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Meir Aschkenazi (Shanghai)

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Raw Meir Aschkenazi

Raw Meir Aschkenazi, der Schanghaier Raw (geb. 1891 in Tscherikov; gest. 25. August 1954 in Crown Heights), war langjähriger Rabbiner (Chabad) und hoch geehrte Führungspersönlichkeit der Juden in Schanghai. Im Jahre 1925 wurde er von russischen Juden gebeten, die Leitung der Gemeinde in Schanghai zu übernehmen, die er bis zu seinem Weggang nach New York 1949 innehatte. Er war Führer der Gemeinde, die während einer Zeit der unvorstellbaren Tragödie als Zufluchtsort diente, und darüber hinaus. Als die Türen fast aller Länder vor den europäischen Juden verschlossen und verriegelt wurden, liess eine entlegene Stadt ihre Türen offen. Als fast jedes Land denjenigen ohne ein lebensrettendes Visum den Zutritt verwehrte, erlaubte Schanghai die Einreise ohne Visum. Ende 1941 gab es in Schanghai 18 000 jüdische Flüchtlinge, zehn Mal so viele wie zehn Jahre zuvor. Die wundersame Flucht von 2000 polnischen Flüchtlingen durch Sibirien nach Kobe in Japan, dann die Verlagerung von eintausend - darunter die gesamte Mirrer Jeschiwa - nach Schanghai, ist gut bekannt. Weniger bekannt ist hingegen, wer die Grundlagen legte, um die geistige und materielle Unterstützung der jüdischen Flüchtlinge zu liefern und deren Überleben zu sichern, und wer an der Spitze aller diesbezüglichen humanitären Aktivitäten stand: Dies war Meir Aschkenazi.

Russisches Reich

Raw Meir Aschkenazi wurde 1891 in Tscherikov, in Russlands Siedlungsgebiet, geboren. Seine Eltern, Reb Schneur Salman und Kayla Aschkenazi, waren fromme und gelehrte Lubawitscher Chassidim, die die intellektuellen Fähigkeiten ihres Sohnes, sein gutes Herz und seine Motivation, sich dem Dienste G'ttes zu widmen, erkannten und förderten. Er lernte in der Jeschiwa Tomchei Temimim, wo er einer der hervorragendsten Schüler wurde.

Mandschurei

Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs flüchtete seine Familie - zusammen mit vielen anderen - aus Russland in die Nachbarregion Mandschurei, die sich damals unter chinesischer Herrschaft befand. Dort, in der Stadt Harbin, heirateten Raw Meir und Toiba Liba. Ihr Vater, ein Mitglied der Familie Soloweitschik, war Oberrabbiner der Stadt Tscherikov und Raw Meirs erster Lehrer und Mentor gewesen.

Vladivostok

Aus nicht bekannten Gründen kehrten Raw Aschkenazi, seine Eltern und seine Familie nach Russland zurück, in die Hafenstadt Vladivostok an der fernöstlichen Küste von Russland. Nicht lange danach, 1918, ernannte die Gemeinde dort Raw Meir Aschkenazi zu ihrem Rabbiner.

Nachdem er während sieben Jahren der geistige Führer der Juden von Vladivostok gewesen war, erhielt Raw Aschkenazi klare Zeichen, dass es Zeit war, das Land zu verlassen. Die Kommunisten versuchten nach der bolschewistischen Revolution jede jüdische Lebensäusserung zu unterdrücken, insbesondere eine lebendige, blühende Synagoge mit einem gelehrten und dynamischen Rabbiner (nichtsdestotrotz hatte Raw Aschkenazi seine Tür nie jüdischen Flüchtlingen verschlossen, so dass er auch in grösserer Zahl bolschewistisch-assimilierten Juden in seinem Haus Unterschlupf bot, die vom damaligen Zaren, Nicholas II., verfolgt wurden). Als das kommunistische Regime die Schliessung der Synagoge verfügt hatte, erhielt der Raw ein Angebot, die Leitung einer etablierten Gemeinde in New York zu übernehmen. Als der Raw und seine Frau sich schon auf die Reise vorbereiteten, traf ein eingeschriebener Brief der kleinen russisch-jüdischen Gemeinde in Schanghai ein, worin er gebeten wurde, ihr Raw zu werden.

