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Islamischer Staat (Theorie)

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Der Islamische Staat (arabisch الدولة الإسلامية, DMG ad-daula al-islāmīya) ist ein politisches Konzept, das schon in der frühen Neuzeit in den Schriften muslimischer Gelehrter diskutiert wurde und seit der Mitte des 20. Jahrhunderts eine große Rolle im islamischen politischen Denken spielt, insbesondere in salafistischen und fundamentalistischen Strömungen des Islam. Muslime, die nach der Errichtung eines islamischen Staates streben oder sich für die Aufrechterhaltung eines solchen einsetzen, werden üblicherweise als Islamisten (islāmīyūn) bezeichnet. Grundlage ihres politischen Denkens ist die Idee, dass der Prophet Mohammed selbst einen islamischen Staat gegründet habe (→ Gemeindeordnung von Medina)[1] und es dementsprechend den heutigen Muslimen obliegt, diesen wiederzubegründen. Hauptmerkmal eines islamischen Staats ist die Anwendung der Scharia als primäre Rechtsgrundlage.

Ursachen, Grundlagen, Hintergründe, Ausprägungen

Hinter dem Konzept eines islamischen Staats steht stets die Idee der Einheit von Religion und Staat im Islam (dīn wa-dawla).[2] Ein wichtiger Faktor für die Entwicklung dieser Idee im 20. Jahrhundert war die Abschaffung des Kalifats und die Errichtung eines laizistischen Staates in der Türkei durch Mustafa Kemal Pascha (→ Geschichte der Türkei, Kemalismus): Nachdem der letzte osmanische Kalif Abdülmecid II. durch die Jungtürken bereits weitgehend entmachtet worden war, propagierte der islamische Theologe Raschīd Ridā 1922 in seiner „Kalifatschrift“ Das Kalifat oder das größte Imamat (al-Ḫilāfa au al-imāma al-ʿuẓmā) die von ʿAbd ar-Rahmān al-Kawākibī übernommene Idee, dass idealerweise der arabische Kalif der führende Gelehrte aller Muslime sei (→ Panarabismus). Der Haschimit Hussein ibn Ali wurde auf Veranlassung seines Sohnes Abdallah am 5./6. März 1924 sodann zum neuen Kalifen ausgerufen, eine Idee, die seit 1914 von britischen Militärs, unter ihnen Lord Kitchener, ins Spiel gebracht worden war. Der diesem Titel innewohnende Anspruch der Herrschaft über alle Muslime wurde jedoch nicht allseits anerkannt und war in der Folge Gegenstand vieler Diskussionen in der muslimischen Welt. Die Mehrzahl der indischen, ägyptischen, nordafrikanischen und südostasiatischen Gelehrten betrachteten das Kalifat Husseins als eine sich auf britische Machenschaften stützende Usurpation.[3] Die Muslimbrüder übernahmen allerdings das Konzept eines arabischen Kalifats und erweiterten die Idee um den Gedanken, dass die Muslime deshalb in einem Kalifat leben müssten, weil der Islam Religion und Staat sei, weil er als umfassendes Konzept alle Bereiche des Lebens regele (→ Hasan al-Bannā, Sayyid Qutb, Daʿwa im 20. Jahrhundert). Bestritten wurde dieser Gedanke durch den Gelehrten ʿAlī ʿAbd ar-Rāziq 1925 mit der Schrift Der Islam und die Grundlagen des Regierens (al-Islām wa-uṣūl al-ḥukm), worin die Trennung von Staat und Religion postuliert wurde.[4]

Die Vorstellungen, die sich mit dem islamischen Staat verbinden, sind unterschiedlich.[5] Ein früher und einflussreicher Protagonist der Idee eines islamischen Staats war Sayyid Abul Ala Maududi, der 1941 in Britisch-Indien die Partei Jamaat-e-Islami gründete. Während in einigen Staatsentwürfen das Konzept des Kalifats im Vordergrund stand, so zum Beispiel bei Taqi ad-Din an-Nabhani, wurde in salafistischen Kreisen, die sich an Ibn Taimiya orientieren, die Anwendung der Scharia in der Politik zum Maßstab für die Islamizität des Staates gemacht.[6] Seit den 1970er Jahren spielen Konzepte wie Konsultation, Demokratie und Pluralismus eine immer wichtigere Rolle in islamischen Verfassungsentwürfen. Fast alle gegenwärtigen Staaten, die für sich in Anspruch nehmen, das Ideal des islamischen Staates zu verwirklichen, präsentieren sich in ihren Selbstbezeichnungen als Islamische Republik.

Siehe auch

Weblinks

Literatur

  • Roswitha Badry: Die zeitgenössische Diskussion um den islamischen Beratungsgedanken (šūrā) unter dem besonderen Aspekt ideengeschichtlicher Kontinuitäten und Diskontinuitäten. Stuttgart 1998.
  • Gudrun Krämer: Gottes Staat als Republik. Reflexionen zeitgenössischer Muslime zu Islam, Menschenrechten und Demokratie. Baden-Baden 1999.
  • Suha Taji-Faruqi: A fundamental quest: Hizb al-Tahrir and the search for the Islamic Caliphate. London 1996.

Einzelnachweise

  1. Dieser Gedanke findet sich schon in der Abhandlung Mīzān al-ḥaqq fī iḫtiyār al-aḥaqq von Katib Çelebi (st. 1657). – Vgl. die englischsprachige Übersetzung von G. L. Lewis: The Balance of Truth. London 1957. S. 84.
  2. Charles Tripp: All (Muslim) Politics Is Local. How Context Shapes Islam in Power. Artikel im Portal foreignaffairs.com (September/Oktober 2009), abgerufen am 20. August 2014
  3. Reinhard Schulze: Islamischer Internationalismus im 20. Jahrhundert. Untersuchungen zur Geschichte der Islamischen Weltliga. E. J. Brill, Leiden/Niederlande 1990, ISBN 90-04-08286-7, S. 70, 71 (online)
  4. Siehe hierzu: Hans-Georg Ebert, Assem Hefny: Der Islam und die Grundlagen der Herrschaft. Übersetzung und Kommentar des Werkes von Alî Abd ar-Râziq. Leipziger Beiträge zur Orientforschung 24, Peter Lang, Internationaler Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main 2010, ISBN 978-3-631-59613-5 (online)
  5. Abdul-Ahmad Rashid: Keine klaren Konzepte für einen islamischen Staat. Verhältnis von Politik und Religion im Islam. Artikel vom 24. Juli 2009 im Portal zdf.de, abgerufen am 13. August 2014
  6. So schon in dem Entwurf von ʿAbd-al-Wahhāb Ibn-ʿAbd-al-Wāḥid Ḫallāf: as-Siyāsa aš-šarʿīya au niẓām ad-daula al-islāmīya fī š-šuʾūn ad-dastūrīya wa-l-ḫāriǧīya wa-l-mālīya (Kairo 1930).
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