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Karäer

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Die Karäer (karaim. Къарайм/Qarajm, Къараймлер/Qarajmler) verstehen sich einerseits als jüdische Religionsgemeinschaft, andererseits als eigene Volksgruppe innerhalb der Turkvölker, deren Sprache bei den Krim-Karäern der pontisch-aralischen Untergruppe der westtürkischen Sprachen zuzuordnen ist. Ihre Religion und religiösen Praktiken unterscheiden sich zum Teil deutlich vom rabbinischen Judentum oder anderen jüdischen Strömungen. Der Ursprung in beider Hinsicht ist bisher nicht sicher geklärt, traditionell gibt es mehrere Gründungslegenden.

Namensvarianten

Die Karäer waren in ihren Anfangszeiten auch unter der Bezeichnung „Ananiten“ bekannt. Das bezog sich auf Anan ben David, unter dem sie sich im 8. Jahrhundert n. Chr. vom heutigen Irak und Iran aus nach Palästina ausbreiteten. Heute werden sie meist „Karaim“, „Karäim“ oder „Karaiten“ genannt. Diese Bezeichnung ist ableitbar einerseits aus dem Hebräischen von mikra („Menschen, die die Tora selbst lesen“), andererseits aus dem Arabischen von qara („Menschen, die missionieren“).

Geschichte

Einige vermuten als ethnischen Ursprung Teile des jüdischen Volkes, die nicht nach Palästina zurückgekehrt seien, nachdem sie um 720 v. Chr. aus dem Nordreich von den Assyrern verschleppt worden waren, oder nachdem das Babylonische Exil des Südreichs um 540 v. Chr. endete. Als Vorfahren der heutigen Karäer werden meist die Krim-Karäer vermutet, eine Volksgruppe, die im frühen Mittelalter (8.–10. Jahrhundert) in den Gebieten des Schwarzen und des Mittelmeeres siedelte. Diskutiert wird auch, ob sie Nachfahren oder lediglich Zeitgenossen der Chasaren (7.-11. Jahrhundert) sind, welche zu den Turkvölkern zählen.

Jehuda ha-Levi erwähnt in seinem Buch Sefer haKuzari unter anderem folgendes: Die Tatsache, dass der damalige Oberbefehlshaber der chasarischen Armee, Bulan Bek, zu einer Art „nicht-normativem“ Judentum konvertierte und dass im Chasarenreich eine der ältesten Karäerschulen der „Tiflissim“ aktiv war, verweisen darauf, dass der Chasarenfürst selbst, seine Gefolgschaft und später auch der Kagan (Herrscher) zum jüdischen Karäertum konvertierten. Außerdem berichtet der Chasarenkönig Joseph in seiner Korrespondenz mit Chasdai ibn Schaprut, dass das sogenannte „normative“ Judentum erst vom Khan Obadiah, d. h. nach gut 200 Jahren eingeführt worden war.

Ethnische Gruppe

Bedeutende Zentren waren neben der Halbinsel Krim auch Anatolien. Heute gibt es weltweit etwa 45.000 Karäer, von denen (2002) rund 25.000 in Israel leben, die restlichen vor allem in Polen, der Ukraine und Australien. Die Gesamtzahl der Karäer in der Ukraine und in Litauen wird (2002) auf etwa 3.000 bis 4.000 Menschen geschätzt. Bei der Volkszählung der UdSSR im Jahre 1989 gaben 2.602 Menschen an, zur ethnischen Gruppe der Karäer zu gehören.

Sprachgruppe

Während ihrer Ausbreitung auf der Krim haben die Karäer zwar die hebräische Schreibweise beibehalten, aber die tatarische Sprache übernommen. Die karaimische Sprache gehört daher zu den Turksprachen und zerfällt in verschiedene Dialekte oder Lokalsprachen. Sie ist vom Aussterben bedroht oder wird bereits nicht mehr gesprochen. In der UdSSR von 1989 gaben nur noch 503 Menschen an, noch die karaimische Sprache als Muttersprache zu haben. In Litauen gibt es Ansätze, die Sprache als kulturelles Erbe und als Sakralsprache (ähnlich dem Latein der Katholiken) zu erhalten. Auf der Krim benutzen die Karäer ihre Muttersprache neben dem Hebräischen beim Gottesdienst.

