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Herbert Wehner

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Herbert Wehner (1966)

Herbert Richard Wehner (geb. 11. Juli 1906 in Dresden; gest. 19. Januar 1990 in Bonn) war ein deutscher Politiker (KPD 1927–1942, SPD ab 1946). Er war von 1966 bis 1969 Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, anschließend bis 1983 Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion.

Wehner trat 1927 der Kommunistischen Partei Deutschlands bei, wurde Landtagsabgeordneter in Sachsen und stieg im Exil zum ZK-Mitglied auf. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland befand er sich von 1935 bis 1941 im Exil in Moskau. Den stalinistischen Säuberungen entging Wehner, doch machte er sich – wohl zur Rettung des eigenen Lebens – der Denunziation anderer deutscher Kommunisten schuldig. 1941 wurde er nach Schweden geschickt, um von dort aus den kommunistischen Widerstand gegen das NS-Regime in Deutschland anzuleiten; dadurch ergab sich die Gelegenheit, der Sphäre von Gefahr und Verrat zu entkommen. 1942 wurde Wehner verhaftet und erlebte das Kriegsende in einem schwedischen Gefängnis. In dieser Zeit wurde er unter dem Vorwurf, sich dem Parteiauftrag entzogen zu haben, aus der KPD ausgeschlossen.

1946 nach Hamburg gekommen, wurde Wehner zu einem der führenden Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Wegen seiner Vergangenheit blieb er aber offiziell meist in der zweiten Reihe, etwa als stellvertretender Partei- und Fraktionsvorsitzender. Auch wenn er erst spät zu den Reformern stieß, unterstützte er als Parteiorganisator maßgeblich den Wechsel der Partei weg von einer Klientelpartei hin zu einer Volkspartei und das Bekenntnis zu Westintegration, Marktwirtschaft und Bundeswehr (Godesberger Programm). Nachdem die SPD 1982 die Macht im Bund verloren hatte, kandidierte Wehner nicht mehr bei der Bundestagswahl 1983, womit er auch sein Amt als Fraktionsvorsitzender aufgab.[1]

Leben

Herbert Wehner wurde als Sohn des Schuhmachers Robert Richard Wehner (1881–1937) und dessen Ehefrau, der Schneiderin Alma Antonie Wehner, geb. Diener (1881–1945), im Haus Spenerstraße 13 in Dresden geboren. Sein Vater war Soldat im Ersten Weltkrieg und trat danach in einen lockeren Zusammenschluss von sozialdemokratischen, sozialistischen und kommunistischen Soldaten ein.

Wehner war dreimal verheiratet: 1927 heiratete er die Schauspielerin Lotte Loebinger (1905–1999). In zweiter Ehe war er ab 1944 mit Charlotte Burmester, geborene Clausen, verheiratet, der Witwe des kommunistischen Widerstandskämpfers Carl Burmester.[2] Nach deren Tod 1979 heiratete er 1983 ihre Tochter, also seine Stieftochter, Greta Burmester, um ihr erbrechtliche Vorteile und eine von seiner Pension ausgehende Hinterbliebenenpension (Witwenrente) zu verschaffen. Sie hatte schon Jahrzehnte ihrem Stiefvater als Sekretärin und Betreuerin gedient. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands und Wehners Tod zog Greta Wehner nach Dresden und gründete im Mai 2003 die Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung.

Wehner starb am 19. Januar 1990, nachdem er lange Jahre an Multiinfarktdemenz gelitten hatte, welche durch seinen Diabetes ausgelöst wurde.[3] Es handelte sich um eine diabetische Durchblutungsstörung des Stammhirnes. Zur Ehrung seiner Lebensleistung fand am 25. Januar 1990 ein Trauerstaatsakt in Bonn statt.[4] Er fand seine letzte Ruhe neben seiner zweiten Frau Charlotte Burmester auf dem Burgfriedhof in Bonn-Bad Godesberg.

