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Mehrsprachigkeit

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Südtirol: dreisprachige Schulbeschilderung in Gröden auf Ladinisch, Deutsch und Italienisch

Mehrsprachigkeit bezeichnet einerseits die Fähigkeit eines Menschen, mehr als eine Sprache zu sprechen. Andererseits versteht man unter diesem Begriff die Geltung oder verbreitete Anwendung mehrerer Sprachen in einer Gesellschaft, einem Sprachgebiet oder einem Staat.

Begriff

Mehrsprachigkeit bezeichnet:

  • die Fähigkeit eines Menschen, mehr als eine Sprache zu sprechen (Multilingualismus). Siehe auch: Zweisprachigkeit (Bilingualismus), Immersion.
  • die Geltung oder verbreitete Anwendung mehrerer Sprachen in einer Gesellschaft, einem Sprachgebiet oder einem Staat (Polyglossie). Siehe auch: Diglossie.
  • die Verwendung mehrerer Sprachen, um Informationen für eine möglichst große Zahl Individuen unterschiedlicher Sprachen zugänglich zu machen, etwa auf Schildern, Hinweistafeln, Produktbeschriftungen, in Bedienungsanleitungen sowie auf Webseiten oder in Computerprogrammen. Siehe auch: Übersetzung, Internationalisierung und Lokalisierung.

Die Begriffe werden in alltäglicher Anwendung nicht immer klar unterschieden, sind in wissenschaftlichen Disziplinen jedoch genau und einander ausschließend definiert. Ein Mensch, der mehrere Sprachen spricht, wird als polyglott bezeichnet.

Erwerb

  • Simultaner Erwerb findet statt, wenn beispielsweise ein Kind auf natürliche Art und Weise gleichzeitig mehrere Sprachen lernt.
  • Sukzessiver Erwerb bedeutet, dass verschiedene Sprachen zu unterschiedlichen Zeiten erlernt werden.
  • Natürlicher Erwerb bedeutet, dass eine Sprache ohne formalen Unterricht erlernt wird.
  • Gesteuerter Erwerb bedeutet, dass die Kenntnis einer Sprache gezielt mittels Unterricht erworben wird.
  • Symmetrischer Erwerb bedeutet, dass mehrere Sprachen auf gleiche Weise beherrscht werden.
  • Asymmetrischer Erwerb bedeutet, dass eine Sprache die andere dominiert.

Arten von Mehrsprachigkeit

Individuelle Mehrsprachigkeit

Unter individueller Mehrsprachigkeit versteht man, wenn eine Person in ihrem alltäglichen Leben regelmäßig mehrere Sprachen gebraucht. Die Person kann von einer Sprache in die andere umschalten, falls dies erforderlich ist, um beispielsweise eine Unterhaltung aufrechtzuerhalten. (Siehe auch Code-Switching, Code Mixing). Es geht mehr darum, dass die Person sich im Alltag in verschiedenen Sprachen verständigen kann, als dass sie jede Sprache perfekt beherrscht. Die Mehrsprachigkeit einer Person entsteht durch unterschiedliche Lernprozesse und ist abhängig von vielen äußeren und inneren Faktoren, wie zum Beispiel dem Alter, dem Ort, die Art und den Umstände, in denen sich eine Person befindet, als auch der Motivation der lernenden Person.

Der Erwerb kann sehr unterschiedlich sein. Einerseits kann ein Individuum simultan mehrere Sprachen erlernen. Dies ist der Fall, wenn zum Beispiel beide Elternteile unterschiedliche Sprachen sprechen. Er kann allerdings auch sukzessiv erfolgen, wenn ein Kind nach seiner Muttersprache eine andere Sprache, zum Beispiel in der Schule dazulernt. Der Erwerb kann ungesteuert sein, also beispielsweise im Rahmen der Alltagskommunikation erfolgen oder gesteuert, zum Beispiel mittels Unterricht. Man kann auch zwischen symmetrischer und asymmetrischer Mehrsprachigkeit unterscheiden. Bei erster beherrscht man die Sprachen gleich gut ohne dass, wie bei der asymmetrischen, eine Sprache weniger gut beherrscht wird.

