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Leopold Figl

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Leopold Figl (* 2. Oktober 1902 in Rust im Tullnerfeld, Niederösterreich; † 9. Mai 1965 in Wien) war ein Politiker der Österreichischen Volkspartei (ÖVP). Von 1945 bis 1953 war er der erste Bundeskanzler Österreichs nach dem Zweiten Weltkrieg und, nach der Provisorischen Staatsregierung unter Karl Renner, gleichzeitig der erste Bundeskanzler einer demokratisch legitimierten österreichischen Bundesregierung seit 1934. Als Außenminister war er danach an den Verhandlungen zum Österreichischen Staatsvertrag beteiligt, den er 1955 für Österreich unterzeichnete.

Leopold Figl in seiner Zeit als Landeshauptmann
Unterschrift von Leopold Figl (Staatsvertrag 1955)

Leben

Gymnasium und Studium

Der Bauernsohn wuchs mit vier Schwestern und vier Brüdern auf. Sein Vater verstarb, als Figl 12 Jahre alt war. Dennoch konnte ihn seine Mutter aufs Gymnasium in St. Pölten schicken.[1] Figl gründete als Gymnasiast gemeinsam mit seinem späteren Nachfolger als Bundeskanzler, Julius Raab, die MKV-Verbindungen Nibelungia St. Pölten und Aggstein.

1923 nahm Figl sein Studium an der Hochschule für Bodenkultur in Wien auf. Während des Studiums wurde er Mitglied der KaV Norica Wien, damals im CV, jetzt im ÖCV. Später verliehen ihm zahlreichen andere Studentenverbindung aus MKV und ÖCV ehrenhalber die Mitgliedschaft.

Bauernbund

Als Agraringenieur wurde er 1931, nach Abschluss seines Studiums, zum stellvertretenden Direktor des niederösterreichischen Bauernbunds bestellt. 1933 wurde er dessen Direktor. Nach dem austrofaschistischen Staatsstreich von Engelbert Dollfuß 1933 / 1934 wurde Figl im „Ständestaat“ Mitglied des Bundeswirtschaftsrats und niederösterreichischer Führer der Ostmärkischen Sturmscharen, einer paramilitärischen Organisation. Ab 1937 war er auch Obmann des österreichischen Reichsbauernbunds.

KZ-Häftling

Beim „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich wurde Figl als prominenter Funktionär des Ständestaates am 12. März 1938 verhaftet und mit dem sogenannten Prominententransport vom 1. April 1938 in das KZ Dachau gebracht. Dort war Figl der erste Österreicher, der zur Prügelstrafe verurteilt wurde, weil er verbotenerweise in einem Gespräch das Wort Österreich verwendete. Er wurde vor den versammelten Häftlingen und Wachmannschaften von zwei kräftigen SS-Männern über einen Bock gelegt und mit einem wassergetränkten Ochsenziemer 25 Mal auf den Rücken geschlagen, und dies im Zeitlupentempo, um die grausame Prozedur zu verzögern. Er musste, solange er konnte, mitzählen. Als er wieder losgebunden wurde, lag er bewusstlos mit blutverschmiertem zerschlagenen Rücken auf dem Bock.

Danach erhielt er sechs Monate Dunkelhaft: In einer fensterlosen Zelle mit einer Pritsche bekam er zweimal wöchentlich Wasser und Brot. Im September 1939 erfolgte die Überstellung ins KZ Flossenbürg. Im April 1940 wurde er nach Dachau zurückverlegt. Dort erkrankte Figl an Typhus. Nach über fünf Jahren KZ-Aufenthalts wurde er am 8. Mai 1943 vorläufig entlassen.

Julius Raab vermittelte ihm eine Beschäftigung in seiner Baufirma. Trotz der erlittenen Verfolgung und der Qualen in den KZs betätigte er sich im Untergrund und versuchte in Niederösterreich den Bauernbund im Untergrund zu reaktivieren. Er wurde am 8. Oktober 1944 neuerlich verhaftet und ins KZ Mauthausen verbracht. Am 21. Jänner 1945 wurde er gemeinsam mit Lois Weinberger, Heinrich Maier und Felix Hurdes von Mauthausen nach Wien ins Landesgericht für Strafsachen Wien überstellt. Auf Figls Akte stand das Kürzel „VG“, was eine Anklage wegen Hochverrats vor dem Volksgerichtshof bedeutete.[2] Dort saß er monatelang in der Todeszelle des Volksgerichtshofs, wurde drei Mal, jedes Mal den Tod vor Augen, dem Richter vorgeführt.[3]

Der Zusammenbruch der NS-Herrschaft rettete Figl vor der Exekution. Beim Vorrücken der Roten Armee wurden er und andere Todeskandidaten am 6. April 1945 vom Landesgericht entlassen.[4] Zuvor ging er noch von Zelle zu Zelle, um die aufgebrachten Häftlinge zu beruhigen und von Übergriffen auf ihre ehemaligen Bewacher abzuhalten.[5]

ÖVP-Mitgründer

Nach der Befreiung Wiens durch sowjetische Truppen im April 1945 erhielt Figl von der Militärkommandantur den Auftrag, die Wiener Bevölkerung mit Lebensmitteln zu versorgen. Durch die Erfahrungen des Ständestaats und des Nationalsozialismus war Figl zum Befürworter einer Zusammenarbeit aller politischen Lager geworden. Figl gründete am 14. April den Bauernbund neu und wurde dessen Direktor. Bei der Gründung der ÖVP drei Tage später im Wiener Schottenstift (wo eine Gedenktafel heute noch daran erinnert) wurde er zu deren stellvertretendem Obmann gewählt.

