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Gert Ueding

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Gert Ueding (* 22. November 1942 in Bunzlau) ist ein deutscher Germanist und Hochschullehrer. Von 1988 bis zu seiner Pensionierung 2009 war er als Nachfolger von Walter Jens an der Eberhard Karls Universität Tübingen Inhaber des bislang einzigen Lehrstuhls für Rhetorik in Deutschland.

Wissenschaftlicher Werdegang

1964 begann Ueding in Köln ein Studium der Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte. Er wechselte 1965 an die Eberhard Karls Universität Tübingen, wo er seine Studiengebiete um die Rhetorik erweiterte. Am philosophischen Seminar der Universität wurde er 1968 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Assistent von Ernst Bloch. Ueding konzentrierte sich in seinen Forschungen zunächst auf interdisziplinäre Fragen im Bereich der Literatur- und Kunsttheorie und der Ästhetik, wandte sich aber bald schon der Rhetorik zu.

Ueding schrieb seine Dissertation bei Walter Jens und wurde mit der Studie über Schillers Rhetorik 1970 promoviert. Im selben Jahr berief ihn Hans Mayer auf eine Assistentenstelle am Germanistischen Seminar der TU Hannover, dort wechselte er 1973 auf die Stelle eines Akademischen Rats. 1973 habilitierte er sich mit seinen Arbeiten zur Populärkultur und Massenliteratur (im Zentrum: Glanzvolles Elend. Versuch über Kitsch und Kolportage) an der TU und wurde 1974 an die neu gegründete Carl von Ossietzky Universität Oldenburg berufen. Dort hatte er die Professur für „Literaturgeschichte mit besonderer Berücksichtigung der Literatursoziologie“ inne.

Ueding wurde 1983 an das Seminar für Allgemeine Rhetorik in Tübingen berufen. Dort entwickelte er einen neuen und sehr erfolgreichen Magister- und Promotionsstudiengang „Allgemeine Rhetorik“, der das Gewicht des Studienfaches und die internationale Bedeutung der Tübinger Rhetorik auf Dauer begründete. Zugleich widmete er sich dem Aufbau und der Konzeption des internationalen Forschungsprojektes des Faches, dem Historischen Wörterbuch der Rhetorik. Daneben war er als Literaturkritiker für das Fernsehen, den Rundfunk und die Presse tätig. Später wurde er in die Jury des Ingeborg-Bachmann-Preises und des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels berufen. Als Jens 1988 emeritierte, übernahm Ueding den Lehrstuhl. Er gehörte der Jury des Deutschen Hörbuchpreises an, ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Verein Deutsche Sprache und Vorsitzender der Jury des Cicero-Redner-Preises, der jährlich in Bonn verliehen wird. Bis 2010 war er Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der e.o.-plauen-Gesellschaft sowie der Jury des e.o.-plauen-Preises und bis 2011 der Jury „Hörbuch des Monats“ des Seminars für Allgemeine Rhetorik. 2001 wurde er in das Kuratorium des Bundeswettbewerbes Jugend debattiert berufen.

1986 gründete er mit Unterstützung der Stadt Ludwigshafen die Ernst-Bloch-Gesellschaft und war Mitglied der Jury des Ernst-Bloch-Preises.

Ueding wurde 2006 auf eine Gastprofessur an der Universität St. Gallen berufen, die er weiterhin wahrnimmt. Daneben ist er als Dozent für das Studienkolleg zu Berlin der Studienstiftung und für das Mercator Kolleg für internationale Aufgaben tätig, auch als Redner ist er immer wieder hervorgetreten.

Arbeitsschwerpunkte

Uedings Arbeitsschwerpunkte liegen in der Rhetorikgeschichte, der Rhetorik und Ästhetik seit dem 18. Jahrhundert, der rhetorischen Theorie der Massenliteratur, der Rhetorik und Poetik der Kinderliteratur, der Rhetorik und Gesellschaftsethik, der Literaturkritik, der Topik des utopischen Denkens (Ernst Bloch) und der rhetorischen Produktionslehre.