Die individuelle Mehrsprachigkeit kennt viele Ursachen; zum Beispiel das Leben in Sprachgrenzgebieten, in sprachlich gemischten Regionen, Zusammenleben und Heirat mit Anderssprachigen, der Zugang zu höherer Bildung, der Glaube und die Zugehörigkeit zu einer Religion etc. (Yilmaz, 2004).

Territoriale Mehrsprachigkeit

Unter territorialer Mehrsprachigkeit versteht man das gleichzeitige Vorhandensein von mehreren Sprachen auf einem Territorium.

Gesellschaftliche Mehrsprachigkeit

Unter gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit versteht man, wenn eine gegenseitige Durchdringung der Sprachgemeinschaften eintritt. Das heißt, dass Individuen sich im Alltag von mehr als einer Sprache Gebrauch machen. Dies tritt beispielsweise in Überlappungsgebieten an Sprachgrenzen ein.

Institutionelle Mehrsprachigkeit

Die institutionelle Mehrsprachigkeit bedeutet, dass in Verwaltungen oder Institutionen verschiedensprachig gesprochen wird. In der Schweiz werden beispielsweise die nationalen und kantonalen öffentlichen Dienste in verschiedenen Sprachen angeboten und Lebensmittel in Großverteilern dreisprachig angeschrieben.

Diglossie

Hauptartikel: Diglossie

Der Gebrauch der Sprache wird auf unterschiedliche Domänen verteilt, so spricht man beispielsweise am Arbeitsplatz anders als in der Familie oder unter Freunden. Es handelt sich also oft um eine funktionelle Verteilung von zwei Varietäten einer Sprache. Ein Beispiel wäre die Standardsprache und die Umgangssprache. Man spricht auch von Diglossie, wenn die Varietäten nicht die gleiche Sprache als Basis haben, wie zum Beispiel bei Immigranten, die ihre Muttersprache oft mit einbeziehen.

Ursachen

Es gibt mehrere Ursachen für Mehrsprachigkeit. Diese sind meist politischer und historischer Natur.

Kolonialisierung

Eine erste bedeutende Ursache ist die Ausbreitung eines Landes zur Zeit der Kolonialisierung. „Bei einer territorialen Eroberung durch Expansion eines Staates bringt das Eroberland seine Sprache mit in das eroberte Land und installiert diese dort durch Zwang.“ (Roos, 2005, S.5). Dies war zum Beispiel bei den französischen Kolonialeroberungen in Afrika der Fall. Auch wenn nun die ehemals eroberten Länder keine Kolonien mehr sind, so hat sich die französische Sprache jedoch etabliert und wurde die offizielle Sprache dieser Länder. „Hinzuzufügen ist, dass die willkürlichen Grenzziehungen bei der Aufteilung Afrikas durch die Kolonialmächte dazu beigetragen hat, dass einzelne Staaten mehrere Sprachgruppen beherbergen, da die Staatsgrenzen größtenteils mitten durch Stammesgrenzen verlaufen. Wenn somit vor der kolonialen Invasion jeder Stamm sein Gebiet und seine Sprache hatte, so verteilen sich die unterschiedlichen Sprachgruppen auf verschiedene Staatsgebiete. Dadurch entsteht Mehrsprachigkeit nicht nur durch Kontakt des Französischen mit den autochthonen Sprachen, sondern auch durch den Kontakt der autochthonen Sprachen untereinander.“ (Roos, 2005, S.5).

Migration

Eine andere Ursache für Mehrsprachigkeit ist die Migration. Die Menschen die in ein Land immigrieren, bilden dort eine sprachliche Minderheit. Um sich in diesem Land zu integrieren, wird es oft als notwendig angesehen und verlangt, dass die Migranten die ihnen fremde Sprache lernen.

Politische Vereinheitlichung von Staatsgebieten

Eine dritte Ursache zur Entstehung von Mehrsprachigkeit ist die politischen Vereinheitlichung von Staatsgebieten. Oft wehrt sich eine ethnische Gruppe, welche die eigene Sprache als Staatssprache etablieren will, um die Vereinheitlichung zu demonstrieren. Ein Beispiel für diesen Fall lässt sich in China beobachten. Hier wird Mandarin als Staats- und Einheitssprache gesprochen, allerdings existieren in China noch viele andere Sprachen.

