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Heranwachsender

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Dieser Artikel erläutert den deutschen (vor 1990 westdeutschen) Rechtsbegriff, zur allgemeinen Bedeutung siehe Jugend und Adoleszenz.

Heranwachsender ist in Deutschland nach § 1 Abs. 2 Jugendgerichtsgesetz (JGG) jede Person, die das 18. Lebensjahr, aber noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet hat. Bei Heranwachsenden handelt es sich juristisch um einen Teil der Gruppe der „jungen Menschen“ gemäß § 7 Abs. 3 SGB VIII.

Gesetzliche Stellung

Die Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende ist nach § 105 JGG begründet, wenn Reiferückstände in der Person des Heranwachsenden vorhanden sind oder die abzuurteilende Tat jugendtypische Züge aufweist. Grundsätzlich gelten dann die Vorschriften des Jugendgerichtsgesetzes als lex specialis zum Strafgesetzbuch. Höchststrafe ist dann eine zehnjährige Jugendstrafe.

Die Entscheidung, ob ein Heranwachsender nach allgemeinem oder nach Jugendstrafrecht zu verurteilen ist, entscheidet der Jugendrichter, das Jugendschöffengericht oder die Jugendkammer als gesetzlicher Richter, die im Jugendstrafverfahren beteiligte Jugendgerichtshilfe nimmt zu dieser Frage zuvor Stellung.

Diskussion

§ 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII benennt: junger Volljähriger, wer 18, aber noch nicht 27 ist“ und erfasst damit die in § 41 SGB VIII de facto geregelten Heranwachsenden, denn die dort beschriebenen Hilfen „werden in der Regel nur bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gewährt“. Strittig ist die Umsetzung.

Situation in der Bundesrepublik von 1975–1990

Das bundesdeutsche Jugendwohlfahrtsgesetz kannte bis 1975 keine besondere Altersgruppe der 18-21-Jährigen. Nach 100-jähriger Festlegung einigten sich 1975 alle damals im Bundestag vertretenen Parteien auf 18 Jahre als neues Volljährigkeitsalter. Dadurch fielen die gem. JGG Heranwachsenden als Empfänger von Leistungen der Jugendwohlfahrt aus der Förderungswürdigkeit. Das Recht auf Erziehung und erzieherische Hilfen entfielen. In diesen Jahren, von 1975 bis 1990, beschränkten sich Gesetzgeber auf Länderebene darauf, Regelungen für junge Erwachsenen zu suchen, die in Heimen oder Pflegestellen leben und/oder deren Entwicklung gefährdet wäre, wenn sie nun in Gänze selbständig und volljährig wären, also im Bedarfsfall BSHG-§72-Leistungen beantragen müssten. Für 18-, 19- und 20-Jährige bestand dem Grunde nach kein Zugang mehr zu neuen und erstmals vergebenen Jugendhilfeleistungen. Die Möglichkeit, eine offene Übergangsregelung für Heranwachsende zu gestalten (wenn der „Entwicklungsstand eines Jugendlichen“ oder eine typische „Jugendverfehlung“ vorliegt in Anlehnung an den § 105 JGG) wurde vom Gesetzgeber nicht genutzt.

In den Kinder- und Jugendheimen wurde in vielen Fällen durch einzelfallbezogene Argumentation gegenüber dem Kostenträger eine unzumutbare Verschlechterung der Situation verhindert. Aber der nichtkontinuierliche Verlauf der Maßnahme gem. JWG (wenn Heranwachsende sich nicht an alle vom Leistungsträger vorgegebenen Bedingungen hielt) führte zum Abbruch der Hilfe und damit nicht selten ins Sucht-, Delinquenz-, Prostitutions- oder Obdachlosenmilieu.

Paradigmenwechsel in der Jugendhilfe

Das Bundesministerium für Familie und Jugend unter Rita Süssmuth war Ende der 1980er Jahre verantwortlich für den später ähnlich verabschiedeten Kinder- und Jugendhilfegesetz-Referentenentwurf. Im Vorspann hieß es: „Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung.“ Der Altersgruppe der 0- bis 27-Jährigen sollten positive Lebensbedingungen geboten werden. Ein Paradigmenwechsel stand inhaltlich und begrifflich an: Weg von den Maßnahmen wie Fürsorgeerziehung und Eingriffen gegen Familien, hin zu Hilfen als Angebote und Leistungen, auf die bedürftige Betroffene ab 18 und bei Minderjährigen die Sorgeberechtigten einen Rechtsanspruch bekamen und im Bedarfsfall beantragten.

