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Karl Renner

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Der Titel dieses Artikels ist mehrdeutig. Zum gleichnamigen Feuerwehrkommandanten siehe Karl Renner (Feuerwehrkommandant).
Karl Renner (um 1905)

Karl Renner (geb. 14. Dezember 1870 in Untertannowitz, Mähren; gest. 31. Dezember 1950 in Wien) war ein österreichischer sozialdemokratischer Politiker (SDAP/SPÖ) und Jurist. Nach dem Ersten Weltkrieg war er von 1918 bis 1920 als Staatskanzler (Staatsregierung Renner I, Renner II und Renner III) maßgeblich am Entstehen der Ersten Republik Österreich beteiligt und leitete auch die österreichische Delegation bei den Verhandlungen in Saint-Germain. Von 1920 bis 1934 war Renner Abgeordneter zum Nationalrat und von 1931 bis 1933 Präsident des Nationalrates; sein Rücktritt führte zur angeblichen Selbstausschaltung des Parlaments.

1938 war er aktiver Befürworter des von ihm 1918/19 erfolglos betriebenen „Anschlusses“ Österreichs an das Deutsche Reich.[1]

Als Österreich als unabhängiger Staat nach dem Zweiten Weltkrieg wiedererrichtet wurde, war er als Chef der provisorischen Regierung neuerlich einer der Hauptakteure. Von Dezember 1945 bis zu seinem Tod 1950 amtierte er als erster Bundespräsident der Zweiten Republik.

Renner war Anhänger der parlamentarischen Demokratie im Sinne Lassalles und zählte als solcher in seiner Partei zum rechten (pragmatischen) Flügel. Dabei hat Renner immer darauf beharrt, als Marxist zu gelten, wenn auch als ein Marxist eigener Observanz.[2] Renner gilt als fruchtbarer Publizist, dessen Spezialgebiet die Rechtssoziologie war. Seine Pseudonyme als Schriftsteller waren Synopticus und Rudolf Springer.

1891–1920: Die frühen Jahre

Kindheit und Studium

Karl Renner wuchs in ärmlichen Verhältnissen in einem fast ausschließlich deutsch besiedelten Dorf in Südmähren, wenige Kilometer nördlich der Nordgrenze Niederösterreichs, auf. Er kam mit seinem Zwillingsbruder Anton als 17. oder 18. Kind seiner Eltern zur Welt, hineingeboren in eine Weinbauernfamilie. (Sein Vorname wurde nach damaliger Rechtschreibung als Carl ins Taufregister eingetragen.) Sein Elternhaus wurde als Folge von Kinderreichtum, Agrarkrise und ländlichem Wucher zwangsversteigert und die Familienangehörigen zerstreuten sich in die Welt, verteilt auf die verschiedensten Berufe und Lebenseinstellungen, was ein typischer Vorgang für die soziale Umschichtung der Zeit um 1900 war. Während seine Eltern ins Armenhaus ziehen mussten, konnte er das Gymnasium besuchen (einer seiner Lehrer war Wilhelm Jerusalem), maturierte in Nikolsburg (Mikulov) mit Auszeichnung und absolvierte von 1891 bis 1896 das Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Wien.[3] Renner war 1895 maßgeblich an der Gründung der internationalen Naturfreundebewegung beteiligt, die heutzutage weltweit über 500.000 Mitgliedern verfügt.[4] Nach dem Abschluss des Studiums gelang es ihm, eine definitive Beamtenstelle in der Bibliothek des Reichsrates, des Parlaments Altösterreichs, zu erhalten.

Engagement in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei

Nebenbei engagierte er sich in der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP). In seiner ersten großen Arbeit widmete er sich der akuten Nationalitätenfrage.[5] Sein Lösungsansatz: Die Zugehörigkeit zur Nation soll nicht nach territorialen, sondern nach personellen Gesichtspunkten geregelt werden. Die zu bildenden Verbände auf ethnischer Basis sollten ihre Interessen ihrer Stärke gemäß im gemeinsamen Reichsrat vertreten.

Renner war aber nicht nur sozialistischer Theoretiker, sondern auch sozialistischer Funktionär mit hohem Engagement an der Basis. Nach seiner Berufung in den Reichsrat im Jahre 1907 widmete er sich weiterhin dem Genossenschaftswesen, da er dieses als besonders wichtigen Teil der „sozialistischen Dreifaltigkeit“ (Genossenschaften, Gewerkschaften, Bildungsarbeit) betrachtete. 1910 schrieb er eine umfangreiche Abhandlung über „Landwirtschaftliche Genossenschaften“ und „Konsumvereine“.

1911 wurde er zum Verbandsobmann des Zentralverbandes österreichischer Konsumvereine (ZÖK) gewählt. Um die teilweise finanziell angeschlagenen Genossenschaften von der Abhängigkeit bürgerlicher Großbanken zu befreien, gründete er im Jahr 1912 den Kreditverband der österreichischen Arbeitervereinigungen, der 1922 in die Arbeiterbank umgewandelt wurde. An der „Arbeiterbank AG“ besaßen die sozialistischen Gewerkschaften und die Großeinkaufsgesellschaft für österreichische Consumvereine (GÖC) je 40 % Anteile.

Renners Genossenschaftsarbeit trug messbare Früchte. Sie schuf einen Kreis dankbarer Genossenschafter, auf den er sich immer wieder stützen konnte. Diese grundsätzlich antirevolutionäre Tätigkeit sowie sein Landhaus in Gloggnitz machten ihn, dem tatsächlich „jeder Hang zum gewaltsamen Umsturz fremd“ war,[6] zur Zielscheibe des linken Flügels einer Partei, die zumindest theoretisch auf dem Boden des auf Umsturz ausgerichteten Kommunistischen Manifestes stand. So warf ihm Friedrich Adler, der im Jahr 1917 seinen Mordprozess in eine Abrechnung mit der SDAP umfunktionierte, stellvertretend für den rechten Parteiflügel „biedere Verlogenheit“, „Prinzipienlosigkeit“ und „Gaukelei“ vor.[7] Dieser Vorwurf kann nicht achtlos ignoriert werden, da Renner in einer Parlamentssitzung 1917 vor der Errichtung von Republiken in ganz Europa durch die Franzosen als Untergang der Zivilisation warnte, während er 1919 die Monarchie als „Völkerkerker“ bezeichnete.

