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Hélène Gillet

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Hélène Gillet (geboren um 1604; gestorben nach 1625) wurde bekannt, weil sie ihre Hinrichtung am 12. Mai 1625 überlebte.

Leben

Eine vollständige Biographie Gillets ist nicht überliefert.

Ihr Vater Pierre Gillet war als königlicher Kastellan von Bourg-en-Bresse eine hochstehende Persönlichkeit und hatte neben ihr weitere Kinder. Für seine Söhne stellte er einen Repetitor/Hauslehrer ein, der Hélène Gillet nachstellte. Die entweder 21- oder 22-Jährige wurde nach Hinweisen auf eine verheimlichte Schwangerschaft untersucht und des Kindesmordes verdächtigt, jedoch zunächst mangels Beweisen freigelassen. Als bald darauf ein Soldat eine Säuglingsleiche in einem Gebüsch auf dem Grundstück entdeckte, wurde Gillet erneut festgenommen und in Dijon vor Gericht gestellt, wo am 6. Februar 1625 das Todesurteil wegen Mordes verhängt wurde. Aufgrund ihres Ranges hatte sie das Privileg, durch das Schwert enthauptet zu werden.

Das Urteil entsprach geltendem Recht. Viermal jährlich wurde das entsprechende Edikt aus der Zeit von Heinrich II. öffentlich verlesen: Die Verheimlichung einer Schwangerschaft war ebenso wie eine Totgeburt ohne Zeugen als Kindstötung zu verurteilen. Gillet war sich dieser vernichtenden Rechtslage bewusst und machte entsprechend widersprüchliche Angaben vor Gericht. Sie habe kaum oder keine Erinnerung mehr an ihre mutmaßliche Vergewaltigung durch den zudringlichen Tutor ihrer Brüder, ebenso wenig wie an die Fehlgeburt.

Die Vollstreckung des Todesurteils am 12. Mai 1625 an der Hinrichtungsstätte Morimont vor den Toren Dijons misslang. Der Scharfrichter Simon Grandjean verfehlte zweimal den Hals von Gillet und flüchtete sich darauf in die Kapelle von Morimont. Seine anwesende Ehefrau versuchte auf eigene Faust das Todesurteil zu vollstrecken, indem sie versuchte, Gillet zu erdrosseln und dann mit einer scharfen Schere zu erstechen. Die aufgebrachte Menschenmenge, die der als ungerecht wahrgenommenen Hinrichtung beiwohnte, geriet angesichts dieser Vorkommnisse außer Kontrolle und lynchte sowohl Simon Grandjean als auch Madame Grandjean. Die schwer verletzte Hélène Gillet wurde zu einem Arzt gebracht und erholte sich wieder.

Da Dijon ohne einen Scharfrichter das festgesetzte Todesurteil nicht vollstrecken konnte und auch das lokale Parlament in einer Sitzungspause war, gab dies Gillets Unterstützern, darunter dem Juristen Charles Fevret (1583–1661), die Gelegenheit, eine Petition an Ludwig XIII. zu senden.[1] Dieser annullierte am 5. Juni 1625 anlässlich der Hochzeit seiner Schwester Henrietta Maria mit Karl I. den Prozess gegen Gillet und hob das Todesurteil auf.[2]

Gillet soll ihr weiteres Leben in einem Bernardinerinnen-Konvent verbracht haben und später gemäß einem Chronisten „sanft und erbaulich“ gestorben sein.[3] Der Schriftsteller Charles Nodier nahm an, sie habe ein Alter von über 90 Jahren erreicht.[1] Nach einem 1782 verfassten Epitaph soll sie hingegen bereits um 1628 infolge eines ärztlichen Behandlungsfehlers gestorben sein; auch die Erklärung zum Epitaph gibt dieselbe Ursache an (« par la faute d'un Médecin »).[4][5]