Frühe politische Betätigungen

Noch zu seiner Schulzeit war Wehner Mitglied in der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) geworden. 1923 trat er aus, um Mitglied der anarchosyndikalistischen Jugendgruppe Syndikalistisch-Anarchistische Jugend Deutschlands und später Teil des Kreises um Erich Mühsam zu werden. Als Grund für seinen Entschluss, der Sozialdemokratie zunächst den Rücken zu kehren, gab er später an, die SPD habe den Einmarsch der Reichswehr in sein Heimatland Sachsen unterstützt und damit Verrat an der Einheitsfront begangen. Die Reichsregierung unter Gustav Stresemann hatte in diesem Jahr Truppen nach Sachsen geschickt, um die Koalition aus SPD und KPD in der sächsischen Landesregierung zu beenden. Den pazifistischen Kurs von Mühsam betrachtete Wehner schnell als ineffektiv. So verließ er diese anarchistische Gruppe und wandte sich sogar gegen Mühsam. Nach der Mittleren Reife 1924 begann Wehner eine kaufmännische Lehre in Dresden. Wegen seiner radikalen politischen Betätigung verlor er 1926 seine Anstellung, arbeitete anschließend als Journalist und engagierte sich in der Gewerkschaft.

1927 wurde Wehner Mitglied der KPD und noch im selben Jahr hauptamtlicher Sekretär der Roten Hilfe Deutschlands in Dresden. Es folgte ein schneller Aufstieg innerhalb der Parteiorganisation. Im Jahre 1930 wurde er in den sächsischen Landtag gewählt und stieg zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden auf. Durch seinen Fleiß und die rhetorische Begabung, die er hier unter Beweis stellte, wurde das Politbüro auf ihn aufmerksam. 1930 wurde er stellvertretender Sekretär der KPD in Sachsen. Ein Jahr später legte er sein Landtagsmandat nieder und ging nach Berlin, wo er für Walter Ulbricht arbeitete. 1932 wurde Wehner Technischer Sekretär des Politbüros.

Ab 1933 setzte er in der Zeit des Nationalsozialismus seine politische Arbeit für die verbotene KPD in der Illegalität fort, vor allem im Saargebiet. Dieses stand damals unter Verwaltung des Völkerbunds, bis es 1935 nach einer Volksbefragung an Deutschland zurückkehrte. Wehner setzte seine Arbeit anschließend von Paris aus fort. Er wird in dieser Zeit zum führenden Organisator des kommunistischen Widerstands in Deutschland.

Moskauer Exil (1937 bis 1941)

Im Januar 1937 wurde Wehner, mittlerweile Mitglied des Zentralkomitees der KPD, nach Moskau beordert. Sein Deckname, unter dem er auch eine Reihe von Beiträgen in der in Moskau erscheinenden deutschsprachigen Parteizeitung Deutsche Zentral-Zeitung (DZZ) veröffentlichte, war Kurt Funk. Er wohnte im Emigranten-Hotel Lux. Wehner entging Stalins Großem Terror, dem sehr viele deutsche Exil-Kommunisten zum Opfer fielen. Historische Forschungen haben ergeben, dass er seinerseits in Moskau sowjetischen Dienststellen Material über politische „Verfehlungen“ deutscher Kommunisten zur Verfügung gestellt hat, die dann Opfer des Großen Terrors geworden sind.

Die belastenden Unterlagen wurden vom SPIEGEL in Moskau nach Wehners Tod dokumentiert. Die wichtigsten Sachverhalte betreffen folgende Personen:

