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Honoré Gabriel de Riqueti, comte de Mirabeau

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Gabriel de Riqueti Graf von Mirabeau, Porträt von Joseph Boze, 1789
Das Fort de Joux, eine seiner Haftstätten
Das Haus in Paris, in dem Mirabeau starb

Honoré Gabriel Victor de Riqueti, comte de Mirabeau seit dem 13. Juli 1789 Marquis de Mirabeau (* 9. März 1749 in Le Bignon bei Nemours, Département Loiret; † 2. April 1791 in Paris) war ein französischer Politiker, Physiokrat, Schriftsteller und Publizist in der Zeit der Aufklärung. Er beteiligte sich an der Französischen Revolution und nahm bis zu seinem plötzlichen Tod einflussreiche Positionen ein.

Leben

Mirabeaus Vater war der französische Volkswirt (Physiokrat) und Schriftsteller Victor Riquetti, Marquis de Mirabeau. Sein jüngerer Bruder André Boniface Louis Riquetti de Mirabeau war ein königstreuer Oberst und Gegner der Revolution. Mit drei Jahren erkrankte Mirabeau an den Pocken, die Narben infolge der Erkrankung trug er zeitlebens im Gesicht. Von seinem Vater erhielt er weder Zuwendung noch finanzielle Unterstützung und ging als junger Mann zum Militär.

Während seines Rechtsstudiums an der Universität von Aix-en-Provence machte Mirabeau unter anderem die Bekanntschaft von Jean-Étienne-Marie Portalis, einem der künftigen Redakteure des Code civil. Er wohnte seit 1771 in Paris, wo er 1772 Marie Emilie de Marignane heiratete. Auf Anzeige seines Vaters wurde er von Ludwig XV. von seinen Besitzungen verbannt.

1774 forderte sein Vater, um „ihn auf den rechten Weg zu bringen“, seine Einkerkerung im Château d’If vor Marseille, wo er ein knappes Jahr einsaß.[1] Um ihn der Kontrolle seiner Gläubiger zu entziehen, ließ ihn sein Vater mehrmals in den Donjon von Schloss Vincennes einsetzen und verbrachte ihn schließlich ins Château de Joux im Jura. Hier erbat Mirabeau beim Gouverneur einige Male Hafturlaub und begab sich bei diesen Gelegenheiten nach Pontarlier, wo er anlässlich der Feierlichkeiten zur Krönung von Ludwig XVI. Marie Thérèse de Monnier kennenlernte, die mit einem fünfzig Jahre älteren Marquis verheiratet war. Mirabeau und de Monnier verliebten sich ineinander und flüchteten in die Schweiz. Er wurde wegen Ehebruchs in Abwesenheit zum Tode verurteilt und 1777 wiederum verhaftet. Es gelang ihm, sein Todesurteil annullieren zu lassen. Er musste aber bald wieder ins Exil gehen, nachdem er sich in einen Prozess zwischen seinen Eltern eingeschaltet hatte. Vom Januar 1786 bis zum Januar 1787 hielt er sich zweimal für mehrere Monate in Potsdam und Berlin auf.[2] In Braunschweig soll er Mitglied des Illuminatenordens mit dem Ordensnamen Adramelech/Leonidas geworden sein, was aber nicht sicher belegt ist. Danach hielt er sich in Holland auf, wo er in Amsterdam Freimaurer wurde. Später zog er nach London.

Während der Anfangszeit der Französischen Revolution war Mirabeau Abgeordneter und Wortführer des Dritten Standes in den Generalständen. Die Adelsversammlung der Provence hatte es abgelehnt, ihn zur Wahl als Mitglied des zweiten Standes zuzulassen, da es ihm an einem Lehen fehlte, so dass er in Aix-en-Provence und Marseille für den dritten Stand zur Wahl stand. Schon bei der Eröffnung der Generalstände veröffentlichte er eine eigene unzensierte Zeitung, das Journal des Etats-Généraux.[3] 1790 wurde er Präsident des Jakobinerklubs und hielt 1791 den präsidialen Vorsitz der verfassunggebenden Nationalversammlung.

