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Hitlerputsch

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Durch den Hitlerputsch (auch genannt: Hitler-Ludendorff-Putsch, Bürgerbräu-Putsch, Marsch auf die Feldherrnhalle) versuchten Adolf Hitler, Erich Ludendorff und weitere Putschisten am 8. und 9. November 1923 in der bayerischen Landeshauptstadt München die Regierungsmacht an sich zu reißen, um dann mit ihren Unterstützern einen Marsch auf Berlin zu machen, wie Mussolini 1922 auf Rom. In Berlin sollte die Republik beseitigt werden und eine „nationale Diktatur gegen Juden und Marxisten“ errichtet werden.[1]

Hintergrund

Odeonsplatz nach dem Putsch

Auf die sozialistische bayerische Regierung Eisner und die Münchner Räterepublik hatten die „vaterländischen und nationalistischen“ Gruppen mit dem zunehmend radikaler formulierten Wunsch nach „Ordnung“ und mit deutlich verstärkten antidemokratischen Tendenzen reagiert. Hinzu kamen separatistische Ansätze. Die 1918 als Nachfolgeorganisation des bayerischen Zentrums gegründete Bayerische Volkspartei (BVP) behielt sich schon 1919 eine Abtrennung Bayerns vom Reich vor. Inflation, Not und die französisch-belgische Besetzung des Ruhrgebietes verstärkten die Unzufriedenheit. Zum Ausbruch des Konflikts kam es, als der neue Reichskanzler Gustav Stresemann im September 1923 den „passiven Widerstand“ der Regierung Cuno gegen die Ruhrbesetzung abbrach. Diesen „Verrat“ nahm die bayerische Regierung unter dem BVP-Ministerpräsidenten Eugen Ritter von Knilling zum Anlass, um von der „bayerischen Ordnungszelle“ aus auf eine „nationale Diktatur“ in Berlin hinzuarbeiten und gegen die französische Politik an Rhein und Ruhr vorzugehen. Dazu wurde in Bayern der frühere Ministerpräsident Gustav Ritter von Kahr zum diktatorischen Generalstaatskommissar ernannt: Er erklärte umgehend den Ausnahmezustand, setzte die Grundrechte außer Kraft und übernahm das Kommando von bayerischen Truppen der Reichswehr.

Gustav von Kahr versuchte gemeinsam mit Otto von Lossow, dem bayerischen Landeskommandeur der Reichswehr, und Hans von Seißer, dem Kommandeur der bayerischen Landespolizei, seine republikfeindlichen Pläne in Angriff zu nehmen. Der Stellvertreter von Kahrs, von und zu Aufseß, drückte diese Intentionen am 20. Oktober 1923 in folgenden Worten aus:

„Es heißt für uns nicht: Los von Berlin! Wir sind keine Separatisten. Es heißt für uns: Auf nach Berlin! Wir sind seit zwei Monaten von Berlin in einer unerhörten Weise belogen worden. Das ist auch nicht anders zu erwarten von dieser Judenregierung, an deren Spitze ein Matratzeningenieur [Anm.: damit war Reichspräsident Friedrich Ebert gemeint] steht. Ich habe seinerzeit gesagt: In Berlin ist alles verebert und versaut, und ich halte das auch heute noch aufrecht.“

Hubert Friedrich Karl von und zu Aufseß[2]

Zum Eklat kam es am 18. Oktober. Nach einem Artikel gegen Friedrich Ebert und Hans von Seeckt, den Chef der Heeresleitung, forderte Reichswehrminister Otto Geßler das Verbot des NSDAP-Sprachrohrs Völkischer Beobachter. Otto von Lossow erhielt den Auftrag, dieses Verbot durchzusetzen. Dieser verweigerte jedoch die Ausführung des Befehls und wurde seines Amtes enthoben. Daraufhin unterstellte er die bayerische Division seinem alleinigen Kommando und vereidigte sie auf Bayern und seine Regierung. Damit war der offene Bruch mit der Weimarer Republik vollzogen.

