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Naturphilosophie

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Die Naturphilosophie versucht, die Natur in ihrer Gesamtheit aufzufassen und in ihren allgemeinen wie partikulären Strukturen zu beschreiben, theoretisch zu erklären und zu deuten. Naturphilosophie thematisiert die Charakteristika und Bedingungen der Möglichkeit der heutigen wissenschaftlichen und lebensweltlichen Naturauffassungen und geht deren gegenseitigen Abhängigkeiten (Interdependenzen) nach. Ihr Aufgabenfeld lässt sich, entsprechend der traditionellen Gliederung der Philosophie, dreiteilen in die Analyse von Natur als Inhalt bzw. Gegenstand theoretischer, praktischer und ästhetischer Urteile.[1] Sie widmet sich seit der Moderne auch dem Verhältnis zwischen verschiedenen Naturbegriffen.

Im europäischen Kulturkreis ist die ionische Naturphilosophie ein Ausgangspunkt der antiken Philosophie überhaupt. Die moderne systematische Naturphilosophie ist ein Teilgebiet der Ontologie und überschneidet sich mit der Philosophie der Physik, der Philosophie der Biologie und der Philosophien anderer Naturwissenschaften bzw. umfasst diese als Teildisziplinen. Darüber hinaus umfasst Naturphilosophie – wenn man sich nicht im engen, 'analytischen' Sinne als Wissenschaftstheorie der Naturwissenschaften begreift – auch die Reflexion auf nicht-wissenschaftliche Naturauffassungen, in denen Natur kein kausales Wirkungsgefüge, sondern ein ästhetischer oder ethischer Gegenstand, ein Symbol usw. ist.

Bestimmungen von Begriff und Methode von „Naturphilosophie“

„Natur“

Die europäische Naturphilosophie hat ihren Ursprung im antiken Griechenland. Der griechische Begriff für Natur, „physis“, weist dabei zwei Verwendungsweisen auf. Zum einen bezieht sich „physis“ auf die Gesamtheit aller von selbst entstandenen Dinge – dies aber erst seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. Zuerst meint das (von phyein – wachsen (lassen), entstehen - abgeleitete) Substantiv „physis“ die Natur von etwas, das „Wesen“, die Essenz einer Sache.[2] Dabei wird das Dynamische, das innere Prinzip des Wirkens, etwa der Bewegung, betont. Es geht um Prinzipien der Entfaltung, Erscheinung und des Wandels. Dies berührt insbesondere das Phänomen des Lebens. Die Bestimmung des Wesens des Menschen wird in der philosophischen Disziplin der Anthropologie behandelt, die insofern auch als ein Teilgebiet der Naturphilosophie verstanden werden kann. Auch die Grundlagen der menschlichen Natur für die Ethik, z. B. die Tugenden als natürliche Dispositionen, gehören zur Naturphilosophie.

Der Ausdruck „Natur“ und entsprechende Ableitungen („natürlich“, „naturwüchsig“, u. a. m.) werden immer im Gegensatz zu einem anderen Seinsbereich (z. B. Kunst/Artefakte), Prinzip (z. B. Freiheit) oder Vermögen (z. B. Vernunft) bestimmt, oftmals als Gegensatz zu „Kultur“, insofern letztere sich auf Artefakte bezieht, die durch menschliche Kunst oder Technik hervorgebracht sind (materiale Kultur).[3]

Eine weitere häufig anzutreffende Gegensatzbildung ist die von „Natur“ und „Übernatur“, die typisch für das christliche Mittelalter ist (u. a. bei Bonaventura): Natur galt als durch Gottes Eingreifen auch immer wieder als extern veränderbar. Während beispielsweise die neuzeitliche Naturphilosophie auf Objekte und Methodik naturwissenschaftlicher, empirischer Erkenntnismöglichkeiten verpflichtet ist, galt dies nach einer klassischen Unterscheidung für die spezielle Metaphysik nicht. Diese diskutiert vielmehr Thematiken wie Seele, Emanation, Gottheit und Göttliches. Unterschiedliche Klassiker ziehen diese Grenze aber unterschiedlich streng. Aristoteles beispielsweise unterscheidet als zwei Werke, Disziplinen und Gegenstandsbereiche die „Physik“ und die „Metaphysik“, behandelt nach heutiger Wissenschaftssystematik aber in der „Physik“ auch Themen der Ontologie und in der „Metaphysik“ auch naturwissenschaftliche Themen – etwa solche der Kosmologie. Im griechischen Denken gibt es keine Übernatürlichkeit.

