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Julien Offray de La Mettrie

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Julien Offray de La Mettrie

Julien Offray de La Mettrie (geb. 23. November 1709 [1] in Saint-Malo; gest. 11. November 1751 in Potsdam) war ein französischer Arzt und Philosoph. Bekanntheit erlangte er vor allem durch sein konsequent materialistisches Menschenbild, weswegen er seinen Zeitgenossen als enfant terrible der Aufklärung galt.

Leben

La Mettrie, als Sohn eines Textilkaufmanns im bretonischen St. Malo geboren, studierte Medizin und promovierte in Rennes.[2] Er praktizierte zunächst als Landarzt, ging dann für einige Jahre ins niederländische Leiden, wo er bei dem damals in Europa führenden Mediziner Herman Boerhaave arbeitete und dessen Schriften ins Französische übersetzte. 1742 ließ er sich in Paris nieder, wo er neben medizinischen Arbeiten auch kritische Essays über die fachlichen Defizite und die „Geschäftspraktiken“ der dort etablierten Ärzte schrieb. 1743/44 nahm La Mettrie in den Diensten des Duc de Grammont am Österreichischen Erbfolgekrieg teil. 1746 wurden zwei seiner Schriften, die philosophische Histoire naturelle de l'âme (1745) und die ärztekritische Politique du Médecin de Machiavel, per Gerichtsbeschluss verbrannt. Obwohl sie anonym erschienen waren, war ihr Autor in Frankreich nicht mehr sicher. La Mettrie floh – ohne seine Familie – in die Niederlande. Dort schrieb er das Werk, das ihn berühmt machte: L'homme machine (1747). Dies brachte ihn sogar in den liberalen Niederlanden, wo verbotene Bücher für ganz Europa gedruckt wurden, in Gefahr. Durch Vermittlung seines Maloenser Landsmannes Maupertuis erhielt er die Einladung Friedrichs II. auf dessen Potsdamer Residenz Sanssouci. Er wurde Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Leibarzt und Vorleser des Königs und sollte völlig frei publizieren können.

Einziges Portrait Friedrichs II., zu dem er persönlich Modell gesessen hat (Gemälde von Johann Georg Ziesenis, 1763)

Bald wurde ihm jedoch eine subtile Form der Zensur auferlegt. Sein eigentliches Hauptwerk, den Discours sur le bonheur (1748), konnte er nur drucken lassen, weil er es als Einleitung zu einer Übersetzung von Senecas De beata vita tarnte. Die Folge war eine nachhaltige Verstimmung bei Hofe, allerdings – da man Toleranz hochhielt – ohne direkte Sanktionen für La Mettrie. Dieser rettete sich in die Rolle eines Hofnarren, starb aber bald darauf, 1751, der Legende nach an einer verdorbenen Pastete. Nicht zuletzt aufgrund von Andeutungen, die La Mettrie in seiner letzten Schrift machte, kam immer wieder der Verdacht auf, er sei vergiftet worden. Der Fall wird freilich nicht mehr geklärt werden können.[3]

Werk

Der Aufklärer La Mettrie ist insbesondere durch seine Schrift mit dem eingängigen Titel L'homme machine (1748; dt.: Der Mensch eine/als Maschine) in die Geschichte der Philosophie eingegangen. Sein Discours sur le bonheur oder Anti-Sénèque (1748), den er selbst als sein Hauptwerk ansah, wurde hingegen von den Zeitgenossen geschmäht und später kaum noch beachtet. Als „Monsieur Machine“ wurde für La Mettrie später die Klassifikation mechanistischer Materialist geläufig, ursprünglich eingeführt von Karl Marx, um den Fortschritt seines eigenen Denkens zum historischen Materialismus zu markieren. Tatsächlich vertritt La Mettrie jedoch nicht die philosophische Position eines mechanistischen Materialismus.