  • Helmut Weiß, ein nach Moskau emigrierter junger jüdischer Dresdner Schriftsteller, KPD-Mitglied, wurde zu zehn Jahren Gulag verurteilt, nachdem Wehner 1937 die „entsprechende Instanz“, das hieß nach den Umständen die stalinistische Geheimpolizei NKWD, aufgefordert hatte, Weiß und sein „schädliches Buch“ zu untersuchen.[5]
  • Wiederholt machte Wehner in den ihm abverlangten „Expertisen“ auf Max Diamant aufmerksam, ein Mitglied der SAP-Führung und Vertrauter Willy Brandts. Wehner denunzierte ihn als „entschiedenen Trotzkisten, gefährlich und konspirativ“. Zwar konnte der NKWD seiner nicht habhaft werden, da er sich im französischen Exil befand, doch lebten – wie ebenfalls Wehner dem Geheimdienst mitteilte – seine Eltern Michail und Anna Diamant in der UdSSR. Der Vater wurde 1937 verhaftet und kam ums Leben.
  • 1937 beschuldigte Wehner beim NKWD siebzehn Personen in der UdSSR, in Verbindung zum Kreis Wollenberg-Laszlo in Prag zu stehen. Er setzte sie damit der Gefahr aus, verhaftet, verbannt und unter Umständen erschossen zu werden.[6]
  • Der KPD-Funktionär Leo Flieg – ein Gründungsmitglied der Partei – wurde von Wehner am 13. Dezember 1937 denunziert, am 20. März des folgenden Jahres vom NKWD verhaftet, der „Spionage“ und „Mitgliedschaft in einer konterrevolutionären terroristischen Organisation“ beschuldigt und vom Obersten Gericht der UdSSR am 14. März 1939 zum Tod verurteilt.
  • In dem gegen Hugo Eberlein – ein weiteres Gründungsmitglied der KPD – geführten Prozess (seit Januar 1938) stützte der Ankläger bzw. der Geheimdienst sich auf von Wehner geliefertes, umfangreiches Material.
  • Die gegen Erich Birkenhauer gerichtete Denunziation war dadurch mit motiviert, dass der frühere Sekretär Ernst Thälmanns Wehner eine Mitschuld an der Verhaftung des KPD-Vorsitzenden unterstellt hatte. Wehner empfahl, solche „schlechten Elemente“ ein für alle Mal „abzustoßen“. Birkenhauer saß nach seiner Verhaftung vier Jahre im Gefängnis, bevor er zum Tode verurteilt und erschossen wurde.
  • Auch Grete Wilde und Georg Brückmann (Deckname: Albert Müller), die Mitglieder der Kaderabteilung der Kommunistischen Internationale (Komintern) gewesen waren, hatten ihrerseits Wehner belastet. Im Gegenzug warf Wehner ihnen „Verstöße gegen die Wachsamkeit zum Schutze der Sowjetunion“ und gegenüber „feindlichen Elementen“ sowie eine „ungewöhnlich liberale Haltung gegenüber stark verdächtigen Personen“ vor. Wilde starb 1943 in einem Gefangenenlager; Brückmanns Lebenspur verliert sich im Gulag.[7]

Weitere Denunziationen sind aktenkundig.

Exil in Schweden (1941 bis 1945) und Rückkehr

1941 reiste Wehner mit Parteiauftrag ins damals neutrale Schweden. Er sollte sich von dort aus mittels Gewährsleuten nach Deutschland schleusen lassen, um dort den kommunistischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu organisieren. 1942 wurde er in Stockholm verhaftet und wegen Spionage zunächst zu einem Jahr Gefängnis, dann, im Berufungsverfahren, zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt.

Vielfach wird davon ausgegangen, dass Wehner die schwedische Strafverfolgung dazu genutzt hat, sich dem Parteiauftrag, den kommunistischen Widerstand in Deutschland zu organisieren, zu entziehen. Daraufhin wurde er durch das Politbüro der KPD unter Leitung Wilhelm Piecks aus der KPD ausgeschlossen. Während seiner Internierung vollzog sich nach seinem eigenen Bekunden sein Bruch mit dem Kommunismus.

Kriegsfolgen: Ruinen in Hamburg (1947)

1946 kehrte er nach Deutschland zurück und wurde sogleich Mitglied der SPD in Hamburg. Hier arbeitete er auch als Redakteur für die sozialdemokratische Zeitung Hamburger Echo. Er gehörte schon bald zum engsten Kreis um den SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher. 1948 wurde Wehner Mitglied des Bezirksvorstandes der SPD in Hamburg.

Bundestagsabgeordneter und Bundesminister

Bei der Bundestagswahl 1949 wurde er als Abgeordneter für den Wahlkreis Hamburg VII in den Deutschen Bundestag gewählt. Für diesen Wahlkreis (später Harburg bzw. Bundestagswahlkreis Hamburg-Harburg genannt) war er bis 1983 direkt gewählter Bundestagsabgeordneter. Zudem war er von 1957 bis 1958 sowie von 1964 bis 1966 Stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Von 1958 bis 1973 war er außerdem Stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD.

