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Gretchen Wohlwill

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Gretchen Wohlwill (geb. 27. November 1878 in Hamburg; gest. 17. Mai 1962 ebenda) war eine Malerin und Mitglied der Hamburgischen Sezession. Sie gehörte zu den deutschen Schülerinnen der Académie Matisse in Paris und entwickelte einen von der französischen Avantgardekunst geprägten Malstil. Neben der Malerei war die Grafik ein Schwerpunkt ihrer Arbeit. 1940 emigrierte sie nach Portugal. Nach zwölf Jahren Exil kehrte sie 1952 nach Hamburg zurück.

Leben und Wirken

Kindheit und Ausbildung

Gretchen Wohlwill wuchs in einem liberalen, angesehenen jüdischen Elternhaus mit vier Geschwistern auf. Sie gehörte keiner Konfession an. Ihr Vater war der Chemiker und Historiker Emil Wohlwill (1835-1912), ihre Mutter hieß Luise Nathan (1847-1919).

Nach Abschluss der „Selekta“, einer weiterführenden Schule für Mädchen, besuchte sie ab 1894 die Kunstschule Valeska Röver in Hamburg. Ihre Lehrer waren Ernst Eitner und Arthur Illies. Hier lernte sie den von Alfred Lichtwark geförderten Impressionismus norddeutscher Prägung kennen. 1897 unterbrach sie ihre Malstudien für ein halbes Jahr, um auf eigenen Wunsch „Hausstand zu lernen“. (In ihren Erinnerungen vermerkte sie, dass sie es nie bedauert habe, kochen zu lernen.)

In der Jahren 1904 und 1905 hielt sie sich in Paris auf, um ihr Studium an der von Martha Stettler (1870-1945) und Alice Dannenberg (1861-1948) in der Rue de la Grande-Chaumière 14 mitbegründeten und geleiteten Académie de la Grande Chaumière, weiterzuführen. Ihre Lehrer waren Lucien Simon und Jacques-Émile Blanche. Bei ihnen lernte sie vorwiegend konventionelles Porträt und Landschaft in den akademisch abgesegneten Brauntönen. Gemeinsam ging man in den Louvre. Kritisch merkte sie fast ein halbes Jahrhundert später in ihren Erinnerungen an, dass sie „das eigentlich wesentliche der derzeitigen Kunstereignisse in Paris“ versäumt habe. Moderne Kunstströmungen waren in der Académie de la Grande Chaumière nicht vorgesehen. Und weiter: „Cézanne, van Gogh gingen uns erst viel später auf. Monet, Sisley, Pissarro etc. entzückten uns wohl, aber wir hatten ein schlechtes Gewissen dabei, denn unsere verehrten Lehrer verspotteten sie.“

Matisse und seine Schülerinnen und Schüler im Atelier, 1909

1909/10 reiste sie noch einmal in die französische Kunstmetropole, um bei Henri Matisse an der sogenannten Académie Matisse zu studieren. Die „Académie“ bestand aus einer Gruppe vorwiegend ausländischer Schüler und Schülerinnen, denen Matisse in einem alten Klostergebäude Korrekturen gab. Zur gleichen Zeit fanden sich dort auch die Hamburger Maler Friedrich Ahlers-Hestermann und Franz Nölken ein. Wohlwill bewunderte damals ohne Hemmnisse durch Autoritäten die französische Avantgarde, insbesondere Matisse und Cézanne, deren Rezeption ihr späteres Werk beeinflussen sollten.

Kunsterzieherin und freie Künstlerin

Zurück in Deutschland bereitete sie sich im Selbststudium auf das Zeichenlehrerinnen-Examen in Berlin vor. Ihr Ziel war es, finanziell auf eigenen Füßen zu stehen. Dies gelang ihr durch die Anstellung als Kunsterzieherin am Emilie-Wüstenfeld-Gymnasium in Hamburg (Eimsbüttel) ab 1910. Da sich das Unterrichtspensum auf drei Tage in der Woche erstreckte, blieb ihr Zeit für eigene freie künstlerische Arbeit.