Tod

Mirabeau starb am 2. April 1791 plötzlich, sodass man einen Giftmord vermutete. Er wurde nach einer Zeremonie in der Kirche Saint-Eustache in einem Staatsbegräbnis im Panthéon beigesetzt. Nachdem weitere Beweise seiner Verbindungen zum Königshof Ludwigs XVI. gefunden worden waren, wurde sein Leichnam am 21. September 1794 wieder aus dem Panthéon entfernt, durch den Jean Paul Marats ersetzt und auf dem Friedhof von St-Étienne-du-Mont bestattet. 1798 erwirkte Mirabeaus Schwester seine Exhumierung und ließ ihn in einem Pariser Massengrab bestatten. Trotz Nachforschungen im Jahre 1889 zur Jahrhundertfeier der Revolution wurde der Leichnam bis heute nicht gefunden.[4]

Das politische und literarische Werk

Wie andere Aufklärer, stellte Mirabeau die britische konstitutionelle Monarchie mit der Bill of Rights als Vorbild für ein anzustrebendes Gesellschaftsmodell dar. Zu seinen Vorstellungen einer zivilisierten Gesellschaft gehörte auch die jüdische Emanzipation. Das zeigte sich speziell in seinem 1786 erschienenen Essay „Über Moses Mendelssohn und die bürgerliche Besserstellung der Juden“. Darin verwendet sich der Atheist Mirabeau für den gläubigen Juden und deutschen Aufklärer Mendelssohn, um ihn in Frankreich bekannt zu machen. Er behandelt dessen Werdegang und Verdienste, geht ein auf die Judenverfolgung in Europa und geißelt den Rassenhass als eine Perversion des Geistes. In der Quintessenz seines menschenrechtlichen Plädoyers heißt es:

„Gibt es keine natürlichen Rechte, die älter und heiliger sind als alle gesellschaftlichen Konventionen? Es könnte dem Menschengeschlecht nur zum Heil gereichen, wenn man den Unterschied zwischen Bürgern und Fremden endlich vergäße und in allen zuerst und vor allem den Menschen sähe.[5]

Bei den Wahlen zu den Generalständen im Mai 1789 wurde Mirabeau Abgeordneter des Dritten Standes. Aus der neuen Perspektive nach seinem Aufenthalt in England sah er den Adel und die Kirche als Haupthindernisse der Freiheit. Er war maßgeblich an der Abschaffung der Privilegien des Adels und an der Einziehung der Kirchengüter beteiligt. Einen an die Verfassung gebundenen König sah er aber weiterhin als notwendigen Bestandteil des politischen Systems an. Am 29. Januar 1791 wählten die Abgeordneten ihn zum Präsidenten der Nationalversammlung. Mirabeaus Popularität erlitt einen Rückschlag, als seine engen Beziehungen zum König posthum bekannt wurden, den er insgeheim beraten hatte und von dem er seinen Lebensstil mit beträchtlichen Summen hatte finanzieren lassen.

Parallel zu seinen politischen Aktivitäten fertigte der schriftstellerisch begabte Mirabeau im Verborgenen einige erotische Werke an, die bis heute einen großen Anklang finden. Als „Le Rideau levé, ou l’Education de Laure“ (Der gelüftete Vorhang oder Lauras Erziehung) 1786 anonym erschien, hatte Mirabeau bereits ein abenteuerliches Leben hinter sich, das ihn mehrmals entweder hinter Gittern sah oder als gefeierten Redner im Gerichtssaal, wenn es galt, den eigenen, angeblich unschicklichen Lebenswandel zu verteidigen. Er konnte sich folglich keinen Ärger mehr leisten und entschied, seine erotischen Bücher nicht unter dem eigenen Namen zu veröffentlichen. Lauras Erziehung führt den Leser in die noch heile Welt der besseren Stände am Vorabend der Französischen Revolution. Das Buch schildert die Erziehung und das Leben eines jungen Mädchens von der ersten erotischen Begegnung bis zu Orgien, die detailliert beschrieben werden. Der Roman ist eines der freizügigsten erotischen Bücher der Aufklärung, mit dem Mirabeau für sexuelle Freiheit und Selbstbestimmung der Geschlechter plädiert sowie für die Notwendigkeit einer Verbindung zwischen geistiger mit körperlicher Liebe. Nur dadurch entsteht seiner Meinung nach das vollkommene Glück. Dieses Weltbild passt in das philosophische Selbstverständnis der Aufklärung, welches die größtmögliche Glückseligkeit der Menschen als Ideal sah. Lauras Erziehung wurde in mehrere Sprachen übersetzt und wird bis heute – auch in Deutschland – neu verlegt. Zu einem weiteren Klassiker der erotischen Literatur der Aufklärung wurde „Hic-et-Haec“ (1798).

Mirabeaus „Donnerkeil“

Mirabeaus Antwort an den Zeremonienmeister am 23. Juni 1789, Alphonse Lamotte nach Jules Dalou

Mirabeau ist unter anderem durch die Antwort bekannt geworden, mit der er am 23. Juni 1789 dem königlichen Zeremonienmeister eine Abfuhr erteilte, als dieser die Versammlung der Generalstände auflösen wollte.