„Naturphilosophie“ bzw. „Philosophie der Natur“

Der deutsche Ausdruck „Philosophie der Natur“ kommt erst im 18. Jahrhundert auf und ist eine Übersetzung von dem seit der Antike gebrauchten lateinischen Ausdruck philosophia naturalis, der traditionell für die Lehre von den sinnlich wahrnehmbaren Dingen gebraucht wurde.[4] Er wird im Deutschen einerseits sehr weit verwendet, so dass er beispielsweise anthropologische und phänomenologische Spekulationen zum Verhältnis von Mensch und Natur überhaupt mit umfasst, andererseits wird mehr und mehr eine enge Verwendung üblich, wie sie sich im englischsprachigen Raum schon lange etabliert. Demnach bezeichnet „Philosophie der Natur“ den Teilbereich der theoretischen Philosophie, welcher sich mit der Struktur der Natur inklusive der Interpretation unserer besten wissenschaftlichen Theorien darüber befasst. In beiden Verwendungsweisen ist oft ein Unterschied zur Verwendung des Ausdrucks „Wissenschaftstheorie“ üblich. „Wissenschaftstheorie“ bezieht sich dann auf allgemeinere erkenntnistheoretische (epistemologische), methodologische und spezifische Fragen zu Struktur und Wesen wissenschaftlicher Erkenntnis überhaupt. Da im englischen „science“ oft im engen Sinne von rein naturwissenschaftlicher Forschung verstanden wird und andere Wissenschaften beispielsweise als „humanities“ bezeichnet werden, kann „Wissenschaftstheorie“ aber so verwendet werden, dass Themen der Philosophie der Natur mit umfasst werden.

Historische Entwicklung

Antike

Die Anfänge der Naturphilosophie liegen in der griechischen Antike. Die Vorsokratiker suchten nach allgemeinen, konstanten Konstitutions- und Erklärungsprinzipien des Wandels der Erscheinungswelt. Dabei wurden meist ein oder mehrere einheitliche materielle Prinzipien angenommen, die einen gemeinsamen Ursprung (arché) bilden. Thales führte dazu das Wasser an, Anaximenes die Luft, Empedokles vier Elemente. Leukippos und Demokrit postulierten kleinste Teilchen: Atome. Anaximander sprach von einem Apeiron (das Unbestimmte), was evtl. mit Feuer oder Äther in Verbindung zu bringen ist.

Viele griechische Naturphilosophen, zuvorderst Aristoteles, schrieben eine Abhandlung mit dem Titel „Über die Natur“ (perì phýseōs). Aus dieser Tradition entwickelte sich der Begriff Physik als Inbegriff der späteren Naturwissenschaften, wenngleich die antiken Denker einen weiten Naturbegriff hatten.

Gegenstandsbereiche antiker Naturphilosophie waren u. a. Themen der Mathematik, Astronomie und Astrologie, Kosmologie, Physik, Technik, Geographie, Psychologie, Medizin, Botanik und Zoologie.

Zu Themen der Astronomie und Physik siehe Astronomie im antiken Griechenland

Chinesische Naturphilosophie

Zur Zeit der Streitenden Reiche wurde in China eine 5-Phasen- bzw. 5-Elemente-Lehre ausgeprägt (wuxing), die mit Wasser, Feuer, Holz, Metall und Erde die Grundbegriffe der chinesischen Kosmologie benennt.[5]

Frühe Neuzeit

Wichtige Naturphilosophen der Renaissance- und Barockzeit sind Copernicus, Giordano Bruno, Johannes Kepler und Isaac Newton.