Seit 1912 beteiligte sich Wohlwill an Hamburger Ausstellungen. 1919 gründete sie gemeinsam mit Kollegen und Kolleginnen wie Anita Rée die Hamburgische Sezession und stellte bis zu deren Auflösung 1933 mit der Gruppe aus. 1920 trat sie der Hamburgischen Künstlerschaft bei und 1921 dem Deutschen Künstlerbund. Sie unternahm Studienreisen nach London (1920), mit Alma del Banco 1922 nach Italien und im folgenden Jahr nach Frankreich mit Ida Schilling. 1926 verbrachte sie einige Zeit im Künstlerort Ascona.

Freundschaft mit Bargheer

Die Freundschaft mit dem Maler Eduard Bargheer (1901-1979) ab 1927 war für sie sowohl in persönlicher als auch in künstlerischer Hinsicht bedeutsam. Es entstand ein lebenslanger kollegialer Austausch, der jedoch durch die Jahre der Emigration unterbrochen wurde. Bis etwa Mitte der 1930er Jahre unternahm sie mit Bargheer eine Reihe von Studienreisen nach Holland, Belgien, England, Italien und Paris sowie nach Dänemark.

Durch Wohlwills Fürsprache wurde Bargheer 1928 in die Hamburgische Sezession aufgenommen. Im gleichen Jahr zog sie mit ihrer Schwester, der Musiklehrerin und Pianistin Sophie Wohlwill, zusammen in eine Wohnung (Flemingstraße 3). Ihr Atelier in der Magdalenenstraße 12 entwickelte sich in den zwanziger Jahren zum Treffpunkt der Sezessionskünstler und anderer Künstlerfreunde.

Berufliche Erfolge

In den zwanziger und frühen dreißiger Jahren waren Werke Wohlwills in zahlreichen Ausstellungen vertreten. 1932 bekam sie ihre erste Einzelausstellung im Hamburger Kunstverein. 1931 hatte sie bereits von Oberbaudirektor Fritz Schumacher den Auftrag für ein Wandgemälde in ihrer Schule erhalten. Gute Kritiken in der Presse erleichterten ihr die Akquirierung von Auftragsporträts. Sie hatte sich mittlerweile einen Namen gemacht und war eine bekannte Hamburger Künstlerin geworden.

Künstlerische Entwicklung

In ihrer freien Arbeit experimentierte Wohlwill mit Stilinnovationen der künstlerischen Avantgarde vor allem im Bereich des Stilllebens und malte zahlreiche Landschaften, die geprägt sind von der Gegenüberstellung kubischer Häuserformen und üppig wuchernder Natur. Ihre harmonische Farbkomposition orientierte sich an Henri Matisse und Paul Cézanne, wobei die Palette eher gedämpfte Töne aufwies. Während noch Anfang der zwanziger Jahre ihr Stil geprägt war von kubisch-expressiven Formen wandte sie sich später der Neuen Sachlichkeit zu. 1930 arbeitete sie im neu entwickelten Stil der Hamburgischen Sezession, einer flächig angelegten Malweise mit linearen Elementen.

Persona non grata

Bereits in der Weimarer Republik war die Künstlerin als moderne Künstlerin sowie als aus einer jüdischen Familie stammende Deutsche Anfeindungen in der Presse ausgesetzt gewesen. Als die Nazi-Partei die Macht übernommen hatte, wurde sie am 25. April 1933 gezwungen, aus der Hamburgischen Künstlerschaft auszutreten. Im Sommer des gleichen Jahres entließ man sie aus dem Schuldienst. Die Künstlerin zog sich daraufhin in das damals noch dörfliche Finkenwerder zurück und erteilte Privatunterricht. Dort in der Nähe ihres Freundes und Kollegen Bargheer ließ sie sich ein Haus bauen. Sie zog sich ganz auf ihre Malerei zurück. 1936 schloss man sie zusätzlich aus der Reichskammer der Bildenden Künste aus und verbot ihr zu malen. Ary Bergen übermalte Wohlwills Wandbilder in der Emilie-Wüstenfeld-Schule mit Nazi-Motiven. Im selben Jahr unternahmen sie und Bargheer per Motorrad eine Reise nach Dänemark, außerdem reiste sie nach Lissabon, wo ihr Bruder Friedrich Wohlwill, vor den Nazis Pathologe an der Universitätsklinik Eppendorf, und dessen Familie bereits im Exil lebten. 1938 reiste sie ebenfalls Reisen zu ihren Verwandten nach Portugal.