Europäisierung und Globalisierung

Zuletzt spielt die Europäisierung und Globalisierung von Politik und Wirtschaft eine wichtige Rolle für die Entwicklung von Mehrsprachigkeit. Die Fähigkeit, mehrere Sprachen zu beherrschen, wird immer mehr eine Grundvoraussetzung für moderne Berufsausbildung angesehen. „Durch die Integrationsprozesse in der Europäischen Union werden mehrsprachige Kompetenzen auf Seiten der Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Länder erforderlich.“ (Albayrak, 2007, S.7). Dies hat einen großen Einfluss auf die Schule, welche die Aufgabe hat, die Kinder auf ihre Zukunft vorzubereiten.

Durch die Globalisierung werden Mehrsprachigkeit, Multilingualismus und Polyglossie zunehmend zu Schlüsselbegriffen zum Verständnis vieler gesellschaftlicher Veränderungen:

  • Der globale Migrationsdruck fördert Diglossie und Polyglossie.
  • Für Migranten, die in fremden Sprachgebieten wohnen, ist Bilingualismus und Multilingualismus meist lebenswichtig.
  • Bilinguale und multilinguale Kompetenz ist für viele Arbeitsplätze zunehmend eine Voraussetzung.
  • In der Wirtschaft, in der Wissenschaft und in der Technik entstehen neue globale „Codes“ und Fachsprachen, oft aus Elementen des Englischen unter Hinzufügung von Elementen anderer Sprachen. Multilinguale Sprecher können durch Kenntnis der „Codes“ und „Slangs“ globaler multilingualer Netzwerke informationelle und ökonomische Vorteile erlangen. Die Vielfalt der Sprachen in heterogenen Gesellschaften ist sowohl aus ökonomischer wie aus kultureller Sicht produktiv. Daher ist Mehrsprachigkeit ein Zeichen von Normalität (vgl. Publikationen des SFB Mehrsprachigkeit der Universität Hamburg).
  • Die Europäische Union fördert Mehrsprachigkeit durch eine neue Rahmenstrategie. Die Aufgabe „Bilinguism“ ist Teil des Ressorts der Bildungskommissarin Androulla Vassiliou.

Code-Switching

In Reaktion auf die Globalisierungsfolgen kann es sinnvoll sein, etwa den frühen multilingualen Spracherwerb von Kleinkindern zu fördern und spezifische Phänomene wie z.B. das Code-Switching linguistisch zu erforschen. Als solches bezeichnet man den „Wechsel zwischen verschiedenen Sprachvarietäten bei bilingualen bzw. multilingualen Sprechern je nach Erfordernissen der Kommunikationssituation“ (Bußmann 1990 und Földes 2005, S. 210 ff. als "Kode-Umschaltung"). Wurde das Phänomen früher als Defizit gesehen, so wird es heute als Fähigkeit der multilingualen Sprecher betrachtet, sich auf unterschiedliche Gesprächsmodi einzustellen (vgl. Chilla, Rothweilweiler und Babur).

Natürliche und schulische Mehrsprachigkeit

Beim Erwerb von Mehrsprachigkeit unterscheidet man zwei verschiedene Arten:

  • ungesteuerten (oder natürlichen) Zweitspracherwerb (acquisition) und gesteuerten Zweitspracherwerb durch Unterricht (learning). Die ungesteuerte Mehrsprachigkeit ist ein unbewusster und impliziter Vorgang der in natürlicher Umgebung stattfindet. Die neu erlernte Sprache erfolgt durch alltägliche soziale Kontakte wie etwa beim Spielen mit Spielkameraden.
  • Bei der gesteuerten Mehrsprachigkeit wird die neue Sprache bewusst und explizit erlernt und findet somit mit Lehrern innerhalb von Institutionen wie der Schule z.B. statt (Ribeaud).

In Deutschland werden beide Arten, gesteuerter und ungesteuerter Spracherwerb durch die verschiedenen Aneignungskontexte den Begriffen Deutsch als Fremdsprache (DAF) und Deutsch als Zweitsprache (DAZ) zugeordnet.