Politik im Ersten Weltkrieg

Karl Renner war, wie ein großer Teil der deutschösterreichischen Sozialdemokratie, im Krieg Verfechter der Mitteleuropaideen Friedrich Naumanns und wurde von Adler deswegen scharf kritisiert. Renner übersah in seinem Optimismus, dass die Westmächte eine deutsche Hegemonie ablehnten. In einer Sitzung am 13. Juli 1915 sprach sich Renner zwar gegen deutschen Landerwerb im Westen aus, gestand dem Verbündeten aber zu,

„dass das Verhältnis Belgiens so geordnet werde, dass es kein Hindernis künftiger Kriege sei. Im Osten sei nur Annexionsland […]. Man tut dem dauerhaften Frieden keinen Dienst, wenn man nur einen Frieden anstrebt, der nur ein Waffenstillstand ist.“

Einem selbständigen Polen sei Galizien und Preußisch-Polen anzugliedern, was eine Hegemonie der Mittelmächte voraussetzte.[8]

Renners Forderung nach einer umfassenden territorialen Neuregelung, um einen dauerhaften Frieden zu erreichen, rief die offene Kritik Adlers hervor. Aber auch Adler war wegen der Polenfrage gehindert, frühzeitig das populäre Schlagwort vom Frieden ohne Annexionen aufzugreifen. Anfang 1916 hatte Renner bei Verhandlungen mit deutschen Sozialdemokraten einem mitteleuropäischen Wirtschaftsbund, der Freihandel zuließ, zugestimmt, aber eine politische und militärische Union abgelehnt.[9] Mitte Juni 1917 forderte Renner zusammen mit Karl Seitz im Reichsrat schließlich den Frieden ohne Annexionen und Kontributionen.

Renner als Staatskanzler, Außenpolitiker und Oppositionsführer

Renner bei den Verhandlungen in Saint-Germain (zweiter von links)

Nach dem Zusammenbruch der Monarchie wurde Renner am 30. Oktober 1918 von der Provisorischen Nationalversammlung für Deutschösterreich zum Staatskanzler gewählt und blieb dies bis 7. Juli 1920. Er hatte wesentlichen Anteil an der formalen Staatswerdung der Republik, am Habsburgergesetz und am Zustandekommen des Bundes-Verfassungsgesetzes. Zuletzt Staatssekretär des Äußeren, schied er wie die anderen Sozialdemokraten am 22. Oktober 1920 aus der Regierung aus (in die er und seine Parteifreunde erst 1945 zurückkehren sollten).

Renner dichtete den Text zur inoffiziellen Hymne „Deutschösterreich, du herrliches Land“ selbst. Er leitete die deutschösterreichische Delegation bei den als Diktat empfundenen Friedensverhandlungen und unterzeichnete am 10. September 1919 den Vertrag von Saint-Germain, der am 21. Oktober von der Konstituierenden Nationalversammlung ratifiziert wurde: Der Staat musste nun Republik Österreich heißen und hatte unabhängig zu bleiben (Anschlussverbot). Die deutsch besiedelten Gebiete in Südtirol, Böhmen, Österreichisch-Schlesien (Sudetenland) und Mähren – die Heimat Renners – waren für den Staat definitiv verloren, Deutsch-Westungarn war für Österreich zu gewinnen.

Siehe:

Das Land besaß seit Sommer 1920 nur mehr eine geschäftsführende Regierung, die Staatsregierung Mayr I, da sich die früheren Koalitionäre nicht mehr auf gemeinsame Regierungspolitik einigen konnten. Allerdings wurde die Arbeit an der Bundesverfassung fertiggestellt und das Bundes-Verfassungsgesetz am 1. Oktober 1920 beschlossen. An diesem Tag hielt die Konstituierende Nationalversammlung ihre letzte Sitzung vor der ersten Nationalratswahl ab.

Karl Renner war am 23. November 1920 der erste Redner der Opposition in der Nationalratsdebatte über die Regierungserklärung zur Bundesregierung Mayr II. In dieser Rede, die einen weiten Bogen über alle Themenfelder der Politik spannte, kam er im Zuge der Schlusspolemik auf die antisemitische Agitation der Christlichsozialen zu sprechen und forderte die Regierung zum Handeln auf: Seit die Christlichsozialen 1896 in Wien an die Macht gekommen seien, hätten sie zwar immer antisemitisch agitiert, konnten sich aber immer ausreden auf die kaiserliche Regierung und weiß Gott wen, wenn der Agitation keine konkreten Maßnahmen folgten. (…) endlich fallen alle Hindernisse weg – leben Sie sich aus auf diesem Gebiete! Das Protokoll vermerkt an dieser Stelle lebhaften Beifall. Die bisherige Agitation der Christlichsozialen sei Lügenhandwerk gewesen. Hätten sie keine Juden, hätten sie, schloss Renner, tausend Ostjuden als Agitationsmittel hergebracht; diese Äußerung löste laut Protokoll stürmische Heiterkeit, Beifall und Händeklatschen aus.[10]

Oliver Rathkolb führte 2005 zum Thema SDAP und Antisemitismus bzw. zu Renners Abneigung gegen die Rückkehr jüdischer Exilanten 1945 allgemein an, in der latent antisemitischen Stimmung der Ersten Republik sei die Sozialdemokratie in der Propaganda der Christlichsozialen und Deutschnationalen zur „Judenpartei“ stigmatisiert worden, während die Arbeiterpartei ihrerseits in der antikapitalistischen Argumentation nicht vor antisemitischen Übergriffen zurückschreckte.[11]

Renner und die Differenzen mit Otto Bauer (1918–1934)

1931 hielt Renner in der Annahme, dass die Wahl des Bundespräsidenten zum ersten Mal in Volkswahl vorgenommen werden würde, eine Rede.[12] Zu einer Volkswahl kam es aber nicht: Wilhelm Miklas wurde vielmehr von der Nationalversammlung am 9. Oktober 1931 zum Bundespräsidenten (wieder)gewählt.