Emigration und Exil

Nach langem Zögern und nachdem sie ihr erstes Ausreisevisum verfallen ließ emigrierte Gretchen Wohlwill am 15. März 1940 nach Portugal. Dort lebte sie in spärlichsten Einkommensverhältnissen von Stoffmalerei, Taschennähen und deutschem Sprachunterricht. Die Nazis hatten die 62-Jährige vor ihrer Ausreise all ihrer Rücklagen beraubt. Anfang 1941 wurde auch noch ihr Transportlift (eine Art Mini-Container) im Hamburger Hafen aufgebrochen und der Inhalt, darunter 120 Bilder, in Hamburg verkauft. Durch die materiellen Entbehrungen in Portugal und auch durch das Gefühl der Isolation wurde sie im Exil häufig von Krankheiten heimgesucht.

Die Kriegsjahre in Lissabon bezeichnete sie rückblickend als die schwerste Zeit ihres Lebens. Anfangs lebte sie mit im Hause ihres Bruders, was für die immer auf ihre Unabhängigkeit bedachte Künstlerin keine einfache Situation war. Später konnte sie eine eigene einfache Wohnung beziehen, jedoch nicht künstlerisch arbeiten.

Erst nach 1945 kam sie wieder zum Malen, und es stellten sich künstlerische Erfolge und Anerkennung ein, wie etwa der Kunstpreis „Prêmio Francisco da Holanda“ (1948 und 1952). Finanziell änderte dies für die Künstlerin jedoch wenig, nur durfte sie die Häuser ihrer Schüler durch den Vordereingang betreten statt den Dienstboteneingang benutzen zu müssen.

Auch wenn „Land, das Klima und die Stadt Lisboa“ ihr nach eigenen Angaben immer fremd geblieben waren, hatten die Jahre in Portugal Einfluss auf Wohlwills Farbpalette genommen. Das südliche Licht hellte ihre Farben auf, sie wurden leuchtend und bunt. Mit lebendigen, kraftvollen Motiven schilderte sie ihre portugiesische Umwelt.

Rückkehr nach Hamburg

1952 kehrte Wohlwill mit 75 Jahren, teils aus materieller Not, teils aus Sehnsucht nach den alten Freunden, nach Hamburg zurück. Von den 64 während der NS-Zeit emigrierten Künstler kehrten außer ihr lediglich drei weitere in die Hansestadt zurück, nämlich Clara Blumfeld, Arie Goral und Arnold Fiedler. Die Aussicht auf eine Zukunft mit den wenigen Familienmitgliedern, die die Nazi-Barbarei überlebt hatten, die Nähe des alten Freundes Bargheer und eine bescheidene Lehrerinnen-Rente begünstigten für Wohlwill die Wieder-Annäherung an Hamburg. Die Kulturbehörde vermittelte ihr 1953 eine Wohnung in den neuen Grindel-Hochhäusern, und Wohlwill nahm die Freundschaft mit Willem Grimm und anderen früheren Sezessions-Kollegen wieder auf. Sie fing auch wieder an künstlerisch zu arbeiten. An eine Bekannte schrieb sie 1959: „Zur Unterbrechung des Malens zeichne ich jetzt einmal wöchentlich Akt, ein gutes Modell; ich genieße es sehr, habe es seit Jahren nicht getan.“

1959 ernannte sie der Berufsverbandes bildender Künstler in Hamburg zum Ehrenmitglied. Kurz vor Gretchen Wohlwills Tod malte ihre Kollegin Else Weber ein großformatiges, farbenfrohes und zugleich humorvolles Porträt von ihr, das die Künstlerin in ihrem Atelier zeigt, umgeben von Bildern (Das Porträt befindet sich in Privatbesitz.). Gretchen Wohlwill starb am 17. Mai 1962 in Hamburg.

