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Jean Monnet

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Dieser Artikel behandelt den französischen Unternehmer und Politiker. Zu gleichnamigen Personen siehe Jean Monnet (Begriffsklärung).

Jean Omer Marie Gabriel Monnet (* 9. November 1888 in Cognac, Poitou-Charentes, Frankreich; † 16. März 1979 in Bazoches-sur-Guyonne, Département Yvelines bei Paris) war französischer Unternehmer und der Wegbereiter der europäischen Einigungsbestrebungen, ohne je Politiker im Sinne eines gewählten Mandatsträgers gewesen zu sein – er war nie Regierungschef oder auch nur Minister. Monnet gilt als einer der Gründerväter der Europäischen Gemeinschaften und wird als „Vater Europas“ bezeichnet. Vor seiner politischen Karriere in Frankreich bzw. Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg war er im Unternehmen seiner Familie, in der internationalen Wirtschaftsverwaltung, als Koordinator für Rüstungskooperationen in beiden Weltkriegen und als stellvertretender Generalsekretär des Völkerbundes tätig.[1] Am besten bekannt wurde er als der politische Architekt, der die Pläne zum Zusammenschluss der westeuropäischen Schwerindustrie verwirklichte. Seine Einigungskonzeption folgte dabei den Grundsätzen des politischen Funktionalismus und dem Spill-over-Effekt, wonach „sektorale Integration zu einer Verflechtung immer weiterer Sektoren und schließlich zum Endstadium einer allgemeinpolitischen Föderation“ führt.[2]

Leben

Erinnerungstafel
Erinnerungstafel in Bazoches-sur-Guyonne

Jean Monnet entstammte einer französischen Kaufmanns-Dynastie, die im Weinbrandhandel (‚Cognac‘) tätig war. Als Unternehmer verbrachte er einige Jahre in Warschau, London, Shanghai und den USA,[3] woher auch seine Aufgeschlossenheit gegenüber der englischsprachigen Welt rührte.

Während des Ersten Weltkriegs arbeitete Monnet in interalliierten Einrichtungen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Es handelte sich dabei um paritätisch besetzte internationale Organe: zuerst binational britisch-französisch, dann trinational auch mit Italien und zuletzt auch mit den USA als viertem Partner. In dieser immer enger und straffer werdenden Organisation erfolgte die Koordination der kriegswirtschaftlichen Güternachfrage und -logistik der westlichen Alliierten. 1917 war so ein komplexes kriegswirtschaftliches Nachfrage-Kartell mit dem Allied Shipping Control als Zentrum entstanden. Es ging dabei um eine umfassende Verwaltung des kriegsbedingten Mangels und um eine effektive Regulierung der entstandenen heftigen Beschaffungs-Konkurrenz zwischen den Verbündeten. Von 1920 bis 1923 fungierte er als stellvertretender Generalsekretär des Völkerbundes, zog sich dann zunächst von der Öffentlichkeit und Politik zurück, wirkte eine Zeit lang in der Firma seiner Familie und in eigenen Unternehmungen, u. a. einer Bank in Kalifornien. Seit 1932 nahm er verschiedene internationale Beraterfunktionen wahr, u. a. auch als informeller Beauftragter des Völkerbundes in China, wo er ein Konsortium einheimischer Banken organisierte und als deren Agent Kreditmittel aus dem Ausland einwarb.

Im Bewusstsein des bevorstehenden Waffengangs mit Deutschland initiierte Monnet 1939 erneut eine kriegswirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Großbritannien und wurde selbst Chef dieses „alliierten Koordinationskomitees“, eines binationalen Nachfrage-Kartells mit gemeinsamer Einkaufs-Tochter in den USA. Monnet betonte 1940 u. a. gegenüber Churchill die Notwendigkeit eines engeren Zusammengehens von Frankreich und England und schlug eine „einzige franko-britische Union“ zwischen beiden vor.[4] Er hielt sich 1940–1943 im britischen Auftrag in den USA auf, wo er den Plan der Umstellung der US-Wirtschaft von der Friedens- auf die Kriegsproduktion („Victory Program“) ausarbeitete. 1943 sorgte Monnets Einfluss auf General Henri Giraud dafür, dass dieser schließlich Algier unter den Augen der Amerikaner vom Vichy-Regime löste. Monnet beteiligte sich 1943/44 an der Arbeit des Comité francais de la Libération nationale (CFLN).