Der Putsch

NSDAP-Versammlung im Bürgerbräukeller, ca. 1923

Hitler hatte den Putsch bereits für den 29. September 1923 geplant,[3] wartete dann aber die turbulenten Entwicklungen in Bayern ab. Er wollte die neue Situation nutzen und die bayerische Regierung zum Sturz der Reichsregierung veranlassen. Am 30. Oktober 1923 rief er – ergebnislos – im Münchner Zirkus Krone zum Aufstand auf. Eine passende Gelegenheit bot sich, als Gustav von Kahr in Anwesenheit von Lossows, Seißers, Knillings, zweier weiterer Mitglieder des bayerischen Kabinetts und zahlreicher Prominenter aus verschiedenen nationalistischen Lagern im Bürgerbräukeller am 8. November 1923 über die Ziele seiner Politik sprechen wollte. Kahr begann in dem vollbesetzten Bürgerbräukeller um etwa 20 Uhr mit seiner Rede. Ludendorff hatte dem Kampfbund und den Offizieren der Infanterieschule den 8. November 20 Uhr 30 als „X-Zeit“ des Losschlagens angegeben.[4]

Etwa 30 Minuten nach Beginn betrat Hitler in Begleitung Hermann Görings sowie weiterer Nationalsozialisten vom Vestibül aus den Saal, stieg auf einen Stuhl,[5] feuerte mit einer Pistole in die Decke, erlangte Aufmerksamkeit, warnte, das Versammlungslokal sei von der SA umstellt, und verkündete, die „nationale Revolution“ sei ausgebrochen. Er bat das Triumvirat – Kahr, Lossow, Seißer – und den mittlerweile herbeigeholten General der Infanterie und ehemaligen Ersten Generalquartiermeister Erich Ludendorff in einen Nebenraum, während Göring eine Rede hielt. Unterdessen brachte Hitler Kahr, Lossow und Seißer – nach späteren Aussagen mittels Erpressung – auf seine Seite. Die Putschisten setzten die beiden übrigen im Bürgerbräukeller anwesenden Mitglieder des Kabinetts währenddessen im Saal fest. Hitlers Ziel war ein sofortiger Aufstand, wozu das Triumvirat ihm seine Unterstützung zusagte. Zurück im Saal, baten die drei die Anwesenden, Hitlers Staatsstreich zu unterstützen. Die von Hermann Esser entworfene Proklamation der Putschisten lautete:

Flugblatt der
Hitler-Ludendorff-Putschisten[6]

Proklamation
an das deutsche Volk!
Die Regierung der November-
verbrecher in Berlin ist heute für
abgesetzt erklärt worden.
Eine
provisorische deutsche
Nationalregierung
ist gebildet worden, diese besteht aus
Gen. Ludendorff
Ad. Hitler, Gen. v. Lossow
Obst. v. Seisser

„Proklamation an das deutsche Volk! Die Regierung der Novemberverbrecher in Berlin ist heute für abgesetzt erklärt worden. Eine provisorische deutsche Nationalregierung ist gebildet worden, diese besteht aus General Ludendorff, Adolf Hitler, General von Lossow, Oberst von Seißer.“[6]

Nach dem Vorbild des „Marschs auf Rom“ der italienischen Faschisten um Benito Mussolini sollten die in Bayern stehenden Reichswehrverbände zusammen mit antidemokratischen Wehrverbänden nach Berlin marschieren und dort die Macht im Deutschen Reich übernehmen.

Ministerpräsident Eugen von Knilling, Justizminister Franz Gürtner, Innenminister Franz Schweyer, Landwirtschaftsminister Johannes Wutzlhofer, der Münchner Polizeipräsident Karl Mantel und weitere hochrangige Politiker wurden von 30 bewaffneten SA-Männern unter der Leitung von Rudolf Heß als Geiseln genommen und über Nacht im Privathaus des NS-Unterstützers Julius Lehmann im Süden der Stadt festgehalten.