Im Politischen Kabinettsrat

Am 27. April 1945, dem Tag der Wiedererrichtung der Republik Österreich durch die Österreichische Unabhängigkeitserklärung, wurde Figl provisorischer Landeshauptmann von Niederösterreich und Staatssekretär (= Minister) ohne Porteufeuille in der provisorischen Staatsregierung Renner. In dieser bildete er mit Renner und je einem SPÖ- und KPÖ-Staatssekretär den Politischen Kabinettsrat, der alle wichtigen Entscheidungen traf bzw. vorbereitete.

Erster Bundeskanzler der Zweiten Republik

Nach den ersten Nationalratswahlen wurde Figl am 20. Dezember 1945 von Karl Renner, der am gleichen Tag zum Bundespräsidenten gewählt worden war, zum ersten Bundeskanzler der Zweiten Republik ernannt (Dreiparteienkabinett Figl I).

Am 21. Dezember 1945 gab Figl seine Regierungserklärung im Parlament ab:[6]

In wenigen Tagen feiern wir Weihnachten. Weihnachten ist für uns ein Hochfest der Familie. Es wird heuer leider kein Weihnachten sein, so wie wir es gerne haben möchten. Auf den Christbäumen, wenn wir welche haben, wird ein schönes Päckchen voll Sorgen hängen.

Am 24. Dezember richtete er dann via Radio eine Weihnachtsbotschaft an die Österreicher.[7] Von dieser Weihnachtsansprache sind weder Manuskript noch Aufzeichnung erhalten. Der Journalist Hans Magenschab rekonstruierte den Text 1965 aus Erinnerungen von Zeitzeugen und aus Zeitungsausschnitten. Figls Großneffe Ernst Wolfram Marboe zeichnete den von Figl im April 1965 im Funkhaus in der Argentinierstraße nachgesprochenen Text für die 20-Jahr-Feier der Republik auf:[8][9]

Ich kann Euch zu Weihnachten nichts geben, ich kann Euch für den Christbaum, wenn ihr überhaupt einen habt, keine Kerzen geben, kein Stück Brot, keine Kohle zum Heizen, kein Glas zum Einschneiden. Wir haben nichts. Ich kann Euch nur bitten, glaubt an dieses Österreich!

Leopold Figl, 1965 rekonstruierte Weihnachtsansprache von 1945 im Österreichischen Rundfunk.[10][11]

1946 wurde Figl zum Dr. h. c. der Technischen Hochschule Wien ernannt, 1948 zum Dr. h. c. der Hochschule für Bodenkultur Wien.

Außenminister des Staatsvertrags

Am 2. April 1953 wurde Figl nach ÖVP-interner Kritik an seiner zu großen Kompromissbereitschaft gegenüber der SPÖ als Bundeskanzler von Julius Raab abgelöst. Figl wurde am 26. November als Nachfolger von Karl Gruber 1953 Außenminister der Bundesregierung Raab I und hatte als solcher großen Anteil am Abschluss des Staatsvertrags.

Nach dessen Unterzeichnung am 15. Mai 1955 im Schloss Belvedere in Wien, bei der er für Österreich unterschrieb, sprach Außenminister Figl die Worte: „Österreich ist frei!“ und zeigte den jubelnden Zuschauern den Vertrag vom Balkon des Schlosses aus. Dann nahm er die Hände der vier Außenminister Dulles, Molotow, Macmillan und Pinay und legte sie ineinander. (Figls berühmte Worte fielen allerdings nicht, wie aus Filmreportagen meist geschlossen wird, auf dem Balkon des Belvederes, wo Lautsprecher nicht installiert worden waren, sondern im Marmorsaal, wo die Unterzeichnung stattfand.)

Figl blieb in der Bundesregierung Raab II bis 1959 Außenminister.

Nationalratspräsident und Landeshauptmann

Eintrag von Leopold Figl in seiner Funktion als niederösterreichischer Landeshauptmann im Gästebuch der Konditorei Piaty in Waidhofen an der Ybbs am 11. Mai 1962

1959 wurde Figl als Außenminister von Bruno Kreisky (SPÖ) abgelöst; die SPÖ hatte weniger Mandate, aber mehr Stimmen als die ÖVP erhalten. Von 1959 bis 1962 war Figl Nationalratspräsident, danach Landeshauptmann von Niederösterreich.