Die Diskussion um den § 29 (später § 41) des Jugendhilfegesetzentwurfs

Um spezielle Ansprüche für den seit 1975 ins BSHG überführten 18- bis 21-Jährigen mit Jugendhilfe-Bedarf zu sichern, hatten Persönlichkeiten der Jugendhilfes sich für einen - damals noch § 29 - engagiert (so der Referatsleiter im BMJ Reinhard Wiesner, Johannes Münder, Peter Schruth oder Manfred Günther, dessen Entwurf lautete):

  • (1) Ein Heranwachsender hat Anspruch auf Einleitung einer Hilfe, wenn er dies wünscht und die Hilfe erforderlich ist, um seine Entwicklung, insbesondere seine schulische oder Ausbildungssituation nicht zu gefährden bzw. um schulische und Ausbildungsmöglichkeiten neu zu eröffnen, insbesondere dann, wenn ein weiteres Zusammenleben in der Familie unmöglich erscheint.
  • (2) Auch bereits selbständig lebende, arbeitslose Heranwachsende haben Anspruch auf Einleitung von Hilfen, wenn sie es wünschen und wenn dadurch eine Gefährdung oder Störung ihrer Entwicklung abgewendet werden kann.
  • (3) Junge Volljährige, die bereits 21 sind, haben Anspruch auf Weiterführung einer eingeleiteten Hilfe, wenn sie dies begründet beantragen und dem Jugendamt nach eingehender Prüfung deutlich geworden ist, dass der junge Volljährige kontinuierlich und aktiv zum Erfolg der Hilfeleistung beiträgt.
  • (4) Für junge Volljährige, die bereits 21 sind, können in Ausnahmefällen Hilfen neu eingeleitet werden, wenn sie es begründet beantragen und wenn eine ausführliche psychosoziale Stellungnahme aufzeigt, dass eine Maßnahme zur beruflichen Orientierung aufgrund der außergewöhnlichen Lebensumstände des Antragstellers zu diesem Zeitpunkt dringend und mit guter Prognose angezeigt ist.
  • (5) Das Jugendamt soll einen jungen Volljährigen auch nach Beendigung der Hilfe bei der Verselbständigung im notwendigen Umfang beraten und unterstützen.

Heute, trotz mehrerer Änderungen und nach zwei Novellen, ist die aktuelle Fassung des KJHG Art. 1, § 41 SGB VIII von der Rechtsqualität her ähnlich:

§ 41 SGB VIII – Hilfe für junge Volljährige, Nachbetreuung

  • (1) Einem jungen Volljährigen soll Hilfe für die Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung gewährt werden, wenn und solange die Hilfe aufgrund der individuellen Situation des jungen Menschen notwendig ist. Die Hilfe wird in der Regel nur bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gewährt; in begründeten Einzelfällen soll sie für einen begrenzten Zeitraum darüber fortgesetzt werden.
  • (2) (… Formales …)
  • (3) Der junge Volljährige soll auch nach Beendigung der Hilfe bei der Verselbständigung im notwendigen Umfang beraten und unterstützt werden.“


Die damalige Bundesministerin für Frauen und Jugend, Angela Merkel, ließ darüber hinaus proaktiv eine kommentierende Broschüre zum Gesetz veröffentlichen, Zitat:

„Die Hilfen, die das Jugendamt oder die Freien Träger anbieten, enden also nicht mit der Volljährigkeit. Nach dem Jugendwohlfahrtsgesetz konnte das Jugendamt Hilfe nur dann gewähren, wenn und solange eine schulische oder berufliche Bildungsmaßnahme fortgeführt wurde. Das bedeutete: Eine pädagogische Unterstützung für junge Volljährige, die erst nach dem 18. Lebensjahr eine Berufsausbildung beginnen können, in eine andere Bildungsmaßnahme wechseln oder ihren Ausbildungsplatz verlieren, war nicht möglich. Diese Einschränkungen fallen nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz weg. Die Jugendhilfe lässt damit künftig die Jugendlichen nicht mehr im Stich, die noch nicht in der Lage sind, ein eigenständiges Leben zu führen, weil sie ohne ein stützendes Elternhaus in Heimen groß geworden sind. Sie haben Schwierigkeiten, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Wenn ihnen keine Starthilfe gegeben wird, ist die Abhängigkeit von der Sozialhilfe oder eine kriminelle Karriere vorgezeichnet. Bekommen nur die ‘Problemfälle’ Hilfe? Nein. Nach dem Motto ‚Ausbildung und Beschäftigung statt Sozialhilfe‘ können nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz auch junge Volljährige gefördert werden, die sich mit dem Einstieg in die Berufs- und Arbeitswelt schwer tun, weil sie zum Beispiel nach dem Schulabgang nur 'gejobbt' haben und mit 19 merken, wie wichtig eine Lehre für sie wäre. Oder junge Erwachsene, die sich erst spät vom Elternhaus gelöst haben und auf sich allein gestellt erst einmal in ein ‚tiefes Loch‘ fallen. Auch bei Konflikt- und Krisensituationen in bestehenden Familienstrukturen und Lebensgemeinschaften sind nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz für junge Erwachsene ambulante und teilstationäre Hilfen möglich. [1]