Inzwischen besetzte nach 22 Uhr Ernst Röhm, vom Löwenbräukeller kommend, mit einem Sonderkommando das Wehrkreiskommando VII, den Amtssitz Lossows in der Schönfeldstraße. Die dortige Wache leistete keinen Widerstand, als Röhm erklärte, er habe den Auftrag, eine Ehrenwache für Ludendorff und Lossow bereitzustellen. Im Wehrkreiskommando fanden sich allmählich zusammen: Hitler, Ludendorff, Röhm, Ernst Pöhner, Hermann Kriebel und Friedrich Weber. Von Otto von Lossow nahmen die Verschwörer an, dass er in der Kaserne des 19. (Bayerisches) Infanterie-Regiment (Reichswehr) (Hitlers Einheit bei der Reichswehr, Loth-/Infantriestraße) wäre und dorthin seine Befehlsstelle des Wehrkreiskommandos verlegt hätte. Lossow war in der Telegrafenstelle im selben Gebäude mit den Verschwörern und beorderte regierungstreue Truppen nach München.[7]

Der inzwischen von dem Putsch benachrichtigte stellvertretende Ministerpräsident Franz Matt setzte sich noch am Abend mit einem Rumpfkabinett vorsorglich nach Regensburg ab, um die legitime Regierungsgewalt zu sichern. Noch in München erließ er einen an die Bevölkerung gerichteten Aufruf gegen den „Preußen Ludendorff“. Dieser Aufruf soll nach damaligen Zeitungsberichten wesentlich zur Überwindung des Putschversuches beigetragen haben.[8] Die diskreditierende Behauptung der Nationalsozialisten, Matt habe vom Hitlerputsch während eines Abendessens mit Kardinal Michael von Faulhaber und dem apostolischen Nuntius Eugenio Pacelli, dem späteren Papst Pius XII., erfahren, wurde von ihm selbst umgehend dementiert. In Regensburg angekommen, erteilte Matt für den Fall einer gewaltsamen Weiterung des Putsches allen regierungstreuen Einheiten der Polizei den Schießbefehl.[9]

Um 2:55 Uhr nachts widerrief Gustav von Kahr, inzwischen in Kenntnis von der Abreise Franz Matts, im Rundfunk seine Zusage. Er erklärte die ihm, Lossow und Seißer „mit vorgehaltener Pistole abgepreßten Erklärungen“ für null und nichtig sowie die NSDAP und die Bünde Oberland und Reichskriegsflagge für aufgelöst. Oberamtmann Wilhelm Frick wurde als Erster verhaftet.

Der Marsch

Stoßtrupp Hitlers (mit Hakenkreuz-Armbinden) mit verhafteten sozialistischen Stadträten

Dennoch verkündeten am Freitagmorgen, den 9. November 1923, in München zahlreiche Plakate und Redner wie Julius Streicher und Helmuth Klotz den Sieg ihrer Bewegung. Selbst am Neuen Rathaus hing am Balkon eine riesige schwarz-weiß-rote Flagge. Julius Schaub nahm mit einem Stoßtrupp neun sozialistische Stadträte als Geiseln gefangen. Sie wurden in den Bürgerbräukeller gesperrt. Dessen ungeachtet rückten mit Panzerwagen verstärkte Verbände der Reichswehr und der Bayerischen Landespolizei gegen das Wehrkreiskommando vor, das Röhm mit 400 Putschisten vom Bund Reichskriegsflagge besetzt hatte. Bei einem Schusswechsel wurden zwei Soldaten der Reichswehr verwundet; Martin Faust und Theodor Casella starben dabei (als erste Putschisten). Vermittler versuchten Röhm zur Kapitulation zu bewegen; er stimmte aber erst um 11.45 Uhr einem Waffenstillstand und nur für zwei Stunden zu.

Um 12 Uhr marschierten Hitlers Anhänger, darunter auch Theodor Oberländer, unter Ludendorffs und Hitlers Führung vom Bürgerbräukeller ab. Ludendorff, der ebenso wie Hitler in Zivilkleidung ging und einen Hut trug, hatte das Kommando übernommen.

Unruhen auf dem Münchner Marienplatz während des Putsches

Ludendorff führte die Putschisten vom Bürgerbräukeller über die Ludwigsbrücke. Dort entwaffneten sie eine 30 Mann starke Abteilung der Landespolizei und marschierten weiter zum Marienplatz. Anschließend bog die Kolonne in die Weinstraße ein und zog dann durch die Theatinerstraße in Richtung Odeonsplatz. Nördlich vom Odeonsplatz lag das Wehrkreiskommando, wo sich Röhm verschanzt hatte. Der Kommandant der Landespolizei in der Residenz, Michael Freiherr von Godin, erhielt auf eine telefonische Anfrage durch Seißer den Befehl, das Heraustreten der Hitlertruppen auf den Odeonsplatz müsse mit allen Machtmitteln gestoppt werden.

