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Metzitzah B'Peh

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Metzitzah B'Peh bezeichnet einen Brauch bei der Brit Mila, nämlich dass der Mohel als letzte Handlung nach der Abtrennung der Vorhaut mit seinem Mund Blut aus der Wunde des Babys saugt.

Während viele, vor allem orthodoxe Rabbiner und Mohalim diesen Vorgang als halachisch notwendig betrachten, sehen ihn viele Ärzte als unnötig oder gar gesundheitsgefährdend an (Möglichkeit von Infektionen durch Übertragung von Krankheitserregern vom Mohel auf das Baby, z. B. Herpes).

In Israel beispielsweise treten bei ca. 65 000 Beschneidungen jährlich etwa drei bis vier Fälle auf, die auf diesen Brauch zurückgeführt werden. Ohnehin ist dieser Brauch die Ausnahme, in der Regel wird eine sterile Pipette angewandt.

In ultraorthodoxen Kreisen jedoch wird das Ritual exerziert und Versuche seiner Abschaffung werden als Generalangriff auf die Brit Mila empfunden. Darüber hinaus sieht man keinen zwingenden Zusammenhang zwischen den Erkrankungsfällen und den Mohalim als tatsächlicher Ursache.

Aus einem Artikel der FAZ vom 4.10.2012: „Beschneidung in New York. Der Kampf des Rabbis“

Der Mohel nimmt die in der Tora vorgeschriebene Beschneidung männlicher jüdischer Säuglinge am achten Tag nach der Geburt vor: die Brit Milah. Die Befugnis, sie zu vollziehen, erlangt ein Mohel nach einer mehrjährigen Schulung, die medizinische wie theologische Studien umfasst. Rabbi Romi Cohn hat in seiner gut vier Jahrzehnte währenden Laufbahn als Mohel mehr als 25.000 Beschneidungen hinter sich. Und er hat bei mehr als 25.000 frisch beschnittenen Säuglingen das Blut, das nach der Entfernung der Vorhaut an dem winzigen Penis austritt, mit dem Mund abgesaugt. Nach Überzeugung ultra-orthodoxer Juden schließt erst dieses Ritual, das „Metzitzah B’peh“, die Beschneidungszeremonie ab.

„Gott sei es gedankt, in keinem einzigen Fall ist es dabei zu einer Infektion gekommen“, sagt Rabbi Cohn: „Denn unsere Richtlinien sind viel strenger als jene der medizinischen Zunft.“ Ehe Rabbi Cohn eine Brit Milah samt Metzitzah B’peh vornimmt, reinigt und sterilisiert er seine Hände und spült den Mund mit einem antiseptischen Mundwasser aus. Unmittelbar nach der Entfernung der Vorhaut mit einem Skalpell nimmt er einen Schluck Rotwein in den Mund, beugt sich über den frisch beschnittenen Penis, saugt für einen kurzen Augenblick das aus der Schnittstelle austretende Blut ein und lässt den mit einem Tröpfchen Babyblut vermischten Rotwein aus seinem Mund auf die Wunde fließen. „Wenn man sich strikt an das Ritual hält, nimmt das Baby keinen Schaden“, sagt Rabbi Cohn. Eine solche Beschneidung „ist ein Anlass der Freude, da ist nichts Traumatisches daran“, versichert er.

So sieht es auch ein Rat ultraorthodoxer Rabbiner in Crown Heights, jenem Teil von Brooklyn, der eher an ein Schtetl als an eine amerikanische Metropole des 21. Jahrhunderts erinnert. „Es gibt keinen Grund zur Sorge wegen des Metzitzah B’peh“, heißt es in dem Dekret aus Crown Heights. Das Ritual sei „im Gegenteil sogar heilsam, wie selbst Ärzte bestätigen“.

Das sieht man im Rathaus von New York anders. Zwar ist Bürgermeister Michael Bloomberg auch Jude. Aber wie die Mehrzahl der amerikanischen Juden, die zur liberalen Tradition des Judentums gehören, betrachtet er das Metzitzah B’peh nicht als von der Tora vorgeschriebenen Bestandteil des Beschneidungsrituals, sondern als sekundäres Brauchtum, das man aus dem Talmud herauslesen kann - oder auch nicht. Tatsächlich dürfte der im Englischen als „oral suction“ (Absaugen mit dem Mund) beschriebene Vorgang einst vor allem aus hygienischen Gründen in den Beschneidungs-Kanon aufgenommen worden sein:

Der Speichel des Mohel desinfizierte die Wunde und verhinderte Entzündungen. In der Tora jedenfalls steht bloß, dass die Beschneidung am achten Tag zu erfolgen habe, vom Metzitzah B’peh ist in der hebräischen Bibel nicht die Rede.

Unter den Juden in den Vereinigten Staaten gehört die Praxis des oralen Blutabsaugens nur bei den ultraorthodoxen und einigen orthodoxen Gemeinden zum rituellen Pflichtprogramm der Beschneidung. Bei den konservativen und liberalen Juden wird die Beschneidungswunde herkömmlich desinfiziert, etwa mit steriler Gaze abgetupft.