In den beiden ersten, turbulenten Jahren, während der die SDAP als stimmenstärkste Fraktion die Regierungsverantwortung gemeinsam mit den Christlichsozialen trug, kam es zu keinen wesentlichen Spannungen zwischen ihm und dem stellvertretenden Parteivorsitzenden Otto Bauer, der als Chefideologe der Partei und Führer des linken (marxistischen) Flügels die Partei prägte, während der Parteivorsitzende Seitz sich vorwiegend seiner Aufgabe als Wiener Bürgermeister widmete. Als jedoch Bauer gegen den Willen Renners und zahlreicher anderer Funktionäre nach der Wahlniederlage des Jahres 1920 die Partei in die Opposition brachte und damit die Verfügung über das Bundesheer abgab, wuchsen die Spannungen. Sie wurden im Rahmen der Parteidisziplin allerdings niemals offen ausgetragen, klangen jedoch in den Publikationen der Kontrahenten durch.

Renner und Bauer – unterschiedliches Demokratieverständnis

Unterschiedlich war zunächst die Einstellung zum Staat. Für Marx wie für Otto Bauer galt auch der demokratische Staat lediglich als Repressionsinstrument der herrschenden Klasse. Als solches habe er, so Bauer, zwar auch noch in der Phase der Diktatur des Proletariats eine gewisse Berechtigung, in der zukünftigen sozialistischen Gesellschaft würde jedoch diese Krücke nicht mehr benötigt, der Staat würde sich auflösen:

„Das [wahre] sozialistische Gemeinwesen setzt sich nicht nur zum modernen Staat, sondern zu allen historischen Staatsformen in Gegensatz.[13]

Renner wie der Mitgestalter der österreichischen Bundesverfassung, Hans Kelsen, sahen hingegen den Staat als ein zu allen Zeiten und in allen Gesellschaftsformen unverzichtbares Gerüst aus Führungs-, Legislativ-, Exekutiv- und Verwaltungsorganen, das ein Zusammenleben von Menschen in einer größeren Gemeinschaft überhaupt erst möglich mache. Die permanente Adaptierung dieses Gerüstes an die sich wandelnde Gesellschaft wäre einer der wichtigsten Aufgaben der Volksvertreter. Verschiedene Ansichten herrschten auch über den Umgang mit dem Begriff Demokratie. Bauer weigerte sich die „bürgerliche Demokratie“ mit ihrem Mehrheitsprinzip „im Gegensatz zum Sozialismus und über den Sozialismus zu setzen“. Er plädierte für eine „sozialistische Demokratie“, bei welcher der Wille der Mehrheit nicht grundsätzlich essentiell sei. Der Priorität des Sozialismus setzte Renner, der sich in diesem Punkt neben Hilferding auch auf Kelsen berief, ein uneingeschränktes Bekenntnis zur (bürgerlichen) Demokratie entgegen:

„Unterbinden wir die freie gesellschaftliche Demokratie, so zerstören wir den fruchtbaren Boden, aus dem alles Neue hervorwächst, das soziale Experimentierfeld, von dem aus alle materielle und geistige Verjüngung der Gesellschaft hervorsprießt! Diktatur heißt in allen Formen und unter allen Umständen Verselbständigung des Mittels der Gesellschaft, um es zu deren Herren zu machen. Herrschaft um der Herrschaft willen.[14]

Auch in der Einstellung zur Partei gab es gravierende Unterschiede. Während Bauer für unbedingten Parteipatriotismus eintrat, meinte Renner:

„Nie ist die Partei das Ganze, nie kann sie das Ganze darstellen oder ersetzen. Das Ganze lebt in der Wechselbeziehung der Parteien zueinander und in dem Widerstreit ihrer Programme, in demselben Für und Wider, das ja den Prozess widerstreitender Erwägungen vor dem Entschluss des Individuums auszeichnet.[15]

Renner und Bauer – unterschiedliche Zukunftsvisionen

Unterschiedlich war auch die Einstellung zur Zukunft. Während Bauer sich mit den real existierenden Objektiven Verhältnissen als Voraussetzung für die unausweichliche Revolution abfand, war Renner, ebenso wie Victor Adler, überzeugt, dass man nicht in einer, „politischen Warteschleife“ oder „revolutionären Pause“ verharren dürfe, sondern mit welchen Partnern auch immer daran arbeiten müsse, die Voraussetzungen für das Endziel, die sozialistische Gesellschaft, selbst zu schaffen. Renners Kritik am marxistischen Parteiflügel beruhte auch auf der Überzeugung, dass die Arbeitswelt an der Wende zum 20. Jahrhundert nicht mehr jener Arbeitswelt entsprach, die Marx als Basis für sein Manifest genommen hatte. Er vertrat die Meinung, dass der auf den Industriearbeiter fixierte Proletarierbegriff – im Sinne von Lassalles Perzeption von Werktätigkeit – nun unbedingt auf andere Arbeitsbereiche, vor allem auf die geistige Arbeit ausgedehnt werden müsse. Dies würde den ökonomischen und gesellschaftlichen Realitäten des modernen Industriestaates mit seiner Verwischung der Klassengrenzen und der sich abzeichnenden eher friedlichen Entwicklung zur klassenlosen Gesellschaft mehr Rechnung tragen. Renner plädierte daher ebenfalls im Sinne Lassalles, die Gewichte von Revolution in Richtung Evolution und von Konfrontation in Richtung Kooperation zu verschieben und sich auch unter bürgerlichen Mehrheiten konstruktiv ins Politgeschehen einzubringen:

„Die Theorie des Sozialismus hat lange Zeit wie geblendet ausschließlich auf die Entwicklung des Kapitals… gestarrt und erwartet, dass der Sozialismus auf einem bestimmten Punkt dieses Prozesses durch dessen jähen Umschlag in die Welt treten werde… In zweifacher Richtung ist die Einseitigkeit wahrzunehmen: Sowohl rein ökonomisch, indem sie auf den Entwicklungsprozess des Kapitals starrt und von dessen Umschlag die sozialistische Gesellschaft erwartet, als auch rein politisch, indem sie der politischen Revolution des Proletariats die Aufgabe zuschreibt, den Umschlag aus dem Kapitalismus in den Sozialismus künstlich zu beschleunigen und mit einem Schlag zu vollenden. Die eine Richtung fällt leicht in einen politischen Quietismus, die andere in einen politischen Hyperaktivismus. Die letztere hat sich insbesondere ausgewirkt in dem russischen Bolschewismus.[16]

Dabei ließ Renner offen, wer dem politischen Quietismus verfallen ist, doch war damit nach herrschender Ansicht Otto Bauer gemeint.

Renner und die parlamentarische Geschäftsordnungskrise 1933

Renner trat in diesen Jahren immer wieder für eine Zusammenarbeit mit der Christlichsozialen Partei ein. Lediglich im Jahr 1931 sprach er sich im Parteivorstand gegen die von Bundeskanzler Ignaz Seipel angebotenen Koalition mit den Christlichsozialen aus.

Im Zusammenhang mit der Geschäftsordnungskrise im März 1933, die von den Christlichsozialen unter Dollfuß zu einem Staatsstreich genutzt wurde (und propagandistisch als „Selbstausschaltung des Parlaments“ bezeichnet wurde), spielte er als erster Präsident des Nationalrates eine umstrittene Rolle. Er ließ sich von Bauer und Seitz überreden, aus abstimmungstechnischen Gründen sein Amt niederzulegen.[17] Nach dem Rücktritt der beiden anderen Präsidenten führt dies zu einer Situation, für die in der Geschäftsordnung nicht vorgesorgt worden war. Eine Beilegung dieser Geschäftsordnungskrise wurde jedoch am 15. März 1933 von Dollfuß unter Einsatz der Exekutive unterbunden, die Abgeordneten konnten nicht zusammentreten.

Renner blieb nach seinem Rücktritt untätig und nutzte seine Position als ehemaliger erster Nationalratspräsident nicht. Der ehemalige dritte Nationalratspräsident, der Deutschnationale Sepp Straffner, berief am 9. März für den 15. März den Nationalrat ein. Die Bundesregierung unter Dollfuß qualifizierte diese Einberufung als der Verfassung widersprechend und kündigte an, „einer drohenden Verfassungsbeugung entgegenzuwirken.“[18] 200 Kriminalbeamte, die von der Regierung geschickt wurden, hinderten daraufhin die sozialdemokratischen und großdeutschen Abgeordneten, die sich am 15. März zur Sitzung versammeln wollten, am Betreten des Sitzungssaales.

Renner und der „Anschluss“ an Deutschland

Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich am 13. März 1938 gab Renner dem Neuen Wiener Tagblatt ein vom NS-Staat autorisiertes Interview, das am 3. April 1938 erschien.[19]. In dem Beitrag mit dem Titel „Ich stimme mit Ja“[20] distanzierte er sich zwar von den Methoden, mit denen der Anschluss erfolgte, erklärte jedoch:

„Trotzdem habe ich seit 1919 in zahllosen Schriften und ungezählten Versammlungen im Lande und im Reiche den Kampf um den Anschluß weitergeführt. Obschon nicht mit jenen Methoden, zu denen ich mich bekenne, errungen, ist der Anschluß nunmehr doch vollzogen, ist geschichtliche Tatsache, und diese betrachte ich als wahrhafte Genugtuung für die Demütigungen von 1918 und 1919, für St-Germain und Versailles. Ich müßte meine ganze Vergangenheit als theoretischer Vorkämpfer des Selbstbestimmungsrechtes der Nationen wie als deutschösterreichischer Staatsmann verleugnen, wenn ich die große geschichtliche Tat des Wiederzusammenschlusses der deutschen Nation nicht freudigen Herzens begrüßte. […] Als Sozialdemokrat und somit als Verfechter des Selbstbestimmungsrechtes der Nationen, als erster Kanzler der Republik Deutschösterreich und als gewesener Präsident ihrer Friedensdelegation zu St-Germain werde ich mit Ja stimmen.“

Renners Angebot an die neuen Machthaber war weiter gegangen; er hatte eine aktive Ja-Kampagne angeboten. Das NS-Regime begnügte sich aber mit dem einen Zeitungsbericht. Renners Verhalten wurde später oft auch damit zu erklären versucht, dass er mit dieser Erklärung den damaligen Zentralsekretär der Sozialdemokratischen Partei, Robert Danneberg, der mit anderen prominenten Österreichern am 1. April 1938 in das KZ Dachau gebracht worden war, schützen wollte.

1938/39 verfasste Renner das Manuskript Die Gründung der Republik Deutschösterreich, der Anschluß und die sudetendeutsche Frage, in dem er den „Anschluss“ Österreichs und der sudetendeutschen Gebiete – und auch die Handlungsweise Hitlers und seiner Regierung in diesem Zusammenhang – sehr ausführlich positiv darstellte. Das Manuskript blieb damals unveröffentlicht; es wurde erst 1990 von Eduard Rabofsky ediert und kommentiert. Anton Pelinka merkte dazu 2009 an, dieser zweite Anpassungsschritt Renners sei von der Sozialdemokratie nach 1945 de facto unterschlagen worden, er sei in keiner der sozialdemokratischen Renner-Hagiographien aufgetaucht.[21] 2012 äußerte der Historiker Oliver Rathkolb, Renner hätte 1945 nicht Staatschef werden können, wäre dieser Text damals bekanntgewesen (siehe Abschnitt Nachwirken). Zur Erklärung von Renners damaliger Haltung muss berücksichtigt werden, dass seine unmittelbare Heimat, das deutsch besiedelte Südmähren, 1918/19 gegen den Willen der Bevölkerung nicht zu Deutschösterreich gelangen konnte, sondern von tschechischem Militär besetzt und der Tschechoslowakischen Republik einverleibt wurde.