Jean Monnet (links) 1953 zu Besuch bei Konrad Adenauer

Von 1946 bis 1950 war Monnet erster Leiter des Commissariat général du Plan (französisches Planungsamt) und plante Modernisierungsprogramme für die französische Wirtschaft. Er sah mit dem „Monnet-Plan“ (1946–1950) ein großes Modernisierungsprogramm für die Wirtschaft Frankreichs und einen gewaltigen Ausbau der französischen Stahlkapazität vor. Dort entwickelte er später die Idee, die westeuropäische Montanindustrie unter Einbeziehung des bisherigen Feindstaats Deutschland zusammenzuschließen. Am 9. Mai 1950 stellte der französische Außenminister Robert Schuman diese Idee in einer Regierungserklärung der Öffentlichkeit vor. Sie ist seitdem als Schuman-Plan bekannt, hätte aber vom geistigen Ursprung her „Monnet-Plan“ heißen müssen. Robert Schuman hat in einer Rede bei einer Gewerkschaftstagung im Jahr 1950 in Metz erklärt: „In Wahrheit ist dieser Plan (der Schumanplan) die Fortsetzung des Monnetplanes“ und, allein „um den französischen Stahlexport zu erleichtern“ habe Frankreich „diese Mission übernommen“.[5] Gemäß Professor Dr. Hans Ritschl: „Diese Rede war allerdings nicht für deutsche Ohren bestimmt!“[6]

Monnet selbst wurde Vorsitzender der Pariser Schuman-Plan-Konferenz, die zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, Montanunion) führte. Von 1952 bis 1955[7] war er der erste Präsident der Hohen Behörde („haute autorité“) der Montanunion, die mit dem Fusionsvertrag von 1965 mit den Kommissionen von EWG und EURATOM zur Europäischen Kommission verschmolzen wurde. Er war somit der erste Präsident des Vorläufers der Europäischen Kommission. In den genannten Funktionen stieg Monnet zu einem der einflussreichsten Wirtschafts- und Integrationspolitiker Europas auf, der sich auf vielen politischen Ebenen internationales Ansehen erwarb. Er blieb bis 1975 politisch aktiv (siehe auch Aktionskomitee für die Vereinigten Staaten von Europa). Monnet hatte ab 1955 maßgeblichen Anteil an den politischen Ideen zur Gründung von Euratom, der Errichtung einer politischen Union, dem Ausbau zu einer Währungsunion, der Bildung eines Rats der Staats- und Regierungschefs und dem Beitritt des Vereinigten Königreichs zur EG;[8] außerdem entwickelte er Vorschläge für tragfähige Beziehungen der EG zu den USA.[8]

Methode Monnet

Auf Monnet geht das neofunktionalistische Integrationskonzept „der Dynamik in kleinen Schritten von nachhaltiger Bedeutung“[9] zurück, welches vor allem anhand der EG/EU umgesetzt wurde:

  • Konkrete Solidarität der Tat
  • Begrenzte Übertragung von realen Kompetenzen
  • Etappe(n) auf dem Weg zu einer noch wenig ausgeprägten finalité:
  • Ökonomische Instrumente als Mittel der politischen Integration
  • Koppelprodukt von Politikfeld und institutioneller Gestaltung
  • Im Konsens getroffene Eliten-Entscheidungen
  • Grundentscheidung für die europäische Föderation als Friedensgemeinschaft
  • Der französisch-deutsche Kern als Nukleus der Einigungspolitik.

Neuere Forschungen zeigten erhebliche Parallelen zur Einigungsmethode der früheren Wirtschaftskartelle:[10] Monnets Insistieren auf supranationalen Einigungsformen entspräche dem Anstreben von Kartellformen höherer Ordnung, also der Syndikatsform.[11] Monnets Erfahrung, dass rein intergouvernementale Zusammenschlüsse wenig effektiv bleiben, hatten kartellierungsinteressierte Unternehmer bereits Jahrzehnte vorher in einem anderen Sachkontext – anhand der loseren, nicht institutionalisierten Preis- und Produktionsabsprachen – herausgefunden, welche in der Tat instabil und flüchtig blieben.

