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Jüdische Studentenverbindung

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Als jüdische Studentenverbindungen bezeichnet man Studentenverbindungen, die in Deutschland und Österreich als Reaktion auf zunehmende antisemitische Übergriffe und Ausgrenzungsversuche seit den 1880er Jahren von jüdischen Studenten gegründet wurden und bis 1933 (in Deutschland) bzw. bis 1938 (in Österreich) bestanden. Die Zielsetzung war dabei recht unterschiedlich, die äußeren Merkmale (Couleur) wurden meist von den traditionellen Studentenverbindungen im deutschsprachigen Raum übernommen. Erste von Juden nur für Juden gegründete Verbindung war die Viadrina, gestiftet am 23. Oktober 1886 an der Universität Breslau.

Zionistische Verbindung Jordania München SS 1912

Jüdische Studenten an den Universitäten

Die Juden, die seit der Römerzeit in Europa siedelten, waren hier jahrhundertelang in den religiös geprägten Zeitaltern verfolgt und diffamiert worden. Im Zeitalter der Aufklärung kam zuerst der Gedanke der Gleichberechtigung der Staatsbürger unabhängig von ihrer Religion auf. Diese Ideen manifestierten sich weltpolitisch in der Amerikanischen und der Französischen Revolution. Nach den Umwälzungen der napoleonischen Zeit war es dann auch Juden erlaubt, deutschsprachige Universitäten zu besuchen, was von der jüdischen Bevölkerung als Mittel zur sozialen Integration und zum gesellschaftlichen Aufstieg intensiv genutzt wurde.

In der Habsburgermonarchie erhielten die Juden schließlich im Jahre 1867, im deutschen Kaiserreich 1871 die rechtliche Gleichstellung. Dies wurde aber in der Praxis nicht vollständig umgesetzt, da zum Beispiel für die Einstellung in den Staatsdienst eine christlich-religiöse Eidesformel gesprochen werden musste. Der Staat war damals der bei weitem wichtigste Arbeitgeber für Akademiker. Juden konnten damals immer noch nicht Offiziere, Diplomaten, Beamte, Lehrer oder Professoren werden.

Angestrebt wurden deshalb vor allem die freien Berufe und die Studienfächer Rechtswissenschaften und Medizin, die auch von der Mehrheit der Mitglieder schlagender Verbindungen gewählt wurden.

Die Möglichkeit zum Universitätsstudium wurde von der jüdischen Bevölkerung eifrig genutzt. Während der Anteil der Juden an der Gesamtbevölkerung in Preußen um 1886 nur etwa bei einem Prozent lag, betrug der Anteil jüdischer Studenten an den Universitäten rund neun Prozent. Der Anteil der Juden bei den preußischen Rechtsanwälten betrug 1871 nur circa drei Prozent, im Jahre 1880 waren es bereits 7,3 Prozent, im Jahre 1893 war der Anteil auf 25,4 Prozent angewachsen. Die Entwicklung bei den freiberuflich tätigen Ärzten verlief ähnlich.

In Wien war damals jeder zehnte Einwohner jüdischen Glaubens, aber jeder zweite Rechtsanwalt und jeder zweite Arzt war Jude.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung ist der entstehende Sozialneid und das Konkurrenzdenken der Studenten, das um 1880 zum Aufflackern einer neuen Form der Judenfeindlichkeit führte, zu sehen. Es machte sich ein rassisch begründeter Antisemitismus breit, der sich im Gegensatz zur religiös begründeten Judenfeindlichkeit auch gegen getaufte Juden und deren Nachkommen richtete. Viele Studentenverbindungen gingen nach und nach dazu über, keine Juden mehr als Neumitglieder aufzunehmen, einige - nicht alle - studentische Verbände nahmen das Arierprinzip in ihre Statuten auf. Der Ausschluss existierender jüdischer Mitglieder hätte gegen das in den Verbindungen hochgehaltene Lebensbundprinzip verstoßen und wurde erst in den 1920er Jahren vereinzelt diskutiert sowie später nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten gesetzlich gefordert. Viele Studentenverbindungen - sofern noch nicht aufgelöst - hatten nach 1933 noch jüdische Mitglieder.

