Jewiki unterstützen. Jewiki, die größte Online-Enzy­klo­pädie zum Judentum.

Helfen Sie Jewiki mit einer kleinen oder auch größeren Spende. Einmalig oder regelmäßig, damit die Zukunft von Jewiki gesichert bleibt ...

Vielen Dank für Ihr Engagement! (→ Spendenkonten)

How to read Jewiki in your desired language · Comment lire Jewiki dans votre langue préférée · Cómo leer Jewiki en su idioma preferido · בשפה הרצויה Jewiki כיצד לקרוא · Как читать Jewiki на предпочитаемом вами языке · كيف تقرأ Jewiki باللغة التي تريدها · Como ler o Jewiki na sua língua preferida

Gesetz in Betreff der öffentlichen Verhältnisse der israelitischen Glaubensgenossen

Aus Jewiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Das württembergische Gesetz in Betreff der öffentlichen Verhältnisse der israelitischen Glaubensgenossen von 1828 gehört zu den sogenannten Emanzipationsgesetzen, die im Vormärz in den meisten Ländern des Deutschen Bundes erlassen wurden.

Das Gesetz des Königreichs Württemberg unterscheidet sich aber von den meisten anderen darin, dass das kirchliche Leben der Staatsaufsicht unterstellt wurde, und dass bei der wirtschaftlichen Gleichstellung das "erzieherische" Ziel, Juden von einem Teil ihrer bisherigen Erwerbszweige abzubringen, im Vordergrund steht.

Auch im Bildungswesen und in der "Kirchenverfassung", die parallel zu den christlichen Kirchen organisiert ist, wird das Bestreben deutlich, das religiöse Leben unter staatliche Kontrolle zu bringen und außerstaatliche Einflüsse zu regulieren. Das Gesetz erreicht keine volle Gleichstellung der Juden und klammert wichtige Fragen der politischen, aber auch der religiösen Emanzipation aus, zum Beispiel die Frage nach der Übernahme von Gemeindeämtern oder nach dem aktiven und passiven Wahlrecht.

Auch auf die privaten Lebensverhältnisse der Juden nimmt der Staat Einfluss, indem in Ehe, Familie und Erbrecht die allgemeinen gesetzlichen Vorschriften durchgesetzt werden. Damit wird die Durchsetzung talmudischer Vorschriften für ungesetzlich erklärt, insofern diese den Gesetzen widersprechen. Die innerjüdische Tradierung solcher religiös begründeter Normen wird in Schule und Synagoge unterbunden und eine rechtskonforme Auslegung durch regelmäßige Vorträge am Sabbat bei Anwesenheitspflicht aller Religionsangehörigen durchgesetzt. Die jüdischen Gemeinden und Schulen werden damit zu Vermittlern eines staatlich verordneten liberalen und staatskonformen Verständnisses der jüdischen Religion, das vom Reformjudentum begrüßt wurde.

Gesetz in Betreff der öffentlichen Verhältnisse der israelitischen Glaubensgenossen 25 April 1828

Trotz der Verbesserung der Stellung der Juden vor allem durch Aufhebung der Sonderbestimmungen der Schutzbürgerschaft, blieb es weit hinter der Toleranz zurück, die außerhalb Deutschlands schon erreicht war.

Vorgeschichte

Schon 1821 wurde eine Königliche Kommission eingesetzt, die die Neuordung der öffentlichen Verhältnisse der Juden beraten sollte. An dieser Kommission nahmen auch Abgesandte der jüdischen Gemeinden teil. Der Gesetzentwurf wurde 1828 der Ständekammer vorgelegt und dort beraten. Nach Darstellung von Jost waren die Debatten der Kammer und die Reaktionen der Öffentlichkeit äußerst kontrovers und von vielen Ängsten geprägt. Die Vorlage wurde mehrheitlich angenommen, allerdings wurde der Entwurf der Regierung zu Ungunsten der Juden abgeändert oder ergänzt, so zum Beispiel in der Frage der Gewerbefreiheit (Art. 24).


