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Nathan der Weise

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Der Titel dieses Artikels ist mehrdeutig. Weitere Bedeutungen sind unter Nathan der Weise (Begriffsklärung) aufgeführt.
Daten des Dramas
Titel: Nathan der Weise
Gattung: Dramatisches Gedicht
Originalsprache: Deutsch
Autor: Gotthold Ephraim Lessing
Erscheinungsjahr: 1779
Uraufführung: 14. April 1783
Ort der Uraufführung: Döbbelinsches Theater
Ort und Zeit der Handlung: Jerusalem um 1192
Personen
  • Nathan, ein reicher Jude in Jerusalem
  • Recha, dessen angenommene Tochter
  • Sultan Saladin
  • Sittah, dessen Schwester
  • Daja, eine Christin, aber in dem Hause des Juden, als Gesellschafterin der Recha
  • Ein junger Tempelherr
  • Ein Derwisch
  • Der Patriarch von Jerusalem
  • Ein Klosterbruder
  • Ein Emir
  • nebst verschiedenen Mamelucken des Saladin
Erstdruck (auf Subskriptionsbasis, noch ohne Verlagsangabe)
Recha begrüßt ihren Vater, 1877 von Maurycy Gottlieb

Nathan der Weise ist der Titel und die Hauptfigur eines fünfaktigen Ideendramas von Gotthold Ephraim Lessing, das 1779 veröffentlicht und am 14. April 1783 in Berlin uraufgeführt worden ist. Das Werk hat als Themenschwerpunkte den Humanismus und den Toleranzgedanken der Aufklärung. Besonders wichtig dabei ist die Ringparabel im dritten Aufzug des Dramas. Diese Parabel findet sich allerdings bereits in der dritten Geschichte von Giovanni BoccacciosDecamerone“.[1] Die Geschichte von den drei ununterscheidbaren Ringen lässt sich bis zum Jahr 1100 zurückverfolgen. Sie wurde wahrscheinlich auf der Iberischen Halbinsel von sephardischen Juden erfunden.

„Nathan der Weise“ ist Lessings letztes Werk. Hintergrund ist der Fragmentenstreit, eine Auseinandersetzung mit dem Hamburger Hauptpastor Johann Melchior Goeze, die soweit reichte, dass ein Teilpublikationsverbot gegen Lessing verhängt wurde. Infolgedessen integrierte Lessing seine deistischen Vorstellungen in dieses Drama. Unmittelbar vor dessen Fertigstellung hatte er an seinem philosophischen Hauptwerk Die Erziehung des Menschengeschlechts gearbeitet. Seine Beschäftigung mit dem Stoff reicht jedoch nachweislich bis ca. 1750 zurück.

In der Figur Nathan der Weise setzte Lessing seinem Freund Moses Mendelssohn, dem Begründer der jüdischen Aufklärung, ein literarisches Denkmal.

Äußere Form

Das Werk entspricht im Aufbau einem klassischen Drama. Dazu gehören folgende Elemente:

Lessing hat das Drama im Blankvers verfasst, der in England seinen Ursprung hat und sich erst durch ihn in Deutschland durchsetzen konnte. Die Handlung ist geteilt auf 5 Aufzüge, die wiederum in Auftritte gegliedert sind.

„Nathan der Weise“ enthält sowohl tragische als auch komische Elemente, ist aber trotz des versöhnlichen Ausgangs weder eine Komödie noch eine Tragödie. Im Mittelpunkt der Handlung steht die Ringparabel, somit im Kern die Frage nach der „wahren“ Religion.

Inhalt

Die Handlung spielt zur Zeit des Dritten Kreuzzugs (1189-1192) während eines Waffenstillstandes in Jerusalem.

Als der Jude Nathan von einer Geschäftsreise zurückkommt, erfährt er, dass seine Pflegetochter Recha von einem jungen christlichen Tempelherrn aus dem Feuer seines brennenden Hauses gerettet worden ist. Der Ordensritter verdankt sein Leben der Begnadigung durch den muslimischen Herrscher, Sultan Saladin. Dieser hat ihn als einzigen von zwanzig Gefangenen begnadigt, weil er Saladins verschollenem Bruder Assad ähnlich sah. Trotz der Unwahrscheinlichkeit der Ereigniskette ist Nathan nicht bereit, hierin ein Wunder zu sehen, und er überzeugt auch Recha davon, dass es schädlich sei, an das Wirken von Engeln und an Wunder zu glauben.