Klassik und Romantik

Im Klassizismus (zirka 1770–1830) und in der Romantik wird – oftmals im Anschluss an Spinoza (1632–1677) – eine spekulative Einheit von Natur und Geist entworfen. Diese Tendenz kennzeichnet die Naturphilosophie u. a. – in unterschiedlicher jeweiliger Ausrichtung – von Goethe, Schelling und Hegel. Schellings Naturphilosophie stellt den Versuch dar, eine im substantiellen Gesetztsein gründende „positive“ Philosophie zu entwickeln, als Gegensatz zu einer rein „negativen“, im Begriff verharrenden, Transzendentalphilosophie. Für ihn hatte die Naturphilosophie den Stand einer Fundamentallehre. Auch in Hegels Werk nimmt die Naturphilosophie eine bedeutende Stellung ein. Die Hegelsche Naturphilosophie bildet den mittleren Teil seines enzyklopädischen Systems, dessen erster Teil die Logik oder Kategorienlehre und dessen dritter Teil die Philosophie des Geistes ausmacht. Die Aufgabe der Naturphilosophie ist nach Hegel die „begreifende Betrachtung“ der Natur (Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, § 246), wozu auch die Analyse der Grundkategorien der Naturwissenkategorien der Naturwisschenschaften (Raum, Zeit, Bewegung, Licht, Leben usw.) gehört, und zwar „nach der Selbstbestimmung des Begriffs“.

Kant hingegen hatte sich gegen spinozistische Versuche gestellt, aus der Natur „ein verständiges Wesen zu machen“.[6] Für Johann Gottlieb Fichte galt die Natur sogar als kein eigentlicher Gegenstand der Philosophie.

Die Romantik ist in ihren Naturbegriffen durch zwei Tendenzen gekennzeichnet: zum einen eine Auslagerung der Natur in den Bereich der Ästhetik, zum anderen eine vor-materialistische Aufhebung der Natur im Konzept der Produktivität (vgl. Schellings Konzept einer natura naturans).

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts

Anders als im Deutschen Idealismus erschien im aufkommenden Materialismus mit Karl Marx und Friedrich Engels eine Naturphilosophie für verzichtbar. Die Natur wurde zunehmend in physikalischen und chemischen Kategorien begriffen. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert wird v. a. die naturgeschichtliche Komponente der Naturphilosophie in die Evolutionstheorie integriert.

20. Jahrhundert

Zu deutschen Naturphilosophen des 20. Jahrhunderts gehören Adolf Meyer-Abich, Georg Picht, Hans Jonas, Carl Friedrich von Weizsäcker, Klaus Michael Meyer-Abich, Lothar Schäfer[7], Gernot Böhme[8] und Michael Drieschner[9].

Im Nachlass von Paul Feyerabend fand man ein unabgeschlossenes Manuskript mit dem Titel Naturphilosophie.

Generell wird die Naturphilosophie im 20. Jahrhundert stark durch die Wissenschaftsphilosophie, zuvorderst die Lebensphilosophie bzw. Biophilosophie,[10] die Umweltethik,[11] die Evolutionäre Erkenntnistheorie,[12] teilweise auch durch die Technikphilosophie geprägt.

Die gesellschaftliche Relevanz des Naturbegriffs tritt in solchen Prägungen meist eher in den Hintergrund.

Ein disziplinärer Hort einer Naturphilosophie, die sich auch mit lebenspraktischen Ontologien beschäftigt, ist weiterhin die Phänomenologie.

Besonders im Bereich der analytisch geprägten Philosophie beziehen sich aktuelle Lehrbücher und Einzeldebattenstränge auf Teilthemen der Philosophie der Physik als Grundlagenwissenschaft der Naturwissenschaften und auf die Rekonstruktionen und Interpretationen weiterer naturwissenschaftlicher Disziplinen wie etwa innerhalb der Philosophie der Biologie.