Weitere rechtliche Entwicklung

1836 wurde eine weitergehende Gleichstellung der Juden erreicht, nachdem die israelitischen Gemeinden einen Revisionsantrag bei der Kommission gestellt hatten. Die Abgeordnetenkammer nahm dazu Stellung und beschloss, der Regierung eine Revision zu empfehlen. Diese betraf das Wahlrecht und die Gewerbefreiheit. Aber noch 1840 stellt Robert von Mohl fest, dass Juden noch immer einen benachteiligten Stand darstellen. 1849 wurde den Juden durch die Verfassung der Paulskirche völlige Gleichberechtigung zugesichert, Württemberg übernahm 1849 die Grundrechte in einer Ministerialverfügung. 1850 wurde diese jedoch aufgehoben und nach §89 der Verfassung Juden wieder vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen. 1851 hob der Deutsche Bund die Grundrechte auf, 1852 wurden in Württemberg alle Grundrechtsansprüche aufgehoben. Das Gesetz von 1828 sollte jedoch durch ein Zusatzgesetz betreffend der öffentlichen Verhältnisse der Juden revidiert werden. Erst im Jahre 1864 erhielten die Juden eine weiter gehende bürgerliche Gleichberechtigung und 1869 außerdem die Erlaubnis, Christen zu ehelichen.

Aufbau

Das Gesetz besteht aus drei Hauptabschnitten, die die bürgerlichen Verhältnisse, das Schulwesen und die kirchliche Verhältnisse betreffen.

Bürgerliche Verhältnisse

Allgemeiner Teil

In Artikel 1 wird die Gleichstellung in Rechten und Pflichten mit württembergischen Untertanen festgelegt. Es wird auf Ausnahmen der Gleichstellung verwiesen. Die Ausnahmen betreffen hauptsächlich den Schacherhandel, der in Art 38 behandelt wird. Ein Huldigungseid gegenüber dem Monarchen muss abgelegt werden (2). Ein behördlich zu genehmigender Familiennamen muss angenommen werden (3). Bei allen Rechtsgeschäften muss die deutsche Sprache, Schrift und Zeitrechnung verwendet werden (4). Als Zeugen sind Juden vor Gericht gleichgestellt (5). Forderungen dürfen auch an Christen abgetreten werden (6). Religiöse Eigentümlichkeiten des Eides werden toleriert (7). Christliche Sonn- und Feiertage dürfen nicht gestört werden (8). Ausländische Juden müssen Ausweise ihrer Herkunftsländer vorweisen können (9). Ein fremder "Schacherjude" kann nicht die Staatsbürgerschaft erhalten, anderen Israeliten nur, wenn ihnen das Orts-Bürgerrecht zugesichert wurde. Ausnahmen gelten für Rabbiner. Das Bürgerrecht geht nicht auf Kinder über 15 Jahre über (10).

Bürgerliche Verhältnisse/Gemeinde

Jeder Jude muss einen örtlichen Wohnsitz haben oder bekommt einen zugewiesen (11). Der Schutzverband der Juden wird aufgelöst. Es gibt also keinen besonderen "Schutzstatus" der Juden mehr (12). Bei Ausübung des Schacherhandels oder Rückfall werden die Gemeinderechte aufgehoben (17/18).

Berufswahl und Gewerbefreiheit

Juden werden Württembergern in allen Rechten gleichgestellt, Einschränkungen betreffen vor allem aber die Neueröffnung von Einzelhandelsbetrieben, den Großhandel, die Apotheken und andere Berufszweige, bei denen wohl befürchtet wurde, dass ein Großteil der Juden in diesen tätig würden, was die Konkurrenz zu den bestehenden Betrieben verstärkt hätte.

Der „Schacherhandel“ wird in Art 37 näher bestimmt. Er führt zum Weiterbestehen der Beschränkungen (Art. 10, 13, 16, 17, 32-35), da der Schacherhandel nicht zu den ordentlichen Erwerbszweigen gezählt wird. Dazu gehören: Hausieren, Trödelhandel (mit Gebrauchtwaren), Leihen gegen Faustpfand, nicht obrigkeitlich genehmigtes Makeln, Viehverstellung.

Ehe und Familie

Die Eheschließung muss durch das Bezirksamt genehmigt und die Trauung von einem zuständigen Rabbiner vorgenommen werden (Art. 38). Bei Ehehindernissen gelten nur die württembergischen Gesetze (Art. 39). Auch beim Vermögensrecht und Erbrecht gelten dieselben Gesetze wie für alle Untertanen (41).