Durch geschickte Rede überzeugt Nathan den antijüdischen Tempelherrn, dass es sinnvoll sei, ihn, Nathan, zu besuchen, um den Dank seiner Tochter entgegenzunehmen.

Derweilen hat Saladin Geldsorgen, weswegen er Nathan zu sich bringen lässt. Er gibt dazu vor, Nathans bekannte Weisheit testen zu wollen, und fragt nach der „wahren Religion“. Nathan antwortet mit der Ringparabel. Saladin versteht schnell die Botschaft von der Gleichberechtigung der drei monotheistischen Religionen. Davon tief beeindruckt, bittet er, Nathans Freund sein zu dürfen. Noch erfreuter zeigt er sich, als er von Nathan ein Darlehensangebot erhält, ohne danach gefragt zu haben.

Der Tempelherr hat sich unterdessen in Recha verliebt und möchte sie heiraten. Als er durch Information von Nathans Gesellschafterin Daja, einer Christin, herausfindet, dass Recha adoptiert ist und ihre leiblichen Eltern Christen waren, wendet er sich an den Patriarchen von Jerusalem, auch weil Nathans Reaktion auf die Idee einer Heirat sehr zurückhaltend ausgefallen ist. Der Tempelherr erzählt so, als handele es sich um einen hypothetischen Fall, doch das Kirchenoberhaupt Jerusalems möchte sofort „diesen Juden“ suchen und ihn wegen Apostasie auf den Scheiterhaufen bringen lassen.

Durch ein Verzeichnis eines Klosterbruders stellt sich schließlich heraus, dass die von einem Juden erzogene Recha und der christliche Tempelherr Geschwister und zugleich die Kinder von Assad sind, der wiederum Saladins Bruder und Moslem war. Somit sind sie auch noch Nichte und Neffe des Muslims Saladin, womit die enge Verwandtschaft der Religionen nochmals verdeutlicht wird. Nathan wird als Vater im Sinne der Seelenverwandtschaft und Adoption anerkannt.

Ringparabel

Die Toleranzidee wurde schon im 14. Jahrhundert in Il Decamerone von Boccaccio ähnlich wie von Lessing veranschaulicht. Boccaccio erzählt die Geschichte vom Vater, der einen kostbaren Ring, sein wertvollstes Juwel, an denjenigen unter seinen Söhnen weitergibt, den er am meisten liebt und den er damit zum Erben einsetzt. So verfahren auch seine Nachkommen. Als Generationen später jedoch ein Vater seine drei Söhne alle gleich liebt, lässt er ohne deren Wissen zwei weitere Ringe anfertigen, so dass der Vater „kaum“ und die Söhne gar nicht mehr entscheiden können, welcher Ring der ursprüngliche ist. Diese Handlung finden wir auch in leicht veränderter Form in der Schlüsselszene Lessings, der Ringparabel:

In ihr lässt Saladin Nathan zu sich rufen und legt ihm die Frage vor, welche der drei monotheistischen Religionen er für die wahre halte. Nathan erkennt sofort die ihm gestellte Falle: Erklärt er seine Religion zur „einzig wahren“, muss Saladin das als Majestätsbeleidigung auffassen, schmeichelt er hingegen dem Sultan, muss er sich fragen lassen, warum er noch Jude sei. In beiden Fällen muss Nathan zahlen.

Um einer klaren Antwort auszuweichen („Nicht die Kinder bloß, speist man mit Märchen ab“[2]) antwortet er mit einem Gleichnis. Darin besitzt ein Mann ein wertvolles Familienerbstück: einen Ring, der über die Eigenschaft verfügt, seinen Träger „vor Gott und den Menschen angenehm“ zu machen, wenn derselbe Träger ihn „in dieser Zuversicht trug“. Dieser Ring wurde über viele Generationen hinweg vom Vater an jenen Sohn vererbt, den der Vater am meisten liebte.

Doch nun tritt der Fall ein, dass der Vater drei Söhne hat und von ihnen keinen bevorzugen kann und möchte, sodass er von einem Künstler exakte Duplikate des Ringes herstellen lässt. Er hinterlässt jedem Sohn einen Ring, wobei er jedem versichert, sein Ring sei der echte.