Das Historische Wörterbuch der Rhetorik (HWRh)

Ueding begann schon kurz nach seiner Berufung an die Universität Tübingen 1984 mit den Vorbereitungen zu einem umfassenden Rhetorik-Lexikon, das erstmals in der mehr als zweitausendjährigen Geschichte der Rhetorik das Wissen über diese wieder so aktuell gewordene Disziplin in enzyklopädischer Form zur Verfügung stellen sollte. 1992 erschien der 1. Band, 2012 Band 10, ein Registerband schließt das Werk 2013 ab. Neben dem Herausgeber Ueding und seinen Redakteuren (Gregor Kalivoda, Franz-Hubert Robling, Thomas Zinsmaier, Sandra Fröhlich) haben mehr als 400 Fachwissenschaftler an dem Lexikon mitgewirkt, das etwa 1500 Artikel enthält.

Das Historische Wörterbuch der Rhetorik dokumentiert die Rhetorik als das neben der Philosophie wichtigste, differenzierteste und wirkungsmächtigste Bildungssystem der europäischen Kulturgeschichte. Es erfasst die theoretischen Entwürfe, Kategorien und Begriffe der Rhetorik und ihrer interdisziplinären Verflechtungen seit der Antike, wie sie von der internationalen Rhetorikforschung aufgenommen, weitergeführt und mit neuen, wissenschaftlichen Fragestellungen und Methoden sowie unter veränderter praktischer Perspektive zu neuen Konzeptionen ausgearbeitet wurden.

Am Anfang eines jeden Artikels steht eine Begriffsdefinition als Grundlage und Ausgangspunkt für die präzise Erläuterung des Terminus, seiner geschichtlichen und theoretischen Entwicklung und – illustriert mit Beispielen – seiner Verwendung in der rhetorischen Praxis. Hinzu kommen bibliographische Angaben zum aktuellen Stand der Forschung und Stichwortverweise, die den begrifflichen Zusammenhang des Lexikons belegen. Jeder Begriff wird seinem systematischen Gewicht entsprechend in einem Forschungs-, Sach- oder Definitionsartikel erklärt. Die Übersetzung fremdsprachiger Zitate erleichtert dabei die Lesbarkeit dieses Nachschlagewerks, das sich nicht nur an die Spezialisten richtet, sondern durch die Verbindung eines hohen wissenschaftlichen Standards mit verständlicher Darstellung ein unentbehrliches Handbuch für alle bildet, die an dieser Disziplin interessiert sind. Dazu gehören vor allem Literaturwissenschaftler, Linguisten, Medien- und Kommunikationswissenschaftler, aber auch Juristen, Philosophen, Pädagogen, Theologen, Musik- und Kunstwissenschaftler sowie alle, die mit dem Medium Sprache praktisch umgehen. Dieses interdisziplinäre Werk gibt jedem Benutzer ein theoretisches und praktisches Fachwissen an die Hand, mit dem klassische und neuzeitliche Redekunst, Wahrheit und Methode der Rhetorik neu entdeckt werden können.

Grundriss der Rhetorik

Das 1976 erstmals erschienene Werk hat sich zum führenden Lehrbuch des Fachs und aller an ihm interessierten Disziplinen entwickelt, es liegt jetzt in 5. aktualisierter Auflage vor. Sein erstes Kapitel, die „Einleitung in die Rhetorik“, erläutert auch das rhetorische Wissenschaftsverständnis und die immer noch problematische Frage, was eigentlich „Rhetorik“ sei. Daraus einige zusammenfassende Zitate:

„Die Frage nach Eigenart und Sinngehalt der Rhetorik begleitet die Redekunst seit ihren Anfängen; es ist immer (anders als etwa bei der ähnlich gewichtigen Frage nach dem Wesen der Philosophie) ein zweifelnder Unterton darin, der nicht nur den Gegenstandsbereich, das Erfahrungswissen, Abgrenzungsprobleme oder die Methode betrifft, sondern auch die Berechtigung der Rhetorik als einer eigenen, selbständigen und gesellschaftlich nützlichen Disziplin. Schon die antiken Rhetoriker verbanden die Erörterung dieser Frage mit ethischen Reflexionen, und Quintilian, der bedeutendste Lehrer der Beredsamkeit im kaiserlichen Rom, hat sein erstes, leider verlorenes Buch über den Verfall der Beredsamkeit geschrieben (»De causis corruptae eloquentiae«); gleich zu Beginn seiner zwölf Bücher über »Die Ausbildung des Redners« (»Institutionis oratoriae«), dem wichtigsten rhetorischen Lehrwerk der europäischen Geschichte, erörtert er den Zusammenhang von Ethik und Rhetorik […].“