Schanghai, nicht New York

Sifrei Tora werden von Russland nach Schanghai gebracht

Nun stand er vor einer schwierigen Entscheidung. Amerika hatte alles, wovon man nur träumen konnte, eine wachsende jüdische Gemeinde, Synagogen, Batei Midrasch, Toragelehrte, eine Ausbildungs-Infrastruktur für die Kinder, koscheres Essen, Ritualien, ein gutes Einkommen, Freiheit und Gerechtigkeit für alle. Aber etwas fehlte - Juden, die ihn benötigten. Mit einer kleinen Gemeinde, die nur äusserst schwache Beziehungen zu ihrer Jüdischkeit aufrecht erhielt, ohne irgendwelche Chinuch-Infrastruktur und mit nur wenigen, zudem alten Juden, die noch Schabbat und Kaschrut hielten, während sich die jungen Meschen rapide assimilierten, brauchten die Juden Schanghais eine klare Führung, und Raw Aschkenazi konnte ihre Bitte nicht abschlagen. Der einzige Faktor, den er in Betracht zog, war, wo er am dringendsten benötigt würde. So zogen er und seine Frau 1926 nach Schanghai, um die dortige kleine Gemeinde russischer Juden zu führen. Die Ausreisegenehmigung hatte widerwillig einer jener jüdischen Bolschewisten gegeben, der einst zu Raw Aschkenazi geflüchtet und nun nach der Ermordung des Zaren in eine hohe Regierungsfunktion gelangt war, obwohl Raw Aschkenazi sich weigerte, bei ihm um diese Genehmigung nachzusuchen, da er aus der Erfüllung einer Mitzwa keinen persönlichen Nutzen ziehen wollte. So hatte schliesslich die Rebbezen diesen Mann aufgesucht und zunächst mit Bitten, dann mit Tränen "weichgeklopft", gegen die eigenen Vorschriften zu handeln. Zunächst wurde Raw Aschkenazi von den früheren Revolutionären und jetzigen Machthabern aus dem Land geschmuggelt, und wenige Wochen später schloss sich die Rebbezen mit zwei jungen Kindern an, als die Kommunisten in der Lage waren, für diese entsprechende "Dokumente" zu fingieren.

Der Raw und seine Frau trafen also 1926 in Schanghai ein. Seine Eltern und Geschwister (zwei Brüder und zwei Schwestern) liessen sich ebenfalls dort nieder. Zu dieser Zeit bestand die jüdische Gemeinde in Schanghai aus zwei verschiedenen Gruppen: den Sefardim, die schon seit 1850 aus dem Irak und aus Indien nach Schanghai gekommen waren, und den Russen, die zuerst kamen, um den Pogromen zu entfliehen, und dann vor den Bolschwiken flüchteten. Erst nach 1933, als Hitler an die Macht kam, begann der Zustrom von deutschen Juden.

Aufbaujahre, von Hongkew nach Frenchtown

Raw Aschkenazi baute eine enge Beziehung mit der etablierten sefardischen Gemeinde auf und war während all seiner Jahre in Schanghai eine vereinende Brücke zwischen Aschkenasim und Sefardim. Eine der ersten Aktivitäten, die Raw Aschkenazi in Angriff nahm, war der Bau einer Synagoge für seine Gemeinde. Die Gemeinde war ursprünglich 1902 von den 25 russischen Familien aufgebaut worden, die zu jener Zeit in der Stadt wohnten. An die kleine "russische Gemeinde" vermieteten die Sefardim einzelne Räume in der sefardischen Synagoge "Scheerit Israel". Mitte der 1920er-Jahre, als ihre Zahl auf ca. 250 Familien bzw. ca. 1000 Menschen anstieg, waren die angemieteten Räume unzureichend geworden. Deshalb baute Raw Aschkenazi 1927 die "Ohel Mosche-Synagoge" in der Hongkew-Gegend der Stadt auf. Dort befand sich das Zentrum der religiösen Aktivitäten für die Kehilla bis zum Beginn des chinesisch-japanischen Kriegs 1937, als die Japaner Hongkew verwüsteten und die Chinesen mit ihrer Politik der "verbrannten Erde" reagierten. Zu jener Zeit zogen die meisten Kehilla-Mitglieder, die in Hongkew gelebt und gearbeitet hatten, in das Gebiet Frenchtown, wo Raw Aschkenazi 1941 den Bau der grossen neuen Synagoge koordinierte. Eine Anzahl Juden verblieb in der ursprünglichen Synagoge in Hongkew, und später diente sie der grossen Zahl von eintreffenden polnischen Juden. Die in grosser Zahl aus Deutschland eintreffenden Juden gründeten bald ihre eigene Gemeinde unter allgemeiner Oberaufsicht von Raw Aschkenazi.