Karl-Renner-Denkmal in Siegendorf/Burgenland

Renner verbrachte die Zeit der NS-Herrschaft unter Hausarrest in Gloggnitz, wo er ein Haus besaß. Dieser Hausarrest war von den Nationalsozialisten sehr großzügig bemessen worden. Auch war ihm das Schreiben weiterhin erlaubt, und er verfasste (ohne Publikationsmöglichkeit) Das Weltbild der Moderne, ein umfangreiches Versepos in Anlehnung an Lukrez.

Renner und die Gründung der 2. Republik (1945–1950)

Stalin und Renner

Die Weigerung der Auslandsvertretung der österreichischen Sozialisten (AVOES), mit anderen österreichischen Exilgruppierungen zusammenzuarbeiten, hatte zur Folge, dass es während des Krieges zu keiner Konstituierung einer österreichischen Auslandsvertretung oder Exilregierung kam und mit Kriegsende ein politischer Freiraum in Österreich existierte. Diesen Freiraum wollte die Sowjetregierung so bald als möglich zur Bildung einer ihr genehmen Regierung nutzen. Mit dem Auftrag zur Suche nach Karl Renner unmittelbar nach dem Einmarsch der ersten Rotarmisten in Österreich, setzte Stalin erste Schritte in diese Richtung.[22] Den Westalliierten wurden diese Intentionen verschwiegen, da den Sowjets bekannt war, dass diese den Österreichern erst nach Kriegsende und auch dann nur in kleinen Schritten politische Verantwortung übertragen wollten. Stalin fasste diesen Entschluss auch gegen den Willen der KPÖ. Diese hatte um Zeit für den Aufbau einer neuen Parteiorganisation vor Ort gebeten, da die alte, von Gestapo-Spitzeln unterwanderte Parteiorganisation während des Krieges so gut wie restlos zerschlagen worden war. Dazu meinte der österreichische Marxist Erwin Scharf:

„Dass ausgerechnet Renner, der sich von den Nazis agitatorisch für die Sanktionierung der Okkupation Österreichs hatte missbrauchen lassen, mit der Regierungsbildung beauftragt wurde, blieb unbegreiflich… erst als in späteren Jahren im Politischen Büro der KPÖ das Thema angeschnitten wurde, erhielt ich einige aufklärenden Informationen: Tatsächlich waren Franz Honner und andere führenden Funktionäre der KPÖ nicht der Ansicht, dass man nach der militärischen Befreiung sofort eine provisorische Regierung bilden sollte. Denn vorher musste man die demokratischen Organisationen aufbauen, eine feste Einheit aller Demokraten und Patrioten schaffen, den opportunistischen Spreu vom antifaschistischen Weizen scheiden, und dann erst könnte man, gestützt auf die neuen politischen Gruppierungen, eine Regierung bilden. Aber dieser Plan konnte nicht verwirklicht werden. Das Oberkommando der Roten Armee hatte … Dr. Karl Renner eingeladen, eine provisorische Regierung zu bilden.[23]

Am 4. April meldete das Kommando der 103. Gardeschützendivision, dass sich der gesuchte Karl Renner im Raum Gloggnitz aus eigenem Antrieb gemeldet und sich bezüglich einer Regierungsbildung zur Verfügung gestellt hatte. Dazu Renner:

„Ließ ich mich in Verhandlungen ein, so konnte das mit der Einbuße meines guten Namens und mit meiner politischen Ehre endigen und überdies der Sozialdemokratischen Partei… zum Nachteil ausschlagen… nach längerem Ringen entschloss ich mich, alle Risiken auf mich zu nehmen, um möglicherweise doch Österreich die Chance zu geben, die verhängnisvolle Bindung an Hitler-Deutschland selbst zu zerreißen […]. Anderseits war mir klar bewußt, dass ich niemals als Beauftragter Russlands die Mission übernehmen und durchführen konnte. Der Auftrag mußte von Österreich selbst kommen.[24]

Renner wurde zum Stab der 9. Gardearmee weitergeleitet. Die Sowjets nahmen nach Rücksprache im Kreml sein Angebot zu Mithilfe an und wiesen ihm als Sitz das Schloss Eichbüchl bei Wiener Neustadt zu, wo er gemäß Korpskommissar A. S. Scheltow seine Vorschläge bezüglich einer Regierungsbildung zu Papier bringen sollte.[25] Als er wenig später die Aufforderung der Sowjets ablehnte, einen Appell an die Rote Armee zu richten, wuchs seine Befürchtung, dass man ihm den Auftrag für die Regierungsbildung entziehen könnte. Er richtete nun einen Brief an Stalin, der zu Missverständnissen geführt hat. Dieser Brief weist zwar peinlich wirkende Schmeicheleien auf, enthält aber keine von den Sowjets erwartete Zusage bezüglich der Bildung einer Volksfront mit der KPÖ. Dieser Brief wurde im Kreml zwar mit Skepsis aufgenommen, Stalin nahm ihn aber dennoch zum Anlass, Renner mit einer Regierungsbildung zu beauftragen.[26] Es folgten Verhandlungen mit den Interessenvertretungen bezüglich der Zusammensetzung des provisorischen Gremiums, wobei Renner auf die Akzeptanz im Westen zu achten hatte.

