Jewiki unterstützen. Jewiki, die größte Online-Enzy­klo­pädie zum Judentum.

Helfen Sie Jewiki mit einer kleinen oder auch größeren Spende. Einmalig oder regelmäßig, damit die Zukunft von Jewiki gesichert bleibt ...

Vielen Dank für Ihr Engagement! (→ Spendenkonten)

How to read Jewiki in your desired language · Comment lire Jewiki dans votre langue préférée · Cómo leer Jewiki en su idioma preferido · בשפה הרצויה Jewiki כיצד לקרוא · Как читать Jewiki на предпочитаемом вами языке · كيف تقرأ Jewiki باللغة التي تريدها · Como ler o Jewiki na sua língua preferida

Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik

Aus Jewiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Gebäudeansicht

Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik (KWI-A), wurde 1927 in Berlin-Dahlem als Einrichtung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft gegründet, es bestand bis zum Kriegsende 1945. Das Institut lieferte die wissenschaftliche Legitimation für die nationalsozialistische Rassenpolitik und war an zahlreichen NS-Staatsverbrechen beteiligt. Das Gebäude in der Ihnestraße 22 wird heute vom Otto-Suhr-Institut der Freien Universität genutzt.

Entstehung

In der Weimarer Republik formierte sich eine breite rassenhygienische Bewegung, die mit gezielter Bevölkerungspolitik eine „Degeneration“ des deutschen Volkes abwenden wollte. Schon 1922 hatten prominente Wissenschaftler die Einrichtung eines rassenkundlichen Instituts in Deutschland gefordert. Adolf von Harnack, der Präsident des Kaiser-Wilhelm-Instituts, unterstützte die Einrichtung eines wissenschaftlichen Zentrums für „Anthropologie, menschliche Vererbungslehre und Eugenik“ mit der Begründung, Deutschland müsse mit Schweden, den USA, Frankreich und England gleichziehen.[1] Die Einrichtung des Instituts wurde von einer breiten Koalition getragen – von den Sozialdemokraten über das katholische Zentrum bis hin zum äußersten rechten Rand des Parteienspektrums.[2] Das Institut unter der Leitung Fischers wollte eine disziplinenübergreifende „Leitwissenschaft vom Menschen“ entwickeln und sich bewusst von „politischen Eiferern und Dilettanten in der Rassenhygiene-Bewegung“ absetzen.[3] Die „Berliner Richtung“ der deutschen Rassenhygiene ging damit auf Distanz zur völkischen „Münchner Richtung“, die die Überlegenheit der „nordischen Rasse“ propagierte.[4]

Abteilungen

Das Institut war zunächst in drei Abteilungen gegliedert: Die Abteilung für Anthropologie leitete Eugen Fischer, die für menschliche Erblehre der Humangenetiker Otmar Freiherr von Verschuer und die für Eugenik Hermann Muckermann. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten schied Muckermann auf politischen Druck aus, sein Nachfolger wurde Fritz Lenz, der die Eugenik-Abteilung in „Abteilung für Rassenhygiene“ umbenannte. In späteren Jahren veränderte sich die Struktur des Instituts mehrmals, unter anderem wurden Abteilungen für Erbpsychologie und Erbpathologie gegründet.

Forschungsschwerpunkte

Institutsdirektor Fischer wollte die Anthropologie von der „Schädelmesserei“ zu einer biologischen Vererbungswissenschaft weiterentwickeln. Er etablierte ein Forschungsprogramm, das die Kombination von „Rasse und Erbe[5] untersuchen sollte. Zuchtversuche an Tieren, aber auch Untersuchungen von Menschen sollten den Einfluss von Erb- und Umweltfaktoren klären. Ein Schwerpunkt war von Anfang an die „Zwillingsforschung“ unter Verschuer, die die Erblichkeit von zahlreichen Krankheiten, aber auch von „Charakterzügen“ wie krimineller Neigung belegen wollte.

Im Dritten Reich trat die Forschungsarbeit zeitweise in den Hintergrund, stattdessen etablierte sich das Institut als rassenhygienische und erbbiologische Schulungsstätte. Dass die Rassenforschung keine wertfreie Wissenschaft war, zeigt sich in einer Rede Fischers kurz nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten. „Was der Darwinismus nicht fertig gebracht hatte, die Lehre von der Gleichheit der Menschen zu zerstören, das gelang der neuen Erblehre“, sagte er in seiner Funktion als Rektor der Berliner Universität.[6] Nach der Berufung Verschuers nach Frankfurt im Jahr 1935 gab es keine eigenständige Abteilung für Erblehre mehr. Die neugegründete „Abteilung für Erbpsychologie“ unter Privatdozent Kurt Gottschaldt führte die Zwillingsforschung unter psychologischem Schwerpunkt weiter.