  • Deutsch als Fremdsprache wird in der Schule von einer Lehrkraft didaktisch übermittelt und gelernt, hier erfolgt also ein gesteuerter Spracherwerb.
  • Deutsch als Zweitsprache erfolgt hingegen auf natürliche Weise und in einer natürlichen Umgebung.

Allerdings lassen sich der gesteuerte und der ungesteuerte Spracherwerb nicht immer klar trennen. Beide Möglichkeiten sind oft gekoppelt. Dies hängt immer mit dem jeweiligen Land zusammen. Wenn zum Beispiel ein DAF-Unterricht in einem deutschsprachigen Land stattfindet, lässt sich der gesteuerte und ungesteuerte Spracherwerb nicht mehr klar unterschieden. Denn die Lehrenden haben gleichzeitig Kontakt mit deutschen Muttersprachlern in einer natürlichen Umgebung. Sie erwerben die Sprache also auch ungesteuert über das Hören und Sprechen. Dies gilt auch für Migrantenkinder. Sie lernen zum Beispiel die Sprache des Gastlandes in der Schule (gesteuert), aber auch im Umgang mit Gleichaltrigen (ungesteuert).

Ribeaud erklärt, dass der Erstspracherwerb ungesteuert erfolgt. Kleinkinder im Alter von 0 bis 3 Jahren lernen von ihren Eltern, Geschwistern und Familie, sie saugen die Sprache wie ein Schwamm auf. Die Kinder lernen auch indirekt mit, so etwa wenn sie die Eltern reden hören und sie selbst dabei nicht angesprochen werden.

Man unterscheidet zwei Möglichkeiten beim natürlichen Mehrspracherwerb. Wenn die Kinder die zweite Sprache bereits gleichzeitig mit der Erstsprache erwerben, wird von einem bilingualen Erstspracherwerb gesprochen (bis zum Alter von drei Jahren). Man kann jedoch auch eine Sprache als älteres Kind oder als Erwachsener lernen (Riehl 2004). Beim bilingualen Erstspracherwerb (gleichzeitiges Lernen von zwei Sprachen) finden wir auch wiederum unterschiedliche Konstellationen (Romaine 1995).

  • eine Familiensprache (L1), eine Umweltsprache (L2) (Kindergarten, Außenwelt)
  • gemischtsprachige Familien (Vater spricht L1, Mutter spricht L2, die Umwelt spricht L1 oder L2)
  • gemischtsprachige Familien (Vater spricht L1, Mutter spricht L2) in einer anderssprachigen Umwelt (L3)

Riehl erklärt, dass es bei gemischtsprachigen Familien das ‚une personne – une langue‘ Prinzip gibt. Hierbei soll jedes Elternteil mit den Kindern seine Muttersprache sprechen, weil der Sprachgebrauch somit an bestimmte Personen gebunden ist. Kinder können daher zwischen ‚Papasprache‘ und ‚Muttersprache‘ unterscheiden, wenn sie ihr mehrsprachiges Lexikon aufbauen. Schwierig wird es jedoch, wenn einer der Partner nur einsprachig ist und somit beim Familiengespräch ausgeschlossen wird. Die Kinder werden sich aber bei dem ‚eine Person – eine Sprache‘-Prinzip schon sehr früh bewusst, dass sie mehrere Sprachen sprechen. Bei Migrantenkindern, die eine einheitliche Familiensprache sprechen, jedoch in einer unterschiedlichen Umweltsprache aufwachsen, ist es sehr wichtig, dass die Eltern bei ihrer Herkunftssprache bleiben und die Sprachen nicht mischen.

Beim ungesteuerten (natürlichen) Zweitspracherwerb haben die Kinder zwei Möglichkeiten, die neue Sprache zu erlernen. Die Kinder können einerseits die zweite Sprache schon als kleines Kind gleichzeitig mit der Erstsprache erwerben, dann spricht man vom sog. „Bilingualen Erstspracherwerb“ (bis zum Alter von drei Jahren). Andererseits kann die Sprache in einem späteren Stadium, als älteres Kind oder als Erwachsener erworben werden (ab zehn Jahren). Diese letzte Möglichkeit bringt jedoch Probleme mit sich. Beim Erwerb in einem späteren Stadium ist das akzentfreie Beherrschen einer Sprache kaum mehr möglich. Deshalb spricht man in diesem Fall von einer „kritischen Periode“ für Mehrspracherwerb (Riehl, 2004).