Von 1949 bis zu seiner Berufung zum Bundesminister im Jahre 1966 war Wehner Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen, von Juni 1956 bis 1957 stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten. Von 1953 bis 1966 saß Wehner dem Arbeitskreis für Außenpolitik und Gesamtdeutsche Fragen der SPD-Fraktion vor.

Von 1952 bis 1958 war Wehner zudem Mitglied des Europäischen Parlaments.

Wehner war zum erheblichen Teil die innerparteiliche Durchsetzung des Godesberger Programms zu verdanken, durch das sich die SPD 1959 endgültig vom Marxismus abwandte und auch programmatisch zur Volkspartei entwickelte. Mit seiner Grundsatzrede vor dem Bundestag am 30. Juni 1960 läutete er auch den außenpolitischen Kurswechsel der SPD, hin zur Westbindung, ein.

Bundesminister Herbert Wehner (rechts) mit dem deutschen Botschafter bei der Einweihung des Palais Beauharnais (1968)

Im Kabinett der Großen Koalition unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger wurde Wehner 1966 Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen; in diesem Amt hatte er beträchtlichen Anteil am Freikauf politischer Häftlinge aus der DDR. Wehner war 1966 dazu bereit, für die Bildung der Großen Koalition das Mehrheitswahlrecht zu unterstützen, gegen das die SPD traditionell opponiert hatte. Der SPD-Parteitag von 1968 verschob die Reform allerdings. Wie Erich Mende mögen viele im Verhalten der Sozialdemokraten einen „glänzenden Schachzug“ Wehners gesehen haben: Die SPD-Führung habe die Union über die Wahlrechtsreform getäuscht, um in die Regierung zu kommen.[8]

Der sozialdemokratische Chefstratege war tatsächlich nicht unschuldig an Irritationen über seine Haltung. Noch nach der Wahl 1969 behauptete Wehner, er sei für ein relatives Mehrheitswahlrecht, beschimpfte aber gleichzeitig das von der CDU gewünschte Junktim zwischen Großer Koalition und Wahlreform, zum Beispiel in einem Interview am Abend der Bundestagswahl 1969 mit den oft zitierten Worten: „… das war schon Quatsch vor der Wahl und das ist jetzt noch ‚quätscher‘, … nach der Wahl.“[9][10]

SPD-Fraktionsvorsitz 1969–1983

SPD-Parteitag (von links): Herbert Wehner, Willy Brandt und Helmut Schmidt (April 1973)

Wehner hätte gern auch nach 1969 die Große Koalition mit der Union fortgesetzt, da er nicht sicher war, ob seine Partei die Rolle des führenden Regierungspartners würde übernehmen können. Er folgte aber loyal Brandts Kurs einer sozialliberalen Koalition und wechselte vom Kabinett an die Spitze der SPD-Fraktion. Dort blieb er während der gesamten Dauer dieser Koalition. Er erwarb sich schnell den Ruf eines „Zuchtmeisters“, der die Fraktion an der Seite der von Bundeskanzler Brandt geführten Regierung hielt.

Wehner hatte großen Anteil daran, dass Brandt trotz einer knappen und bröckelnden Parlamentsmehrheit sein Amt nicht verlor. Als CDU-Chef Rainer Barzel im April 1972 versuchte, sich vom Bundestag zum Kanzler wählen zu lassen, ordnete Wehner das Fernbleiben der Fraktion von der Abstimmung an. Mit einer Ausnahme stimmten von der SPD nur die Mitglieder der Regierung ab. Dadurch sicherte Wehner die Regierung gegen einen von ihm angenommenen Stimmenkauf der Opposition unter Mitgliedern der Fraktion. Barzel fehlten schließlich wider Erwarten zwei Stimmen.