Im Zweiten Weltkrieg formulierte Institutsdirektor Fischer mit dem Begriff der „Phaenogenetik“ ein neues Forschungsparadigma: Untersucht werden sollte, wie sich aus Erbanlagen bestimmte Erbmerkmale herausbildeten.[7] Nachdem Verschuer im Jahr 1942 Institutsleiter wurde, nahm die medizinisch-klinische Forschung einen größeren Stellenwert ein.

Mitwirkung an NS-Verbrechen

Gedenktafel zur Erinnerung an die NS-Verbrechen

Das „Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik“ stellte sich nach einer „Selbstgleichschaltung“[8] in den Dienst des NS-Regimes. Auf politischen Druck rettete sich Fischer in einen Formelkompromiss, indem er die Juden in Deutschland zwar nicht als „minderwertig“, aber als „andersartig“ bezeichnete, weshalb sie als „volksfremde Elemente“ abzusondern seien.[9] Das Institut lieferte die „wissenschaftliche“ Legitimitätsgrundlage für die Erbgesundheits- und Rassenpolitik des nationalsozialistischen Staates.[10] Fischer und seine Institutskollegen verteidigten die Grundsätze der NS-Rassenpolitik auf internationalen Konferenzen und trugen damit dazu bei, den außenpolitischen Druck auf das NS-Regime zu vermindern.

Als Gutachter nahmen die Institutsmitarbeiter an der Erfassung und Aussonderung von Juden, Sinti und Roma, „Rheinlandbastarden“, „Fremdvölkischen“ und „Erbkranken“ teil – was für die Betroffenen häufig die Zwangssterilisierung oder die Einweisung in ein Konzentrationslager bedeutete. Auch an Planungen im Rahmen des „Generalplans Ost“ und eines beabsichtigten Kolonialreichs im Norden Afrikas war das Institut beteiligt.

Die Wissenschaftler des Instituts griffen in ihren anthropologischen Untersuchungen auf Menschen zurück, denen das Recht über den eigenen Körper abgesprochen wurde – etwa KZ-Häftlinge, Kriegsgefangene und Minderjährige. Anfang 1943 arbeitete Josef Mengele, der in Frankfurt/Main bei Verschuer promoviert hatte, am Institut mit. Während seiner Tätigkeit als Lagerarzt im Konzentrationslager Auschwitz sendete Mengele Blutproben und Leichenteile zur Untersuchung nach Dahlem.[11]

Eine Gedenktafel am Eingang des Gebäudes Ihnestraße 22 (heute: Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin) erinnert an die Verstrickung des Kaiser-Wilhelm-Instituts in die NS-Verbrechen. Die Behauptung auf der Tafel, wonach Mengeles Zwillingsforschung in Auschwitz im Institut geplant wurde, lässt sich jedoch nach der neueren Forschung in dieser Form nicht aufrechterhalten.

Mit dem Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung in Berlin-Buch gab es seit 1933 eine enge Zusammenarbeit, insbesondere in der Mutations- und Strahlen-Forschung, welche in diesem Institut eine selbständige Abteilung unter der Leitung von Nikolai Wladimirowitsch Timofejew-Ressowski besaß.[12]

Finanzierung

Das Institut wurde vor allem durch staatliche Stellen finanziert. Während das Institut in der Weimarer Republik immer wieder Finanzierungsengpässe hatte, sorgten die Nationalsozialisten für eine intensive Förderung der Rassenforschung. Großzügige Finanzierung erfuhr das Institut von der amerikanischen Rockefeller-Stiftung von 1932 bis 1935 für die Zwillingsforschung durch von Verschuer.[13]

Das Ende des Instituts

Das Institut wurde 1943 kriegsbedingt nach Beetz/Mark und Rottmannshagen bei Stavenhagen sowie nach Lübbecke/Westfalen teilverlagert. In den letzten Monaten trug es einen neuen Namen: Zum 70. Geburtstag des Institutsgründers Fischer wurde das Forschungszentrum im Juni 1944 in „Eugen-Fischer-Institut“ umbenannt. 1945 wurde das Institut weiter von Berlin-Dahlem nach Solz bei Bebra verlagert.