Beim bilingualen Erstspracherwerb ist die Entwicklung und Ausbildung einer starken und schwachen Sprache, trotz Strebens nach Ausgewogenheit im sprachlichen Input, nicht unumgänglich (Bilinguale mit dominanter Erst- oder Familiensprache). Das Kind erreicht nur in den seltensten Fällen eine balancierte Zweisprachigkeit (doppelter Erstspracherwerb). Die Förderung beider Sprachen ist also sehr wichtig, damit es nicht durch zu wenig sprachlich angemessenen Input zu einer „beidseitigen Halbsprachigkeit“ kommen kann (Riehl, 2004). Allerdings erklärt Riehl weiter, dass das Gehirn an sich schon auf den Erwerb mehrerer Sprachen ausgerichtet ist und keine eigenen Gebiete für die einzelnen Sprachen vorsieht. Die Sprachfähigkeit ist also angeboren und nicht die Kenntnis eines bestimmten Sprachsystems.

Grundsätzliche Problematik

Die Sprache kann zwar durch das Eintauchen in eine anderssprachige Gesellschaft erlernt werden, der Schriftspracherwerb ist dabei jedoch normalerweise an institutionelle Vermittlung, d.h. an Schulunterricht, gekoppelt. Das Gleiche gilt auch umgekehrt für die Erstsprache: Migrantenkinder, die z.B. in Deutschland in die Schule gehen, lernen in der Regel nur die deutsche Sprache als Schriftsprache. Die Muttersprache bleibt hingegen oft lediglich „Haussprache“, was die überwiegende Zahl von Migranten in der ganzen Welt betrifft. Dabei wachsen die Kinder in einem Land mit einer unterschiedlichen Sprache auf und werden auch in dieser Sprache alphabetisiert. „Ausgewogene Mehrsprachigkeit erwirbt man aber nur, wenn man auch die Schriftsprache in der jeweiligen Sprache lernt. D.h. wenn man zweisprachige Schulen oder Schulen mit sog. „Immersionsunterricht“ besucht“ (Riehl, 2004). In dem sogenannten „Immersionsunterricht“ bekommen die „Schüler ein ‚Sprachbad‘, in dem auch andere Unterrichtsfächer als der Sprachunterricht in dieser Sprache abgehalten werden. Diese Immersionsprogramme können sehr vielfältig sein.“ (Riehl, 2004).

Chancen der Mehrsprachigkeit

In Bezug auf die Mehrsprachigkeit wird diese von den Theoretikern aus zwei Sichtweisen betrachtet. Zum einen wird sie noch immer als Nachteil einer Gesellschaft betrachtet, zum anderen stellt sie eine Anzahl von Vorteilen dar. Diese Chancen der Mehrsprachigkeit werden nun hier deutlich gemacht.

Kommunikationsfähigkeit

Ein offensichtlicher Vorteil der Mehrsprachigkeit ist die erhöhte gesellschaftliche Kommunikationsfähigkeit (Reimann, 2009). Zum einen fördert dies einen internationalen Austausch (Roth, 2006). Menschen mit unterschiedlichen Muttersprachen und aus verschiedenen Ländern können sich trotzdem untereinander verständigen und in vielen Situationen kommunizieren. Die Verständigungsmöglichkeiten sind nicht nur nach außen gerichtet, sondern auch nach innen: Innerhalb einer Gesellschaft werden die Verständigungsmöglichkeiten gefördert. Da die Kommunikation zwischen den Mehr- und Minderheiten möglich wird, kann ein gemeinsames Miteinander möglich werden. Auf diese Weise wird unterschiedlichen Minderheiten die Integration in die und die Partizipation an der Gesellschaft erleichtert (Roth, 2006).