Allerdings war Wehner nicht unbedingt mit Brandts Amtsführung zufrieden. Besonders nach der gewonnenen Bundestagsneuwahl Ende 1972, der Abrundung der Neuen Ostpolitik und dem Stocken der innenpolitischen Reformen (auch aus finanziellen Gründen, siehe Ölkrise 1973) schien Brandt der ursprüngliche Elan abhandengekommen zu sein. In jener Zeit wurde das Zitat bekannt: „Der Herr badet gerne lau“, auch wenn dem Biografen Meyer zufolge dieser Satz nicht genau so ausgesprochen worden sei.

Als Brandt 1974 im Laufe der Guillaume-Affäre unter Druck geriet, schien die Haltung Wehners großen Einfluss darauf gehabt zu haben, dass Brandt zurücktrat. Brandt hätte Kanzler bleiben können, und Wehner sagte ihm zu, ihn dabei zu unterstützen, wenn Brandt um sein Amt kämpft. Man vermutet, dass Brandt befürchtete, die DDR habe belastendes Material über seinen Lebenswandel. Jedenfalls war anlässlich Brandts Rücktritt für die Öffentlichkeit der Unterschied deutlich zwischen einem Brandt-Anhänger wie Egon Bahr, der Tränen vergoss, und Wehner, dem die Regierungsstabilität über persönliche Gefühle ging. Brandt blieb Parteivorsitzender, Bundesminister Helmut Schmidt übernahm die Kanzlerschaft, beides war von Wehner gewünscht.

Herbert Wehner auf dem SPD-Parteitag (1979)

Am 30./31. Mai 1973 reiste Wehner zusammen mit FDP-Fraktionschef Wolfgang Mischnick zu einem geheimen Treffen mit Erich Honecker in die DDR. Auf Schloss Hubertusstock in der Schorfheide wurden humanitäre Fragen der deutsch-deutschen Beziehungen erörtert. In diesem Jahr hat Wehner auch die Gründung der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) initiiert, um den Interessen der Arbeitnehmer in der Volkspartei SPD wieder ein schärferes Profil zu verleihen.

Dem 1980 gewählten neunten Deutschen Bundestag gehörte er als Alterspräsident an. Wehner gehörte neben Ludwig Erhard, Hermann Götz, Gerhard Schröder (alle CDU), Richard Jaeger, Franz Josef Strauß, Richard Stücklen (alle CSU), Erich Mende (FDP, später CDU), Erwin Lange und R. Martin Schmidt (beide SPD) zu den zehn Abgeordneten, die ununterbrochen während der 25 Jahre seit der ersten Bundestagswahl 1949 dem Parlament angehörten.

Nach dem Bruch der sozialliberalen Koalition am 17. September 1982 und der Wahl von Helmut Kohl zum Bundeskanzler am 1. Oktober 1982 kam es im März 1983 zu Neuwahlen, zu denen Wehner aus Alters- und Gesundheitsgründen nicht mehr kandidierte. SPD-Kanzlerkandidat war Hans-Jochen Vogel.

Der frühere Chef der Auslandsspionage der DDR Markus Wolf berichtet in seinen Erinnerungen Spionagechef im geheimen Krieg (1997) über geheime Kontakte Wehners zur SED-Führung und dem DDR-Auslandsnachrichtendienst.

Rhetorik

Herbert Wehner (1978)
Herbert Wehner redet den ARD-Reporter Ernst Dieter Lueg (r.) am Abend der Bundestagswahl 1976 als Herr Lüg an. Dieser revanchierte sich mit den Worten: „Vielen Dank (…) Herr Wöhner (…).“

Wehner ist der Bundestagsabgeordnete mit den meisten Ordnungsrufen. Er kam im Bundestag – je nach Quelle – auf 57[11] beziehungsweise 58[12] Verwarnungen. Werden noch die Entgleisungen als kommunistischer Abgeordneter während seiner Mitgliedschaft im Sächsischen Landtag 1930/31 dazu gezählt, kommt Wehner sogar auf 75 parlamentarische Ordnungswidrigkeiten.[12]