Aufgrund der nachlassenden Bereitschaft der Studentenverbindungen, jüdische Studenten in ihre Gemeinschaft aufzunehmen, gründeten sich in den 1880er Jahren bald eigene, speziell jüdische Verbindungen, die sich unterschiedliche Ziele und Formen gaben, aber zu einem großen Teil die Traditionen der deutschen Studentenverbindungen für sich übernahmen und fortsetzten. Der deutsche Bierkonsum war das größte Problem; über seine Zeit im Russisch-Jüdischen Verein zu Königsberg hat Shmarya Levin in Jugend in Aufruhr (Berlin 1933) einen aufschlußreichen Bericht hinterlassen.[1]

Verschiedene Typen jüdischer Studentenverbindungen

Couleurkarte des Königsberger Vereins Jüdischer Studenten

Je nach Zielsetzung kann man diese Verbindungen folgendermaßen kategorisieren:

  • Paritätische Verbindungen betrachteten die Abtrennung der Juden vom Rest der Bevölkerung als falschen Weg und wollten Juden und Nicht-Juden in ihren Reihen zusammenführen. Aufgrund des großen Andrangs von jüdischen Studenten und des geringen Interesses von anderer Seite entwickelten sie sich aber auch bald zu rein jüdischen Verbindungen. Erste Gründung war die Freie Wissenschaftliche Vereinigung in Berlin 1881, der sich bald weitere Vereinsgründungen in anderen Städten anschlossen.
  • Deutsch-jüdische Verbindungen, wie die Viadrina Breslau, betrachteten die Juden in Deutschland als deutsche Bürger jüdischen Glaubens und als integralen Bestandteil der deutschen Gesellschaft und orientierten sich stark an den deutschen studentischen Traditionen. Sie wollten die Diskriminierung durch den Beweis ihrer Gleichwertigkeit mit dem Rest der Bevölkerung überwinden und zeigen, dass auch Juden schneidige und wehrhafte Verbindungsstudenten sein können und dadurch das Vorurteil der Feigheit und Weichlichkeit widerlegen. Die rechtliche Emanzipation der Juden in Deutschland nach der Reichsgründung von 1871 war für sie der Beweis, dass dieses Ziel erreichbar war. Sie vereinten deutsches Nationalbewusstsein und jüdische Kulturzugehörigkeit. Größter Verband war der Kartell-Convent der Verbindungen deutscher Studenten jüdischen Glaubens (K.C.) von 1896.
  • Zionistische Verbindungen, auch jüdisch-nationale Korporationen genannt, wie die Kadima Wien, betrachteten die Versuche zur Integration der Juden in die deutsche Nation als vergeblich und die rechtliche Emanzipation der Juden in Deutschland als gescheitert. Sie teilten die Ziele des Zionismus und strebten die Bildung eines jüdischen Staates in Palästina an. Ihr Verbleib in Mitteleuropa hatte ihrer Auffassung nach nur provisorischen Charakter. Sie hielten sich aber trotzdem an die studentischen Traditionen Deutschlands. Ein wichtiger Verband war der Bund Jüdischer Corporationen (BJC, gegründet 1901) der im Jahre 1914 mit dem Kartell Zionistischer Verbindungen (KZV) zum Kartell Jüdischer Verbindungen fusionierte.
  • Der konfessionelle Verband Bund Jüdischer Akademiker (BJA, gegründet 1903) nimmt eine Sonderstellung ein, da er eine akademische Gemeinschaft ausschließlich zur Pflege des jüdischen Glaubens ohne gesellschaftspolitische Ausrichtung war und auch in seiner Struktur viele typische Merkmale einer Studentenverbindung nicht aufwies. So lehnte der BJA die Unterscheidung zwischen Aktiven und Alten Herren ab, aber auch das akademische Fechten, das Farbentragen und die studentische Kneipe. Sein Ziel war die Hinwendung zur Kultur und Wissenschaft, aber auch zur jüdischen Religiosität.

Die deutsch-jüdischen, aber auch die zionistischen Verbindungen, sahen die traditionellen deutschen Formen des Verbindungsstudententums als geeignet an, sich gesellschaftlichen Respekt zu verschaffen. Besonders durch die kompromisslose Pflege von Mensur und Duell wollten sie Vorurteilen gegen jüdische Mitbürger entgegenwirken.