Flüchtlingsströme erreichen Schanghai

Ab 1931 strömten mehr Juden nach Schanghai. Diesmal waren es Juden aus Harbin in der Mandschurei. Japan besetzte die Mandschurei, führte eine Terrorherrschaft und ermutigte geradezu die dort lebenden Weissrussen, ihre antisemitischen Neigungen auszuleben. Drei Viertel der jüdischen Bevölkerung in Harbin flüchteten, viele von ihnen nach Schanghai.

Für die Flüchtlinge eingerichtetes Massenlager in Schanghai

Nachdem die Nazis in Deutschland an die Macht gekommen waren, flüchteten viele Juden nach Schanghai; bis 1939 betrug die Zahl der deutschen und österreichischen Juden, die nach Schanghai emigrierten, fast 14 000. Obwohl viele dieser Juden assimiliert waren, unternahm die Familie Aschkenazi alle Anstrengungen, sie in der Stadt willkommen zu heissen und ihnen zu helfen, sich an die ihnen vollkommen fremde Kultur anzupassen. Raw Aschkenazi richtete eindringliche Appelle an die wohlhabenden Mitglieder der russischen und sefardischen Gemeinden, den Flüchtlingen zu helfen, und ging selbst mit gutem Beispiel voran, trotz seines vergleichsweise bescheidenen Einkommens. Unter der Schirmherrschaft des Joint wurden Hilfsorganisationen gebildet, um Geld für Unterkünfte und Nahrung zu sammeln. Mit der Zeit wurden Flüchtlingsunterkünfte oder "Heime" gebildet, die koscher eingerichtet waren und in denen auch ein religiöses Leben stattfand. Viele der Flüchtlinge kamen erstmals in ihrem Leben in Kontakt mit ihrer eigenen Religion.

Religiöses Leben, jüdische Infrastruktur

Im unfreiwilligen Ghetto, das die Japaner für die Flüchtlinge eingerichtet hatten, nachdem Japan in den Krieg gezogen war und Schanghai besetzt hatte, war die Hälfte der Geschäfte - trotz der grossen wirtschaftlichen Not - am Schabbat geschlossen, obwohl nur ein kleiner Prozentsatz der Flüchtlingsbevölkerung toratreu war. Diese wiederbelebte Schabbat-Beachtung wurde durch eine spezielle Kampagne ausgelöst, die Raw Aschkenazi zusammen mit dem Amschenower Rebben, Raw Schimon Kalisch, im Jahr 1941 lancierte. Gemeinsam besuchten sie Geschäfte, Familien und Einzelpersonen und unterrichteten sie in freundlicher Weise über die Wichtigkeit des Schabbats und die religiösen Gebote. Sie erteilten Vorträge, brachten Broschüren heraus und schrieben Zeitungsartikel über dieses Thema. Weiterhin arrangierten sie jeden Freitagabend und Schabbat-Mittag spezielle Mahlzeiten in den Heimen und schufen so eine feierliche Schabbat-Atmosphäre.