Auszeichnungen

Jean Monnet erhielt im Laufe seines Lebens zahlreiche Auszeichnungen, darunter am 17. Mai 1953 den Karlspreis der Stadt Aachen als Schöpfer der ersten souveränen übernationalen europäischen Institution.[12] 1959 wurde er mit dem Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Am 6. Dezember 1963 erhielt er die Freiheitsmedaille des Präsidenten der USA von Lyndon B. Johnson für seine Verdienste um die Einigung Europas und die Effektivität der Zusammenarbeit der atlantischen Nationen.[13] Durch die Regierungschefs der EG wurde er 1976 zum ersten Ehrenbürger Europas ernannt, eine Auszeichnung, die erst 1998 an Helmut Kohl ein weiteres Mal verliehen wurde. Nach dem Tod Monnets wurden seine sterblichen Überreste auf Beschluss der französischen Nationalversammlung ins Pariser Panthéon überführt und in einem Ehrengrab bestattet.

Jean-Monnet-Lehrstuhl

Der Europäische Universitätsrat, bestehend aus Rektoren und Europarechtsexperten europäischer Universitäten, vergibt in einer europaweiten Auswahlentscheidung die Bezeichnung „Jean-Monnet-Lehrstuhl“ an Lehrstühle. Die Bezeichnung ist an eine starke europäische Ausrichtung der Lehrstühle in Forschung und Lehre geknüpft. Sie bringt dem jeweiligen Lehrstuhl von der Universität kofinanzierte zusätzliche finanzielle Mittel. Jean-Monnet-Lehrstühle gibt es in Deutschland insbesondere in den Bereichen Recht (Europarecht), Politik und Wirtschaft. Ein derartiger Lehrstuhl wurde beispielsweise an den folgenden Hochschulen eingerichtet: Europa-Universität Viadrina (Matthias Pechstein), Eberhard Karls Universität Tübingen (Gabriele Abels), Universität Bremen (Ulrike Liebert), Universität Augsburg (Christoph Vedder), Freie Universität Berlin (Tanja A. Börzel), Deutsche Sporthochschule Köln (Jürgen Mittag), Universität zu Köln (Wolfgang Wessels), Universität Regensburg (Rainer Arnold), Universität Passau (Daniel Göler), Universität Paderborn (Dieter Krimphove), Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (Peter-Christian Müller-Graf), Justus-Liebig-Universität Gießen (Mahulena Hofmann), Universität Duisburg-Essen (Michael Kaeding), Technische Universität Dresden (N.N.), Technische Universität Chemnitz (Matthias Niedobitek), Universität Hamburg (Gabriele Clemens), Universität Hildesheim (Michael Gehler), Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg (Wolfgang Renzsch), Universität Wuppertal (Paul Welfens), und Friedrich-Schiller-Universität Jena (Matthias Ruffert).[14] Seit 2014 als erste Fachhochschule auch die grösste Fachhochschule Deutschlands, die Fachhochschule Köln (Prof. Dr. Sanders).[15]

International sind unter anderem das von Joseph H. H. Weiler geleitete Jean Monnet Center an der New Yorker University Law School, das regelmäßige Jean Monnet Working Papers heraus gibt. Das Jean Monnet Centre of Excellence des Institut d’études politiques de Paris („Sciences Po“) wird von Renaud Dehousse geleitet.

Berühmte Zitate

Ebenso „Die Wurzeln der Gemeinschaft sind jetzt so stark, und sie reichen tief bis in die Erde Europas“.[16]

Nicht gesichert ist dagegen, ob Jean Monnet der Ausspruch „Wenn ich es noch einmal zu tun hätte, würde ich mit der Kultur beginnen“[17] tatsächlich zugeschrieben werden kann. Dieser Satz stammt nach Auskunft der Jean-Monnet-Stiftung eindeutig nicht von Monnet. Vielmehr soll der französische Kulturminister Jacques Lang gesagt haben: »Monnet aurait pu dire…«, Monnet hätte sagen können/sollen. Dem Pragmatiker Monnet stand es fern, den Aufbau Europas mit einem so weitgehenden Eingriff in das Leben der Menschen zu beginnen, wie die Vergemeinschaftung von Kultur es bedeutet hätte.

