: Bürgerpreis der deutschen Zeitungen
- 2017: ECF Princess Margriet Award for Culture der European Cultural Foundation[71]
- 2017: Hermann-Sinsheimer-Preis der Stadt Freinsheim[72]
- 2017: Bürgerpreis der deutschen Zeitungen
- 2017: Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen; Laudatio: Wolfgang Schäuble
- 2018: Samuel-Bogumil-Linde-Preis; Laudatio: Joachim Gauck
- 2020: Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg
- 2021: Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln[73]
Veröffentlichungen (Auswahl)
Monographien
- Gott ist schön: Das ästhetische Erleben des Koran. Beck, München 1999, ISBN 3-406-44954-9.
- Iran: Die Revolution der Kinder. Beck, München 2000, ISBN 3-406-47399-7.
- Das Buch der von Neil Young Getöteten. Ammann, Zürich 2002, ISBN 3-250-60039-3.
- Dynamit des Geistes. Martyrium, Islam und Nihilismus. Wallstein, Göttingen 2002, ISBN 3-89244-622-9.
- Schöner neuer Orient: Berichte von Städten und Kriegen. 2. Auflage. Beck, München 2003, ISBN 3-406-50208-3.
- Vierzig Leben. Ammann, Zürich 2004, ISBN 3-250-60068-7, Neuauflage Rowohlt Verlag 2018, ISBN 978-3-499-27313-1.
- Der Schrecken Gottes: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte. Beck, München 2005, ISBN 3-406-53524-0.
- Du sollst. Ammann, Zürich 2005, ISBN 3-250-60079-2.
- Strategie der Eskalation. Der Nahe Osten und die Politik des Westens. Wallstein, Göttingen 2005, ISBN 3-89244-966-X.
- Ayda, Bär und Hase. Picus, Wien 2006, ISBN 3-85452-886-8.
- Kurzmitteilung. Ammann, Zürich 2007, ISBN 978-3-250-60104-3.
- Wer ist Wir? Deutschland und seine Muslime. Beck, München 2009, ISBN 978-3-406-57759-8.
- Dein Name. Hanser, München 2011, ISBN 978-3-446-23743-8.
- Über den Zufall. Jean Paul, Hölderlin und der Roman, den ich schreibe. Hanser, München 2012, ISBN 978-3-446-23993-7.
- Vergesst Deutschland! Eine patriotische Rede zur Eröffnung der Hamburger Lessingtage 2012. Ullstein, Berlin 2012, ISBN 978-3-550-08021-0.[74]
- Ausnahmezustand. Reisen in eine beunruhigte Welt. C.H. Beck, München 2013, ISBN 978-3-406-64664-5; 8. Auflage, 2016.
- Große Liebe. Hanser, München 2014, ISBN 978-3-446-24474-0.
- Album: Das Buch der von Neil Young Getöteten. Vierzig Leben. Du sollst. Kurzmitteilung. Hanser, München 2014, ISBN 978-3-446-24535-8.
- Zwischen Koran und Kafka. West-östliche Erkundungen. C.H. Beck, München 2014, ISBN 978-3-406-66662-9.
- Ungläubiges Staunen. Über das Christentum. 9. Auflage. Beck, München 2016, ISBN 978-3-406-68337-4.[75]
- Einbruch der Wirklichkeit. Auf dem Flüchtlingstreck durch Europa. Photographien von Moses Saman. Beck, München 2016, ISBN 978-3-406-69208-6.
- Sozusagen Paris. Hanser, München 2016, ISBN 978-3-446-25276-9.
- Entlang den Gräben. Eine Reise durch das östliche Europa bis nach Isfahan. C.H. Beck, München 2018, ISBN 978-3-406-71402-3.
- Morgen ist da: Reden, Beck, München 2019, ISBN 978-3406739422.
Artikel und Aufsätze (Auswahl)
- Vom Murmeln koranischer Suren in protestantischen Gymnasien. Aus Katharina Mommsens wegweisender Studie über das Verhältnis Goethes zum Islam sind jetzt zentrale Kapitel neu herausgegeben. In: Frankfurter Rundschau. 6. Oktober 2001.