Godin riegelte daraufhin mit seinen 130 Mann, die mit einer Kanone und Maschinengewehren bewaffnet waren, den Odeonsplatz ab. Als der Zug in Sichtweite kam, ließ Ludendorff die Marschierer rechts in die kurze Perusastraße einschwenken und gleich danach links in die Residenzstraße abbiegen. In Zehner- bis Sechzehnerreihen bewegte sich der Zug, Die Wacht am Rhein und O Deutschland hoch in Ehren singend, voran in Richtung Feldherrnhalle und durchbrach die Absperrkette des ersten Zuges in der Residenzstraße.

Die Feldherrnhalle – letzte Station des Putschversuchs

Um 12.45 Uhr fielen unter ungeklärten Umständen Schüsse. Dabei starben der Kommandant des ersten Zuges der Bayerischen Landespolizei, Polizei-Hauptmann Rudolf Schraut, sowie der Polizei-Oberwachtmeister Friedrich Fink, Polizei-Unterwachtmeister Nikolaus Hollweg und Polizei-Hilfswachtmeister Max Schoberth. Das Feuer der Polizisten tötete als einen der ersten Max Erwin von Scheubner-Richter, der den eingehakten Hitler mit sich zu Boden riss. Der Leibwächter Ulrich Graf stellte sich vor ihn und fiel, von elf Kugeln getroffen, auf Hitler und Scheubner-Richter. Hermann Göring wurde in den Schenkel und in die Lende getroffen.

Die Putschisten warfen sich zu Boden, während die zahlreichen Zuschauer flüchteten. Die ganze Aktion dauerte weniger als eine Minute. Bei der Schießerei wurden vier Polizisten der Bayerischen Landespolizei, dreizehn Putschisten sowie ein unbeteiligter Schaulustiger getötet. Später starben bei der Erstürmung des besetzen Wehrkreiskommandos in der Schönfeldtraße durch die Bayerische Landespolizei noch zwei weitere Putschisten. Unter den Getöteten waren folgende Berufsgruppen vertreten: vier Polizisten, vier Kaufleute (darunter Klaus von Pape und Oskar Körner), drei Bankbeamte, ein Hutmacher, ein Oberkellner, ein Schlosser, ein Student, ein Diener (Kurt Neubauer), ein Rittmeister, ein Oberlandesgerichtsrat (Theodor von der Pfordten), ein Ingenieur sowie der Diplomat und Mitinitiator Scheubner-Richter.

Der Pater Rupert Mayer gab den Sterbenden auf dem Odeonsplatz die letzten Sakramente und sprach mit den Verwundeten. Zahlreiche Schwerverwundete wurden in die Universitätsklinik eingeliefert, wo sie unter der Leitung von Ferdinand Sauerbruch operiert wurden. Ludendorff, der unverletzt geblieben war, wurde am gleichen Tag verhaftet und nach einer Befragung von fünf Stunden und zwanzig Minuten um 22.20 Uhr gegen Ehrenwort wieder auf freien Fuß gesetzt.

Bodenplatte zum Gedenken an die getöteten Polizisten

Hitler entkam durch Flucht mit Hilfe eines Sanitätsautos; „die wenige Jahre später von ihm selbst verbreitete Legende, er habe ein hilfloses Kind aus dem Feuer getragen, ist schon vom Ludendorff-Kreis widerlegt worden, ehe er selbst davon Abstand nahm“.[10] Bei dem Kind handelte es sich um den zehnjährigen Knaben Gottfried Mayr, der eine Schusswunde am Oberarm erhalten hatte und dem Hitlers Gefolgsmann Walter Schultze Erste Hilfe leistete. Hitler versteckte sich in Uffing am Staffelsee im Landhaus von Ernst Hanfstaengl, wurde jedoch am 11. November 1923 ebenfalls in Haft genommen.[11] Die NSDAP wurde im ganzen Deutschen Reich verboten.