Haltung der Westmächte

Die Vereinigten Staaten und Großbritannien erfuhren vom sowjetischen Projekt, Provisorische Regierung Österreich, erst am 26. April 1945 am Rande der Außenministerkonferenz. Dort teilte der stellvertretende sowjetische Außenminister Wyschinski seinen britischen und amerikanischen Amtskollegen quasi beiläufig mit, dass man am Folgetag in Wien das Kabinett Renner angeloben werde. Es war dies der Zeitpunkt, an dem die deutschen Truppen noch am Stadtrand von Wien im Kampf mit der Roten Armee standen. Die Briten legten unverzüglich Protest ein. Die USA schlossen sich diesem Protest nicht an, verweigerten jedoch Renners Ministerriege ebenso die Anerkennung wie die Briten. Am 27. April wurde Renner und sein Team von Marschall Tolbuchin, dem Oberkommandierenden der in Österreich südlich der Donau operierenden 3. Ukrainischen Front, offiziell empfangen. Mit 29 Mann und einer Frau nahm man unverzüglich die Arbeit im Parlament auf. Als wichtigste Aufgabe hatten die Sowjets dem provisorischen Kabinett die Vorbereitung bundesweiter Wahlen anbefohlen. Dieses Vorhaben wurde auch von den (provisorischen) Landeshauptleuten der westlichen Bundesländer unterstützt. Dort hatte der provisorische Landeshauptmann von Tirol Karl Gruber eine Initiative für ein ungeteiltes Österreich gestartet und seine Kollegen im Westen Österreichs für eine Zusammenarbeit mit Karl Renner und seiner provisorischen Regierung gewonnen. Nach zähen Verhandlungen erklärten sich am 20. September die Briten bereit, die Blockade der Wahlen aufzugeben und der provisorischen Regierung zumindest bezüglich von Wahlen eine Kompetenz über ganz Österreich zuzubilligen. Sie waren auch mit einer der Wahlvorbereitung dienenden Länderkonferenz einverstanden.

Entscheidung der Länderkonferenz

Am 26. September 1945 stand auf dieser Länderkonferenz noch einmal alles auf des Messers Schneide. Die kommunistischen Mitglieder der provisorischen Regierung weigerten sich, den Vertretern der westlichen Bundesländer Kabinettsposten einzuräumen, die Konferenz stand knapp vor dem Abbruch. Es war dann der sozialdemokratische Bürgermeister von Linz, Koref, der jenen Kompromissvorschlag einbrachte, der schließlich auch von der KPÖ angenommen wurde. Der Weg für bundesweite, freie Wahlen war nun geebnet. Sie brachten am 25. November 1945 aber nicht wie vom Kreml erwartet die absolute Mehrheit für SPÖ (42 %) und KPÖ (5 %) und die Chancen auf eine österreichweite Volksfront, sondern die absolute Mandatsmehrheit für die ÖVP (48 % der Stimmen, absolute Mehrheit bei den Mandaten). Die USA und Großbritannien zeigten sich bezüglich des Wahlergebnisses erfreut und zögerten auch nicht mit der Anerkennung des Konzentrationskabinetts Figl. Die enttäuschten Sowjets hingegen gaben der neuen Bundesregierung erst nach dem Austausch dreier ÖVP-Bundesminister ihren Segen. Auf die Spitzengliederung der KPÖ hatte der Wahlausgang vom 25. November 1945 keinen Einfluss. Der Kreml berücksichtigte, dass Koplenig und Genossen eindringlich genug vor Renner und frühen Wahlen gewarnt hatten. Mit dieser Wahl wurde der Grundstein für den „Sonderfall“ Österreich gelegt, ein Status, der dem Land bereits 1955 die volle Souveränität brachte. Karl Renner wurde am 20. Dezember 1945 durch die Bundesversammlung zum ersten Bundespräsidenten der Zweiten Republik gewählt und blieb dies bis zu seinem Tod am 31. Dezember 1950.

Die Judenfrage

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Dem Leser von heute fällt auf, dass die von Renner mitentworfene und als Erstunterzeichner unterschriebene Österreichische Unabhängigkeitserklärung vom 27. April 1945 das Schicksal der jüdischen Österreicher in der NS-Diktatur mit keinem Wort erwähnt. Vertriebene bzw. geflüchtete jüdische Österreicher wurden nur in Ausnahmefällen zur Rückkehr eingeladen. Gottschlich erklärte dies 2012 so: Um sich selbst als Opfer definieren zu können, musste man die Holocaust-Opfer aus der öffentlichen Wahrnehmung ausblenden.[27]

Als Staatskanzler der Provisorischen Staatsregierung ging Renner bei der 28. Kabinettsratssitzung vom 29. August 1945 in einem langen Debattenbeitrag über Probleme mit den „kleinen“ Nationalsozialisten auch kurz auf die Juden ein, ohne dies weiter zu vertiefen:

Ich finde, dass wir in Bezug auf die Behandlung des Naziproblems in eine kritische Situation kommen. Ich will nicht behaupten, dass ich damit Recht habe, aber die Sache ist nach meinem Gefühl doch so, dass alle diese kleinen Beamten, diese kleinen Bürger und Geschäftsleute bei dem seinerzeitigen Anschluss an die ‪Nazis gar nicht weit tragende Absichten gehabt haben – höchstens, dass man den Juden etwas tut –, vor allem aber nicht daran gedacht haben, einen Weltkrieg zu provozieren.[28]

Damit versuchte er die Opferrolle Österreichs[29] zu festigen und den Weg zu einer Generalamnestie für Nationalsozialisten zu ebnen.

Im Februar 1946 nahm Renner in einer Ansprache vor dem Palästina-Komitee zur Zukunft von Österreichs Juden unter anderem so Stellung:

… die jüdische Gemeinde kann sich nie erholen. (…) glaube ich nicht, dass Österreich in seiner jetzigen Stimmung Juden noch einmal erlauben würde, diese Familienmonopole aufzubauen. Sicherlich würden wir nicht zulassen, dass eine neue jüdische Gemeinde aus Osteuropa hierher käme und sich hier etablierte, während unsere eigenen Leute Arbeit brauchen.[30]

Nachwirken

Renner-Büste von Alfred Hrdlicka neben dem Parlamentsgebäude in Wien, Rathauspark, Ecke Universitätsring (ehemals Dr.-Karl-Lueger-Ring)
Datei:Austria 50 Schilling 1970 Renner Silver Coin.jpg
50-Schilling-Silbermünze zum 100. Geburtstag Renner (1970)

Im Jahr 1956 wurde in Wien Innere Stadt (1. Bezirk) der Dr.-Karl-Renner-Ring nach dem Politiker benannt.