- Sprich leise und mach die Poesie zu deiner Waffe. Wie Osama bin Laden den Propagandakrieg führt – und zu gewinnen droht. In: Süddeutsche Zeitung. 11. Oktober 2001.
- Moorhühner und Moneten. Kriegsführung in Afghanistan – und was man daraus nicht lernt. In: Süddeutsche Zeitung. 23. November 2001.
- Der Duft des Aufbruchs liegt in der Luft. Die israelische Friedensbewegung teilt sich, um zu siegen. In: Süddeutsche Zeitung. 12. Februar 2002.
- Der Sinn, den nur die Sinne erfassen. Zur Übersetzbarkeit des Korans. In: NZZ. 10. August 2002.
- Der Sheriff und sein Hinterhof. Amerika geht es im Irak nur um die Expansion seiner Macht. (Memento vom 21. September 2007 im Internet Archive) In: Süddeutsche Zeitung. 5. September 2002.
- Eine Schrift zwischen zwei Buchdeckeln. Plädoyer für ein Ende des Surenpingpong: Der Koran ist – wie die Bibel – nur in der Gesamtheit seiner Aussagen zu begreifen. In: Süddeutsche Zeitung. 4. Februar 2003.
- Die Alternative. Wer den Krieg ablehnt, muss dem Irak eine Perspektive zeigen. In: Süddeutsche Zeitung. 27. Februar 2003.
- Von Europa lernen. Demokratie im Irak: Die Frage ist nicht „ob“ – sondern „wie“. In: Süddeutsche Zeitung. 16. April 2003.
- Moderne und Islam. In: 25 Jahre Wissenschaftskolleg zu Berlin. 1981–2006. herausgegeben von Dieter Grimm. Akademie-Verlag, Berlin 2006, ISBN 3-05-008377-8, S. 229–242.
- Die Möglichkeit des Romans – Laudatio auf Martin Mosebach zur Verleihung des Georg-Büchner-Preises 2007. In: Perlentaucher.de, Abdruck als: Kampf gegen Windmühlen. Mosebach und der Roman. In: Navid Kermani: Zwischen Koran und Kafka. 2. Auflage. C.H. Beck, München 2015, S. 316–325.
- Dreimal Beten – Zuerst: der Muslim. In: Vatican Magazin. Heft 1/2009. (PDF-Datei; 136 kB)
- Dankesrede zur Verleihung des Hannah Arendt-Preises für politisches Denken 2011 (PDF; 233 kB), Bremer Rathaus, 2. Dezember 2011.
- Reisebericht aus dem Irak: Im Herzen der Schia. In: Der Spiegel. Nr. 39, 2014, S. 112–117 (22. September 2014, online)., Die Zukunft ist vorbei. In: Der Spiegel. Nr. 40, 2014, S. 132–136 (29. September 2014, online)., Warum?. In: Der Spiegel. Nr. 41, 2014, S. 144–149 (6. Oktober 2014, online).
- Jacques Mourad und die Liebe in Syrien. Rede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Video ZDF; Text, Frankfurter Allgemeine Zeitung. 19. Oktober 2015.
Hörbücher
- Was jetzt wichtig ist. Dankesrede Dönhoff Preis, Dankesrede Staatspreis Nordrhein-Westfalen, Trauerrede für Rupert Neudeck, Rede zum 20. Jahrestag des Lehrstuhls für jüdische Geschichte und Kultur (Ungekürzte Autorenlesung). Argon, Berlin 2020, ISBN 978-3-8398-7124-9.
Literatur
- Christoph Gellner: „Literatur, die in den Himmel schaut.“ Der Schriftsteller Navid Kermani. In: Stimmen der Zeit. 232 (139), 1, 2014, S. 43–52.
- Torsten Hoffmann (Hrsg.): Navid Kermani. text + kritik 217 (2018), ISBN 978-3-86916-668-1, 95 S.