Getötete Putschisten

Die getöteten Putschisten wurden zwischen 1933 und 1945 als „Blutzeugen der Bewegung“ geehrt und zugleich von der NS-Propaganda instrumentalisiert.[12]

Gedenktafel an der Residenz, zum Gedenken an die getöteten Polizisten, enthüllt am 9. November 2010

Getötete bayerische Polizisten

Getöteter unbeteiligter Schaulustiger

Karl Kuhn war ein unbeteiligter Oberkellner, der nicht am Putsch teilgenommen hatte, sondern nur aus Neugier aus seinem Café gekommen war. Er wurde von einer Kugel tödlich getroffen.[13]

Prozess und Urteil

Hauptartikel: Hitler-Prozess
Hitler, rechts neben Ludendorff (Bildmitte), posiert mit weiteren Teilnehmern des Hitler-Ludendorff-Putsches vor dem Gerichtsgebäude (1924)

Hitler stand ab Frühjahr 1924 unter Hochverratsanklage vor dem Volksgericht in München. Obwohl für den Fall eigentlich der Staatsgerichtshof in Leipzig zuständig gewesen wäre, hatte die bayerische Regierung den Fall an sich gezogen, um zu verhindern, dass die Machenschaften von Kahr, Lossow und Seißer ans Licht kamen, was dann im Prozessverlauf auch tatsächlich gewährleistet werden konnte. Hitler konnte sich im Laufe des nun folgenden „Hitler-Prozesses“ aufgrund seiner rhetorischen Fähigkeiten vom Angeklagten zum Ankläger hochstilisieren. Dabei deutete er unter anderem das Ereignis und Gedenken der Kriegsniederlage zum „eigentlichen Hochverrat“ um und instrumentalisierte es in seinem Sinn als „Aufruf zum Putsch und Auflehnung gegen die Landesverräter“.[14]

In einem Gutachten äußerte der Münchner Vize-Polizeipräsident Friedrich Tenner die prophetische Einschätzung: „Hitler […] ist heute die Seele der ganzen völkischen Bewegung. Er wird große Massen […] seiner Idee der NSDAP zuführen.“ Mit der Begründung, dass bei einem Mann, „der so deutsch denkt und fühlt wie Hitler“ und der sich durch „rein vaterländischen Geist und edelsten Willen“ auszeichne, das Motiv des Verrats nicht aufrechterhalten werden könne, wurde es vom Gericht ausdrücklich abgelehnt, Hitler als verurteilten Ausländer nach Verbüßung seiner Haftstrafe aus Deutschland auszuweisen, wie es § 9 des Republikschutzgesetzes zwingend vorsah. Hitler wurde zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt, mit der Möglichkeit der vorzeitigen Entlassung schon nach sechs Monaten. Ludendorff stand ebenfalls in München vor Gericht, wurde jedoch aufgrund seiner Verdienste im Ersten Weltkrieg freigesprochen.

In der Festung Landsberg diktierte Hitler seinen damaligen Mithäftlingen Emil Maurice und Rudolf Heß Teile des ersten Bandes seines Buches Mein Kampf. Nach neun Monaten wurde Hitler Ende 1924 „wegen guter Führung“ vorzeitig unter Auflagen aus der Haft entlassen.

Untersuchungsausschuss

Am 31. Juli 1924 setzte der Bayerische Landtag einen Untersuchungsausschuss zur „Untersuchung der Vorgänge vom 1. Mai 1923 in München und der gegen Reichs- und Landesverfassung gerichteten Bestrebungen in Bayern vom 26. September (Einsetzung des Generalstaatskommissars Gustav von Kahr bis 9. November 1923)“ ein, welcher am 27. April 1928 seinen Abschlussbericht vorlegte.[15]

Gedenktag für die Bewegung

Ehrentempel auf dem Münchener Königsplatz 1936

Obwohl Hitlers Versuch, die Macht im Staat zu erobern, kläglich gescheitert war, sollte sich der Novemberputsch für ihn und die NSDAP bezahlt machen. Hitlers Bekanntheitsgrad war dadurch enorm gestiegen, und ihm wurde durch den nachfolgenden Prozess erhöhte mediale Aufmerksamkeit zuteil, die er auch nutzte, um sich als wahren Revolutionär und treuen, aber verratenen Patrioten zu präsentieren. Zudem ließ sich der Putsch später mythologisch verklären.