Nach dem Tode des Vaters ziehen die Söhne vor Gericht, um klären zu lassen, welcher von den drei Ringen der echte sei. Der Richter aber ist außerstande, dies zu ermitteln. So erinnert er die drei Männer daran, dass der echte Ring die Eigenschaft habe, den Träger bei allen anderen Menschen beliebt zu machen; wenn aber dieser Effekt bei keinem der drei eingetreten sei, dann könne das wohl nur heißen, dass der echte Ring verloren gegangen sei (auf die Frage, wann dies geschehen sein könnte, geht der Richter nicht explizit ein; theoretisch kann also auch der Ring des Vaters schon unecht gewesen sein). Daraufhin gibt der Richter den Söhnen den Rat, jeder von ihnen solle glauben, dass sein Ring der echte sei, da der Vater alle drei Söhne gleich geliebt habe und es deshalb habe nicht ertragen können, einen zu begünstigen und die beiden anderen zu kränken, wie es die Tradition eigentlich erfordert hätte. Wenn einer der Ringe der echte sei, dann werde sich das in der Zukunft an der ihm nachgesagten Wirkung zeigen; jeder Ringträger solle sich bemühen, diese Wirkung herbeizuführen.

Die Ringparabel gilt als ein Schlüsseltext der Aufklärung und als pointierte Formulierung der Toleranzidee.

Lessings Weiterführung der Boccaccio-Geschichte

Im Unterschied zu Boccaccios Erzählung ist der Ring, von dem Nathan berichtet, nicht bloß „wunderschön und kostbar“, sondern er enthält einen magischen Stein, dessen Wirkung jedoch nur eintritt, wenn der Träger an sie glaubt - die Mitwirkung des Besitzers also ist entscheidend.

Der Vater kann die drei Ringe nicht „kaum“, sondern wirklich gar nicht mehr unterscheiden, was ihn jedoch nicht hindert, „froh und freudig“ zu sein - er ist geradezu erleichtert, alle Söhne zufriedenstellen zu können.

Dann kommt der eigentliche Hauptteil, die Erzählung von der Zeit, als die Söhne das Erbe angetreten haben.

Der Streit der Söhne wird anschaulicher ausgemalt, um das Problem zu verdeutlichen.

Darauf wird der Richter eingeführt, den es bei Boccaccio noch nicht gab: Er bezieht sich auf die Wunderwirkung des echten Ringes und leitet daraus eine Aufgabe für die Besitzer ab. Sie wird entweder die Lösung bringen oder zeigen, dass die Besitzer in Bigotterie befangen waren. Als weiteres Ergebnis der Probezeit ist auch die Erkenntnis denkbar, dass alle drei Steine unecht sind und der wahre erste verlorengegangen ist.

In jedem Falle aber wird noch einmal deutlich, dass die Ringe und ihre Steine als solche ohne menschliches Sich-Bemühen nichts bewirken und dass der Vater alle drei Söhne gleich liebte und alle drei Ringe für gleich wertvoll hielt.

Des Richters Urteil, der echte Stein sei derzeit nicht erkennbar, und die sich daraus ergebende Aufgabe, jeder Sohn solle im Sinne seines Steines leben, verbietet Bigotterie, Intoleranz und Missionierung.

Interpretation

Die Parabel kann dahingehend verstanden werden, dass der Vater für den liebenden Gott, die drei Ringe für die drei monotheistischen Religionen (Judentum, Christentum und Islam), die drei Söhne für deren Anhänger und der Richter, dem der Streitfall vorgetragen wird, für Nathan selbst stehen. Eine Aussage der Parabel wäre demnach, dass Gott die Menschen gleichermaßen liebe, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, da alle drei Religionen sein Werk und alle Menschen seine Kinder seien. Nicht schlüssig zu erklären ist nach dieser Interpretation allerdings, wie man es sich vorzustellen hat, dass Gott seinen Ring von seinem Vater geerbt haben soll (der Ring wurde bereits über Generationen hinweg weiter vererbt). Am Ende der Parabel spricht Nathan von einem anderen Richter, vor den der erste die Kinder und Kindeskinder der drei Brüder laden wird: "So lad ich über tausend tausend Jahre / sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird / ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen / als ich; und sprechen. (...)" Diese tausend mal tausend, also eine Million Jahre, verweisen auf einen endzeitlichen Richter, in dem wiederum Gott zu sehen ist, der die endgültige Entscheidung fällt. So steht Gott als Vater und als Richter am Anfang und am Ende der Parabel, man kann auch sagen: am Anfang und am Ende der Welt, nach jüdisch-christlicher Auffassung. Die Frage, woher er selbst den "echten" Ring hat, erübrigt sich dann. Gott als überzeitliches Wesen hat ihn von jeher.