Renner ist im Ausland vor allem als einer der Gründungsväter der Rechtssoziologie bekannt. Eine Plakette mit seinem Namen findet sich unter jenen der 15 bedeutendsten Rechtssoziologen, welche die Wände des International Institute for the Sociology of Law in Onati (Gipuzkoa, Spanien) schmücken. Diese Stellung beruht einerseits auf seiner frühen Schrift über die soziale Funktion der Rechtsinstitute des Privatrechts (1904), anderseits auf den Bemühungen (gemeinsam mit Otto Bauer), die Rechte ethnischer Minderheiten zu sichern.

Im Zusammenhang mit der 2012 vorgesehenen Umbenennung des Dr.-Karl-Lueger-Rings thematisierte Oliver Rathkolb, Vorsitzender der im Auftrag des Kulturstadtrates tätigen Historikerkommission zu strittigen Straßennamen, die allfällige Umbenennung des an den Luegerring südlich anschließenden Dr.-Karl-Renner-Rings. Renner trat, wie seit langem bekannt, nach dem „Anschluss“ 1938 in einer Medienerklärung für ein Ja bei der inszenierten „Volksabstimmung über die Wiedervereinigung mit dem Deutschen Reich“ ein. Nach Rathkolb habe er allerdings außerdem zur Zerschlagung der Tschechoslowakei 1938 pronazistische Polemik verfasst (die, siehe Abschnitt Renner und der „Anschluss“ an Deutschland, damals unveröffentlicht blieb); wäre sie 1945 schon bekannt gewesen, hätte er nicht Staatschef werden können. Der Historiker kann sich daher mit der Idee anfreunden, den Renner-Ring beispielsweise in Parlamentsring umzutaufen.[31]

Eine sehr persönliche Stellungnahme zu Renner gab Marko Feingold, KZ-Überlebender, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg, 2013 in einem Interview anlässlich seines 100. Geburtstags ab:

Ich habe einen Zorn auf Renner, er musste als Politiker genau gewusst haben, was in Deutschland passiert ist. Renner war aber begeisterter Befürworter des „Anschlusses“ an Hitler-Deutschland.[32]

Renner-Institut

Die SPÖ gab ihrer politischen Akademie den Namen Renner-Institut.

Renner-Preise

Seit dem 80. Geburtstag Renners verleiht die Stadt Wien diesen Preis jährlich.

Der Österreichische Journalisten Club (ÖJC) verleiht seit 1984 alle zwei Jahre zu Ehren Renners diesen Preis, der als höchste Auszeichnung im österreichischen Journalismus gilt.

Fußach-Affäre

1964 kam es in Vorarlberg zu einem Skandal (der sogenannten Fußachaffäre), als ein Bodenseeschiff (die spätere MS Vorarlberg) auf den Namen Karl Renner getauft werden sollte. Von den Vorarlbergern wurde nicht primär die Wahl des Namens an sich bekämpft, sondern das Ignorieren der diesbezüglichen Wünsche und Bedenken der Vorarlberger durch die „Wiener Zentralisten“.

Schriften

  • Staat und Nation, Wien 1899 (als Synopticus)
  • Die Rechtsinstitute des Privatrechts und ihre soziale Funktion. Ein Beitrag zur Kritik des bürgerlichen Rechts. (als Josef Karner)
  • Österreichs Erneuerung, Wien 1916
  • Wege der Verwirklichung, Berlin 1929
  • Mensch und Gesellschaft, Wien 1952
  • Wandlungen der modernen Gesellschaft, Wien 1953
  • Das Weltbild der Moderne, Wien 1954
  • Schriften, Salzburg 1994
  • An der Wende zweier Zeiten. Lebenserinnerungen von Karl Renner, Wien 1946
  • Die Gründung der Republik Deutsch-Österreich, der Anschluß und die Sudetendeutsche Frage, geschrieben 1938/39, ediert und kommentiert von Eduard Rabofsky, Wien 1990 (bis 1990 unveröffentlicht)

Literatur

  • Elisabeth Dietrich-Schulz, Karl Megner: Karl Renner. Notizen zu seinem Tätigkeitsbereich in der Parlamentsbibliothek (Bibliothek des Reichsrates) 1895–1907. Typoskript Parlamentsbibliothek. Wien 1993.
  • Walter Goldinger: Renner Karl. In: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950 (ÖBL). Band 9, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1988, ISBN 3-7001-1483-4, S. 80 f. (Direktlinks auf S. 80, S. 81).
  • Siegfried Nasko, Johannes Reichl: Karl Renner. Zwischen Anschluß und Europa. Verlag Holzhausen, Wien 2000, ISBN 3-85493-026-7.
  • Anton Pelinka: Karl Renner zur Einführung. Edition SOAK im Junius-Verlag, Hamburg 1989, ISBN 3-88506-846-X.
  • Hugo Portisch: Österreich II. Die Wiedergeburt unseres Staates. 2 Bände, Verlag Österreichische Staatsdruckerei, Wien 1985, ISBN 3-218-00422-5.
  • Walter Rauscher: Karl Renner, ein österreichischer Mythos. Verlag Ueberreuter, Wien 1995, ISBN 3-8000-3558-8.
  • Karl Renner – Naturfreund und Europäer. Gesammelte Vorträge des Internationalen Symposiums „Dr. Karl Renner – Naturfreund und Europäer“ v. 16. Juni 2007. (Hrsg. v.d. Naturfreunde Internationale; Red. Manfred Pils). Wien 2008, 47 S. (Beiträge von Siegfried Nasko, Oliver Kersten, Manfred Pils, Bruno K. Lampasiak).
  • Peter Riesbeck: Sozialdemokratie und Minderheitenrecht. Der Beitrag der österreichischen Sozialdemokraten Otto Bauer und Karl Renner zum internationalen Minderheitenrecht, Verlag für Entwicklungspolitik, Saarbrücken 1996, ISBN 3-88156-686-4.
  • Erwin Scharf: Ich hab’s gewagt mit Sinnen… Entscheidungen im antifaschistischen Widerstand, Erlebnisse in der politischen Konfrontation. Verlag Globus, Wien 1988, ISBN 3-85364-199-7.
  • Erika WeinzierlRenner, Karl. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 21, Duncker & Humblot, Berlin 2003, S. 430–432 (Onlinefassung).