Ausgehend von René Descartes entwickelte La Mettrie einen streng erfahrungsorientierten Materialismus, der jegliche metaphysische Vorannahmen oder Schlussfolgerungen verneint. So bestimmt er die Seele – einen zentralen Streitgegenstand der Frühaufklärung – als Resultat komplexer Körperfunktionen, die folgerichtig nicht nur durch deren individuelle Wandlungen (z.B. durch körperliche Funktionsstörungen oder durch Lernen) beeinflussbar ist, sondern somit auch als Ergebnis einer biologischen Entwicklung erscheint. Damit wich La Mettrie radikal von Descartes ab, der einen Dualismus von Geist und Materie angenommen hatte. La Mettrie war also materialistischer Monist und somit auch konsequenter Atheist, aber anders als manche seiner aufklärerischen Zeitgenossen kein leisetreterischer. Im Gegensatz zu fast allen prominenten Aufklärern seiner Zeit, die die Gleichwertigkeit ihrer Morallehre mit der christlichen beteuerten, verkündete La Mettrie offensiv, freilich mit den Worten eines fingierten „entsetzlichen Menschen“, „dass die Welt niemals glücklich sein wird, wenn sie nicht atheistisch ist.“[4]

Hatte sich La Mettrie schon zuvor durch einige heftige Polemiken gegen die französischen Ärzte – die seiner Meinung nach den medizinischen Fortschritt ignorierten, solange ihre Geschäfte gut liefen – viele mächtige Feinde geschaffen, so kamen jetzt weitere hinzu, nämlich jene Aufklärer, die eigentlich seine Verbündeten gegen die klerikalen und politischen Mächte des Ancien Régime hätten sein können. Voltaire, Diderot, Holbach, auch Rousseau u. a. stellten sich gegen ihn, indem sie ihn erst über Jahrzehnte hinweg totschwiegen und dann „als einen in seinen Sitten und Anschauungen verdorbenen Menschen aus der Gemeinschaft der philosophes ausschlossen“.[5] Voltaire nannte den am Hofe Friedrichs II. lebenden La Mettrie auch spöttisch den „Hofatheisten“.

Es gibt keine argumentative Auseinandersetzung der aufklärerischen philosophes mit jenen Gedanken La Mettries, die sie so verächtlich fanden. Aus Andeutungen in zeitgenössischen Briefen geht jedoch hervor, dass La Mettries „théorie des remords“, seine Auffassung von der Entstehung der Schuldgefühle und der Funktion des Gewissens, die er in seinem Discours sur le bonheur entwickelt hatte, der unverzeihliche Stein des Anstoßes war. Bei dieser Theorie, die La Mettrie als seine einzige originäre philosophische Leistung betrachtete,[6] handelt es sich, wie erst in der jüngeren Rezeption deutlich wurde, um eine rudimentäre Theorie der – in moderner Terminologie – Über-Ich-Bildung und der dabei auftretenden Schädigungen der Persönlichkeit.[7]

Wirkung

La Mettries Wirkung im 18. Jahrhundert war infolge der beschriebenen Ächtung durch die philosophes trotz der elf Auflagen seiner Œuvres philosophiques eher beschränkt. Friedrich Albert Lange war der erste renommierte Autor, der La Mettrie, „einen der geschmähtesten Namen der Literaturgeschichte“, mehr als ein Jahrhundert nach seinem Tod zu rehabilitieren versuchte. Er stellt in seiner Geschichte des Materialismus, in der er La Mettrie ein längeres Kapitel widmet, ein verbreitetes stillschweigendes Plagiieren fest: dass „in fast allen Fällen, wo wir eine auffallende Ähnlichkeit der Gedanken bei La Mettrie und einem berühmteren Zeitgenossen finden, der erstere die unbestreitbare Priorität für sich hätte.“ Lange untersucht allerdings nicht näher die Gründe, warum die philosophes La Mettrie ächteten. Auch er findet wie sie La Mettries Ethik „verwerflich“ und seine Schrift über die Wollust „widerwärtig“: „Wir begreifen den Ingrimm der Zeitgenossen gegen diesen Mann, sind aber überzeugt, dass die Nachwelt ihm ein weit günstigeres Urteil gönnen muss.“[8]