Am 22. März 1950 wurde er von Bundestagspräsident Erich Köhler wegen unparlamentarischen Verhaltens für zehn Sitzungstage ausgeschlossen. Eine Gruppe von SPD-Abgeordneten unter der Führung von Wehner und Rudolf-Ernst Heiland hatte den wegen antisemitischer Äußerungen aufgefallenen und wegen ständiger Störungen aus dem Plenum ausgeschlossenen Abgeordneten Wolfgang Hedler aus dem Ruheraum für Abgeordnete verjagt. Dabei war Hedler eine Treppe heruntergefallen und hatte sich leicht verletzt. Hedler hätte sich als ausgeschlossener Abgeordneter nicht im Ruheraum aufhalten dürfen.[13]

Den CDU-Abgeordneten Jürgen Wohlrabe titulierte Wehner als „Herr Übelkrähe“, Jürgen Todenhöfer als „Hodentöter“. Dem SPD-Abgeordneten Franz Josef Zebisch, der sich über die in den 1960er Jahren noch übliche alphabetische Sitzverteilung beklagte, empfahl Wehner, sich in „Genosse Arschloch“ umzubenennen.

Wehners Reden waren durchzogen von langen, verschachtelten Sätzen, die immer wieder durch eruptive Ausbrüche unterbrochen wurden. Als die CDU/CSU-Fraktion am 13. März 1975 während seiner Rede in einer Debatte zur inneren Sicherheit unter Protest den Plenarsaal verließ, wurde sein daraufhin getätigter Zuruf an die Fraktion zu einer vielzitierten Redensart: „Wer rausgeht, muß auch wieder reinkommen! Ich sage Ihnen Prost.“ Zuvor hatte Wehner der CDU/CSU-Fraktion vorgeworfen: „Wenn Sie das Wort Marxist hören, geht's Ihnen so, wie Goebbels damit operiert hat, nicht anders. Sie sind nämlich genauso dumm in dieser Frage, wie jener war; nur war er ganz jesuitisch raffiniert.“[14][15]

Karl Carstens (CDU) nannte Wehner vor diesem Hintergrund verärgert den „größten Schimpfbold im ganzen Bundestag“,[11] und der ehemalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler bezeichnete ihn – eher anerkennend – als die „größte parlamentarische Haubitze aller Zeiten“.[16]

Auch Journalisten wurden gelegentlich Opfer seiner Rhetorik: Den Reporter der ARD Ernst Dieter Lueg redete Wehner während eines Interviews am Abend der Bundestagswahl 1976 als „Herr Lüg“ an. Der Reporter revanchierte sich zum Abschied mit den Worten: „Vielen Dank (…) Herr Wöhner (…).“[17]

Während einer Bundestagsdebatte im März 1980 belegte er den damaligen Fraktionsvorsitzenden der CDU, Helmut Kohl, mit dem von ihm selbst geschaffenen SchimpfwortDüffeldoffel“.[18]

Ehrungen

1985 wurde Wehner mit dem Hans-Böckler-Preis ausgezeichnet.[19] 1986 wurde Wehner zum Ehrenbürger der Freien und Hansestadt Hamburg ernannt, wo er von 1949 bis 1983 direkt gewählter Bundestagsabgeordneter im Bundestagswahlkreis Hamburg-Harburg war. Im Jahr 2000 wurde im Stadtteil Hamburg-Harburg ein Teil einer Straße in Herbert-Wehner-Platz umbenannt. An diesem Platz erinnert zudem eine Wand-Plakette an Wehner. 2006 wurde in Bad Godesberg ebenfalls ein Platz nach ihm benannt, ebenso wie bereits 2001 in seiner Heimatstadt Dresden.[20] Dort erinnern ein Denkmal und eine Plakette in der Spenerstraße an den Politiker. Seit 2010 ist das Grab Wehners auf dem Burgfriedhof in Bad Godesberg ein Ehrengrab der Stadt Bonn.[21] Nach ihm ist das Herbert-Wehner-Bildungswerk in Dresden benannt.

