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Melvyn Weiss

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Mel Weiss

Melvyn Weiss (19352018), US-amerikanischer Anwalt

Leben

Andreas Mink schrieb Anfang Februar 2018 für tachles aus Anlass des Todes von Mel Weiss folgenden Nachruf:

Am Freitag ist der prominente Anwalt Melvyn Weiss dem Nervenleiden ALS erlegen. Er wurde 82 Jahre alt und spielte eine massgeblich Rolle in den «Holocaust-Klagen» gegen Schweizer Banken und die deutsche Wirtschaft. Seine Karriere endete jedoch mit einer Haftstrafe für Betrug.

Melvin I. Weiss war über Jahrzehnte eine zentrale Figur der amerikanischen Jurisprudenz, gleichzeitig aber auch zumindest in der New Yorker Politik. Beides ging Hand in den Hand für den 1935 als Sohn einer russisch-jüdischen Immigranten-Familie geborenen Anwalt. Er hat 1966 die Kanzlei Milberg Weiss Bershad Hynes & Lerach mitgegründet und war dort bis 2008 Senior-Partner. Die Etablierung der Kanzlei war eine Reaktion auf die gesetzliche Zulassung von Gruppenklagen in den USA im gleichen Jahr. Milberg Weiss wurde rasch zu einer der erfolgreichsten Firmen auf diesem Gebiet. Zwischen 1988 und 1998 hat die Kanzlei über 500 Millionen Dollar an Honoraren eingenommen. Weiss soll damals um die 16 Millionen Dollar jährlich verdient haben. Die Kanzlei errang grosse Erfolge etwa gegen den Wallstreet-Spekulanten Mike Milken und den Versicherungskonzern Prudential Life. Dabei hat Milberg Weiss für benachteiligte Policen-Halter zwei Milliarden Dollar erstritten.

Die Kanzlei verstand sich als Verbraucher-Anwalt und regulierendes Element, das Auswüchse auf dem Aktien-Markt und in der Konsumgüter-Industrie bekämpft. Inzwischen vom Verfassungsgericht und konservativen Gesetzgebern deutlich reduziert, war das Instrument der «Class Action» von Anfang ebenso umstritten wie die Praktiken der Gruppenklagen-Kanzleien. Ihnen wurde vorgeworfen, mit dünnen Beweisen erpresserische Kampagnen gegen Konzerne zu fahren, die sich dann aus Kostengründen in Vergleichen freikauften. So hat die Automobil-Industrie republikanische Parlamentarier bei Gesetzes-Vorlagen gegen Class Actions mit Spenden und Lobbying unterstützt. Weiss hat um die Jahrtausendwende etwa den Reifenhersteller Firestone verklagt.

Es lag daher schon aus purem Selbsterhaltungstrieb auch für Milberg Weiss nahe, politischen Einfluss zu suchen. Der Kanzlei ist dies über Millionen-Spenden an demokratische Politiker auch gelungen. Weiss war aber auch aus Überzeugung Demokrat: Wie viele Angehörige von Minderheiten in den USA hat der hartgesottene Selfmade-Man erlebt, dass sich nur die Demokraten für Chancengleichheit in Erziehung und Beruf einsetzen. Weiss wurde selbst auch zu einem der wichtigsten Geld-Sammler für die Demokraten überhaupt. So sagte er 2001 in einem Interview mit aufbau: «Ich hab´ eine Menge Geld für die Partei zusammengebracht.» Weiss war 1998 der Finanz-Manager in der erfolgreichen Kampagne von Charles Schumer für den US-Senat. Anschliessend hat er Hillary Clinton bei ihrer Bewerbung für den Senat unterstützt. Er hatte zudem ein sehr gutes Verhältnis zu Al Gore. Weiss verfügte über erheblichen politischen Einfluss in New York, Washington, aber auch in Kalifornien, wo die Kanzlei eine grosse Dependance unterhielt. In New York hatte Weiss Politiker wie den bei den Holocaust-Verhandlungen ebenfalls bedeutsamen Kämmerer Alan Hevesi unterstützt. Dafür revanchierte sich die Pensionskasse der Stadt bei Milberg Weiss und betraute die Kanzlei mit Mandaten.

Der Einfluss vom Weiss in Washington wurde im Mai 2001 deutlich. Damals konnte er die Bush-Regierung mit einigen Telefonaten zu der Aufhebung von Steuern auf Entschädigungs-Zahlungen für Holocaust-Überlebende bewegen. Alleine in der Auseinandersetzung mit Schweizer Banken kamen damit 40 Millionen Dollar für Überlebende zusammen.