Langes Buch von 1866 ist es wohl zu verdanken, dass La Mettrie ernsthaft diskutiert wurde und sein L'homme machine 1875 in deutscher Übersetzung erschien. Dessen eingängiger Titel, der als einziger mehrmals neu aufgelegt wurde, sorgte einerseits für Bekanntheit des Autors, andererseits aber auch für seine oberflächliche Klassifizierung als Vertreter eines eher kruden philosophischen Standpunkts, des „mechani(sti)schen Materialismus“. Diese Klassifizierung hat sich über die Jahrzehnte hinweg stabilisiert und ist noch heute weit verbreitet, obwohl seit 1981, mit dem Erscheinen von Panajotis Kondylis’ Studie über die Aufklärung,[9] eine differenziertere Sicht auf La Mettrie vorliegt, deren Zusammenführung von La Mettrie mit dem Marquis de Sade unter dem Titel „Die Konsequenten“ (der Aufklärung) allerdings umstritten ist.[10] Kondylis’ Studie gab auch den Anstoß für eine vierbändige deutsche Werkausgabe La Mettries (1985ff; s.u.), die außer einer Neuübersetzung des bekannten L'homme machine erstmals auch jene Schriften enthält, die La Mettrie selbst für seine wichtigeren hielt.[11] Eine weitere Folge waren einige umfangreiche Monographien (Sutter, Christensen, Jauch; s.u.) sowie die literarische Verarbeitung zentraler Ideen La Mettries durch Martin Walser in seinem Roman Der Augenblick der Liebe.[12]

Schriften

Einzelschriften (Auswahl)
  • Histoire Naturelle de l'Âme. 1745 (anonym)
  • École de la Volupté. 1746, 1747 (anonym)
  • Politique du Médecin de Machiavel. 1746 (anonym)
  • L'Homme Machine. 1748 (anonym)
  • L'Homme Plante. 1748 (anonym)
  • Ouvrage de Pénélope ou Machiavel en Médecine. 1748 (pseudonym: Aletheius Demetrius)
  • Discours sur le bonheur ou Anti-Sénèque [Traité de la vie heureuse, par Sénèque, avec un Discours du traducteur sur le même sujet]. 1748 (anonym)
  • L'Homme plus que Machine. 1748 (anonym)
  • Système d'Épicure. 1750 (anonym)
  • L'Art de Jouir. 1751 (anonym)
Kritische Editionen der Hauptwerke
  • Aram Vartanian (Hg.): La Mettrie's L'homme machine. A Study in the Origins of an Idea, Princeton: Princeton University Press 1960
  • John F. Falvey (Hg.): La Mettrie. Discours sur le bonheur, Banbury, Oxfordshire: The Voltaire Foundation 1975 (Studies on Voltaire and the Eighteenth Century, vol. cxxxiv)
  • Ann Thomson (Hg.): La Mettrie's Discours préliminaire. Materialism and Society in the Mid-Eighteenth Century, Genève: Librairie Droz 1981
  • Théo Verbeek (Hg.): Le Traité de l'Ame de La Mettrie, 2 Bde., Utrecht: OMI-Grafisch Bedrijf 1988
Ältere französische Werkausgaben
  • Œuvres philosophiques de Mr. de La Mettrie. 1751 (unvollständig)
  • Œuvres philosophiques de Mr. de La Mettrie. Nouvelle édition. 1752, 1753 (2x), 1764 (3x), 1774 (2x), 1775, 1796
Neue französische Werkausgabe
Zweisprachige Ausgaben französisch-deutsch
  • Der Mensch eine Maschine / L'homme machine. Übers. v. Theodor Lücke. Nachw. u. Anmerkungen v. Manfred Starke. Reclam, Leipzig 1965. RUB Nr. 110.
  • L'homme machine / Die Maschine Mensch. Übers. u. hgg. v. Claudia Becker, Meiner, Hamburg 2009, ISBN 978-3-7873-1931-2
  • L'homme plante / Der Mensch als Pflanze. Übers. v. Gabriele Blaikner-Hohenwart / Hans Goebl. VDG – Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften, Weimar 2008. ISBN 978-3-89739-606-7
Deutsche Werkausgabe (hg., übers., m. Einleitungen v. Bernd A. Laska)
Originalschriften als JPG-Bilder