„[…] Doch liegt der Fall ja noch komplizierter, denn anders als bei den meisten übrigen Wissenschaften liegt die Zweideutigkeit der Rhetorik nicht erst in ihrer Offenheit für gegensätzliche praktische Anwendungen, sondern ist bereits in ihrem theoretischen Erkenntnisziel und wissenschaftlichen Interesse enthalten, nämlich die Möglichkeiten zu erforschen und die Mittel bereitzustellen, die nötig sind, die subjektive Überzeugung von einer Sache allgemein zu machen. Weshalb die großen Rhetoriker seit Isokrates und Aristoteles, Cicero und Quintilian die Redekunst zu einem umfassenden humanistischen Bildungssystem erweiterten, das neben der Philosophie zu dem wichtigsten, differenziertesten und wirkungsmächtigsten der europäischen Kulturgeschichte wurde, dessen unser ganzes Schulwesen prägende Kraft trotz mannigfacher Einbußen im 19. und 20. Jahrhundert doch bis heute spürbar ist. Im 18. Jahrhundert ereignen sich in der Rhetorikgeschichte allerdings Umbrüche so schwerwiegender Art, daß sie häufig als Abschluß der rhetorischen Tradition beschrieben wurden. Genauere historische Forschungen haben diese Auffassung grundsätzlich korrigiert. […]“

„Statt vom Ende wäre also von eine Transformation der Rhetorik zu reden, dessen praktische Wirksamkeit im Zeitalter der Französischen Revolution, in den Befreiungskriegen, in der Literatur des Vormärz, in der Frankfurter Paulskirche schließlich im Reichstag immer evident gewesen ist. Auch die ökonomische Entwicklung, die Bedürfnisse der Warenwirtschaft in Werbung und Vertrieb, haben die weitere Überlieferung persuasiver Methoden und Techniken garantiert. Gleichwohl geriet die Rhetorik als systematisch verfaßtes Lehrgebäude in Vergessenheit; nur als solches aber hatte sie in 2500 Jahren wechselvoller Geschichte ihre Identität bewahren können. Eine Identität in Differenz und Wandel natürlich. Wie sich Protagoras und Isokrates oder George Campbell und Johann Christoph Gottsched unterscheiden, so schließen sie doch jeweils, wenn auch von verschiedenen Seiten, den prinzipiellen Problemgrundriß auf, der Rhetorik heißt. Auch in diesem Punkt ist der Vergleich mit der Philosophie lehrreich. Die Differenzierung in einzelne Rhetoriken gefährdet die Rhetorik als einheitliches Wissensgebiet ebenso wenig, wie etwa die Philosophie durch ihre Ausprägung in einander oft sich widersprechende Philosophien ihren disziplinären Charakter verliert. […]“

„Gibt es für die Theorie einer Kunst keinen eigentlicheren Zweck als die Praxis, so mußte gerade die Rhetorik einen sehr umfassenden Praxisbegriff entwickeln, der sich auf die Verwirklichung der Rede im weitesten Sinne zu beziehen und auch die von Platon vorgebrachten Einwände zu berücksichtigen hatte. Denn sollte die Rhetorik nur für diejenige Praxis bestimmt sein, die der Ordnung des ethisch Guten angehört, so galt es, zuerst den Redner so zu bilden, daß er selber Teil dieser Ordnung: vir bonus werden konnte. Verwirklichung der Rede bedeutet zunächst Verwirklichung des Guten im Redner; Erziehung, Bildung und Übung sind ebenso wichtige rhetorische Theoriefelder wie Wirkungsabsicht, Angemessenheit, res verba-Problem. Quintilians berühmte »Institutio oratoria« ist auch ein Erziehbuch und hat als solches mindestens ebenso gewirkt wie als rhetorische Systematik. Noch Schiller lobt es ausdrücklich in dieser Bedeutung. Die Rhetorik ist immer obendrein Darstellung eines Wertesystems gewesen, wie überhaupt die Teilhabe an diesem übergeordneten Wertesystem den jeweils parteilich gebundenen Redner (einer Gerichtsverhandlung etwa) die Möglichkeit eröffnete, Übereinstimmung und Diskrepanz zwischen den Positionen zu erkennen und gegenseitig zu erklären. […]“