Raw Aschkenazi bildete auch ein Bet Din, das über die eigentlichen Aufgaben hinaus auch dafür verantwortlich war, koschere Lebensmittel zur Verfügung zu stellen. So wurden z. B. auf chinesischen und japanischen Nahrungsmittelmärkten entsprechende Stände aufgebaut und unterhalten. Auch eine gemeindeübergreifende Talmud Tora-Schule wurde von Raw Aschkenazi 1939 gegründet, die 1941 bereits 120 Schüler hatte und weiter bis auf 300 Schüler anwuchs. Die Talmud Tora war so erfolgreich, dass eine fortgeschrittenere Schule für deren Absolventen benötigt und eine Jeschiwa Ketana gegründet wurde, deren Leitung Raw Aschkenazis Schwiegersohn, Raw Hershel Milner, ein junger Talmid Chacham, übernahm. Seinen eigenen Sohn Mosche (eines von drei Kindern) schickte Raw Aschkenazi im Alter von dreizehn Jahren zu seinen Grosseltern nach Erez Jisrael, um ihn dort in einer ihm entsprechenden Jeschiwa erziehen zu lassen. Er sah ihn fortan vierzehn Jahre lang nicht mehr. Rebbezen Aschkenazi konnte gegen grosse Widerstände die Eröffnung einer Bet Jakow-Schule für Mädchen durchsetzen, in der schliesslich in zwei Niederlassungen in Hongkew und in Frenchtown mehr als hundert Mädchen lernten.

Gelegentlich wurde Kritik an Raw Aschkenazi dahingehend laut, eine negative Haltung gegenüber den deutschen Flüchtlingen einzunehmen. Zum Beispiel wurden im Juli 1945, als amerikanische Bomber Hongkew angriffen, 31 Juden auf tragische Weise getötet. Raw Aschkenazi entschied - gemäss jüdischem Gesetz -, dass keine Tahara an den verstümmelten Körpern der Opfer vorgenommen werden sollte. Die deutschen Flüchtlinge betrachteten dies als persönliche Beleidigung.

Ein neues Welt-Tora-Zentrum entsteht in Schanghai durch den Transfer der Mirrer Jeschiwa

Bachurim und Rabbanim der exilierten Mirrer Jeschiwa in den Kultusräumlichkeiten der Beit Aharon-Synagoge, Museum Road, Schanghai (1942)

Die Ankunft von Tausenden von Flüchtlingen eröffnete im Leben des Schanghaier Raws ein gänzlich neues Kapitel. Der Transfer der Mirrer Jeschiwa, der einzigen Jeschiwa, die den Krieg gänzlich intakt überlebte, hatte eine ähnliche Wirkung. Während die grossen Torazentren Europas hinweggerafft wurden, verwandelte sich die jüdisch belanglose und sozusagen geistig ausgehungerte Hauptstadt Schanghai in China plötzlich in eines der wichtigsten Torazentren der Welt. Fast 1000 Flüchtlinge aus Polen und Osteuropa trafen über Kobe im August 1941 ein, darunter über 400 Jeschiwabachurim (250 allein von der Mirrer Jeschiwa) und einige der grössten Torapersönlichkeiten Europas. Vor ihrer Ankunft hatte diese Gruppe von Toragelehrten Raw Aschkenazi kontaktiert und ihn angefragt, ob er eine separate Hilfsorganisation für sie bilden könne, damit sie, anders als die übrigen Flüchtlinge, Bedingungen vorfinden würden, die toratreuen Juden ein erträgliches und zumutbares Leben ermöglichten. Raw Aschkenazi verbrachte Tag und Nacht damit, entsprechende Vorbereitungen für sie zu treffen: wo sie schlafen sollten, was sie essen würden, wo für sie ein Bet Midrasch eingerichtet werden konnte, usw. Dafür musste er viele persönliche Beschimpfungen erdulden. Die Mirrer Jeschiwa liess sich dann in der Bet Aharon-Synagoge nieder, die exakt so viele Sitzplätze hatte wie Jeschiwabachurim in Schanghai eintrafen - und dort setzten sie ungestört ihre Studien fort. Kein anderer als Raw Aschkenazi mit seinem Einfluss in der sefardischen Gemeinde war es, der verschiedene Autoritäten kontaktiert und sie überzeugt hatte, der Mirrer Jeschiwa die Erlaubnis zu erteilen, das Gebäude als Bet Midrasch zu verwenden.