Die Umdeutung des Putschversuches in eine heroische Niederlage und die Glorifizierung der dabei umgekommenen 16 Nationalsozialisten, die in der Folgezeit zu „Gefallenen“ und „Opfern“ für das Vaterland sowie „Blutzeugen der Bewegung“ verklärt wurden, setzte bereits mit dem ersten Band von Hitlers Mein Kampf ein, wo sie namentlich im Vorwort aufgelistet wurden. Bereits nach seiner Haftentlassung hatte Hitler in einem „Aufruf an die ehemaligen Angehörigen“ der NSDAP davon gesprochen, dass diese 16 Männer „durch ihren Märtyrertod zu Blutzeugen“ des „politischen Glaubens und Wollens“ des Nationalsozialismus geworden seien.[16]

In seiner Rede am 2. März 1925 sprach er davon, dass die nationalsozialistische Bewegung durch den Putsch „die Bluttaufe empfangen“ habe.[17] Der Putsch wurde auf diese Weise „zum Symbol einer das Letzte gebenden Einsatzbereitschaft, an der in Zukunft jedes Parteimitglied gemessen wurde. Die Todesbereitschaft wurde zum Orientierungsmaß.“[18] Noch im selben Jahr erhielt der auf diese Weise begründete Kult um die beim Putsch getöteten Nationalsozialisten durch eine Anordnung Hitlers vom 4. November 1925 einen weiteren Impuls: Künftig wurde es allen NS-Ortsgruppen zur Pflicht gemacht, alljährlich am 9. November Gedenkfeiern abzuhalten, in die auch die Getöteten des Ersten Weltkrieges einbezogen werden mussten, womit suggeriert wurde, dass die Putschisten im Grunde für dieselbe Sache gestorben seien wie die im Weltkrieg Gefallenen: für das Vaterland.[19]

Seine volle Ausprägung erhielt der Kult um den 9. November nach der Machtergreifung 1933. In aufwändig inszenierten jährlichen Totenfeiern wurde dabei der in München getöteten Putschisten und der anderen während der Kampfzeit ums Leben gekommenen Nationalsozialisten gedacht. Anlässlich des zehnten Jahrestages des Novemberputsches stiftete Hitler den so genannten „Blutorden“, der allen damals Beteiligten verliehen wurde und zum Zeitpunkt der Stiftung die höchste Parteiauszeichnung der NSDAP war. Die so genannte Blutfahne wurde ab 1926 auf den Parteitagen zur mythisch überhöhten „Weihe“ der Parteifahnen und SS-Standarten verwendet.

Nachdem der 9. November als Gedenktag für die Bewegung am 1. März 1939 von Hitler zum staatlichen Feiertag erklärt worden war, resümierte er in seiner Gedenkrede am 8. November desselben Jahres:

„Aus dieser ganzen Not ist unsere Bewegung entstanden, und sie hat daher auch schwere Entschlüsse fassen müssen vom ersten Tage an. Und einer dieser Entschlüsse war der Entschluss zur Revolte vom 8./9. November 1923. Dieser Entschluss ist damals scheinbar misslungen, allein, aus den Opfern ist doch erst recht die Rettung Deutschlands gekommen.“

Adolf Hitler: Rede vom 8. November 1939 im Bürgerbräukeller[20]

Am Münchner Königsplatz wurden nach der Machtübernahme zwei Ehrentempel für die 16 getöteten Putschisten errichtet und deren sterbliche Überreste dorthin umgebettet. Nach dem Einmarsch von Truppen der US Army 1945 wurden diese Bauten gesprengt; heute sind nur noch die Sockel übrig.

An der Feldherrnhalle wurde eine Tafel angebracht, vor der ständig ein Doppelposten Ehrenwache hielt und die von den Passanten mit dem Hitlergruß zu ehren war (siehe auch: Drückebergergasse). 1945 wurde diese Tafel entfernt; seit 1993 erinnert eine andere Tafel an die vier getöteten Polizisten.