In der Stadt New York, so schätzen die Gesundheitsbehörden, wird das Metzitzah B’peh jährlich bei etwa 3600 Säuglingen praktiziert. Erhebungen der Behörde haben ergeben, dass zwischen 2000 und 2011 elf Babys bei dem Ritual mit dem Herpes-Virus infiziert wurden. Schon vor sieben Jahren hatte die New Yorker Gesundheitsbehörde dem Rabbi Yitzchok Fischer in dem Vorort Monsey per Gerichtsbeschluss die Praxis des Metzitzah B’peh untersagt, nachdem kurz nach der Beschneidung zweier Zwillingsbrüder durch den Rabbi bei beiden Säuglingen eine Herpesinfektion festgestellt worden war; eines der Babies war an der Erkrankung gestorben. Der Rabbi hielt sich freilich nicht an das Verbot, und ein zivilrechtliches Verfahren gegen Fischer wurde später eingestellt. Der Anwalt von Rabbi Fischer argumentierte, die Ansteckung bei der Beschneidungszeremonie habe nie nachgewiesen werden können, die Babys seien gewiss anderswo infiziert worden. Strafrechtlich wurden die elf Herpesinfektionen und auch die zwei Todesfälle nie verfolgt.

Herpesviren sind nach Angaben der Behörde bei rund 70 Prozent aller Erwachsenen nachweisbar. Bei Erwachsenen führen die hochgradig ansteckenden Viren allenfalls zu unangenehmen Pusteln, bei Säuglingen aber kann eine Infektion tödlich sein. Tatsächlich sind von den elf mit Herpes infizierten Babies zwei gestorben, zwei weitere erlitten irreparable Gehirnschäden. „Es ist nicht möglich, das orale Absaugen an der offenen Wunde eines Neugeborenen sicher zu praktizieren“, sagt Dr. Jay Varma von der städtischen Seuchenschutzbehörde.

Deshalb ist die Stadt New York eingeschritten, und zwar im Interesse der Volksgesundheit. Mitte September beschlossen die neun Mitglieder des Gesundheitsausschusses einstimmig, dass den Eltern eines neugeborenen jüdischen Jungen vor einem Beschneidungsritual mit oralem Absaugen ein Schreiben vorgelegt werden muss, in welchem sie über die Gefahren dieser Praxis für die Gesundheit ihres Sohnes informiert werden - von der Hirnschädigung bis zum Tod. Erst wenn die Eltern das Formblatt gelesen und dann schriftlich ihr Einverständnis gegeben haben, darf der Mohel künftig zum Skalpell greifen und hernach die Blutung an dem beschnittenen Penis mit seinem Speichel stillen.

Doch davon wollen die betroffenen Rabbis und wohl auch ihre Gemeinden nichts wissen. Rabbi Romi Cohn jedenfalls denkt gar nicht daran, sich an die neue Vorschrift mit dem Amtsformular zu halten. Lieber geht er eben ins Gefängnis. „Bürgermeister Bloomberg sagt, er wolle jüdische Kinder davor bewahren, krank zu werden“, sagt Cohn. „Doch wenn es ihm wirklich ums Wohl der Kinder ginge, dann würde er sich um die städtischen Krankenhäuser von New York kümmern, wo viel mehr Kinder an Infektionen mit Staphylokokken sterben als jemals an den Folgen der Beschneidung gestorben sind“, zürnt der Rabbi, der ein Lehrbuch über die Beschneidung geschrieben hat. Die Behörden hätten gar nicht erst versucht, eine einvernehmliche Lösung mit den Verbänden der ultra-orthodoxen Mohalim zu finden, sondern kurzerhand ihren Beschluss „herabgehämmert“.

Rabbi Cohn und die anderen Mohalim der ultraorthodoxen jüdischen Gemeinden sind nicht grundsätzlich gegen Hygienevorschriften. „Was die Stadt jetzt regeln will, haben wir längst geregelt“, sagt Cohn. „Auch wir glauben, dass Beschneidungen geregelt werden müssen. Wir sind viel vorsichtiger als jeder Arzt, der eine Beschneidung vornimmt.“ In ihrer Klage, dass der Staat hier das Verfassungsrecht der Religionsfreiheit verletzt hat, werden die Ultraorthodoxen von vielen unterstützt - mit religiösen und auch rein verfassungsrechtlichen Argumenten.

Manches spricht dafür, dass der Streit über die Regulierung des ultra-orthodoxen Beschneidungsrituals noch die Gerichte, möglicherweise sogar das Oberste Gericht beschäftigen wird. Grundsätzlich gibt es in der amerikanischen Bevölkerung ein weit größeres Verständnis als etwa in Deutschland und in Europa für den Anspruch religiöser Gemeinschaften, dass sich der Staat nicht in ihre Rituale und Gebräuche einzumischen habe. In San Francisco etwa ist im vergangenen Jahr der Versuch gründlich gescheitert, die Beschneidung als Akt der Genitalverstümmelung per Volksabstimmung in der Stadt verbieten zu lassen. Eine informelle Koalition von religiösen und medizinischen Interessenvertretern sowie von Bürgerrechtsgruppen setzte durch, dass im ganzen Bundesstaat kommunale Initiativen zum Verbot der Beschneidung unterbunden werden.

Zwar ist in Amerika die routinemäßige Beschneidung aller neugeborenen Jungen rückläufig: 1965 wurden 85 Prozent der männlichen Babys beschnitten, heute sind es nur noch knapp 55 Prozent, die Tendenz ist weiter sinkend. Die Amerikanische Akademie für Kinderheilkunde gibt seit einigen Jahren keine Empfehlung mehr ab, ob neugeborene Jungen beschnitten werden sollen oder nicht. Doch wenn der Staat versucht, sich in Rituale von Religionsgemeinschaften einzumischen - und wenn es nur um ein Randphänomen wie das Metzitzah B’peh geht -, dann ist zuverlässig mit einer Massenbewegung dagegen zu rechnen.

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