Mit der engagierten Hilfe von D. J. Abraham, dem Führer der sefardischen Gemeinde, ermöglichte Raw Aschkenazi es der Mirrer Jeschiwa, das grosse und komfortable Gebäude während mehr als drei Jahren zu verwenden (von ihrer Ankunft im August 1941 bis September 1944), bis die Japaner sie zwangen, ins Ghetto von Hongkew zu ziehen. Es war auch Raw Aschkenazi, der dafür sorgte, dass die japanischen Behörden erlaubten, dass Raw Chaim Schmuelewitz und der Amschenower Rebbe für die ganze Dauer des Kriegs ausserhalb des Ghettos leben durften. Raw Aschkenazi arbeitete unermüdlich, um sicherzustellen, dass jeder einzelne Bachur und ihre Roschei Jeschiwa, darunter eben Raw Chaim Schmuelewitz, fähig sein würden, ihre Zeit und Energie dem ununterbrochenen Torastudium zu widmen.

Seine Hilfe ging über die Versorgung mit den Mitteln zur Befriedigung der unmittelbaren Bedürfnisse weit hinaus. Raw Aschkenazi leitete ein Komitee russischer Juden, die den ersten Teil des Neudrucks von Büchern für die Jeschiwebocherim finanzierten. Der erste Band war Massechet Gittin, von dem im Mai 1942 zweihundertfünfzig Exemplare gedruckt werden konnten. Das Erscheinen dieses Werkes war ein Grund für eine öffentliche Feier in Schanghai. Ein nichtreligiöser polnischer Journalist schrieb darüber: "Jemand, der nicht erlebt hat, wie der Amschenower Rebbe und die Jeschiwabachurim tanzten, als sie dieses wunderbare Geschenk erhielten, hat nie wahre jüdische Freude erlebt und das Geheimnis der jüdischen Ewigkeit gefühlt." Das Projekt erreichte im Laufe der Zeit fast 100 Titel, darunter alle Massechtot der Gemara, das Chumasch und seine Kommentare, Rambam sowie halachische und ethische Werke und sogar Tora-Journale, die von den Jeschiwebocherim selbst verfasst wurden.

Andere Flüchtlingsgruppierungen

Zusätzlich zu den Mirrer Jeschiwebocherim gab es Einzelpersonen und kleinere Gruppen von Bachurim von anderen polnischen und litauischen Jeschiwot, darunter Kaminetz, Baranowitsch, Pinsk, Lublin, Kletsk und Lubawitsch. Bei ihrer Ankunft richtete Raw Aschkenazi für sie eine Jeschiwa ein, damit sie ihre Studien weiterführen konnten, und er amtierte neben seinen vielen weiteren Aufgaben als Rosch Jeschiwa. Die Jeschiwa wurde Jeschiwat "Misrach Harachok" genannt, und sie publizierte eine Anzahl von Tora-Journalen, u. a. einige von Raw Aschkenazis eigenen talmudischen Vorträgen und ethischen Abhandlungen.

Kriegseintritt Japans, humanitäres Engagement der Familie Aschkenazi und anderer

Ein grosser Quell der innerjüdischen Unterstützung versiegte schlagartig, als Japan in den Krieg eintrat und Schanghai im Dezember 1941, unmittelbar nach Pearl Harbor, besetzte. Zu jener Zeit wurden alle feindlichen Bürger - auch die reichsten sefardischen Juden Schanghais, die eine britische Staatsbürgerschaft besassen - in Lager gebracht, ihre Bankkonten eingefroren und ihre Geschäfte von den Japanern übernommen. Die 4000 russischen Juden von Schanghai liessen die Japaner hingegen in Ruhe, weil sie die Staatsbürgerschaft einer Nation hatten, die von Japan anerkannt wurde, und wegen gegenseitiger Neutralitätsverpflichtungen. Der Krieg belastete jedoch ihr Einkommen sehr, und praktisch alle Geschäfte litten darunter. Die vorrangige Quelle der Unterstützung für die meisten Flüchtlinge blieb der Joint (JDC). Im Mai 1942 erklärte jedoch das JDC in New York - was auch die Japaner verblüffte -, dass es kein Geld mehr an seinen Vertreter in Schanghai senden, ja nicht einmal mehr mit ihm kommunizieren würde, weil es sich an Amerikas Akt des "Handels mit dem Feind" halten würde. Die Hauptquelle der Hilfe für die Flüchtlinge war abgeschnitten.