„Das macht die kritisch-aufklärerische Potenz der Rhetorik aus, und niemand ist der Lüge hilfloser ausgeliefert als der »natürliche Mensch«, dem ja immer Gold ist, was glänzt. Das zu erfahren, bedarf es freilich nicht des Kulturvergleichs; Werbung und politische Propaganda liefern uns dafür täglich die besten Beispiele. Allein der rhetorische Basis-Satz, daß es keine interesselose Erkenntnis gebe, schafft Distanz zum Gehalt jeder Rede, relativiert ihren Autoritätsanspruch. Von der Parteilichkeit jeder rhetorischen Handlung (worunter auch die Inszenierung der Rede und die Körperberedsamkeit gefaßt sind) wird auch verständlich, weshalb die Gerichtsrede immer das ausgezeichnete Paradigma der Rhetorik gewesen ist. Doch nicht nur dieser destruktive, Autorität und Geltungsansprüche der Sache bezweifelnde Zug folgt aus rhetorischer Grundüberzeugung, sie vermag auch Sicherheit zu vermitteln, obzwar niemals endgültige, unwiderrufbare Sicherheit. »Sätze worüber alle Menschen übereinkommen sind wahr, sind sie nicht wahr, so haben wir gar keine Wahrheit«, formulierte Georg Christoph Lichtenberg den rhetorischen Probierstein; sein Ideal des Selbstdenkens bleibt daher verankert im gemeinschaftlichen Sinn der Menschen, dem sensus communis, zu dem jeder einzelne beiträgt […].“

„[…]Die Konsequenzen aus dieser rhetorischen Auffassung von Plausibilität sind vielfältig. Sie bestimmen den genuinen Gegenstandsbereich der Rhetorik auf das Problem- und Meinungswissen, messen der öffentlichen Meinung bei der Erörterung problematischer Fragen eine entscheidende Rolle zu und machen alle Überzeugungen, die nicht durch Messen oder Wägen oder durch mathematische Beweisführung gewonnen wurden, in ihrer situativen, kontextuellen, historischen und sozialen Abhängigkeit sichtbar. Die eigentümliche Toleranz der Rhetorik, die sich in der Stellung des Redners gegenüber diskrepanten Auffassungen zeigt, hat hier ihre Wurzel. Geht man einmal davon aus, daß die geschichtliche Erscheinung des Glaubwürdigen nicht eine Wahrheit ist, die sich als bare Münze fraglos einstreichen läßt (und davon geht die Rhetorik selbstverständlich aus), nicht das Schema, das über Recht und Unrecht, Gut und Böse manichäisch waltet, sondern daß Recht und Unrecht historisch variable Größen sind, die je neu zur Erscheinung und in der jeweiligen Zeit und ihrer Gesellschaft zur Darstellung gebracht werden müssen, so bedeutet jeder antagonistische Streit nicht ein Scheingefecht um eine von vornherein schon feststehende, wenn auch verdeckte Wahrheit, sondern ist der Prozeß, in dem das Richtige sich erst herauskristallisiert. […]“

„Betrachten wir den gegenwärtigen Stand rhetorischer Theoriebildung, so scheint sich die Rhetorik in eine unübersichtliche Vielzahl von Wissensgebieten zu zersplittern. Die Rezeption einzelner Aussagen, Analyse- und Produktionstechniken in den Einzelwissenschaften, in interdisziplinären Institutionen der Wissenschaftstheorie und -geschichte, in Erziehungsprogrammen und pragmatischen Ausbildungskonzepten etwa der Lehrerseminare und nicht zuletzt in den populären Ausprägungen des Reden- und Kommunikationstrainings, der Werbung, der Public Relation, des Mediengebrauchs hat den Rhetorik-Begriff derart unscharf werden lassen, wenn nicht gar entleert, daß begriffliche Klärung eine notwendige und vorgängige Aufgabe aller rhetorikwissenschaftlichen Arbeit geworden ist. […]“