Religionsgemeinschaft

Einige sehen als Vorläufer der Karäer einen Konflikt, der im zweiten vorchristlichen Jahrhundert im jüdischen Priestertum zwischen der Mehrheit und einer Minderheit von Gläubigen aufbrach, die als „Söhne Zadoks“ oder Sadduzäer (hebr.: Zaduquim, arab:. Saduqiyah) oder von den Griechen als Essener bezeichnet wurden, welche die übrige Priesterschaft als ungläubig und unrein betrachtete.[1] Zu einer deutlich vom rabbinischen Judentum abgrenzbaren Religionsgemeinschaft wurden die Karäer wohl spätestens im 8. Jahrhundert n. Chr. unter Anan ben David, der selbst vermutlich allerdings kein Karäer war. In dieser Zeit übernahmen sie in ihr philosophisches und wissenschaftliches Weltbild vermutlich einige Anschauungsweisen des Islam. Besonders im turkischen Reich der Chasaren sollen sie erfolgreich Anhänger geworben haben; andere dagegen glauben, dass die Chasaren überwiegend zum rabbinischen Judentum konvertierten. Einige halten erst Aaron ben Moses ben Asher (אהרון בן משה בן אשר; auch ʾAhărôn ben Mōšeh benʾĀšēr), der etwa 960 n. Chr. starb, für den Gründungsvater der Karäer. Das ausgehende 10. und beginnende 11. Jahrhundert n. Chr. gilt jedenfalls als Goldenes Zeitalter der Karäer: So bildeten sie in Jerusalem in einer eigenen Akademie zahlreiche Wissenschaftler aus.

Die Karäer verstehen den jüdischen Glauben als strikte Buchreligion. Sie interpretieren die Gebote (hebr. Mitzwa) ausschließlich aus der Tora und nicht aus den übrigen Teilen der jüdischen Bibel oder aus der mündlichen Tora des rabbinischen Judentums, d.h. dem Talmud, den sie als Abweichung von der dem jüdischen Volk historisch geschehenen göttlichen Offenbarung sehen. Gemäß der eigenen Ansicht seien nicht die Karäer, sondern die anderen Zweige des Judentums von der göttlichen Offenbarung abgewichen.[2] Andererseits werden heutzutage die Karäer in Israel als nichtreligiöse Juden eingestuft. Umgekehrt aber laden Karäer Mitglieder des rabbinischen Judentums ein, sich ihrer Deutung der Glaubensquellen anzuschließen, was keine Konversion bedeute.

Ein verbindliches Lehramt kennen die Karäer allerdings nicht, sondern betonen, dass jeder Gläubige das religiös Gebotene durch eigenständiges Lesen der Tora selbst erkennen müsse. Diese Einstellung war wohl maßgeblich dafür, dass erstmals die Karäer die Tora auch sprachwissenschaftlich untersuchten. Sie verglichen Übersetzungen der Tora in aramäisch, hebräisch und arabisch und entdeckten dabei die nahe Verwandtschaft dieser semitischen Sprachen.

Entsprechend ihrer Kritik am Talmud haben die Karäer keine Jeschiwot (Talmud-Schule) wie rabbinische Juden. Ihre Gebetshäuser nennen sie Kenesa statt Synagoge. Darin stehen sie statt zu sitzen, und ihre Gebete verrichten sie nach Süden statt Osten gewandt und ohne die klassischen Tefillin (Gebetsriemen). Etliche weitere Riten werden von den Karäern anders ausgeführt als von anderen jüdischen Gemeinschaften. Der Kalender der Karäer richtet sich strenger nach dem Mond als der rabbinische und weist zahlreiche weitere Abweichungen vom traditionellen jüdischen Kalender auf.

Geschichte und Schwerpunkte

Byzantinisches Reich

Während des Ersten Kreuzzugs wurden die Karäer wie die rabbinischen Juden verfolgt. Um 1099 wanderten sie daher in großer Zahl nach Konstantinopel aus. Dort galten sie wegen ihres Bezugs auf die Tora als „bibeltreu“ und erschienen insofern nicht im Widerspruch zur christlichen Religion. Daher wurden sie im byzantinischen Reich im Gegensatz zu den Juden nicht als Häretiker verfolgt.