Durch die unablässigen Anstrengungen einer Zahl von Einzelpersonen in der ganzen Welt blieb den Flüchtlingen in Schanghai das Verhungern erspart. Raw Avraham Kalmanowitz und anderen Führern des Vaad Hatzalah gelang es, das Gesetz zu umgehen, und sie sandten über neutrale Länder Gelder nach Schanghai, mit Hilfe selbstloser Leute wie der Familie Sternbuch in der Schweiz und Raw Wolbe und Raw Jacobson in Schweden. Im Laufe der Zeit, grossteils wegen der Bemühungen von Raw Kalmanowitz, definierten die USA ihr Verbot des Handels mit dem Feind neu, und im März 1944 nahm das JDC seine Rolle der Versorgung mit finanzieller Unterstützung für die Flüchtlinge in Schanghai wieder auf. Während der gesamten Zeit war es Raw Aschkenazi, der in Schanghai eine offiziell anerkannte Position innehatte und kein Bürger eines Feindeslandes war, der die überwiesenen Geldbeträge erhielt und die Verantwortung für deren Verteilung wahrnahm. Er tat dies unter grossem persönlichen Risiko, weil wenn die Quelle der Gelder - die USA, eine Feindesnation - entdeckt worden wäre, wären die Folgen katastrophal gewesen. Und tatsächlich wurde Raw Aschkenazi mehrfach ins Gefängnis gebracht und dort auch vernommen. Er war sich immer dessen bewusst, dass das Geld, das er erhielt, das Leben von Hunderten von Toragelehrten rettete, und er war bereit, dafür Verhaftung, Folter und Tod zu riskieren. In dieser Weise verhielt er sich von Mitte 1942 bis zum Kriegsende 1945. Während der ganzen Jahre, vom Anfang des Eintreffens von Flüchtlingen nach Schanghai bis zum Ende des Krieges 1945, war das Haus der Familie Aschkenazi Gastgeber und Zufluchtsort für Hunderte von Familien und Einzelpersonen. Eine weitere beträchtliche Herausforderung in Schanghai, insbesondere während der Kriegsjahre, waren die sanitären Bedingungen. Die Amöbenruhr, Typhus, Beri-Beri, Cholera und andere tropische Krankheiten plagten die Flüchtlingsgemeinschaft. In dieser Hinsicht war es Rebbezen Aschkenazi, die sich der Herausforderung stellte. Jeden Tag besuchte sie die Kranken und half, sie mit dem Nötigsten zu versorgen. Oft wurde ihr Haus zu einem Krankenlazarett, wo sie die kranken Menschen rund um die Uhr versorgte. Das Leben vieler kranker Flüchtlinge wurde infolge ihrer fürsorglichen Pflege gerettet.

Weggang nach New York und Tod

1949, kurz bevor die Kommunisten an die Macht kamen und nachdem Tausende von Flüchtlingen das Land verlassen und die meisten ursprünglichen jüdischen Bewohner Schanghais sich an Orte in der ganzen Welt zerstreut hatten, verliessen Raw Aschkenazi und seine Frau Schanghai. Sie kamen nach New York, wo ihre zwei Töchter und deren Familien lebten, und liessen sich in Crown Heights nieder. Dort wurde ihnen viel Wertschätzung entgegengebracht, und Raw Aschkenazi verbrachte seine letzten Lebensjahre mit dem Toralernen. Am 26. Aw (25. August) 1954 kam das Leben, das gänzlich dem Dienst G'ttes und an den Mitmenschen gewidmet war, zu seinem Ende.

Hinweis

Der Artikeltext beruht in weiten Teilen auf einem Nachruf in der Jüdischen Zeitung, Zürich, Ausgabe vom 10. August 2012, Seiten 6–7 und 16–19 (Autor: Rabbi Yisroel Shaw).

Dieser Artikel / Artikelstub / diese Liste wurde in Jewiki verfasst und steht unter der Lizenz Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. Hauptautor des Artikels (siehe Autorenliste) war Michael Kühntopf. Weitere Artikel, an denen dieser Autor / diese Autorin maßgeblich beteiligt war: 2.655 Artikel (davon 1.531 in Jewiki angelegt und 1.124 aus Wikipedia übernommen). Bitte beachten Sie die Hinweise auf der Seite Jewiki:Statistik.