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Geschichte der Juden in Lieser

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Die Geschichte der Juden in Lieser, einem Winzerdorf an der Mittelmosel, beginnt spätestens im 17. Jahrhundert und endet mit der Verschleppung und Ermordung der letzten Lieserer Juden im Holocaust. Eine vollständige Aufarbeitung ihrer Geschichte ist bis heute nicht erfolgt. Auch in der Ortschronik aus dem Jahr 1988 werden die Lieserer Juden eher beiläufig erwähnt.

Geschichte

Bislang ist ungeklärt, wann sich die ersten Juden in Lieser ansiedelten. Nach letztmaligen Vertreibungen im Erzstift Trier in den Jahren 1561 und 1589 erlaubte der Trierer geistliche Kurfürst Lothar von Metternich, der von 1599 bis 1623 regierte, die Neugründung von jüdischen Gemeinden. Das Wohnrecht war an einen Geleit- oder Schutzbrief gebunden, der vom Trierer geistlichen Kurfürsten erteilt wurde und nur an wohlhabende Juden vergeben wurde, deren Vermögen auf mindestens 400 bis 500 Taler geschätzt wurde. Nach einer kurfürstlichen Verordnung aus dem Jahr 1618 wurde den Juden außer Geldgeschäften der Handel mit Wein und Früchten erlaubt, später, unter Erzbischof Johann Hugo von Orsbeck im Jahr 1681 auch der Viehhandel, von Wolle, „nassen und trockenen Waren“ und die Beschäftigung in Silberbergwerken. [1] Eine handwerkliche Betätigung, mit Ausnahme des Schlachtens war verboten. Erst seit dem Frieden von Lunéville 1801, in dem die linksrheinischen Gebiete an Frankreich abgetreten wurden, erhielten die Juden im Bistum Trier das volle Bürgerrecht, das auch die Freizügigkeit und eine freie Berufswahl einschloss.

Eine erste Erwähnung von Lieserer Juden findet sich in den Steuerlisten vom 27. August 1663, im „Numbrement der Judenschaft binnen Stadt und Ambt Wittlich“, als die Lieserer „Hausstädt Moyses und Baruch, jüdische zwey Ehen“ zu einem Ehegulden in der Höhe von jeweils zwei Reichstalern veranschlagt wurden.[1]

Nach der französischen Besetzung des Kurfürstentums Trier und einem Regulativ vom 10. November 1806 wurden unter den Ortschaften, in denen Synagogen bestanden, folgende Orte genannt: Bernkastel mit Cues und Lieser.[2] Am 10. Juni 1853 trafen sich Vertreter der moselanischen Judengemeinden und beschlossen aufgrund eines Gesetzes vom 23. Juli 1847, eine Synagogengemeinde Bernkastel mit den Orten Bernkastel, Kues, Lieser, Maring, Wintrich, Dusemond (Brauneberg), Veldenz und Mülheim zu bilden. [3]

Im Zuge der Auswanderungen im 18. Jahrhundert wegen der Verarmung der Moselaner wanderte auch der ledige Josef Salomon aus Lieser, ein Sohn des Metzgers Lazarus Salomon,[3] der Am Alten Posthof eine Schlachterei betrieb,[4] 1866 nach Brasilien aus. Seit 1896 wurden die Lieserer Juden von der jüdischen Gemeinde in Brauneberg betreut, [5] zu der auch die Orte Mülheim, Veldenz und Wintrich gehörten. [6]

Nach einer Volkszählung im Jahre 1906 wohnten in Lieser 1597 Katholiken, 15 Nichtkatholiken und 15 Juden, [3] 1924 lebten noch 13 Juden in Lieser, 1932 waren es nur noch 6 Personen. [5]

Ehemalige Synagoge

Wohnhaus anstelle der ehemaligen Lieserer Synagoge, heutiges Aussehen

Bereits im 17. Jahrhundert bestand in Lieser eine Synagoge an der Ecke des Marktplatzes und der Frohngasse.[7] Diese Synagoge, ein Bauwerk, das oben in Fachwerk und unten massiv gebaut war, verfügte über einen Betsaal, einen öffentlichen Brunnen und eine überwölbte Brunnenkammer. Das Gebäude war im 20. Jahrhundert baufällig. Trotz einer Verfügung des Landrats vom 13. September 1927 (I No. 4864 II), die Synagoge wiederherzurichten, lehnte dies der Lieserer Gemeinderat in der Sitzung vom 24. Oktober 1927 ab, mit der Begründung, dass dafür keine Mittel zur Verfügung stünden. Daraufhin wurde die Synagoge um 1930 abgebrochen. [3] Stattdessen wurde dort ein Wohnhaus errichtet, das 2010 umgebaut wurde.