„Ci-gît, qui, mal décapitée,
Fut ensuite mal étranglée,
Mais que le Médecin Lourdas
Trois ans après, ne manqua pas.“

– Epitaph von Pierre-Antoine de La Place (1782)[4]

„Hier ruht eine, die schlecht enthauptet,
dann schlecht erwürgt wurde.
Aber der Arzt Lourdas
verpasste die Gelegenheit drei Jahre später nicht.“

Literarische Rezeption

Verschiedene Autoren verarbeiteten und interpretierten die Geschichte: 1782 publizierte Pierre-Antoine de La Place (1707–1793) eine Sammlung von Grabsprüchen, verfasste den Eintrag zu Gillet aber wohl selbst.[4] In den 1820ern und 1830ern wurde die Geschichte verschiedentlich dargestellt und auch weiter ausgeschmückt, darunter auch von Charles Nodier.[1] In Deutschland berichteten verschiedene Publikationen über den lange zurückliegenden Sensationsfall, Julius Eduard Hitzig nahm den Fall in den 1843 in seine Pitaval-Sammlung von Kriminalfällen auf.[2] 1857 erschien ein schmaler Gedichtband über Gillet,[6] und zahlreiche weitere Publikationen erwähnten Gillets Fall seither, wobei meist die Berichte aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Quelle herhalten. Details der Hinrichtung werden darum mit leichten Unterschieden berichtet, etwa wenn zu den Gründen der Fehlschläge Grandjeans spekuliert wird: Nervosität, Unerfahrenheit mit dem Schwert, der hinderliche Zopf Gillets oder auch ein schlechtes Gewissen angesichts einer unschuldigen Seele sind nur einige der aufgeführten Gründe.

Matthew Gibson stellte 2013 die These auf, Gillet sei eine Phantasiefigur Nodiers gewesen – eine fantastique vraie in Form einer literarisch-historischen Fiktion. Dies machte er an bestimmten Stilmitteln in Nodiers Bericht fest.[7]

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 Charles Nodier: Œuvres de Charles Nodier Band III, Eugène Renduel, Paris 1832. S. 335–373. Digitalisat
  2. 2,0 2,1 Julius Eduard Hitzig: Der neue Pitaval. Eine Sammlung Der Interessantesten Criminalgeschichten Aller Länder Aus Älterer Und Neuerer Zeit. Brockhaus Verlag, Leipzig 1843. Digitalisat (Die Kindsmörderin und die Scharfrichterin, S. 276–288)
  3. Jean-François Chiappe (Hrsg.) und Marina Grey (Autorin): Die berühmten Frauen der Welt, S. 109. Aus dem Französischen (Le monde au féminin – Encyclopédie des femmes célèbres) unter Ludwig Knoll, ca. 1977.
  4. 4,0 4,1 4,2 Pierre-Antoine de La Place: Récueil d'Épitaphes sérieuses, badines, satiriques & burlesques; de la plupart de ceux qui, dans tous les tems, ont acquis quelque célébrité par leurs vertus, ou qui se sont rendus fameux soit par leurs vices, soit par leurs ridicules. 1, Brüssel 1782, S. 295f (Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche, abgerufen am 26. November 2020).
  5. Kleinigkeiten. In:  Die Zeitung mit dem Kürzel „elw“ wird von dieser Vorlage (noch) nicht unterstützt. Bitte diesen Fehler hier melden! , 23. Januar 1823, S. 3 (Online bei ANNO)Vorlage:ANNO/Wartung/elw
  6. Poésie sur le jugement, supplice et rémission D’Hélène Gillet de Bresse. Duquesne, Paris 1857. (Gedicht über Gillet in 25 Strophen)
  7. Matthew Gibson: The Fantastic and European Gothic: History, Literature and the French Revolution. University of Wales Press, Cardiff 2013, ISBN 978-0-7083-2573-5, S. 35 ff.

Weblinks

Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Hélène Gillet aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.