Gedenkorte

Gretchen Wohlwills Grabstein auf dem Ohlsdorfer Friedhof

Eine Gedenkplatte am Emilie-Wüstenfeld-Gymnasium in Hamburg (Eimsbüttel) erinnert an Gretchen Wohlwill, ihre Entlassung aus dem Schuldienst 1933, ihre gelungene Emigration und ihre Rückkehr nach Hamburg. Ebenfalls erinnert wird an ihre jüdische Kollegin Martha Behrend, die im Ghetto von Minsk ermordet wurde. Im Sinne einer Wiedergutmachung wurden im Jahr 1993 ihre im Treppenhaus der Schule übermalten Wandbilder wieder freigelegt.

Gretchen Wohlwills Grabstein liegt im Garten der Frauen auf dem Hamburger Ohlsdorfer Friedhof.

Werke in öffentlichen Sammlungen (Auswahl)

  • Wirtshausgarten, Öl/Leinwand, 70 x 85 cm, Hamburger Kunsthalle
  • Elblandschaft, Öl/Leinwand, 58 x 72,4 cm, Altonaer Museum, Hamburg
  • Kaffeegarten an der Elbe, Öl auf Leinwand, 50,2 x 61 cm, Altonaer Museum, Hamburg
  • Antiquitätenstillleben, Öl auf Leinwand, 64,3 x 74,5 cm, Hamburger Kunsthalle
  • Herbstlicher Strauß, Öl auf Leinwand, 60,4 x 73,4 cm Hamburger Kunsthalle
  • Fabrik in Finkenwerder, Öl/Leinwand, 64 x 74 cm, Museum für Hamburgische Geschichte
  • Deicharbeiten in Finkenwerder, o.A., Altonaer Museum, Hamburg
  • Die Kartenspieler, Öl auf Leinwand, 70 x 90 cm, Slg. Hamburger Sparkasse, Dauerleihgabe im Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg
  • Ilfracombe, Öl/Leinwand, 60 x 70 cm, Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum, Schloss Gottorf

Ausstellungen (Auswahl)

  • 1932 Sonderausstellung im Kunstverein Hamburg
  • 1937 Ausstellung im Jüdischen Kulturbund Hamburg
  • 1956 Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle
  • 1962 Gedächtnisausstellung im Museum für Völkerkunde Hamburg
  • 1989 Jüdische Künstler der Hamburgischen Secession, in Bonn und Hamburg (Altonaer Museum)
  • 1995 Drei Malerinnen der Hamburgischen Sezession. Alma del Banco, Anita Rée, Gretchen Wohlwill, B.A.T.-Kunstfoyer, Hamburg
  • 2002 Die große Inspiration, Teil II, Kunstmuseum Ahlen/Westf.
  • 2006 Künstlerinnen der Avantgarde in Hamburg zwischen 1890 und 1933, Hamburger Kunsthalle
  • 2007 Geflohen aus Deutschland. Hamburger Künstler im Exil. 1933-1945. Museum für Hamburgische Geschichte, Hamburg
  • 2009 Kunstausstellung Gretchen Wohlwill 30.August bis 3.Oktober, Gemeindehaus der Blankeneser Kirche am Markt, Hamburg

Quellen

  • Gretchen Wohlwill, Lebenserinnerungen einer Hamburger Malerin. Bearbeitet von Hans-Dieter Loose. Hamburg 1984.

Literatur

  • Maike Bruhns/Brigitte Rosenkranz: Gretchen Wohlwill – Eine jüdische Malerin der Hamburger Secession. Hamburg 1989 (mit Werkverzeichnis).
  • Geflohen aus Deutschland. Hamburger Künstler im Exil. 1933–1945, Ausst.kat. Hamburg 2007.
  • Die Hamburgische Secession, 1919–1933. Ausst.kat. Galerie Herold, Hamburg, 1992.
  • Peter Kropmanns, Carina Schäfer: Private Akademien und Ateliers im Paris der Jahrhundertwende. In: Die große Inspiration. Deutsche Künstler in der Académie Matisse, Bd. 3. Kunst-Museum Ahlen/Westf. 2004, ISBN 3-89946-041-3 (Katalog der gleichnamigen Ausstellung, 27. Februar bis 1. Mai 2000).
  • Künstlerinnen der Avantgarde in Hamburg zwischen 1890 und 1933. Ausst.kat. Hamburger Kunsthalle 2006.
  • Friederike Weimar: Die Hamburgische Sezession. 1919–1933. Fischerhude 2003.

Weblinks

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