Weblinks

 Commons: Karl Renner – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Walter Goldinger, Dieter A. Binder: Geschichte der Republik Österreich 1918–1938. Verlag für Geschichte und Politik, Wien/München 1992, ISBN 3-7028-0315-7, S. 79 ff. und 298.
  2. Jacques Hannak: Karl Renner und seine Zeit. Versuch einer Biographie. Europa Verlag, Wien 1965, S. 398.
  3. Große Österreicher, Ueberreuter, Hrsg. und Autor Thomas Chorherr.
  4. Oliver Kersten: Die Naturfreundebewegung in der Region Berlin-Brandenburg 1908–1989/90. Kontinuitäten und Brüche. Berlin 2007 (Zugleich Dissertation, Freie Universität Berlin 2004) (Naturfreunde-Verlag Freizeit und Wandern), S. 22–24; Abb. S. 180, ISBN 978-3-925311-31-4
  5. Synopticus: Staat und Nation. Wien 1898.
  6. Walter Rauscher: Karl Renner. 76
  7. J. W. Brügel: Friedrich Adler vor dem Ausnahmegericht (Wien 1967)
  8. Hans Mommsen: Viktor Adler und die Politik der österreichischen Sozialdemokratie im Ersten Weltkrieg. In: Isabella Ackerl (Hrsg.): Politik und Gesellschaft im alten und neuen Österreich. Festschrift für Rudolf Neck zum 60. Geburtstag, Verlag für Geschichte u. Politik, Wien 1981, ISBN 3-7028-0189-8, S. 387–408, hier S. 387 und 395 f.; und Robert A. Kann: Das Nationalitätenproblem der Habsburgermonarchie. Geschichte und Ideengehalt der nationalen Bestrebungen vom Vormärz bis zur Auflösung des Reiches im Jahre 1918. Band 2: Ideen und Pläne zur Reichsreform. Verlag Böhlau, Graz/Köln 1964, S. 257.
  9. Richard W. Kapp: Divided Loyalities. The German Reich and Austria-Hungary in Austro-German Discussions of War Aims, 1914–1916. In: Central European History. 17 (1984), S. 120–139, hier S. 128 f.
  10. Stenographische Protokolle. 4. Sitzung des Nationalrates der Republik Österreich am 23. November 1920, S. 78
  11. Oliver Rathkob: Die paradoxe Republik. Österreich 1945 bis 2005, Paul Zsolnay Verlag, Wien 2005, ISBN 3-552-04967-3, S. 100.
  12. Rede von Renner
  13. Otto Bauer: Die Nationalitätenfrage und die Sozialdemokratie. Verlag Auvermann, Glashütten im Taunus 1971, (Reprint der Ausgabe von 1924), S. 508 f.
  14. Renner: Wege der Verwirklichung, S. 109.
  15. Karl Renner: Demokratie und Bureaukratie, S. 40.
  16. Karl Renner: Wege der Verwirklichung, S. 128 f.
  17. Adolf Schärf: Erinnerungen. S. 117
  18. Günther Schefbeck: Österreich 1934. Vorgeschichte–Ereignisse–Wirkungen. Oldenbourg, München 2004, ISBN 3-486-57607-0, S. 116.
  19. März 1938 (Aus der Flugblattsammlung des DÖW)
  20. Rennermuseum Faksimile der Zeitungsausgabe
  21. Anton Pelinka: Nach der Windstille. Eine politische Autobiografie, Lesethek Verlag, Wien 2009, ISBN 978-3-99100-006-8, S. 9
  22. Sergej Schtemenko: Im Generalstab. Band 2, Berlin 1975, S. 403.
  23. Scharf: Mit Sinnen. S. 111 ff.
  24. Karl Renner: Schriften. S. 203.
  25. Portisch. Österreich II. S. 152
  26. Sergej Schtemenko: Im Generalstab. Band 2, Berlin 1975, S. 413.
  27. Maximilian Gottschlich: Die große Abneigung. Wie antisemitisch ist Österreich? Kritische Befunde zu einer sozialen Krankheit, Czernin Verlag, Wien 2012, ISBN 978-3-7076-0410-8, S. 50.
  28. Robert Knight (Hrsg.): „Ich bin dafür, die Sache in die Länge zu ziehen.“ Die Wortprotokolle der Österreichischen Bundesregierung von 1945 bis 1952 über die Entschädigung der Juden. Böhlau, Wien 2000, ISBN 3-20599-147-8, S. 85.
  29. Albert Sternfeld: Betrifft Österreich. Von Österreich betroffen. Böhlau, Wien 2001 ISBN 3-20599-28-06, S. 62f.
  30. Robert Knight (Hrsg): „Ich bin dafür, die Sache in die Länge zu ziehen.“ Wortprotokolle der österreichischen Bundesregierung von 1945 bis 1952 über die Entschädigung der Juden, Athenäum Verlag, Frankfurt am Main 1988, ISBN 3-610-08499-5, S. 60 f., Zitat aus: Richard Crossman: Palestine Mission – A Personal Record, London 1946, S. 100
  31. Josef Gebhard: Neuer Name für Renner-Ring? In: Kurier, Wien, Nr. 118, 28. April 2012, S. 18
  32. Ursula Kastler: Ein widerständiges Leben. Marko Feingold wird am 28. Mai 100 Jahre alt., in: Tageszeitung Salzburger Nachrichten, 25. Mai 2013, Wochenendbeilage, S. VII, Interview
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