Literatur

  • Friedrich Albert Lange: Geschichte des Materialismus (1866). Neuaufl. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1974. ISBN 3-518-07670-1 (2 Bände, stw 70/71, Kap. La Mettrie, S. 344–376)
  • Panajotis Kondylis: Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus. Stuttgart: Klett-Cotta 1981. ISBN 3-12-915430-2 (Kap. Die Konsequenten: La Mettrie und Sade, S. 503–518, passim)
  • Alex Sutter: Göttliche Maschinen, Frankfurt/M: Athenäum 1988. ISBN 3-610-08511-8
  • Lutz Rössner: Maschinenmensch und Erziehung, Frankfurt/M u.a.: Peter Lang 1990. ISBN 3-631-42370-5
  • Kathleen Wellman: La Mettrie. Medicine, Philosophy, and Enlightenment. Durham / London: Duke University Press 1992
  • Birgit Christensen: Ironie und Skepsis, Würzburg: Königshausen & Neumann 1996. ISBN 3-8260-1271-2
  • Ursula Pia Jauch: Jenseits der Maschine, München: Hanser 1998. ISBN 3-446-19485-1
  • Bernd A. Laska: La Mettrie. Porträt eines verfemten Denkers. In: Der Blaue Reiter. Journal für Philosophie. Band 16, 2003, S. 98–103

Weblinks

Quellen

  1. Als Geburtsdatum La Mettries findet man in der Literatur mindestens drei verschiedene Angaben. Das hier angegebene ist das wahrscheinlich korrekte. Vgl. dazu: Birgit Christensen: Ironie und Skepsis, Würzburg 1996, S. 245, Fn. 2. : „Das Geburtsdatum ist ungesichert. Die Akademie der Wissenschaften zu Berlin verzeichnet den 23. November. Vermutlich ist dies das richtige Datum, da La Mettrie es selbst angegeben haben könnte. In der Eloge Friedrichs II. erscheint als Geburtsdatum der 25. Dezember; doch der König hat sich getäuscht, wie die Akten des État-civil aux Archives de la ville de Saint-Malo belegen, die als Taufdatum bereits den 19. Dezember nennen.“
  2. Bis vor kurzem nahm man – wohl aufgrund eines immer wieder reproduzierten Lesefehlers – Reims als Promotionsort an. Nun wurde jedoch La Mettries Dissertation aufgefunden, die von der Universität Rennes akzeptiert wurde. Vgl. Stoddard, Roger E.: Julien Offray de La Mettrie. A bibliographical inventory. Together with a facsimile reprint of La Mettrie's long-lost thesis, Epistolaris de vertigine dissertatio. (Rennes, 1736). Köln: Dinter 2000, 82 S.
  3. vgl. Ursula Pia Jauch: Jenseits der Maschine. München: Hanser 1998, S. 567
  4. In: Der Mensch als Maschine. Nürnberg: LSR-Verlag 1985, S. 66
  5. Denis Diderot (1782): Essay über die Herrschaft der Kaiser Claudius und Nero sowie über das Leben und die Schriften Senecas. In: Philosophische Schriften II. Berlin (Ost): Aufbau-Verlag 1961, S. 429
  6. In: Über das Glück, oder Das höchste Gut („Anti-Seneca“). Nürnberg: LSR-Verlag 1985, S. 11
  7. Bernd A. Laska: Die Negation des irrationalen Überichs bei La Mettrie. Nürnberg: LSR-Verlag 1999
  8. Friedrich Albert Lange: Geschichte des Materialismus. (1866) Frankfurt/Main: Suhrkamp 1974. Band I, S. 344–376; inhaltsreich auch die Anmerkungen S. 433–439
  9. Panajotis Kondylis: Die Aufklärung im Rahmen des neuzeitlichen Rationalismus. Stuttgart: Klett-Cotta 1981, S. 490-536
  10. Vgl. Bernd A. Laskas Einleitung zu Der Mensch als Maschine, S. xxiv, sowie Ursula Pia Jauch: Jenseits der Maschine, München: Hanser, S. 348
  11. Dies waren Über das Glück und Die Kunst, Wollust zu empfinden, von denen er selbst noch Übersetzungen ins Deutsche veranlasste, die jedoch kaum Verbreitung fanden und bis ins 20. Jahrhundert als verschollen galten.
  12. vgl. dazu: Bernd A. Laska: Warum ausgerechnet La Mettrie? Über den „eigentlichen Helden“ in Martin Walsers Roman 'Der Augenblick der Liebe' . In: literaturkritik.de, Jg. 6, Nr. 10, Oktober 2004, S. 60–71
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