Von 1960 bis 1964 war Figl Schirmherr der Pfadfinder Österreichs und von 1964 bis zu seinem Tod Präsident dieses Verbandes.

Beim Besuch von Chruschtschow 1960 in Figls engerer Heimat, dem Tullnerfeld, kam es zur Kukuruzwette, bei der es darum ging, ob, wie von Chruschtschow behauptet, der russische Mais (Kukuruz) wirklich zehnmal ertragreicher sei als der österreichische. Figl wettete, dass der Mais im Tullnerfeld ebenso gut sei wie jener in der Ukraine und gewann 1961 die Wette, das vereinbarte Schwein bekam er allerdings nie.[12]

Kurz nachdem er Landeshauptmann von Niederösterreich geworden war, machte sich seine unheilbare Krankheit – Nierenkrebs – bemerkbar. Seine Partei wollte ihn im März 1965 als Bundespräsidentschaftskandidaten aufstellen, was er jedoch ablehnte. Zweieinhalb Monate später starb er.

Grab von Leopold Figl auf dem Wiener Zentralfriedhof

Figls Leichenzug wurde am 14. Mai 1965 unter starker Anteilnahme der Bevölkerung am Parlament vorbei über die Ringstraße zum Heldenplatz geführt, wo die Trauerfeier stattfand. Seit dem historischen Abschluss des Staatsvertrages waren genau zehn Jahre vergangen. Figl wurde in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof (Gruppe 14 C, Nummer 22) beigesetzt.[13]

Ehrungen

Figl-Denkmal vor der Leopold-Figl-Gasse am Minoritenplatz in Wien

Literatur

  • Ernst Trost: Figl von Österreich. Der Weg zum Staatsvertrag. Amalthea, Wien 1985, ISBN 3-85002-203-X.
  • Ernst Trost: Österreich ist frei! Leopold Figl und der Weg zum Staatsvertrag. Amalthea, Wien 2006, ISBN 3-85002-532-2.
  • Hans Ströbitzer, Reinhard Linke (Hrsg.): Leopold Figl und seine Zeit. Residenz Verlag, Wien/St. Pölten 2012, ISBN 978-3-7017-3302-6.
  • Susanne Seltenreich: Leopold Figl. Der Weg zum Staatsvertrag. Gertraud Trska (Red.), Leopold Figl Museum, Rust im Tullnerfeld 1991, ISBN 3-900992-6-2 (formal falsche ISBN).
  • Helmut Wohnout: Leopold Figl und das Jahr 1945. Von der Todeszelle auf den Ballhausplatz. Residenz Verlag, Wien/St. Pölten 2015, ISBN 978-3-7017-3358-3.

Weblinks

 Commons: Leopold Figl – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Susanne Seltenreich: Leopold Figl - ein Österreicher. Wien 1962, S. 203f.
  2. Parlamentskorrespondenz Nr. 666 vom 02.10.2002: Feierstunde zum 100. Geburtstag von Leopold Figl im Parlament.
  3. Gertraud Trska: Leopold Figl. Ein Optimist – durch und durch. Leopold Figl Museum, Rust 1990, ISBN 3-900992-6-1 (formal falsche ISBN), S. 36.
  4. Johannes Kunz (Hrsg.), Robert Prantner: Leopold Figl. Ansichten eines großen Österreichers. Edition S., Verlag der Österreichischen Staatsdruckerei, Wien 1992, ISBN 3-7046-0318-X, S. 16.
  5. Susanne Seltenreich: Leopold Figl - ein Österreicher. Wien 1962, S. 17.
  6. Wiener Zeitung: Leopold Figls echte Weihnachtsbotschaft. Artikel vom 21. Dezember 2005, abgerufen am 10. Mai 2015.
  7. Figls Radiorede 1945: Der "Poldl" rührt uns noch heute. Die Presse vom 23. Dezember 2009, abgerufen am 10. Mai 2015.
  8. profil.at - Die mageren Jahre. Artikel vom 3. April 2005, abgerufen am 10. Mai 2015.
  9. landesmuseum Niederösterreich - "Glaubt an dieses Österreich!". Abgerufen am 10. Mai 2015.
  10. Die amerikanische Besatzung in Oberösterreich Das von dieser Rede erhaltene Tondokument wurde allerdings einige Jahre später aufgenommen, da 1945 kein Tonband mitlief.
  11. Die Presse: Figls Radiorede 1945: Der „Poldl“ rührt uns noch heute (24. Dezember 2009)
  12. ORF: 50 Jahre Kukuruzwette
  13. Thomas Chorherr: Große Österreicher. Verlag Carl Ueberreuter, Wien 1985.
  14. Felix Czeike, (Hrsg.): Historisches Lexikon Wien, Kremayr & Scheriau, Wien 1993 bzw. 1995, Band 2, S. 301, und Band 4, S. 325.
  15. Aufstellung aller durch den Bundespräsidenten verliehenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich ab 1952 (PDF; 6,9 MB)


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