Wichtig sei es, dass die Menschen sich nicht darauf versteifen, die „einzig wahre Religion“ zu „besitzen“, da sie das fanatisch und wenig liebenswert mache. Zudem sei es eine Zumutung, von Menschen zu verlangen, dass sie ihren Eltern vorwerfen, diese hätten sie zu einem „Irrglauben“ erzogen[3]. Also soll jeder seinen Glauben für den richtigen halten, dies aber nicht anderen gegenüber geltend machen, da jede authentische Religion letztlich ihren Ursprung in Gott hat. Da das Maß der Echtheit des ersten Ringes darin zu sehen ist, dass er "beliebt macht vor Gott und Menschen", wäre jeder Ring echt, der dies erfüllt; jeder unecht, der dies nicht erfüllt. Da die Brüder sich untereinander nicht lieben und misstrauen, kann keiner ihrer Ringe der echte sein. Die Gültigkeit jeder Religion wäre demnach nur darin zu sehen, in welchem Maß sie in der Lage ist, Liebe zu stiften.

Die Frage, welcher Ring der echte sei, müsse deshalb zurückgestellt werden, da keine der drei Religionen die Menschen so veredele, wie es der Fall sein müsste, wenn der echte Ring (die echte Religion) nicht verloren gegangen wäre, was nach Aussagen des Richters als Möglichkeit in Betracht gezogen werden müsse. Mit seiner Antwort weist also Nathan Saladins Frage nach der „einzig wahren Religion“ zurück.

Wie für eine Parabel typisch, gehen auch im dritten Akt von Nathan der Weise Realität und Fiktion ineinander über. Die Geschichte Nathans, welche er dem Sultan Saladin erzählt, soll die Frage Saladins auf eine indirekte Weise beantworten und die Frage zugleich zurückweisen, da nach Nathan (Lessing) jeder Mensch seinen eigenen Glauben finden und anerkennen müsse, ohne die Richtigkeit anderer Religionen in Frage zu stellen. Völlig gebannt von der ihm vorgetragenen fiktiven Geschichte, schickt Saladin den weisen Nathan weg, um über die Lektion, welche ihm Nathan soeben erteilt hat, nachzudenken. Dass ein Charakter die Lehre der Parabel annimmt, ist ein wichtiges Gattungsmerkmal; dieses Verhalten soll der Zuschauer des Stückes nachahmen.

Natürliche Religion und positive Religion

In seiner 1762/63 entstandenen Schrift „Über die Entstehung der geoffenbarten Religion“[4] erklärt Lessing, wie er sich das Verhältnis der Religionen vorstellt:

„Einen Gott erkennen, sich die würdigsten Begriffe von ihm zu machen suchen, auf diese würdigsten Begriffe bei allen unsern Handlungen Rücksicht nehmen, ist der vollständigste Inbegriff aller natürlichen Religion.“

Diese „natürliche Religion“ sei dem Naturzustand zuzuordnen, in dem sich die Menschen vor dem Gesellschaftsvertrag befunden hätten. Nach dem Gesellschaftsvertrag sei die natürliche Religion durch Konventionen in „positive Religionen“ überführt worden (Analogie: Übergang vom natürlichen Recht in positives Recht). Das Wahre an den positiven Religionen sei deren gemeinsamer Kern, die natürliche Religion, das durch Konventionen Hinzugefügte hingegen sei zwar unvermeidlich, mache die positive Religion aber nicht „wahr“. Autorität erlangten alle positiven Religionen durch die Person des Religionsstifters, dem geglaubt werde, aus seinem Mund spreche Gott selbst (durch Offenbarung).

Lessings Schlussfolgerung: „Alle positiven und geoffenbarten Religionen sind folglich gleich wahr und gleich falsch.“

Lessings Vorlagen

Zur Vorgeschichte der Ringparabel siehe die Erzählung von Saladins Tisch bei Jans dem Enikel (13. Jahrhundert) und die Erzählung Vom dreifachen Lauf der Welt in den Gesta Romanorum. Mit dem Spruch des Richters wächst Lessing über die vorgefundenen älteren Fassungen der Ringparabel weit hinaus.

Charakterisierung der Hauptfiguren

Nathan

Statue Nathan, (1961), Erich Schmidtbochum (1913-1999), Modell: Ernst Deutsch (1890–1963), Wolfenbüttel

Nathan ist die Hauptfigur, bei der die Handlungsstränge zusammenlaufen und die alle Fäden zu einem Ganzen verknüpft.