Damit ist das Thema angesprochen, das Weiss zu einer historischen Figur werden liess. Er war von 1995 an eine zentrale Gestalt bei der Kampagne für die Entschädigung von Holocaust-Opfern und deren Erben gegen Schweizer Banken und deutsche Industrieunternehmen. Dabei kamen im «Bankenvergleich» von 1998 ein Vergleich über 1,25 Milliarden Dollar und drei Jahre später eine Einigung mit Deutschland und der deutschen Wirtschaft über zehn Milliarden Mark zustande. Weiss und andere Klägeranwälte wie Michael Hausfeld haben den «Swiss Case» pro bono betrieben, aus dem deutschen Vergleich jedoch Millionen-Honorare bezogen. Vor allem die Zwangsarbeits-Verhandlungen mit Deutschland waren von erbitterten Konflikten zwischen dem Jüdischen Weltkongress (als Teil der Jewish Claims Conference) und verschiedenen Anwalts-Allianzen, dann aber zwischen Anwälten um Weiss und der JCC gegen Hausfeld und osteuropäische Delegationen geprägt. Weiss setzte dabei erfolgreich auf seine Kontakte zu Politik und Medien, vor allem aber sein beträchtliches Talent bei der Überzeugung und Einschüchterung von Kontrahenten.

Weiss war stolz auf seinen Erfolg. Dieser war in seinem Büro an der Penn Plaza in Manhattan an Picasso-Keramiken abzulesen. Daneben hing eine Foto-Galerie, die ihn mit Bill Clinton, diversen Senatoren und auch dem argentinischen Präsidenten Carlos Menem zeigten. Weiss unterstrich seinen Status auch durch sein Fortbewegungsmittel und fuhr stets das grösste und neueste Mercedes-Coupé.

In deutschen oder Schweizer Augen erschien ein derartiges Verhalten als ungehörig. Für Weiss gehörte das aber zum Geschäft: Er konnte sich das Beste leisten, weil er einer der Besten auf seinem Gebiet war. Auch Gegenspieler gestanden ihm eine ausgeprägte Gabe zu, komplexe Zusammenhänge zu erfassen, Machtverhältnisse einzuschätzen und daraus die für seine Mandanten bestmöglichen Resultate herauszuholen. Mel Weiss verlor sich nicht in Details. Er war ein grosser Vereinfacher.

Diese Qualität sollte ihm schliesslich zum Verhängnis werden. Begleitet vom Applaus konservativer Medien und Wirtschafts-Lobbies nahm die Staatsanwaltschaft von Los Angeles 2001 Ermittlungen gegen Milberg Weiss auf. Die Kanzlei hatte in ihren besten Tagen über 350 Anwälte beschäftigt. Wie die Staatsanwaltschaft nachweisen konnte, hatten Weiss und sein Kollege Bill Lerach über 20 Jahre illegale Zahlungen an eine Handvoll Klienten geleistet, damit diese die Rolle von Leitklägern übernahmen. Insgesamt sollen 11.3 Millionen Dollar im Zusammenhang mit 150 Verfahren geflossen sein, die der Kanzlei rund 200 Millionen Dollar an Honoraren eingetragen haben.

Bill Lerach hatte nach einem Streit mit Weiss 2004 die Kanzlei Lerach Coughlin in Los Angeles gegründet. Er wurde durch erfolgreiche Klagen gegen Konzerne wie Enron noch erfolgreicher als Weiss und damit zur bevorzugten Zielscheibe konservativer Gegner von Gruppen-Klagen.

Das im März 2006 eröffnete Korruptions-Verfahren gegen Milberg Weiss in Los Angeles ging zwei Jahre später mit harten Strafen für Weiss und die Kanzlei zuende. Er wurde zu zweieinhalb Jahren Haft und einer Geldstrafe von zehn Millionen Dollar verurteilt. Die Kanzlei musste 75 Millionen Dollar aufbringen, hatte sich jedoch bereits aufgelöst. Weiss sass die Hälfte der Haft ab und war anschliessend als Berater der von seinem Sohn Stephen gegründeten Kanzlei Seeger Weiss tätig. 2014 hatte er seine Kunstsammlung und sein grosses Anwesen auf Long Island verkauft. Am Freitag erlag der Anwalt dem Nervenleiden «Lou Gehrigs Disease» (ALS).

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