Herbert-Wehner-Medaille

Seit 1997 verleiht die Gewerkschaft ver.di Hamburg - vorher die Deutsche Postgewerkschaft, Region Hamburg - alle zwei Jahre die mit 2000 Euro dotierte Herbert-Wehner-Medaille. Mit dem Preis würdigt die Gewerkschaft Institutionen und/oder Personen, die engagiert gegen rechtsradikale Aktivitäten, Fremdenfeindlichkeit und Gleichgültigkeit kämpfen, durch ihr Engagement und ihren persönlichen Mut zum Vorbild werden und sich so um die Demokratie in Deutschland verdient machen.[22]

Werke

  • Rosen und Disteln – Zeugnisse vom Ringen um Hamburgs Verfassung und Deutschlands Erneuerung in den Jahren 1848/49, Verlag Christen & Co., Hamburg, 1948.
  • Unsere Nation in der demokratischen Bewährung; in: Jugend, Demokratie, Nation, Bonn, 1967, S. 19 bis 32.
  • Bundestagsreden, mit einem Vorwort von Willy Brandt, 3.A., Bonn 1970
  • Bundestagsreden und Zeitdokumente, Vorwort Bundeskanzler Helmut Schmidt, Bonn 1978
  • Wandel und Bewährung. Ausgewählte Reden und Schriften 1930/1980 (hrsg. von Gerhard Jahn, Einleitung von Günter Gaus), Frankfurt/M. 1981, ISBN 3-550-07251-1.
  • Zeugnis (hrsg. von Gerhard Jahn), Köln: Kiepenheuer & Witsch 1982, ISBN 3-462-01498-6.
  • Selbstbestimmung und Selbstkritik. Erfahrungen und Gedanken eines Deutschen. Aufgeschrieben im Winter 1942/43 in der Haft in Schweden (hrsg. von August H. Leugers-Scherzberg, Geleitwort Greta Wehner), Köln: Kiepenheuer & Witsch 1994. ISBN 3-462-02340-3.
  • Christentum und Demokratischer Sozialismus. Beiträge zu einer unbequemen Partnerschaft. Hrsg. Rüdiger Reitz, Dreisam Verlag Freiburg i.Br. 1985 ISBN 3-89125-220-X

Literatur

  • Cicero. Magazin für politische Kultur: Schwerpunktheft „Herbert Wehner“ (Beiträge von: Klaus Harpprecht, Nina Hermann, Vanessa Liertz), Potsdam, September 2004. ISSN 1613-4826 / ZKZ 63920.
  • Helge Döhring: Der Anarchist Herbert Wehner. Von Erich Mühsam zu Ernst Thälmann. In: FAU-Bremen (Hg.): Klassenkampf im Weltmaßstab aus der Reihe: Syndikalismus – Geschichte und Perspektiven. Bremen 2006.
  • Ralf Floehr, Klaus Schmidt: Unglaublich, Herr Präsident! Ordnungsrufe / Herbert Wehner. la Fleur, Krefeld 1982, ISBN 3-9800556-3-9.
  • Hans Frederik: Herbert Wehner. Das Ende seiner Legende. VPA, Landshut 1982. ISBN 3-921240-06-9.
  • Reinhard Müller: Herbert Wehner. Moskau 1937. Hamburger Edition, Hamburg 2004, ISBN 3-930908-82-4.
  • Reinhard Müller: Die Akte Wehner. Moskau 1937 bis 1941. Rowohlt, Berlin 1993, ISBN 3-87134-056-1.
  • Reinhard Müller: Herbert Wehner. Eine typische Karriere der stalinisierten Komintern? Auch eine Antikritik. In: Mittelweg 36, Jg. 14, 2005, H. 2, S. 77-97.
  • Reinhard Müller: Denunziation und Terror: Herbert Wehner im Moskauer Exil, in: Jürgen Zarusky (Hrsg.), Stalin – eine Zwischenbilanz aus deutscher Sicht. Neue Beiträge der Forschung, München 2006, (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte), S. 43-57.
  • Knut Terjung (Hg.): Der Onkel. Herbert Wehner in Gesprächen und Interviews. Hoffmann & Campe, Hamburg 1986, ISBN 3-455-08259-9.
Zur Biografie
  • Claus Baumgart, Manfred Neuhaus (Hrsg.): Günter Reimann – Herbert Wehner. Zwischen zwei Epochen. Briefe 1946. Kiepenheuer, Leipzig 1998, ISBN 3-378-01029-0
  • Friedemann Bedürftig (Hrsg.): Die Leiden des jungen Wehner: Dokumentiert in einer Brieffreundschaft in bewegter Zeit 1924–1926. Parthas, Berlin 2005, ISBN 3-86601-059-1
  • August H. Leugers-Scherzberg: Die Wandlung des Herbert Wehner. Von der Volksfront zur großen Koalition. Propyläen, Berlin 2002, ISBN 3-549-07155-8
  • Christoph Meyer: Herbert Wehner. Biographie. dtv, München 2006, ISBN 3-423-24551-4
  • Günther Scholz: Herbert Wehner. Econ, Düsseldorf 1986, ISBN 3-430-18035-X
  • Michael F. Scholz: Herbert Wehner in Schweden 1941–1946. Oldenbourg, München 1995, ISBN 3-486-64570-6
  • Hartmut Soell: Der junge Wehner. Zwischen revolutionärem Mythos und praktischer Vernunft. DVA, Stuttgart 1991, ISBN 3-421-06595-0.
  • Wolfgang Dau, Helmut Bärwald, Robert Becker (Hrsg.): Herbert Wehner. Zeit seines Lebens. Becker, Eschau 1986