Zuerst wird Nathan als reicher Kaufmann aus Jerusalem vorgestellt (I, 6.), der von seinen Geschäftsreisen immer viel Geld und Luxusgüter mitbringt. Nathan möchte die leeren Staatskassen Saladins nicht füllen, obwohl er dadurch seinen Reichtum vermehren könnte; nicht zuletzt deshalb lehnt er aber ab, als sein Freund Al-Hafi ihn darum bittet. Durch dieses Verhalten entkräftet Nathan das Vorurteil, dass Juden nur nach Reichtum streben. Auf die indirekte Bitte des Sultans, ihm Geld zu leihen, reagiert er aber trotz der ihm gestellten Falle entgegenkommend.

Nathan wird vom Volk und von allen Menschen vor allem wegen seiner Güte und Großmut gelobt.

In Nathans Person bilden „bürgerliche Tüchtigkeit“ und „Tugend“ eine in sich geschlossene Einheit.

Saladin und der Tempelherr sehen in Nathan allerdings zuerst den Juden, dem man Geld abnehmen bzw. den man verachten könne.

Recha ist zwar nur Nathans Adoptivtochter, doch er nennt sie ganz selbstverständlich „meine Recha“ und „mein liebes Kind“. Nathan ist für Recha der perfekte Vater, obgleich er nicht ihr leiblicher Vater ist („Das Blut allein macht noch nicht den Vater aus.“). Außerdem ist er Beschützer und Anwalt Rechas zugleich.

Nathan hat sich vom orthodoxen Judentum gelöst und ist anderen Religionen gegenüber tolerant eingestellt („Jud' und Christ und Muselmann und Parsi, alles ist Ihm eins“[5]). Für ihn ist es wichtig, „Mensch“ zu sein, und zwar im Sinne eines „blossen Menschen“ und nicht eines „solchen Menschen“ (vgl. auch Lessings Werk „Ernst und Falk“[6]). Indem Nathan vom jüdischen und vom christlichen Volk spricht[7], zeigt er, dass es ihm nicht nur um Unterscheidungen auf Grund der Religionszugehörigkeit geht. Bei ihm finden Glaube und Vernunft Einklang. Deshalb lehnt er konsequent den „vernunftwidrigen“ Wunderglauben ab[8]. Seine Weltanschauung lebt er vorbildhaft und macht sie auch zur Grundlage von Rechas Erziehung. Wegen dieser Weltanschauung (und nicht wegen seines Geschäftssinns, wie der Tempelherr zunächst vermutet) wird er als „weise“ bezeichnet.

Es zeigt sich ebenfalls darin, dass Nathan den „Wunderglauben“ ablehnt, als er, trotz des durch die Christen verursachten Verlusts seiner Familie, Recha – ein „Christenbaby“ im Alter von 8 Wochen – bei sich aufnimmt. Zitat (4. Aufzug, 7. Auftritt): „hatt ich drei Tag' und Nächt' in Asch'/Und Staub vor Gott gelegen, und geweint - [...] Doch nun kam die Vernunft allmählig wieder. [...] Ich nahm das Kind [...] warf/Mich auf die Knie' und schluchzte: Gott! auf Sieben/Doch nun schon Eines wieder!“

Nathan gilt als Sprachrohr Lessings im Stück.

Saladin

Sultan Saladins Palast ist der Mittelpunkt der politischen Macht in Jerusalem und Schauplatz der letzten Szene.

Während eines Angriffes auf Tebnin nehmen Saladins Männer 20 Tempelritter als Gefangene. Nur einen dieser Tempelritter lässt Saladin am Leben, weil er seinem verschollenen Bruder Assad ähnlich sieht. Saladin ist muslimischen Glaubens und von Grund auf recht großzügig, was Geschenke und Gaben an bestimmte Personen angeht. Dies treibt ihn schließlich in den wirtschaftlichen Ruin.

Die Begegnung mit Nathan und der „Ringparabel“ wird zum Schlüsselerlebnis für Saladin, welches seine Einstellung zu verändern scheint. (4. Aufzug, 4. Auftritt: „Ich habe nie verlangt, Daß allen Bäumen Eine Rinde wachse.“).