Ein West-Berliner Rundschreiben des damaligen Senators für Jugend präzisierte: „Die Soll-Verpflichtung bedeutet für den öffentlichen Jugendhilfeträger einen Verpflichtungsgrad; eine Leistungsablehnung ist innerhalb eines eng begrenzten Ermessens zulässig, wenn ein atypischer Sachverhalt dies ausnahmsweise erlaubt. Ist solch ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht gegeben, so kann sich das ohnehin eingeschränkte Ermessen ‘auf Null’ reduzieren, so dass ein Anspruch des jungen Volljährigen entsteht, der vor dem Verwaltungsgericht eingeklagt werden kann.“

Ausgeprägter Rechtsanspruch

Beim § 41 SGB VIII handelt es sich um einen Rechtsanspruch auf „Soll“-Leistungen. Wohlwollende Jugendamtsleitungen setzen das auch um: „Eine Weiterführung der KJHG-Hilfe über das 21. Lebensjahr hinaus kommt insbesondere in den Fällen in Betracht, in denen wegen eines späten Hauptschulabschlusses die Ausbildung erst nach Vollendung des 21. Lebensjahres abgeschlossen wird“ – so lautete die unterstützende Position. Fachpolitische Gegner des Leistungsanspruchs argumentierten radikal: „Es ist nicht Aufgabe des Staates, einen erwachsenen Bürger zu bessern – es sei denn, Drogenmissbrauch, Prostitution oder Abrutschen in die kriminelle Szene manifestieren sich.“ Dies wird im Allgemeinen insbesondere deshalb als unhaltbar erachtet, da im § 41 SGB VIII nicht nur traditionelle Hilfen im engeren Sinn angelegt sind, sondern auch völlig neuartige Beratungs- und Unterstützungsangebote im Zuge der Nachbetreuung. Es ist Aufgabe der Länder, Klarheit und konzeptionelle Empfehlungen zu schaffen. Ohne einen bedarfsgerechten Ausbau von Jugendberatung, flexibler Betreuung, hinausreichender und aufsuchender Jugendsozialarbeit (Streetwork) würde an anderer Stelle quantitativ mehr Bedarf entstehen: Im Feld Jugendkriminalität.

Tatsächlich unterbleibt seit vielen Jahren eine angemessene Aufklärung über das bereits für 15-Jährige geltende Sozialantragsrecht und nicht selten werden falsche Rechtsauskünfte an heranwachsende Antragsteller gegeben.[2] Jugendliche, die im Betreuten Jugendwohnen volljährig werden, erhalten immer seltener eine Unterbringungs-Verlängerung. Offenbar fehlen länderübergreifende Richtlinien oder Empfehlungen bzw. Standards für die auf Kostendämpfung fixierten Jugendämter der Kommunen.

Der Deutsche Städtetag hatte 2002 eine Warnung verabschiedet: „Die Kostenexplosion im Bereich der Heimerziehung, insbesondere im Bereich der Hilfen für junge Volljährige, ist im übrigen zu einem großen Teil auf die Handhabung des § 41 KJHG […] zurückzuführen. Die Praxis der Jugendhilfe verzeichnet in den letzten Jahren einen Anstieg der Hilfen zur Erziehung in Einrichtungen der Jugendhilfe oder in einer sonstigen betreuten Wohnform, mit der gleichzeitig ein überproportionaler Kostenanstieg dieser Hilfeform einhergeht.“

Literatur

  • Manfred Günther: Hilfen für junge Volljährige nach SGB VIII § 41. In: Jugendhilfe, Heft 8, 1993;
    Fast alles was Jugendlichen Recht ist. Berlin 2003, ISBN 3-924041-23-7
  • Sigrun von Hasseln-Grindel: Jugendrechtsberater. München 2002.
  • Holm Putzke: Beschleunigtes Verfahren bei Heranwachsenden. Dissertation, Bochum 2003; Holzkirchen/Obb. 2004.
  • I. R. Pruin: Die Heranwachsendenregelung (§ 105 JGG) im deutschen Jugendstrafrecht – Jugendkriminologische, entwicklungspsychologische, jugendsoziologische und rechtsvergleichende Aspekte. Greifswald 2007.
  • Reinhard Wiesner: SGB VIII - Kinder- und Jugendhilfe; Kommentar. Beck, München 2011

Einzelnachweise

  1. vgl. Merkel in: BMFJ (Hrsg.): KJHG, Bonn, 1994
  2. die Aufarbeitung solcher Konflikte haben sich zahlreiche bundesdeutsche Ombudsstellen zur Aufgabe gemacht, so der BRJ
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