Sprachen als sprachliche RessourceKognitive Vorteile

Die Sprachen, die ein Mensch beherrscht, können ihm in vielen Punkten als sprachliche Ressource dienen. Kinder sowie Jugendliche, die mit mehreren Sprachen aufwachsen, gewöhnen sich früh daran, die Sprachen zu kontrastieren. Durch diesen bestimmten Vergleich wird ein metasprachliches Bewusstsein aufgebaut. Dieses stellt einen Vorteil für sie dar, wenn es darum geht, neue Sprachen und somit neue sprachliche Strukturen zu erlernen (Roth, 2006).

So wie Riel (2006) erläutert, beschränkt sich der Vorteil der Mehrsprachigkeit beim Erlernen neuer Sprachen nicht nur auf das Sprachengefühl, sondern auch auf das metasprachliche Wissen. Mehrsprachige Menschen sind hierbei den einsprachigen überlegen, da sie unterschiedliche sprachliche Strategien beim Erlernen neuer Sprachen anwenden können, die sie aus ihrer Mehrsprachigkeit schöpfen können (so zum Beispiel das Paraphrasieren und das Code-Switching), sie gehen selbstsicherer an Texte heran und suchen gezielter nach vertrauten Strukturen und Wörtern. Sie können ebenfalls besser Wortgrenzen feststellen und grammatische Regeln verstehen, da sie eher auf diese Aspekte aufmerksam werden als Einsprachige (Riel, 2006).

Unterschiedliche Untersuchungen in der Hirnforschung (vgl. Franceschini, 2001) bringen deutlich hervor, dass eine frühe Mehrsprachigkeit (ab dem sechsten Lebensjahr) im Erlernen von neuen Sprachen erhebliche Vorteile aufzeigt. Die weiteren Sprachen können an die Areale der bereits vorhandenen Sprachen verlinkt werden und somit das Lernen erleichtern (Riel, 2006). In weiteren Studien haben Psycholinguisten feststellen können, dass es eine unverkennbare Verbindung zwischen dem metasprachlichen Bewusstsein und dem Lesenlernen besteht. Eine dieser Studien (vgl. Clyne, 2005) hat gezeigt, dass mehrsprachige Kinder den monolingualen Kindern hierbei einige Monate voraus sind. Dies wird durch ihre Fähigkeit zur Worterkennung begründet (Riel, 2006).

Sprachpragmatischer Aspekt

Die Mehrsprachigkeit bringt des Weiteren sprachpragmatische Aspekte mit sich. Zwei- und Mehrsprachigkeit erweitert den Horizont des einzelnen. Dies bezieht sich zum einen auf die interkulturelle Verständigung, aber zum anderen ebenfalls auf die individuellen Bildungsmöglichkeiten. Mehrere Sprachen sprechen und verstehen zu können, bringt im schulischen und im beruflichen Feld viele Vorteile mit sich (Roth, 2006).

Im Sinne des sprachpragmatischen Aspektes spricht Riel (2006) von der „differenzierten Sicht auf die Welt“ der Mehrsprachigen, da sie durch „die Brille der anderen Sprachen“ blicken können, so andere Sichtweisen kennenlernen und flexibler im Handeln werden.

Schwierigkeiten der Mehrsprachigkeit

Die durch die Migration entstandene Mehrsprachigkeit wird von einigen wenigen Forschern als Nachteil gesehen, und es wird in der Literatur immer wieder auf ihre Schwierigkeiten hingedeutet. So beteuert Stölting (1980), dass die Mehrsprachigkeit überhaupt nicht in der Natur des Menschen liege. Wir seien ein einsprachiges Lebewesen und es würde gegen unsere Natur sprechen, weitere Sprachen zu lernen und zu sprechen (Ostendoerfer, 2009). Die folgenden Argumente und Beobachtungen beziehen sich alle auf später und möglichweise unvollständig erworbene Zweitsprachen. Bei Erwachsenen mit kindlich erworbener Mehrsprachigkeit, unter sechs Jahren, sind sie nicht nachweisbar.

Zeitaufwand

Eine der Schwierigkeiten bei der Mehrsprachigkeit ist der Weg, der dahin führt. Eine zweite oder dritte Sprache zu erlernen, kostet den Lerner viel Zeit. Dies stellt einen großen Aufwand dar, der oft auf Kosten anderer Tätigkeiten stattfindet und der viele Menschen davon abhält, weitere Sprachen zu erlernen (Krieger, 2011). Abhängig vom Kontext, in dem man lernt, muss man von unterschiedlich hohen Kosten ausgehen, so wie unter anderem durch Sprachkurse und durch Bücher zur Unterstützung des Lernprozesses.