Der junge Tempelherr

Der Tempelherr (Curd von Stauffen, wahrer Name: Leu von Filnek) ist Christ und Mitglied des Templerordens. Er ist ein junger Grobian und als Christ weist er auch die damals üblichen Vorurteile gegenüber Juden auf. Durch sein beherztes Eingreifen rettet er Recha aus den Flammen des brennenden Hauses. Für diese Tat möchte er aber keinen Dank und keine Anerkennung, weil er nicht Recha zuliebe half, sondern seines Lebens überdrüssig war und hoffte, bei dem Versuch zu sterben. Nach einiger Zeit, in der er Daja, Recha und Nathan aus dem Weg geht, merkt er, dass er sich in Recha verliebt hat.

Zu Nathan kann der Tempelherr eine Freundschaft aufbauen und sein gesamtes Bewusstsein verändern. Er ist gleicher Ansicht wie Nathan und Saladin, was die Religionen und das optimale menschliche Verhalten betrifft, jedoch fällt er wieder in religiöse Intoleranz zurück, als er erfährt, dass Recha eine Christin ist.

In der Schlussszene stellt sich heraus, dass der Tempelherr und Recha Geschwister sind und Saladin und Sittah Onkel und Tante.

Der Patriarch

Der Fanatiker und Politiker ist der Gegenspieler Saladins und Nathans. Er ist intolerant und glaubt an seine eigene Unfehlbarkeit, sogar vor Mord würde er nicht zurückschrecken. Der Patriarch steht für den absolut unaufgeklärten Menschen. Der Patriarch Heraclius soll für diese Figur Modell gestanden haben.

Wegen seiner intoleranten Einstellung gegenüber anderen Religionen fehlt er in der Schlussszene, die alle Figuren vereint, die die Ideale der Aufklärung verinnerlicht haben, bzw., die im Laufe der Handlung des Dramas immer toleranter wurden.

Ihn kennzeichnet die dreimalige Wiederholung seiner über Nathan getroffenen Entscheidung „Tut nichts, der Jude wird verbrannt“ (IV, 2)

Der Klosterbruder

Der Klosterbruder steht in Diensten des Patriarchen und muss für ihn Botengänge erledigen. Zum Tempelherren soll er mit der Nachricht, dieser solle, wenn er der Christenheit einen Dienst erweisen wolle, im Sultanspalast spionieren und sich an einem Anschlag auf Saladin beteiligen. Dieser lehnt entschieden ab, was den Klosterbruder erfreut, denn auch er verabscheut die Machenschaften des Patriarchen. Er zeigt herzenskluge Nächstenliebe, bereits darin, dass er das Waisenkind Blanda von Filnek (Recha) zu Nathan brachte, unabhängig von dessen Judentum.

Früher stand er in den Diensten von Assad, Saladins Bruder, der damals den Namen 'Wolf von Filnek' trug.

Daja

Die überzeugte, aber durchaus bestechliche Christin verschließt sich den Lehren Nathans über die Toleranz, deshalb fehlt sie auch in der letzten Szene des Dramas. Sie ist die Witwe eines während eines Kreuzzuges zusammen mit Kaiser Barbarossa ertrunkenen Kreuzfahrers und die Gesellschafterin Rechas im Hause des Nathan.

Recha

Ihr Geburtsname ist Blanda von Filnek. Sie wurde erst von Nathan Recha genannt. Die Ziehtochter ist ein lernfähiger Mensch, wirkt aber in Folge des Einflusses Dajas anfangs etwas naiv, da sie (wie Daja) die Asozialität der Schwärmerei und des Wunderglaubens nicht erkennt.

Im Prinzip verwendet Recha aber ihren Verstand (trotz permanenter Verunsicherung durch Daja) so, wie es Nathan sie gelehrt hat. Anfangs glaubt sie noch an eine Rettung durch einen Engel, schämt sich aber anschließend dafür, als der „Engel“ sich als Tempelherr entpuppt. Nun verliebt sie sich in ihn. Recha setzt sich stets für Nathan ein, obwohl er nicht ihr leiblicher Vater ist, und zwar auch, nachdem sie das erfahren hat.

Recha ist im Handlungsrahmen in etwa 18 Jahre alt. Zitat (4. Aufzug 7. Auftritt): „Hat Euch ein Reitknecht nicht vor achtzehn Jahren/Ein Töchterchen gebracht von wenigen Wochen?“

Sittah

Die Schwester Saladins gibt ihrem Bruder Kredite, ohne dass dieser etwas davon weiß. Sie hat einen besseren Bezug zur Realität und erkennt die tatsächliche politische Lage, sie bezeichnet die heiratspolitischen Pläne, eine Beziehung zwischen Muslime und Christen herzustellen, als Traum. Ihre Verbindung von Klugheit (sie spielt auch Schach (2.Aufzug 1.Szene)), Taktgefühl und Loyalität macht diese emanzipierte Frau zu Lessings Gegengewicht zu den naiver bzw. niedriger angelegten Frauenrollen der Recha bzw. der Daja.