Es bestand das Prinzip, jede antisemitische Äußerung eines Studenten mit einer Säbelforderung zu beantworten, was einigen jüdischen Verbindungen bald den Ruf besonderer Aggressivität einbrachte und zu Verboten führte. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts sind in dieser Angelegenheit mehrere Pistolenduelle mit tödlichem Ausgang überliefert.

Die Erfolge der jüdischen Verbindungsstudenten auf dem Gebiet von Duell und Mensur wurden bald unbequem, denn sie widersprachen der Auffassung der Antisemiten vom „feigen“ und „kneifenden“ Juden. Die erste Reaktion erfolgte in Österreich, wo die waffenstudentischen Verbände der Deutschösterreicher die Waidhofener Beschlüsse fassten. In ihnen wurde den Juden pauschal jede Ehre und damit auch die Satisfaktionsfähigkeit abgesprochen:

... in Anbetracht der vielen Beweise, die auch der jüdische Student von seiner Ehrlosigkeit und Charakterlosigkeit gegeben, und da er überhaupt der Ehre nach unseren deutschen Begriffen völlig bar ist, fasst die heutige Versammlung deutscher wehrhafter Studentenverbindungen den Beschluß : Dem Juden auf keine Waffe mehr Genugtuung zu geben, da er deren unwürdig ist!

Diese Beschlüsse erregten den Protest auch seitens vieler konservativer Verbindungsstudenten in Deutschland, da die Erklärung der Ehrlosigkeit gegenüber einer Gruppe von Studenten den ureigensten Traditionen des Verbindungsstudententums widersprach. Feigheitsvorwürfe gegenüber anderen Studenten galten traditionell als schlimmste Verstöße gegen den Comment. Gerade die Auffassung, dass alle Studenten gemeinsam einem besonderen Stande angehörten, durch den sie sich vom Rest der Bevölkerung unterschieden, war die Grundlage des Waffenstudententums nach damaliger Auffassung. Die Waidhofner Beschlüsse brachen somit mit den ältesten Traditionen der Studentenverbindungen.

Das „Waidhofner Prinzip“ blieb lange Zeit umstritten, konnte sich aber auch in Deutschland, hier allerdings erst nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, durchsetzen.

Die jüdischen Verbände beharrten jedoch auf ihren waffenstudentischen Prinzipien:

„Wir führen unsere Waffen, um unsere Ehre vor jedem Angriff derer zu schützen, die in diesen Formen das Wesentliche sehen, um mit dem Säbel, der unsere Farben trägt, zu beweisen, daß es nichts als ein Vorurteil ist, wenn man dem Juden Mut und Unerschrockenheit bestreitet. Wir lehnen es daher ab, die Waffen abzulegen, weil man sie uns streitig macht. Darum tragen wir auch Couleur.“

Thomas Schindler[2][3]

Manche jüdischen Korporationen gingen in der Folge so weit, dass sie ihre Mitglieder in Kampfsportarten (Boxen, Jiu Jitsu, etc.) ausbildeten, damit sie die tätlichen Auseinandersetzungen mit Kommilitonen überstehen konnten.

Zwangsauflösung jüdischer Verbindungen im Deutschen Reich

Während nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten die zionistisch geprägten Verbände ihre Mitglieder sofort zum Verlassen des Deutschen Reiches aufriefen, findet sich in den Verbandszeitschriften der deutschnational geprägten jüdischen Verbände noch nicht mal ein Hinweis auf den Machtwechsel.

Am 30. Juni 1933 wurden alle jüdischen Verbindungen im Deutschen Reich für aufgelöst erklärt und ihr Eigentum beschlagnahmt. Die Altherrenschaften konnten unter der Aufsicht der Gestapo noch bis 1938 weiterexistieren. Wiedergründungen nach dem Zweiten Weltkrieg hat es nicht gegeben. Es soll aber einen Altherrenverband in Israel geben. Der Beitrag der Mitglieder insbesondere der zionistischen Verbindungen am Aufbau Israels kann nicht unterschätzt werden. So waren auch Mitglieder in der Regierung zu finden.