Vermindertes Sprachgefühl

Wenn man unterschiedliche Sprachen lernt und sie spricht, ist es laut Krieger (2011) klar, dass die Sprachen sich gegenseitig beeinflussen. Dies führt zu einer Schwächung des Sprachgefühls, da ein Mehrsprachiger sich nie auf eine einzige Sprache konzentrieren kann, ohne sich beim Sprechen und beim Schreiben ebenfalls an den weiteren Sprachen zu orientieren. Weitere Faktoren, die negativ durch die Mehrsprachigkeit beeinflusst werden, sind die Unsicherheit des Ausdruckes und die Armut des lebendigen Wortschatzes. Dies wird dadurch begründet, dass man immer wieder die Sprachen, den Wortschatz sowie die Grammatik der einzelnen Sprachen durcheinander bringt.

Schwacher Zusammenhalt einer Gesellschaft

Laut Eichinger (1994) wird eine Gemeinschaft unter anderem von der Sprache der einzelnen Teilnehmer zusammengehalten. Werden jedoch mehrere Sprachen gesprochen, so ist die Gemeinschaft nicht so stark wie eine Gruppe von Menschen, die nur eine Sprache spricht. In diesem Falle ist die Zusammengehörigkeit stärker und den Menschen auch bewusster. Dieser negative Aspekt der Mehrsprachigkeit steht jedoch im Kontrast zum Faktor der Integration und Partizipation der Teilnehmer einer Gesellschaft durch die Mehrsprachigkeit, der oben unter „Chancen der Mehrsprachigkeit“ aufgeführt ist.

Mehrsprachigkeit als Sprachbarriere

Wiederum im Kontrast zu den oben genannten Chancepunkten der Mehrsprachigkeit soll laut Roth (2006) und Eichinger (1994) die Mehrsprachigkeit eine Sprachbarriere für die Menschen darstellen. Da ein Mehrsprachiger keine seiner Sprachen mit fester Sicherheit sprechen kann (da alle Sprachen sich gegenseitig beeinflussen), kann dies dazu führen, dass sich niemand in einer mehrsprachigen Gesellschaft richtig miteinander verständigen kann. In Bezug auf Migrantenfamilien verhindert dies ebenfalls ihre Integration in die und ihre Partizipation an der Gesellschaft.