Osmanisches Reich

Vor allem im Osmanischen Reich gab es neben den sephardischen Juden, die sich nach der Vertreibung der Juden aus Spanien 1492 vor allem in Thessaloniki niederließen, zahlreiche karaimische Gemeinden (türk. Karaylar). So ließ Fatih Sultan Mehmet nach der Eroberung der Stadt 1453 eine bedeutende Anzahl von turkstämmigen Karäern nach Istanbul bringen. Diese siedelten im ehemals genuesischen Galata, heute heißt dieser Stadtteil Karaköy. Die alte Bezeichnung der Siedlung war Karayköy, „Dorf der Karäer“. Unter der Herrschaft von Sultan Suleiman dem Prächtigen kam es im 16. Jahrhundert zu einem Aufblühen der Gemeinde. Eine heute noch aktive karaimische Synagoge, die Kol Kadosch Kuschta, befindet sich im Istanbuler Stadtteil Hasköy. Ihre Besonderheit ist, dass sich die Eintretenden wie in den Moscheen die Schuhe ausziehen.

Mittel- und Osteuropa

Im 14. Jahrhundert waren Karäer von der Krim, wo sie als Teil der Turkvölker siedelten, nach Galizien und Litauen ausgewandert. Nach Litauen wurden vom Großfürsten Vytautas im Jahre 1397 neben Tausenden von Tataren auch 380 karaimische Familien als Leibwache und Beschützer seiner Burg in Trakai geholt.[3] Nach der Eingliederung der Krim (1783) und den polnischen Teilungen (1772–1795) gehörten alle Siedlungs- und Sprachinseln der mittel- und osteuropäischen Karäer zum russischen Kaiserreich. Dort wurden die Karäer auf Grund ihrer ethnischen und religiösen Besonderheiten nicht als Juden diskriminiert.

Im ausgehenden 19. und im 20. Jahrhundert betrachteten sich die Karäer in Mittel- und Osteuropa überwiegend als zugehörig zu einer gegenüber dem rabbinischen Judentum eigenständigen biblischen Religion. Auch ethnisch verstanden sie sich als eine Volksgruppe, die ihren Ursprung nicht im Judentum habe und somit keine semitisch-jüdischen Wurzeln besitze. Während der Besetzung Osteuropas durch das nationalsozialistische Deutschland im Zweiten Weltkrieg wurden die Karäer nicht als Juden verfolgt, sondern zu einer „tatarischen Volksgruppe“ erklärt, um sie gegen die russische Bevölkerung der UdSSR ausnutzen zu können. Der beim Generalstab eingesetzte Kriegstagebuchführer Walter Bußmann hatte am 17. Juli 1942 eine Notiz über die Karaimen erstellt[4], wonach diese „mit Rücksicht auf die Kaukasusproganda belassen werden müssten“. So waren auch Karäer in der Tatarenlegion, die 1942 zur Unterstützung der SS und Wehrmacht aufgestellt wurde. Die Nationalsozialisten folgten insofern gerne dem angeforderten Gutachten des jüdischen Historikers Majer Balaban, der die Karäer - womöglich entgegen seiner wirklichen Überzeugung - als nicht dem jüdischen Volk und seiner Religion zugehörig erklärt hatte. [5]

Kenesa in Trakai (Litauen)

Ein ehemals religiöses und heute historisches Zentrum der Karäer Polens und Litauens ist die Stadt Trakai in Litauen. Im Jahre 2007 lebten neben rund 5000 Tataren gerade noch 257 Karäer (davon 16 Kinder) in Litauen,[6] wovon die größten Gemeinschaften in Trakai (65 Personen) und Vilnius bestanden. Etliche von ihnen sprechen noch karaimisch, zumindest die ältere Generation. Das Überleben der Sprache ist nicht gesichert, da kein Sänger und nach dem Tod des bekannten Dichters Mykolas Firkovicius auch kein bekannter Schriftsteller mehr die Kultur weiter trägt. In den beiden vorgenannten Orten gibt es auch je eine Kenesa, die beide von einem einzigen Priester betreut werden.[7] Die Kenesa von Vilnius im maurischen Stil wurde 1992 den Karäern vom Staat zurückgegeben.