Der jüdische Friedhof

Der „neue“ Lieserer Judenfriedhof an der Richard-Wagner-Straße

Ein erster jüdischer Friedhof entstand nach Franz Schmitt wahrscheinlich bereits im Mittelalter [3]und lag oberhalb der Weinberge und des Krämerkreuzes in der Nähe der Grenze zum Dorf Maring. Erst am 31. Mai 1901 verbot der Lieserer Gemeinderat, am Begräbnisplatz der Juden weiterhin Schiefer zu schlagen, [3] was darauf verweist, dass viele Christen zuvor nicht die Ruhe ihrer verstorbenen jüdischen Mitbürger geachtet hatten. Ferner durften dort nur noch einheimische Juden bestattet werden. [8]

Am 13. Dezember 1911 beschloss der Lieserer Gemeinderat, den alten jüdischen Friedhof zu schließen und einen neuen Begräbnisplatz einzurichten. Dieser wurde nach einem Beschluss vom 19. März 1912 oberhalb des Dorfes im „Distrikt Kleinwäldchen“ hinter der Krümmung eines neu angelegten Weges angelegt. [8].

Auf diesem neuen jüdischen Friedhof in einem Waldstück an der heutigen Richard-Wagner-Straße sind fünf Grabsteine erhalten, einer davon ist unbeschriftet. 1932 erfolgte mit der Beisetzung von Josef Salomon die letzte Bestattung.

Nach Verwüstungen des jüdischen Friedhofs in der NS-Zeit ließ die Gemeinde Lieser nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs diesen jüngeren jüdischen Friedhof wiederherstellen. [8]

NS-Zeit und Lieserer Opfer des Holocaust

Novemberpogrome

1938 wohnten noch sechs Juden in Lieser, [3] nach Angaben einer Zeitzeugin drei jüdische Familien, [9] darunter die Familie Salomon, die Am Alten Posthof 7 wohnte.[10] Bei den von den Nationalsozialisten organisierten Novemberpogromen 1938 demolierten SA-Männer aus dem Nachbarort Maring jüdische Wohnungen in Lieser. Ein damals zehnjähriger Augenzeuge aus dem Nachbardorf berichtete, dass er seinem Vater, der als Handwerker am Bahndamm arbeitete, mittags sein Essen brachte. Plötzlich tauchten SA-Männer aus seinem Dorf mit Kreuzhacken auf. Sie stürmten in ein Haus, zerschlugen die Fensterscheiben, zertrümmerten die Wohnungseinrichtung und warfen die Möbel auf die Straße. Bei den beschriebenen Ausschreitungen handelte es sich um das Haus von „Selma“ [Kahn], einer Kurzwarenhändlerin, die mit drei Kindern an der Ecke Bärlay/Straße am Markt wohnte und ein Opfer des Holocaust wurde. Die befragte Zeitzeugin fügte erläuternd hinzu: „Aber es waren keine Lieserer, die waren anderswo Juden kloppen.“ [9]

Lieserer Opfer des Holocaust

Folgende aus Lieser stammende oder in Lieser wohnende Juden wurden nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs deportiert und von den Nationalsozialisten ermordet oder in den Tod getrieben:

  • Selma Kahn, geb. Baum, verwitwete Salomon, geb. am 19. Mai 1881 in Osann. Sie wohnte zunächst in Lösnich, dann in Lieser und nach den Novemberpogromen 1938 in Duisburg. Sie wurde am 27. Oktober 1941 ab Düsseldorf deportiert, zunächst ins Ghetto Łódź und von dort aus am 15. Mai 1942 ins Vernichtungslager Chelmno.[11]
  • Emma Baum, geb. am 16. August 1885 in Lieser, deportiert ab Düsseldorf am 22. April 1942 ins Durchgangsghetto Izbica, Bezirk Lublin im Generalgouvernement. Von diesem Lager aus gingen die Deportationen in die Vernichtungslager Belzec und Sobibor. [12]
  • Gustav Baum, geb. am 18. Januar 1881 in Lieser. Von seinem Wohnort Frankfurt am Main aus wurde er am 20. Oktober 1941 ins Ghetto Łódź deportiert.[13]
  • Karl-Heinz Baum, geb. am 2. Juli 1926 in Lieser, wohnhaft in Recklinghausen. Ab Gelsenkirchen – Dortmund wurde er am 27. Januar 1942 ins Ghetto Riga deportiert. [14]
  • Anna Bravmann, geb. Baum, geb. 27. Oktober 1884 in Lieser. In ihrem Wohnort Frankfurt am Main beging sie am 12. September 1942 Suizid. [15]
  • Emma Hess, geb. Baum, geb. am 24. Oktober 1893 in Lieser. Von ihrem Wohnort Frankfurt am Main aus wurde sie am 11./12. November 1941 ins Ghetto Minsk deportiert.[16]
  • Adelheid Kahn, geb. Baum, geb. am 27. März 1882 in Lieser, wohnhaft in Köln. Am 7. Dezember 1941 wurde sie ins Ghetto Riga deportiert, wo sie in Februar 1942 starb. [17]
  • Berta Salomon, geb. Breitmann, geb. am 23. Juni 1872 in Dielkirchen bei Kirchheimbolanden. Frau Salomon wohnte, nachweisbar aus den Grundbucheintragungen, bis zu ihrer Deportation in Lieser. Ihr Deportationsort ist unbekannt. [18]
  • Erna Salomon, geb. am 28. September 1899 in Lieser, Wohnort Lieser. Unbekannter Deportationsort.[19]
  • Frieda Salomon, geb. am 8. Juni 1879 in Lieser. Sie wurde ab Trier, bzw. Köln am 27. Juli 1942 zunächst ins Ghetto Theresienstadt deportiert und 15. Mai 1944 im Vernichtungslager Auschwitz ermordet. [20]
  • Irma Lion, geb. Salomon, geb. am 21. Oktober 1908 in Lieser. Sie wurde am 27. Oktober 1941 ab Düsseldorf deportiert, zunächst ins Ghetto Łódź. Am 14. Mai 1942 wurde sie in das Vernichtungslager Chelmno verbracht und dort am 15. Mai ermordet.[21]

Bislang erinnern weder Stolpersteine, noch eine Gedenktafel an die im Holocaust umgekommenen Lieserer Mitbürger und die ehemalige Synagoge.

Literatur

  • Franz Schmitt: Chronik Weindorf Lieser. Die Judengemeinde Lieser, Paulinus Druckerei, Trier 1988, S. 852–855
  • Raymund Weber: Maring, Noviand, Siebenborn, Heft 4, Dezember 1999, S. 44–45

Weblinks

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Franz Schmitt: Chronik Weindorf Lieser, S. 852.
  2. Franz Schmitt: Chronik Weindorf Lieser, S. 852–854
  3. 3,0 3,1 3,2 3,3 3,4 3,5 3,6 Franz Schmitt: Chronik Weindorf Lieser, S. 852.
  4. Grundbuch Lieser, Flur 30, Flurstück 607/1 , vor 1900: Flur 7, 2775/1340
  5. 5,0 5,1 5,2 5,3 Die jüdischen Friedhöfe in Lieser
  6. vor Ort - einzelne Berichte Die Synagoge in Brauneberg
  7. Foto der Synagoge vor dem Abbruch
  8. 8,0 8,1 8,2 Franz Schmitt: Chronik Weindorf Lieser, S. 855.
  9. 9,0 9,1 Raymund Weber: Erlebte Geschichte. Blick zurück in die „Hitlerzeit“. In: Maring, Noviand, Siebenborn, Heft 4, Dezember 1999, S. 45
  10. Nachweisbar aus den Grundbüchern Flur 30 Flurstück 602 Gemeinschaftbesitz, (vor 1900: Flur 7, No. 1359), wo die Eintragung erst 1950 geändert wurde. In den Grundbucheintragungen der einzelnen Häuser ist der Name Salomon ab 1900 getilgt.
  11. Gedenkbuch, Eintrag für Selma Kahn
  12. Gedenkbuch, Eintrag für Emma Baum
  13. Gedenkbuch, Eintrag für Gustav Baum
  14. Gedenkbuch, Eintrag für Karl-Heinz Baum
  15. Gedenkbuch, Eintrag für Anna Bravmann
  16. Gedenkbuch, Eintrag für Emma Hess
  17. Gedenkbuch, Eintrag für Adelheid Kahn
  18. Gedenkbuch, Eintrag für Berta Salomon
  19. Gedenkbuch, Eintrag für Erna Salomon
  20. Gedenkbuch, Eintrag für Frieda Salomon
  21. Gedenkbuch, Eintrag für Irma Lion
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