„Aus Sicht der Tübinger Rhetorik sind diese Rezeptionsweisen Reduktionen, die gewiß sinnvoll sind und in den meisten Fällen auch zu erfolgreichen Weiterentwicklungen und Ergebnissen geführt haben, die aber das Potential der geschichtlich gewachsenen Rhetorik längst nicht ausschöpfen. Von ihr ist (wie von der mit ihr seit der Antike konkurrierenden Philosophie) nur sinnvoll im systematischen Zusammenhang zu denken und zu reden. Dieser in der Antike begründete systematische Zusammenhang ist zwar historischen Veränderungen unterworfen, innerhalb derer auch Verkürzungen, Ausweitungen oder Verwerfungen (gemessen an früheren geschichtlichen Stufen) zu konstatieren sind, die aber die Systembindung als solche gar nicht in Frage stellen. Erst Systembindung nämlich sichert den wissenschaftlichen und disziplinären Charakter der Rhetorik dauerhaft und bereichert im Gegenzug wiederum die Einzelrezeptionen, weil der Rezeptionsprozeß dann nicht einseitig als bloße Resteverwertung, sondern dialogisch als gegenseitiges Befruchten stattfindet. Modellhaft leitend kann für die Rhetorik dabei durchaus ihre Begründungsgeschichte bleiben, insofern sie auch exemplarisch die Entwicklung von der Beobachtung praktischer Redefertigkeit zur Kunst und schließlich zur Wissenschaft genommen hat – eine Entwicklung, zu geordneten Zusammenhängen, zum hochdifferenzierten System, das vorbildlich für die Systematisierung der anderen Wissenschaften wurde. Dieses System integriert theoretisches, praktisches und poietisches Wissen, es umfaßt die Fragen nach der Verfassung und den Regeln menschlicher Kommunikation in natürlichen und künstlichen Zeichen, Theorie und Praxis der Argumentation, Informationswesen (Information, Dokumentation, Medien), die anthropologischen Verhältnisse, soziale, politische, rechtliche und ökonomische Verkehrsformen, Herstellung und Untersuchung kultureller und künstlerischer Produkte und schließlich, anknüpfend an anthropologische Konzepte, die rhetorisch immer schon vermittelten Zielinhalte der Bewertung (Ethik in den Geistes- und Naturwissenschaften) und Ausbildung. Rhetorisches Denken ohne Systematik ist Dilettantismus, landet entweder in der Gegend gängiger Populär-Rhetoriken oder verliert sich in Spezialisierungen, die, so elaboriert sie auch sein mögen, ohne wenigstens perspektivische Ordnung reduktionistische Denkformen bleiben. […]“

„Historische Forschung ist daher für die Rhetorik nicht eine Forschungsrichtung unter vielen, sondern ihr wesentlich. Denn rhetorische Produktion, auf welchem Felde immer, findet in Form des Geschehens statt, und ihre Geschichte stellt das Werden des rhetorischen Wissens und seiner praktischen Verwirklichung dar, damit das Werden der Rhetorikwissenschaft. Auch Erneuerung ist nicht durch Abkoppeln von der Vergangenheit, sondern nur durch Weiterentwicklung und Fortbildung möglich und setzt die genaue Kenntnis dessen, was »die ganze Vorwelt zusammengespart hat« (Hegel), voraus. […]“

„Ebenso wichtig aber ist es, die Überlieferung aus dem Schema vergangener Epochen herauszubrechen und als Auftrag an die Gegenwart zu erkennen, sie also für die gegenwärtige wissenschaftliche Forschung in der Rhetorik und allen anderen Disziplinen fruchtbar zu machen, die sich mit dem Menschen als eines vernunft- und sprachbegabten Mängelwesens beschäftigen. Die Definition einer Sache ist ebenso wie die ihres Begriffs identisch mit ihrer Geschichte, die freilich nicht abgeschlossen und fertig, sondern offen und für Folgen bereit ist. Der historische Bezug erlaubt es zudem, wirkliche von scheinbaren Fortschritten in der rhetorischen Theoriebildung zu unterscheiden und die Ideenplagiate oder verkappten rhetorischen Schwundstufen in anderen Wissenschaften zu erkennen.“