Nach Kriegsende 1945 wurde das Institut nicht weitergeführt. Nur die in Berlin verbliebene Abteilung für experimentelle Erbpathologie wurde 1953 als Max-Planck-Institut für vergleichende Erbbiologie und Erbpathologie in die Max-Planck-Gesellschaft übernommen. Im Jahr 1964 entstand hieraus das Max-Planck-Institut für molekulare Genetik. Zahlreiche Wissenschaftler konnten ihre Karrieren in der Bundesrepublik Deutschland fortsetzen. Verschuer erhielt 1951 eine Professur für Humangenetik in Münster, die er bis zu seiner Emeritierung 1965 innehatte. Der „Dahlemer Kreis“ ehemaliger Institutsmitarbeiter übte einen entscheidenden Einfluss auf die Humangenetik und Anthropologie im Nachkriegsdeutschland aus.[14]

Mitarbeiter

Direktoren
  1. 1927–1942 Eugen Fischer, 1943–1967 Auswärtiges Wissenschaftliches Mitglied
  2. 1942–1948 Otmar Freiherr von Verschuer, zuvor 1934–1935 Wissenschaftliches Mitglied bzw. 1935–1942 Auswärtiges Wissenschaftliches Mitglied
Weitere Wissenschaftliche Mitarbeiter
  1. 1927–1929 Lothar Loeffler
  2. 1931–1945 Wolfgang Abel
  3. 1933–1935 Wolfgang Lehmann
  4. 1934–1936 Johann Schaeuble
  5. 1934–1945 Fritz Lenz
  6. 1935–1939 Horst Geyer
  7. 1941–1945 Hans Nachtsheim
  8. 1941–1945 Karin Magnussen
  9. 1942–1943 Siegfried Liebau
  10. –1945 Lieselotte Block

Literatur

  • Hans-Walter Schmuhl: Grenzüberschreitungen. Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik 1927–1945 (= Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus 9). Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, ISBN 3-89244-799-3.
  • Niels C. Lösch: Rasse als Konstrukt. Leben und Werk Eugen Fischers (= Europäische Hochschulschriften). Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main 1997, ISBN 3-631-31746-8.
  • Hans-Peter Kröner: Von der Rassenhygiene zur Humangenetik. Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik nach dem Kriege (= Medizin in Geschichte und Kultur 20). Gustav Fischer, Stuttgart u. a. 1998, ISBN 3-437-21228-1 (Zugleich: Münster, Univ., Habil.-Schr., 1995).
  • Carola Sachse (Hrsg.): Die Verbindung nach Auschwitz. Biowissenschaften und Menschenversuche an Kaiser-Wilhelm-Instituten. Dokumentation eines Symposiums (= Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus 6). Wallstein-Verlag, Göttingen 2003, ISBN 3-89244-699-7.
  • Peter Weingart, Jürgen Kroll, Kurt Bayertz: Rasse, Blut und Gene. Geschichte der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland (= Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 1022). 3. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2001 ISBN 3-518-28622-6.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Lösch, Niels C. (1997): Rasse als Konstrukt. Leben und Werk Eugen Fischers, Frankfurt am Main, Europäischer Verlag der Wissenschaften, S. 172
  2. Schmuhl, Hans-Walter (2005): Grenzüberschreitungen. Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik 1927 – 1945, Göttingen, Wallstein, S. 13
  3. Weingart et al.(1992): Rasse, Blut und Gene, Frankfurt am Main, Suhrkamp, S. 245
  4. Schmuhl (2005), S. 197
  5. Lösch (1997), S. 192
  6. Fischer, Eugen (1933): Der Begriff des völkischen Staates, biologisch betrachtet, Berlin, Preuß. Dr.- u. Verl. AG, S. 7
  7. Lösch (1997), S. 373
  8. Schmuhl (2005), S. 13
  9. Schmuhl (2005), S. 176
  10. Schmuhl (2005), S. 531
  11. Schmuhl (2005), S. 405.
  12. Heidrun Kaupen-Haas: Die Planer im Sachverständigenbeirat für Bevölkerungs- und Rassenpolitik. In: 23. Deutscher Soziologentag 1986. VS Verlag für Sozialwissenschaften, 1987, S. 754–759 (doi:10.1007/978-3-322-83517-8_177).
  13. Benno Müller-Hill: Das Blut von Auschwitz und das Schweigen der Gelehrten, in: Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus. Hg. Doris Kaufmann, Wallstein Verlag, S. 190
  14. Schmuhl (2005), S. 530
52.44888888888913.2775
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.