Schulwesen

Die Schulpflicht an öffentlichen Schulen gilt für alle jüdischen Kinder, Lehrer an besonderen israelitischen Elementarschulen müssen eine Dienstprüfung abgelegt haben, Staatsbürger sein und den Staatsgesetzen sowie der Aufsichtsbehörde entsprechen (43). Schulen, Schulgesetze und Lehrpläne unterliegen der staatlichen Aufsicht (44). Besteht keine israelitische Schule, muss die Schule am Ort besucht werden, dabei sind alle Unterrichtsfächer außer dem Religionsunterricht verpflichtend (45). Hauslehrer, besonders für den Religionsunterricht, benötigen ein staatliches Befähigungszeugnis (46). Alle Privatschulen sind aufzulösen oder in öffentliche umzuwandeln.

Kirchenwesen

Juden besitzen Religionsfreiheit (48), sie müssen behördlich genehmigten Gemeinden mit Gemeindevorstehern angehören (49). Der Gottesdienst muss von einem Rabbiner geleitet werden. Das Gehalt der Rabbiner muss von der Gemeinde bezahlt werden, die dafür Beiträge an die Zentralkirchenkasse zu leisten hat (51). Der Rabbiner wird von der Staatsregierung ernannt. Er muss seine Befähigung in einer staatlichen Prüfung nachweisen, die ein Universitätsstudium in einer Vorbereitungswissenschaft, nicht nur Kenntnisse in der mosaischen Religion, voraussetzt. Er muss sich außerdem zur Einhaltung der Staatsgesetze verpflichten. Er darf keinem Gewerbe nachgehen, insbesondere darf er kein Schächter sein oder ein anderes Nebenamt haben (52). Auch der Vorsänger, der Vertreter des Rabbiners, muss staatlich geprüft und zugelassen werden (53). Eine religiöse Unterweisung durch Rabbiner oder Vorsänger muss jeden Sabbat in der öffentlichen Synagoge und in deutscher Sprache durchgeführt werden. Die Teilnahme der Frauen ist verpflichtend (54). Auch am Sabbat kann der Jude verpflichtet werden, vor der Obrigkeit zu erscheinen (55). Jede Gemeinde muss einVorsteheramt wählen, zu dem neben Rabbiner und Vorsänger noch drei andere Mitglieder gehören. Die Vorsteher sind für die Kirchenzucht zuständig. Dabei darf aber keine Gerichtsbarkeit ausgeübt werden, eine Einmischung in die bürgerlichen Angelegenheiten ist ebenso untersagt (56). Die Verwaltung des Kirchen- und Armenwesens untersteht einer Oberbehörde, die von der Regierung bestellt wird und aus einem Regierungskommissar und mindestens vier israelitischen Beisitzern besteht (57). Zur Finanzierung der Gemeindeaufgaben müssen Kirchenfonds gegründet werden, Ortsfonds und ein Zentralfond (58). Dazu hat jeder selbständige Jude einen Beitrag von sechs Gulden zu leisten. Die Verteilung auf Orts- und Zentralfond regelt die Regierung (59).

Literatur

  • Neueste Staats-Akten und Urkunden in monatlichen Hefte, Band 11. Stuttgart und Tübingen (Cotta), 1828. In: Diplomatisches Archiv für die Zeit- und Staatengeschichte, 17. Band. Stuttgart und Tübingen (Cotta), 1828.
  • Israelitische Annalen: Ein Centralblatt für Geschichte, Literatur und Cultur d. Israeliten aller Zeiten und Länder. Herausgegeben von J.M. Jost. Ausgabe Nr.40, 1839.
  • Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des Königreichs Württemberg auf dem Landtage von 1836, 49. Sitzung vom 4.Mai 1836, Punkt 4, in Band 4, S. 34-80, Stuttgart 1836.
  • Robert von Mohl: Das Staatsrecht des Königreiches Württemberg: Das Verfassungsrecht, Band 1. 2. Aufl., Tübingen 1840.
  • Issac Lebrecht: Die rechtliche Stellung der Juden in Württemberg. Ulm 1861.
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Gesetz in Betreff der öffentlichen Verhältnisse der israelitischen Glaubensgenossen aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.