Al-Hafi

Der Bettelmönch (auch als Derwisch bezeichnet) und Schachfreund Nathans wird Schatzmeister des Sultans. Er muss mit schlechten Mitteln Gutes tun, denn er soll Nathan überreden, dem Sultan Geld zu leihen. Sein Gelübde steht im Widerspruch zu seiner amtlichen Pflicht. Ihm wurde durch die Übernahme des Amtes von Saladin geschmeichelt und hoffte im Dienst und Auftrag Saladins, Armut und Not erfolgreich zu bekämpfen.

Al-Hafi verabschiedet sich als „klassischer Aussteiger“ von Nathan an den Ganges, wo er sein alternatives Leben als Bettelmönch in seiner parsischen Glaubensgemeinschaft, den Ghebern leben will. Al-Hafi fordert Nathan auf, ihn dorthin zu begleiten.

Al-Hafi repräsentiert als Anhänger der Lehre des Zarathustra eine weitere Religion in diesem Drama. Lessing hatte ursprünglich geplant, diese Figur ins Zentrum einer Nachschrift unter dem Titel Derwisch zu stellen.[9]

Rezeption

Lessing war schon zu Lebzeiten ein prominenter Autor. Nathan der Weise war seit Erscheinen in literarisch interessierten Kreisen bekannt. Seit dem frühen 19. Jahrhundert war es fester Bestandteil des klassischen bürgerlichen Bildungskanons, des Theaterspielplans und des gymnasialen Lehrplans. Bis zum Nationalsozialismus kannten daher viele Menschen in Deutschland das Stück. In der Nazi-Zeit war es verboten und verpönt, weil ein menschlich vorbildlicher Jude der Nazi-Ideologie widersprach. Heute hat es in viele Lehrpläne für den Deutschunterricht Eingang gefunden.

Unterschiede von Boccaccio und Lessing

Der erste Abschnitt der Ringparabel ist bei beiden Schriftstellern gleich: Saladin, der durch seine zahlreichen Feldzüge und sein großzügiges Sozialhilfeprogramm für die Bedürftigen bankrott ist, überlegt verzweifelt, wie er Geld zur Überbrückung bekommen kann. Bei Boccaccio wendet sich Saladin aus eigenem Antrieb an einen reichen „Melchisedech“, bei Lessing auf Sittahs Anraten an Nathan, die, so glaubt der Sultan, nicht nur weise, sondern auch besonders geizig seien. Saladin stellt nämlich eine Frage, auf die es scheinbar keine akzeptable Antwort geben kann. Bei Boccaccio, genauso wie bei Lessing, fragt der Sultan: „Was für ein Glaube, was für ein Gesetz hat dir am meisten eingeleuchtet?“. Der Jude soll also dem Muslim erklären, welche der drei Religionen - Christentum, Islam und Judentum - die richtige, also für ihn die „wahre“ sei. Während Saladin bei Boccaccio Melchisedech nur um eine allgemeine Antwort auf die Frage, welche Religion die beste sei, bittet, fragt Saladin bei Lessing Nathan nach seiner persönlichen Meinung.

Melchisedech, wie auch Nathan, erkennt die Falle des Sultans und verblüfft diesen mit der „Ringparabel“.

Lessing geht über die Vorlage hinaus, indem bei ihm zum einen die Ringe die Kraft besitzen, vor „Gott und den Menschen angenehm“ zu machen, wenn man die Ringe in dieser „Zuversicht“ trage, wenn man also gottesfürchtig und menschenfreundlich lebe. Zum anderen lässt Lessing die Geschichte anders enden: Die drei Söhne gehen vor Gericht, um klären zu lassen, welcher der Ringe der ursprüngliche sei. Doch auch der Richter kann keine Antwort, sondern nur einen Rat geben: „Es strebe von euch jeder um die Wette, die Kraft des Steins in seinem Ring´ an Tag zu legen.“ Er verweist noch darauf, dass die Kindeskinder der drei Söhne in tausend Jahren wieder vor diesen Richterstuhl treten können, wenn dort vielleicht ein weiserer Mann sitzt, um zu richten. Lessing zielt darauf ab, dass die drei Religionen Christentum, Judentum und Islam den gleichen Kern enthalten und jeder danach streben sollte, ein guter Mensch und für andere da zu sein.