Heinrich von Kleist schildert Mirabeaus Auftritt in seinem Essay Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden sehr anschaulich:

(…) Mir fällt jener „Donnerkeil“ des Mirabeau ein, mit welchem er den Zeremonienmeister abfertigte, der nach Aufhebung der letzten monarchischen Sitzung des Königs am 23ten Juni, in welcher dieser den Ständen auseinanderzugehen anbefohlen hatte, in den Sitzungssaal, in welchem die Stände noch verweilten, zurückkehrte, und sie befragte, ob sie den Befehl des Königs vernommen hätten? „Ja“, antwortete Mirabeau, „wir haben des Königs Befehl vernommen“ – ich bin gewiß, daß er, bei diesem humanen Anfang, noch nicht an die Bajonette dachte, mit welchen er schloß: „ja, mein Herr“, wiederholte er, „wir haben ihn vernommen“ – man sieht, daß er noch gar nicht recht weiß, was er will. „Doch was berechtigt Sie“ – fuhr er fort, und nun plötzlich geht ihm ein Quell ungeheurer Vorstellungen auf – „uns hier Befehle anzudeuten? Wir sind die Repräsentanten der Nation.“ – Das war es, was er brauchte! „Die Nation gibt Befehle und empfängt keine“ – um sich gleich auf den Gipfel der Vermessenheit zu schwingen. „Und damit ich mich ihnen ganz deutlich erkläre“ – und erst jetzo findet er, was den ganzen Widerstand, zu welchem seine Seele gerüstet dasteht, ausdrückt: „So sagen Sie Ihrem Könige, daß wir unsere Plätze anders nicht, als auf die Gewalt der Bajonette verlassen werden.“ – Worauf er sich, selbstzufrieden, auf einen Stuhl niedersetzte.(…)

Schriften

  • Essai sur le despotisme (1776)
  • Histoire sécrète de la cour de Berlin (1786–1787)
  • De la monarchie prussienne sous Frédéric le Grand, Bd. 1–7 (1788). Digitalisate: Bd. 1/1 (PDF, 15,3 MB), Bd. 1/2 (PDF, 7,2 MB). Alle Bände 1–7 sind online bei der Bayerischen Staatsbibliothek.
  • Lettres de cachet
  • Ma Conversion ou le Libertin de qualité (1783)
  • Considérations sur l'ordre de Cinncinatus ou imitation d'un pamphlet anglo-américain (1784)
  • Le rideau levé (dt.: Der gelüftete Vorhang oder Lauras Erziehung), (1786)
  • Histoire secrète de la cour de Berlin (1787)
  • Dénonciation de l’agiotage (1787)
  • Lettres à Sophie (1792)
  • Hic-et-Haec (1798)

Literatur

  • Ursula M. Disch: Der Redner Mirabeau. Eine publizistische Studie, Hamburg/Berlin (Diss.) 1965.
  • Ursula M. Disch: Der Redner Mirabeau, in: Publizistik 11 (1966), S. 57–98.
  • Gradnauer, Georg: Mirabeau’s Gedanken über die Erneuerung des französischen Staatswesens (Diss.), Niemeyer, Halle (Saale) 1889.
  • Horst Heintze: Beredsamkeit und Rhetorik in der französischen Revolution. In: Horst Heintze / Erwin Silzer (Hgg.): Im Dienste der Sprache. Festschrift für Victor Klemperer zum 75. Geburtstag am 9. Oktober 1956, Halle (Saale) 1958, S. 276–297.
  • Aurelio Principato: Mirabeau orator comme exemple privilégié dans la formation de l’idée romantique d’éloquence. In: Rhetorik 12 (1993), S. 40–49.
  • Karl von Schumacher: Mirabeau, Aristokrat und Volkstribun, Scherz & Goverts Verlag, Stuttgart 1954.
  • Bernhard Erdmannsdörffer: Mirabeau, Hoof, Berlin 2015 (zuerst 1900 in der Reihe "Monographien zur Weltgeschichte" erschienen).
  • Johannes Willms: Mirabeau oder Die Morgenröte der Revolution, C.H.Beck, München 2017.

Weblinks

 Commons: Honoré Mirabeau – Album mit Bildern und/oder Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Le château d'If Science et magie
  2. Reinhard Markner: Imakoromazypziloniakus. Mirabeau und der Niedergang der Berliner Rosenkreuzerei (2003; PDF; 283 kB)
  3. Justus Franz Wittkop "Graf Mirabeau
  4. Marie-Christine Pénin: MIRABEAU Honoré Gabriel Riqueti, comte de
  5. Zitiert nach: Josef Rattner / Gerhard Danzer / Irmgard Fuchs: Glanz und Größe der französischen Kultur im 18. Jahrhundert. Würzburg 2001, S. 239.


Vorgänger Amt Nachfolger
Henri Grégoire Präsidenten der Nationalversammlung
29. Januar 179114. Februar 1791
Adrien Duport
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