Im Rahmen der Gedenkfeiern kam es zu zwei Attentatsversuchen auf Hitler: am 9. November 1938 durch den Schweizer Maurice Bavaud beim Gedenkmarsch zur Münchner Feldherrnhalle und am 8. November 1939 durch den Handwerker Georg Elser im Bürgerbräukeller.

Literatur

Zeitgenössische Zeitungsberichte

Quellensammlungen

  • Karl Dietrich Bracher (Hrsg.): Das Krisenjahr 1923: Militär und Innenpolitik 1922–1924. Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Bearbeitet von Heinz Hürten, Droste, Düsseldorf 1980, ISBN 3-7700-5110-6.

Sekundärliteratur

Weblinks

 Commons: Hitlerputsch – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Walter Ziegler: „Hitlerputsch, 8./9. November 1923. In Historisches Lexikon Bayerns, dem Online Lexikon zur Geschichte Bayerns“. [1]
  2. Zitiert nach: Ernst Deuerlein: Der Aufstieg der NSDAP in Augenzeugenberichten. Deutscher Taschenbuch Verlag, 1980, S. 187.
  3. Die Londoner Times vom 6. Dezember 1923.
  4. Akten des Reichsarchivs, Kabinett Stresemann, S. 1056; Kahr an Knilling, 12. Dezember 1923, in: Ernst Deuerlein, Der Hitler-Putsch. Bayerische Dokumente zum 8./9. November 1923, Stuttgart 1962, S. 498.
  5. Volker Hentschel: Hitler und seine Bezwinger: Churchill, Roosevelt, Stalin und De Gaulle ; Weltgeschichte in Biographien, Teil 1. LIT Verlag Münster, 2013, ISBN 3643121245, S. 137 (Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche).
  6. 6,0 6,1 Erklärung der Hitler-Ludendorff-Putschisten. Flugblatt, München, 11. November 1923. Abbildung auf vulture-bookz.de.
  7. Katrin Himmler: The Himmler Brothers. Pan Macmillan, 2012, ISBN 0330475991, S. 95 (Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche).
  8. Frankfurter Zeitung vom 5. August 1929.
  9. Lydia Schmidt: Kultusminister Franz Matt (1920–1926): Schul-, Kirchen- und Kunstpolitik in Bayern nach dem Umbruch von 1918. In: Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte, C. H. Beck, München 2000, ISBN 3-406-10707-9; S. 74 ff.
  10. Joachim Fest: Hitler – Eine Biographie. Spiegel-Edition 2006/2007, ISBN 978-3-87763-031-0, S. 311.
  11. Anna Sigmund: Als Hitler auf der Flucht war. In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 260, 8./9. November 2008; S. 21.
  12. Schreibweise der Namen in weitgehender Anlehnung an Mein Kampf, 1933, o.S. In der dort aufgeführten, alphabetisch geordneten Liste steht der Familienname vor dem Vornamen, zwei Vornamen sind abgekürzt.
  13. Pappert, Lars: Der Hitlerputsch und seine Mythologisierung im Dritten Reich, Neuried: Ars Una, 2001 (ISBN 3-89391-128-6)
  14. Vgl. Martyn Housden: Hitler. Study of a Revolutionary? Routledge, London 2000, ISBN 0-415-16359-5, S. 56 f.
  15. Karl-Ulrich Gelberg: Untersuchungsausschuss zum Hitler-Ludendorff-Prozess, 1924–1928. In: Historisches Lexikon Bayerns, 12. August 2009.
  16. Zitiert nach Ludolf Herbst: Hitlers Charisma. Die Erfindung eines deutschen Messias. Frankfurt 2010, S. 212. Abgedruckt wurde dieser Aufruf im Völkischen Beobachter vom 26. Februar 1925.
  17. Zitiert nach Herbst (2010), S. 212.
  18. Herbst (2010), S. 177.
  19. Herbst (2010), S. 212.
  20. Zitiert nach Philipp Bouhler: Der großdeutsche Freiheitskampf – Reden Adolf Hitlers vom 1. September 1939 bis 10. März 1940. Zentral-Verlag der NSDAP, München 1940.
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