Verfilmungen

Das Drama wurde im Jahre 1922 durch den jüdischen Filmregisseur Manfred Noa unter dem Titel Nathan der Weise verfilmt. Der Stummfilm galt nach dem Zweiten Weltkrieg als verschollen. Mitarbeiter des Filmmuseums München entdeckten ihn in Moskau, sorgten für eine aufwändige Restaurierung und veröffentlichten ihn 2006 auf DVD. 2009 wurde der Film für eine HD-Ausstrahlung auf arte mit neuer Filmmusik versehen.

Weitere Verfilmungen:

Textquellen

  • Erstausgabe: Nathan der Weise. Ein dramatisches Gedicht, in fünf Aufzügen; [o. Verlagsangabe], Berlin 1779 (276 Seiten inkl. Anmerkungen).
  • Ingrid Haaser (Hrsg.): Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise. Text und Materialien, Klassische Schullektüre, Cornelsen, Berlin 1997, ISBN 3-464-12136-4.
  • Ingrid Haaser (Hrsg.): Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise. Lehrerheft. Klassische Schullektüre, Cornelsen, Berlin 1999, ISBN 3-464-12137-2,
  • aktuelle Taschenbuchausgaben: Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise. Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen. Reclam, Stuttgart 2000, ISBN 978-3-15-000003-8 / dtv, München 2003, ISBN 978-3-423-02600-0 / Fischer, Frankfurt am Main 2008, ISBN 978-3-596-90048-0.

Sekundärliteratur

  • Thomas Möbius: Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise. Königs Erläuterungen: Textanalyse und Interpretation (Bd. 10). C. Bange Verlag, Hollfeld 2011, ISBN 978-3-8044-1919-3
  • Friedrich Niewöhner: Veritas sive Varietas. Lessings Toleranzparabel und das Buch von den drei Betrügern, Schneider, Heidelberg 1988, ISBN 3-7953-0761-9.
  • Hans Ritscher: Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise. In: Grundlagen und Gedanken: Drama, 6. Auflage. Diesterweg, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-425-06380-4.
  • Timotheus Will: Lessings dramatisches Gedicht Nathan der Weise und die Philosophie der Aufklärungszeit, Schöningh, Paderborn / München / Wien / Zürich 1999. ISBN 3-506-75069-0.
  • Knut Nippe: Die missbrauchte Ringparabel. In: Ichthys. Theologische Orientierung für Studium und Gemeinde, Nr. 43 (2006) 54-57
  • Peter Sloterdijk: Gottes Eifer. Vom Kampf der drei Monotheismen. Verlag der Weltreligionen im Insel Verlag, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-458-71004-2.
  • Gerhard Sedding: Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise. Klett Lektürehilfen. Klett Lerntraining, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-12-923068-8.
  • Friedhelm Zubke: Motive moralischen Handelns in Lessings "Nathan der Weise". Universitätsverlag Göttingen 2008, ISBN 978-3-940344-36-6 online-Ausgabe

Weblinks

 Commons: Nathan der Weise – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
 Wikiversity: Titelblatt und zeitgenössischer Einband der Erstausgabe 1779 – Kursmaterialien, Forschungsprojekte und wissenschaftlicher Austausch

Freie Webausgaben

Einzelnachweise

  1. Lessing verweist in einem Brief vom 6. September 1778 an Elise Reimarus auf die Figur des Melchisedech (Decamerone I.3); Ephraim Lessing: Gesammelte Werke, Band 9: Briefe; Berlin, Weimar: Aufbau-Verlag, 1982; S. 798f.
  2. Nathan der Weise, V.1889f.
  3. Nathan der Weise, V.1985-1990
  4. Gotthold Ephraim Lessing: Lessings Werke in fünf Bänden. Berlin/Weimar 1982. Band 2. S.240ff.
  5. Nathan der Weise, V.1070
  6. Ernst und Falk. Gespräche für Freimaurer [1]
  7. Nathan der Weise, V.1307-1311
  8. Nathan der Weise, V.359-364
  9. Stephan Eberle: Lessing und Zarathustra. In: Rückert-Studien, Bd. 17 (2006/2007) [2008], S. 73-130.
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