Literatur

  • Yilmaz Ali; Schweizer Nachrichten für internationale Medien Soliday (Hrsg.): Mehrsprachigkeit in der Schweiz - Gewinn oder Nachteil. Basel 2004
  • Müller, N., Kupisch, T., Schmitz, K., & Cantone K.: Einführung in die Mehrsprachigkeitsforschung. Narr, Tübingen 2001, ISBN 978-3-8233-6674-4.
  • Claudia Maria Riehl: Sprachkontaktforschung. Eine Einführung. Narr, Tübingen 2002, ISBN 3-8233-6013-2.
  • Heints, D. Müller, J. & Reiberg, L. (2006). Mehrsprachigkeit macht Schule. Kölner Beiträge zur Sprachdidaktik.: http://www.kompetenzzentrum-sprachfoerderung.de/fileadmin/user_upload/koebes_04_2006.pdf
  • Lehr- und Lernwerkstatt. (2008).Deutsch als Zweitsprache. Spracherwerb, gesteuert, gelenkt http://daz-lernwerkstatt.de/index.php?id=338&type=0&uid=20&cHash=64cbaf3b8c
  • Ribeaud, M. Spracherwerb. Zeitschrift visuell plus. http://www.gebaerden-sprache.ch/index.php?spracherwerb
  • Romaine, S. (1995). Bilingualism (second edition). MPG Books Ltd. Bodmin. Cornwall, ISBN 0-631-19539-4
  • Riehl, C. (2006). Artikel „Die Bedeutung von Mehrsprachigkeit“ aus dem Kompetenzzentrum Sprachförderung - newsletter Januar 2006 (Köln) http://ganztag-blk.de/ganztags-box/cms/upload/sprachfrderung/BS_3/Artikel_Die_Bedeutung_von_Mehrsprachigkeit.pdf
  • Eichinger, L. (1994). Sprachliche Kosten-Nutzen-Rechnung und die Stabilität mehrsprachiger Gemeinschaften. In U. Helfrich & C. Riehl (Hg.) Mehrsprachigkeit in Europa – Hindernis oder Chance? (pp. 31-54). Wilhelmsfeld: Egert Verlag.
  • Riehl, C. (2006). Aspekte der Mehrsprachigkeit: Formen, Vorteile, Bedeutung. In L. Reiberg (Hg.) Mehrsprachigkeit macht Schule, (pp. 15-23). Duisburg: Gilles & Francke Verlag.
  • Roth, H. (2006). Mehrsprachigkeit als Ressource und als Bildungsziel. In L. Reiberg (Hg.) Mehrsprachigkeit macht Schule, (pp. 11-14). Duisburg: Gilles & Francke Verlag.
  • Colin Baker (2007): Zweisprachigkeit zu Hause und in der Schule. Ein Handbuch für Erziehende. Engelschoff: Verlag auf dem Ruffel. ISBN 978-3-933847-11-9.
  • Koudrjavtseva, E., Volkova, T. (2014) BILIUM-Bilingualism Upgrade Module (Part II): A comprehensive approach to teaching bilingual children language (non-native and another/second native) in the early childhood educational systems (ECES) of the European Union: A framework for an advanced training programme for pre-school teachers and similar structural units in mainstream schools (pupils from the age of 1.5 years to 5 years). Riga: RetorikaA. ISBN 978-9984-865-67-6; auch online abrufbar
  • Hadumod Bußmann: Lexikon der Sprachwissenschaft. 4. Auflage, Verlag Kröner, Stuttgart, 2008; ISBN 3-5204-5204-9
  • Jean-Louis Calvet: La guerre des langues et les politiques linguistiques, Payot, Paris, 1987 ISBN 2-228-14200-X
  • S. Chilla, M. Rothweiler, E. Babur: Kindliche Mehrsprachigkeit. Grundlagen-Störungen-Diagnostik. Reinhardt, München 2010, ISBN 978-3-497-02165-9.
  • Csaba Földes: Interkulturelle Linguistik: Vorüberlegungen zu Konzepten, Problemen und Desiderata. Veszprém: Universitätsverlag/Wien: Ed. Praesens 2003 (Studia Germanica Universitatis Vesprimiensis, Supplement; 1; PDF; 4,0 MB). ISBN 3-7069-0230-3 und ISBN 963-9495-20-4
  • Csaba Földes: Kontaktdeutsch. Zur Theorie eines Varietätentyps unter transkulturellen Bedingungen von Mehrsprachigkeit. Tübingen: Verlag Gunter Narr 2005; ISBN 3-8233-6160-0 (Inhaltsverzeichnis und Volltext; PDF; 2,8 MB)
  • Volker Hinnenkamp: Vom Umgang mit Mehrsprachigkeit, in: APuZ 8/2010, S. 27–32.
  • Sabine Schrader, Christiane Maas (Hrsg.): Viele Sprachen lernen … ein notwendiges Übel? Chancen und Probleme der Mehrsprachigkeit. Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2002, ISBN 978-3-935693-54-7.
  • Rita Zellerhoff (2009): Didaktik der Mehrsprachigkeit. Didaktische Konzepte zur Förderung der Mehrsprachigkeit bei Kindern und Jugendlichen, Schulformübergreifende Konzepte unter besonderer Berücksichtigung des Förderschwerpunktes Sprache, Lang, Frankfurt am Main ISBN 978-3-631-58569-6
  • Sprachenzentrum der Universität und der ETH Zürich, Sabina Schaffner (Hrsg.): Unsere Mehrsprachigkeit, Eine Sammlung von Mehrsprachigkeitsbiografien – Studierende und Mitarbeitende der Universität Zürich und der ETH Zürich erzählen. vdf Hochschulverlag, Zürich 2012, ISBN 978-3-7281-3447-9

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