- Navid Kermani, Martin Schulz, Ansgar Schnurr: Dritte, vierte, fünfte, sechste, siebte Räume. Navid Kermani und Martin Schulz im Gespräch über Bildbeschreibungen im Roman „Dein Name“. In: Barbara Lutz-Sterzenbach, Ansgar Schnurr und Ernst Wagner (Hrsg.): Bildwelten remixed. Transkultur, Globalität, Diversity in kunstpädagogischen Feldern. transcript Verlag, Bielefeld 2013, S. 247–264.
- Steffen Köhler: Navid Kermani. Politische Romantik als Staatstheologie. J.H. Röll Verlag, Dettelbach 2019.
- Ruth Bender: „Zugehörigkeite hat auch etwas Heikles“ / Schriftsteller Navid Kermani über Europa und das Deutschsein, in: Neue Presse vom 8. Februar 2018, S. 22
Weblinks
- Literatur von und über Navid Kermani im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Offizielle Website von Navid Kermani
- Rezensionen zu Werken von Navid Kermani bei perlentaucher.de
- Navid Kermani in der Internet Movie Database (englisch)
- Deutschlandfunk (DLF) Kulturfragen vom 21. September 2014: „In Bagdad lachen sie nicht mehr“, Navid Kermani im Gespräch mit Kersten Knipp
- Dokumentation der Debatte um Navid Kermani und den Hessischen Kulturpreis
- DLF (Deutschlandfunk) Kulturfragen vom 31. Januar 2016: Navid Kermani. Auf dem Flüchtlingstreck durch Europa, Navid Kermani im Gespräch mit Holger Heimann
- WDR 3 (Westdeutscher Rundfunk) Tischgespräch vom 27. November 2019
- Deutschlandfunk Essay und Diskurs vom 12. April 2020: Ins Licht geschrieben (2/3): Erweckung der Toten – Peter Altenberg und mein Bücherregal
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 Friedenspreis. Abgerufen am 28. Januar 2018.
- ↑ Bücher Befördern Gedanken in durchblick 04/2015, S. 52, abgerufen am 15. Januar 2017 (PDF)
- ↑ Montags-Interview: „Ich dachte: Jetzt erst recht“, die tageszeitung, 4. März 2012, abgerufen am 15. August 2012.
- ↑ Munzinger-Archiv GmbH, Ravensburg: Navid Kermani. Abgerufen am 28. Januar 2018.
- ↑ Milena G. Klipingat: Navid Kermani. Schriftsteller, Orientalist und Kölner Weltbürger, Goethe-Institut, 2014.
- ↑ Navid Kermani: Gott ist schön. Das ästhetische Erleben des Koran. Beck, München 1999, ISBN 3-406-44954-9. (Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche).
- ↑ Navid Kermani: Gott ist schön. Das ästhetische Erleben des Koran. 1999 und Navid Kermani: Attar, Hiob und die metaphysische Revolte. 2005.
- ↑ Navid Kermani: Irak Im Herzen der Schia. In: Der Spiegel. 39, 2014-09-22 (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-129339532.html).
- ↑ Navid Kermani: Die Zukunft ist vorbei. In: Der Spiegel. 40, 2014-09-29 (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-129456864.html).
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- ↑ Philipp Schnee: Hinterfragen, was einem am nächsten steht. Sendung des DLF über sein Buch Vergesst Deutschland. Eine patriotische Rede. 1. Oktober 2012, aufgerufen am 23. Juli 2014.
- ↑ Besprechung von Navid Kermani: Gott, unsere Braut. In: Der Spiegel. 35/2015, 22. August 2015, S. 126–128. (Video (Lesung, 2:29 Min.)).
Personendaten | |
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NAME | Kermani, Navid |
ALTERNATIVNAMEN | نوید کرمانی (persisch) |
KURZBESCHREIBUNG | deutsch-iranischer Schriftsteller, Publizist und habilitierter Orientalist |
GEBURTSDATUM | 27. November 1967 |
GEBURTSORT | Siegen |
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