Siehe auch

Literatur

Historische Darstellungen

  • James Cushing: Philosophical Concepts in Physics, Cambridge: CUP 1998.
  • S. Donati, Andreas Speer: Physik und Naturphilosophie, in: Lexikon des Mittelalters, J. B. Metzler 2000, Bd. 6, 2111-2117.
  • Uwe Meixner (Hrsg.): Schwerpunkt: Geschichte der Naturphilosophie. Mentis, Paderborn 2004, ISBN 3-89785-156-3
  • Gregor Schiemann (Hrsg.): Was ist Natur? Klassische Texte zur Naturphilosophie. DTV, München, 1996.
  • Klaus Stein: Naturphilosophie der Frühromantik, Schöningh 2004, ISBN 3-506-71794-4.
  • Roberto Torretti: The Philosophy of Physics, Cambridge: CUP 1999 Historisch aufgebaut

Systematische Darstellungen

Speziellere Literatur

  • Gernot Böhme, Gregor Schiemann: Phänomenologie der Natur, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1997, ISBN 3-518-28925-X
  • Stefan Heiland: Naturverständnis, Darmstadt: WBG, 1992, ISBN 3-534-80138-5
  • Hans Werner Ingensiep, Richard Hoppe-Sailer (Hrsg.): Natur-Stuecke. Zur Kulturgeschichte der Natur. Ostfildern bei Stuttgart, Edition Tertium, 1996/2002, ISBN 3-930717-29-8 Beiträge von H. Baranzke, J. Barkhoff, H. Böhme, A. Eusterschulte, F. Fehrenbach, M. Hoffmann, K. Jax, G. König, P. Matussek u. a.
  • Kristian Köchy: Perspektiven des Organischen, Paderborn: Schöningh 2003.
  • Kristian Köchy, Martin Norwig (Hrsg.): Umwelt - Handeln. Zum Zusammenhang von Naturphilosophie und Umweltethik, Freiburg: Karl Alber 2006.
  • Ulrich Krohs, Georg Toepfer (Hg.): Philosophie der Biologie. Eine Einführung. Suhrkamp, Frankfurt/M. 2005.
  • Christian Kummer (Hrsg.): Was ist Naturphilosophie und was kann sie leisten? Freiburg, Alber 2009.
  • Günther Witzany: Natur der Sprache - Sprache der Natur. Sprachpragmatische Philosophie der Biologie, Würzburg: Königshausen & Neumann 1993, ISBN 3-88479-827-8

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Schiemann, Gregor 2012: | Naturphilosophie [Version 2.0]. In: Kirchhoff, Thomas (Redaktion): Naturphilosophische Grundbegriffe.
  2. Thomas Buchheim, physis, in: Christoph Horn/Christof Rapp (Hrsg.): Wörterbuch der antiken Philosophie, München 2002, S. 345 ff.
  3. Großklaus, Götz 1983: Einleitung. In: Großklaus, G. & Oldemeyer, E. (Hg.): Natur als Gegenwelt. Beiträge zur Kulturgeschichte der Natur. Karlsruhe, von Loeber: 8–12; 1 Spaemann, Robert 1987: Das Natürliche und das Vernünftige. In: Schwemmer, O. (Hg.): Über Natur. Philosophische Beiträge zum Naturverständnis. Frankfurt/M., Klostermann: 149–164.
  4. Michael Heidelberger, Gregor Schiemann: Naturphilosophie, in: Hans Jörg Sandkühler (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie, Hamburg: Meiner 2000, S. 1129.
  5. Aihe Wang: Yinyang wuxing, in: „Encyclopedia of Religion“, Bd. 14, 9887-9890
  6. KdU, § 68, AA 5, 383; n. Wolfgang Riedel: Die anthropologische Wende: Schillers Modernität, in: Hans Feger (Hrsg.): Friedrich Schiller. Die Realität des Idealisten, Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2006, ISBN 978-3-8253-5269-1, 157.
  7. Lothar Schäfer, Das Bacon-Projekt, Frankfurt am Main 1995.
  8. Gernot Böhme, Natürlich Natur. Frankfurt am Main 1992.
  9. Michael Drieschner, Moderne Naturphilosophie. Paderborn 2002.
  10. Kristian Köchy, Biophilosophie zur Einführung, Hamburg: Junius 2008.
  11. Konrad Ott: Umweltethik zur Einführung, Hamburg: Junius 2010.
  12. * Gerhard Vollmer: Die Erkenntnis der Natur. Beiträge zur modernen Naturphilosophie. 3. Aufl. Hirzel, Stuttgart 2003, ISBN 3-7776-1249-9
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