Filme über Herbert Wehner

Hörbuch über Herbert Wehner

Weblinks

 Commons: Herbert Wehner – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Who's who-Artikel über Herbert Wehner
  2. Website mit Informationen zum Tod von Wehners Schwiegervater Carl Burmester
  3. Vgl. Meyer 2006, S.476
  4. Trauerstaatsakt für Wehner Bundesministerium des Inneren
  5. Wählerische Detailtreue, Reinhard Müller über Christoph Meyers Wehner-Biografie, SPIEGEL Special 7/2006
  6. Dokument 18 Herbert Wehner: Aufzeichnungen für das NKWD. 13. Dezember 1937 auf Seite 469 und 482 in Herbert Wehner Moskau 1937 Reinhard Müller Hamburg, 2004.
  7. Zu Brückmann siehe Reinhard Müller: Die Akte Wehner. Moskau 1937 bis 1941, Berlin 1993, S. 399.
  8. Erich Mende: Die FDP. Daten, Fakten, Hintergründe, Stuttgart 1972, S. 229.
  9. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. September 1969, S. 1.
  10. Originalaufzeichnung des Interviews nach der Wahl 1969 (Zitat bei Minute 1:10 – 1:16) (nicht mehr online verfügbar)
  11. 11,0 11,1 N.N.: Mit Florett und Holzhammer, im Textarchiv des Deutschen Bundestags; abgerufen am 9. Januar 2010
  12. 12,0 12,1 Günter Pursch: Auch Abgeordnete sind nur Menschen… Politische Debattenkultur in 50 Jahren Deutscher Bundestag. In: Blickpunkt Bundestag Nr. 07/1999 (Fassung im Webarchiv des Deutschen Bundestags 2006)
  13. Norbert Frei: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit 2. Auflage, München 1997, S. 318.
  14. Der Goebbels-Vergleich von Herbert Wehner, 13. März 1975
  15. Verhandlungen des deutschen Bundestages, 7. Wahlperiode, Stenographische Berichte, Bd. 92, 155. Sitzung, S. 10839.
  16. Heiner Geißler: Laudatio auf Ottmar Schreiner anlässlich der Verleihung der Goldenen Ente 2003
  17. Interview mit Ernst Dieter Lueg am 3. Oktober 1976.
  18. Peter Köhler: Die besten Zitate der Politiker: Mehr als 1.000 prägnante Sprüche. Geistreich und kurios. Schlütersche, 2008, S. 193
  19. http://www.boeckler.de/76_12795.html
  20. http://archiv.wehnerwerk.de/nachrichten/nachrichten.2001.html#platz
  21. http://www.wehnerwerk.de/Dokumente/Nachrichten.html#N20100908
  22. Das Vorbild Herbert Wehner. ver.di würdigt antifaschistisches Engagement
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