Der „Cicero“-Rednerpreis

Mehr als andere geisteswissenschaftliche Fächer ist die Rhetorik eine praktische Wissenschaft. Entstanden im Zusammenhang und aus den Bedürfnissen der griechischen Demokratie im 5. Jahrhundert v. Chr. ist sie auch heute in einer demokratisch verfassten Gesellschaft unentbehrlich. Ueding hat diese praktische Seite der Rhetorik durch seine publizistische Tätigkeit, durch die Auszeichnung einer „Rede des Jahres“ (verliehen vom Tübinger Rhetorik-Seminar) und besonders durch sein Engagement für den „Cicero“-Rednerpreis betont. Der Preis soll die Redekultur in Deutschland fördern. Gestiftet vom Verlag für die deutsche Wirtschaft, wird er seit 1994 jährlich vergeben. Ueding war an der Konzeption des Preises von Anfang an beteiligt und hält als Vorsitzender der Jury in jedem Jahr die die jeweilige Wahl des Preisträgers begründende Laudatio.

Bisherige Preisträger waren u.a. Joachim Gauck, Rolf Hochhuth, Jean-Claude Juncker, Herta Müller, Marcel Reich-Ranicki, Lothar Späth, Peter Sloterdijk, Alfred Grosser, Daniel Cohn-Bendit, Peer Steinbrück, Gregor Gysi.

Veröffentlichungen

Selbständige Buchveröffentlichungen

  • Schillers Rhetorik. Idealistische Wirkungsästhetik und rhetorische Tradition. Tübingen 1971, ISBN 3-484-18021-8.
  • Glanzvolles Elend. Versuch über Kitsch und Kolportage, (= edition suhrkamp, Bd. 622), Frankfurt am Main 1973, ISBN 3-518-00622-3.
  • Wilhelm Busch. Das 19. Jahrhundert en miniature. Frankfurt am Main 1977, ISBN 3-518-37746-9.
  • Hoffmann und Campe. Ein deutscher Verlag. Hamburg 1981, ISBN 3-455-07800-1.
  • Rhetorik des Schreibens. Eine Einführung. (= Athenäum-Taschenbücher, Bd. 2181), 1. Aufl. Königstein/Ts. 1985, ISBN 3-7610-2181-X.
  • Die anderen Klassiker. Literarische Porträts aus zwei Jahrhunderten. München 1986, ISBN 3-406-31507-0.
  • Klassik und Romantik. Deutsche Literatur im Zeitalter der Französischen Revolution 1789–1815. (= Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Bd. 4), München/Wien 1987, ISBN 3-446-12777-1.
  • Friedrich Schiller. (= Beck’sche Reihe, Bd. 616, Autorenbücher), München 1990, ISBN 3-406-33163-7.
  • Aufklärung über Rhetorik. Versuche über Beredsamkeit, ihre Theorie und praktische Bewährung. (= Rhetorik-Forschungen, Bd. 4). Tübingen 1992 m ISBN 3-484-68004-0.
  • Jean Paul. (= Beck’sche Reihe, Bd. 629, Autorenbücher.) München 1993, ISBN 3-406-35055-0.
  • Klassische Rhetorik. (= Beck’sche Reihe Wissen), 3. Aufl. München 2000, ISBN 3-406-39000-5.
  • Moderne Rhetorik. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart. (= Beck’sche Reihe Wissen), München 2000, ISBN 3-406-44734-1.
  • Wilhelm Busch. Das 19. Jahrhundert en miniature. Erweiterte und revidierte Neuausgabe, Frankfurt am Main 2007.
  • Abenteuer im Wirklichen oder Die Gegenwart unserer Klassiker. Stuttgart 2007, ISBN 3-608-93764-1.
  • Utopie in dürftiger Zeit. Studien über Ernst Bloch. Würzburg 2009, ISBN 3-8260-3989-0.
  • Zusammen mit Bernd Steinbrink: Grundriß der Rhetorik. Geschichte – Technik – Methode. 5. aktualisierte Auflage. Stuttgart 2011, [a. Aufl. 1986] ISBN 3-476-00557-7.
  • Utopisches Grenzland: über Karl May. Klöpfer & Meyer, Tübingen 2012.

Weblinks

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