Weitere Ehrungen

In Deutschland haben einige Städte (z. B. Berlin, Bonn, Frankfurt am Main, Freiburg im Breisgau, Villingen-Schwenningen, Wiesbaden) ihm zu Ehren einer Straße den Namen „Jean-Monnet-Straße“ gegeben.

Literatur

  • Erinnerungen eines Europäers. Hanser, München 1978, ISBN 3-446-12421-7 (Vorwort von Helmut Schmidt), Übersetzung seiner Autobiografie von 1976
  • Francois Duchene: Jean Monnet. The First Statesman of Interdependence, New York 1994.
  • Eric Roussel: Jean Monnet: 1888–1979, Paris 1996.
  • Gerard Bossuat/Andreas Wilkens (Hrsg.): Jean Monnet, l’Europe et les chemins de la Paix, Paris 1999.
  • Wolfgang Wessels: Jean Monnet. Mensch und Methode, Wien 2000.
  • Frederic J. Fransen: The Supranational Politics of Jean Monnet, Westport 2001.
  • François Roth: L’invention de l'Europe : de l'Europe de Jean Monnet à l'Union européenne, Paris 2005.
  • Andreas Bracher: Europa im amerikanischen Weltsystem : Bruchstücke zu einer ungeschriebenen Geschichte des 20. Jahrhunderts, Kap.: Jean Monnet – «Vater eines vereinten Europa», Basel 2007, Europäer-Schriftenreihe, Band 2, ISBN 978-3-907564-50-9
  • Holm A. Leonhardt: Kartelltheorie und Internationale Beziehungen. Theoriegeschichtliche Studien, Hildesheim 2013 (S. 522-647: Monnets Berufstätigkeit kartelltheoretisch analysiert).
  • Andreas Wilkens (Hg.): Interessen verbinden. Jean Monnet und die europäische Integration der Bundesrepublik Deutschland, Bonn (Bouvier) 1999 (Pariser Historische Studien, 50), ISBN 3-416-02851-1. Online auf perspectivia.net

Weblinks

 Commons: Jean Monnet – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Jean Monnet – Mensch und Methode Überschätzt und überholt? Wolfgang Wessels, Mai 2001 http://www.ihs.ac.at/publications/pol/pw_74.pdf
  2. Oppermann/Claassen/Nettesheim, Europarecht, 4. Auflage München 2009
  3. Jean Monnet: Erinnerungen eines Europäers. München/Wien 1978, [5. Von Cognac nach Polen, von Kalifornien nach China 1923–1938], S. 127–148.
  4. Jean Monnet, Erinnerungen eines Europäers, München/Wien 1978, S. 33
  5. Der Schumanplan: Die neue Ruhrbehörde Professor Dr. Hans Ritschl Der Spiegel 1951
  6. Der Schumanplan: Die neue Ruhrbehörde Professor Dr. Hans Ritschl Der Spiegel 1951
  7. Jean Monnet, Erinnerungen eines Europäers, München/Wien 1978, S. 506, nennt als Datum, an dem er die Hohe Behörde verlassen hat, den 10. Februar 1955.
  8. 8,0 8,1 Helmut Schmidt im Vorwort (S. 12) zu Jean Monnet, Erinnerungen eines Europäers, München/Wien 1978
  9. Jean Monnet – Mensch und Methode Überschätzt und überholt? Wolfgang Wessels, Mai 2001 (Seite 7 ff.) http://www.ihs.ac.at/publications/pol/pw_74.pdf
  10. Holm A. Leonhardt: Kartelltheorie und Internationale Beziehungen. Theoriegeschichtliche Studien, Hildesheim 2013, S. 522-647
  11. Leonhardt, Kartelltheorie, S. 645-647
  12. Karlspreisträger 1953
  13. Freiheitsmedaille 1963 (enthält auch eine detaillierte Beschreibung des Zustandekommens des Schuman-Plans)
  14. Friedrich-Schiller-Universität Jena
  15. [1]
  16. zitiert nach Oppermann, Europarecht, 3. Auflage 1999, Vorwort unter Verweis auf Jean Monnet, Erinnerungen eines Europäers, München/Hauser, 1978, S. 660
  17. Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 4. Auflage München 2009, § 36 III., S. 648, Rn. 54
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