Das historische und religiöse Zentrum der osteuropäischen Karäer ist traditionell die Krim, wo nach dem Zerfall der Sowjetunion die uralte Gemeinde in Eupatoria wiedererstanden ist. Die Gemeinde hat mit eigener Kraft und mit der finanziellen Hilfe von Michel Sarach, eines Karäers aus Frankreich, die zwei bedeutendsten Kenesas in Eupatoria wieder aufgebaut. Die „Architekten“ der Renaissance-Bewegung der Karäer auf der Krim sind die Priester David Tiriyaki, David El und die Laiengemeinde Къaрдaжлaр Qardaşlar („Brüder“) unter Solomon Sinani. Diesen Aktivisten ist es gelungen, die ukrainische Regierung auf Probleme der Karäer aufmerksam zu machen und den Staat zur Finanzierung der Restaurierungsarbeiten in Çufut Qale bei Bachtschyssaraj auf der Halbinsel Krim zu bewegen. Heute finden in den alten Kenesas wöchentliche Samstagsgottesdienste unter der Leitung von Priester David Tiriyaki statt.

Eine weitere Kenesa befindet sich in der Ukraine in Kiew; diese wurde in den Jahren 1898–1902 erbaut und wird Karäer-Kenesa genannt.

Amerika

Heute gibt es auch in den Vereinigten Staaten von Amerika einige karaimische Gemeinden.

Bekannte Karäer

Siehe auch

Literatur (Auswahl)

  • Jakov Duwan: Karäischer Kathechismus. St. Petersburg 1890.
  • Philip Friedman: The Karaites under Nazi Rule. In: Max Beloff (Hrsg.): On the Track of Tyranny. Essays presented by the Wiener Library to Leonard G. Montefiore, O. B. E. on the occasion of his seventieth birthday. Wiener Library, London 1960, S. 97–123.
  • Simon Szyszman: Das Karäertum. Lehre und Geschichte. (Originaltitel: Le Karaisme übersetzt von Peter Weiss). Age d'Homme – Karolinger, Wien 1983, ISBN 3-85418-015-2.
  • Nathan Schur: History of the Karaites. Lang, Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-631-44435-4 (= Beiträge zur Erforschung des Alten Testaments und des antiken Judentums, Band 29).
  • Karl-Markus Gauß: Die fröhlichen Untergeher von Roana. Unterwegs zu den Assyrern, Zimbern und Karaimen. Zsolnay, Wien 2009, ISBN 3-552-05454-5.
  • Hannelore Müller: Religionswissenschaftliche Minoritätenforschung. Zur religionshistorischen Dynamik der Karäer im Osten Europas. Wiesbaden 2010, ISBN 978-3-447-06292-3.
  • Julius Fürst: Geschichte des Karäerthums. 3 Bände, Leipzig 1862–69.

Weblinks

 Commons: Karäer – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Versuch einer Chronologie der Karäer
  2. Karaite Fact Sheet: „Karaism has been around since the Torah was given on Mt Sinai. It was only in late Second Temple times that other sects appeared and challenged the authority of the Hebrew Bible.“
  3. Angabe von Halina Kobeckaite, zitiert in: Neue Zürcher Zeitung Nr. 79, 24./25. März 2007.
  4. Walter Bußmann: „Notizen“ aus der Abteilung Kriegsverwaltung beim Generalquartiermeister (1941/42). In: Klaus Hildebrand und Reiner Pommerin: Deutsche Frage und europäisches Gleichgewicht. Festschrift für Andreas Hillgruber zum 60. Geburtstag. Böhlau, Köln 1985, ISBN 3412079847, S. 238-240.
  5. Das karäische Wunder
  6. Halina Kobeckaite: Lietuvos Karaimai. Baltos Lankos, Vilnius 1997.
  7. Neue Zürcher Zeitung Nr. 79, 24./25. März 2007.
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