Siehe auch

Literatur

  • Adolph Asch: Geschichte des K.C. (Kartellverband jüdischer Studenten) im Lichte der deutschen kulturellen und politischen Entwicklung. London 1964
  • Kurt U. Bertrams: Der Kartell-Convent und seine Verbindungen. WJK-Verlag, Hilden 2008 ISBN 3-933892-69-4
  • Kurt U. Bertrams: Vergangene Farbenwelten - Erinnerungen jüdischer Korporierter. WJK-Verlag, Hilden 2006 ISBN 3-933892-48-1
  • Eli Rothschild (Hg.): Meilensteine. Vom Wege des Kartells Jüdischer Verbindungen (K. J. V.) in der Zionistischen Bewegung. Tel Aviv 1972
  • Norbert Kampe: Jews and Antisemites at Universities in Imperial Germany (I). Jewish Students. Social History and Social Conflict, in: Year Book of the Leo Baeck Institute, Bd. 30, 1985, S. 357-394
  • Thomas Schindler: Studentischer Antisemitismus und jüdische Studentenverbindungen in Deutschland unter besonderer Berücksichtigung Bayerns von 1880 bis 1914, Wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Magister artium (M.A.), Würzburg 1987
  • Norbert Kampe: Jews and Antisemites at Universities in Imperial Germany (II), The Friedrich Wilhelms Universität of Berlin. A Case Study on the Students „Jewish Question“, in: Year Book of the Leo Baeck Institute, Bd. 32, 1987, S. 43 101
  • Norbert Kampe: Studenten und „Judenfrage“ im Deutschen Kaiserreich. Die Entstehung einer akademischen Trägerschicht des Antisemitismus (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd.76), Göttingen 1988, 327 Seiten
  • Thomas Schindler: Studentischer Antisemitismus und jüdische Studentenverbindungen 1880-1933, in: Jürgen Setter (Hg.): Schriftenreihe der Studentengeschichtlichen Vereinigung des Coburger Convents, Heft 27, Jever 1988
  • Christian Käselau: Der Kartell-Convent der Tendenzverbindungen deutscher Studenten jüdischen Glaubens als ein Beispiel für jüdische Korporationsverbände im Deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik (Volltext: [1])
  • Thomas Schindler: Der Kampf des Kartell-Convents (K.C.) gegen Antisemitismus, in: Einst und Jetzt (Jahrbuch des Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung), Bd. 36 (1991)
  • Norbert Kampe: The Jewish Arrival at Higher Education, in: Herbert A. Strauss (Hg.), Hostages of Modernization. Studies on Modern Antisemitism 1870-1933/39, Bd. 1, Berlin 1993, S. 80-106
  • Norbert Kampe: Von der „Gründerkrise“ zum „Berliner Antisemitismusstreit“. Die Entstehung des modernen Antisemitismus in Berlin 1875-1881, in: Reinhard Rürup (Hg.), Jüdische Geschichte in Berlin. Essays und Studien, (Begleitband zur Ausstellung in der Neuen Synagoge, Oranienburger Str.), Berlin 1995, S. 85-100
  • Norbert Kampe: „Studentische Judenfrage“ und „Neuer Nationalismus“ im Deutschen Kaiserreich. Zur Wirkungsgeschichte der Vereine Deutscher Studenten, in: Marc Zirlewagen (Hg.), Kaisertreue - Führergedanke - Demokratie. Beiträge zur Geschichte der Vereine Deutscher Studenten (Kyffhäuser-Verband), Köln 2000, S. 37-77
  • Harald Seewann: Licaria München 1895-1933. Eine Verbindung deutscher Studenten jüdischen Glaubens im waffenstudentischen Spannungsfeld, in: Einst und Jetzt (Jahrbuch des Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung), Bd. 52 (2007)
  • Miriam Rürup: Ehrensache. Jüdische Studentenverbindungen an deutschen Universitäten 1886-1937, Göttingen 2008 Rezension

Einzelnachweise

  1. Shmarya Levin: Die Bierfrage spielte eine verhängnisvolle Rolle. In: Kurt U. Bertrams: Als Student in Königsberg. Erinnerungen bekannter Korporierter. Hilden 2006, S. 177-122
  2. Thomas Schindler: Der Kampf des Kartell-Convents (K.C.) gegen Antisemitismus, in: Einst und Jetzt, 36. Band, Jahrbuch 1991 des Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung, Seite 192
  3. Hermann Berlak: Der Kartellkonvent der Verbindungen deutscher Studenten jüdischen Glaubens (K.C.), Berlin 1927, Seite 14f.

Weblinks

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