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Georg Ratzinger (Kirchenmusiker)

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Georg Ratzinger (2014)

Georg Ratzinger (* 15. Januar 1924 in Pleiskirchen bei Altötting in Oberbayern; † 1. Juli 2020 in Regensburg[1]) war ein deutscher römisch-katholischer Priester und Kirchenmusiker. Er war der Bruder des emeritierten Papstes Benedikt XVI. (Joseph Ratzinger).

Leben

Georg Ratzinger wurde am 15. Januar 1924 als Sohn des Gendarmeriemeisters Joseph (* 6. März 1877; † 25. August 1959) und der Köchin Maria, geb. Peintner (* 7. Januar 1884; † 16. Dezember 1963) geboren. Er war Großneffe des Reichstagsabgeordneten Georg Ratzinger und hatte zwei Geschwister, Joseph Aloisius (* 16. April 1927) und Maria Ratzinger (* 7. Dezember 1921; † 2. November 1991). Die Schwester widmete sich bis zu ihrem Tod dem Haushalt Georgs sowie dem Haushalt des späteren Papstes Benedikt XVI.

Bereits als Elfjähriger spielte Georg Ratzinger Kirchenorgel. 1935 trat er in das Kleine Seminar in Traunstein ein, wo er ersten professionellen Instrumentalunterricht erhielt. 1941 hörte er zum ersten Mal die Regensburger Domspatzen, als sie zum Mozartjahr 1941 in Salzburg sangen. Im gleichen Jahr wurde er im Zuge der Beitrittspflicht Mitglied der Hitler-Jugend. Im Sommer 1942 wurde er zum Reichsarbeitsdienst und im Herbst zur Wehrmacht eingezogen. 1944 wurde er in Italien am rechten Oberarm verwundet und geriet gegen Kriegsende in amerikanische Gefangenschaft. Im Juli 1945 kehrte er nach Traunstein heim.

Im Januar 1946 trat er zusammen mit seinem jüngeren Bruder Joseph in das Priesterseminar der Erzdiözese München und Freising ein, gleichzeitig führte er aber seine musikalischen Studien fort. 1951 empfing er zusammen mit seinem Bruder von Kardinal Michael von Faulhaber das Sakrament der Priesterweihe. Er studierte Kirchenmusik an der Musikhochschule in München, während er gleichzeitig von der Diözese an verschiedenen Orten als Priester eingesetzt wurde. 1957 schloss er die Meisterklasse ab und wurde Chordirektor in Traunstein.

Am 1. Februar 1964 wurde er der Nachfolger von Theobald Schrems als Domkapellmeister am Regensburger Dom und „Chef“ der Regensburger Domspatzen. Dort entstanden unter seiner Leitung Einspielungen großer Werke der Chormusik (u. a. das Weihnachtsoratorium und Motetten von Johann Sebastian Bach und die Psalmen Davids von Heinrich Schütz). Der Chor entfaltete eine rege Konzerttätigkeit mit Reisen in die USA, nach Skandinavien, Kanada, Taiwan, Japan, Irland, Polen, Ungarn, in den Vatikan sowie jährlich einer Deutschlandtournee und erfüllte weiterhin die liturgischen Dienste im Dom von St. Peter in Regensburg.

1976 feierten die Domspatzen ihr 1000-jähriges Bestehen. Im darauf folgenden Jahr leitete Georg Ratzinger den Chor bei der Weihe seines Bruders Joseph zum Erzbischof von München und Freising. 1994 trat er von seinem Amt als Domkapellmeister zurück und lebte seitdem als Kanonikus des Kollegiatstiftes St. Johann in Regensburg. Sein Nachfolger war Roland Büchner.

Am 29. Juni 2011 feierte er mit seinem Bruder und weiteren Weihekollegen in Rom sein 60-jähriges Priesterjubiläum.

Im September 2011 erschienen Ratzingers Erinnerungen an seinen Bruder mit dem Titel Mein Bruder, der Papst. Aufgezeichnet wurden sie von dem Journalisten Michael Hesemann.

Er starb am 1. Juli 2020, kurz nachdem ihn sein Bruder Benedikt XVI. noch einmal für vier Tage besucht hatte, im Alter von 96 Jahren in Regensburg.[2]

Wirken

Georg Ratzinger widmete sich der Kirchenmusik nicht nur in seinem Amt als Domkapellmeister (Dirigent), sondern auch als Komponist und Arrangeur. Anlässlich des Heiligen Jahres 2000 schrieb er die Messe L’Anno Santo. Auch ein Satz zu O du fröhliche, der von den Domspatzen gelegentlich als Zugabe in Weihnachtskonzerten gesungen wird, stammt von ihm.[3]

Körperliche Misshandlungen und sexueller Missbrauch

In einer Festschrift zum 50-jährigen Gründungsjubiläum des Musikgymnasiums von 1998 würdigte Ratzinger das Werk des als gewalttätig und übergriffig geltenden Direktors der Grundschule der Regensburger Domspatzen Johann Meier. Demnach sei Meiers Erziehungsstil nach beinahe 40 Jahren selbstloser Tätigkeit „in der modernen Zeit nicht mehr verstanden worden“.[4]

Im März 2010 geriet der pädagogische Führungsstil Ratzingers in die Kritik. Er selber räumte ein: „Früher waren Ohrfeigen einfach die Reaktionsweise auf Verfehlungen oder bewusste Leistungsverweigerung.“ Und somit habe auch er solches Verhalten der Sängerknaben am Anfang seiner Chorleitertätigkeit (ab 1964) gelegentlich mit Ohrfeigen bestraft. An das gesetzliche Verbot körperlicher Züchtigungen seit Anfang der achtziger Jahre habe er sich „striktissime gehalten“, und das habe ihn „innerlich erleichtert“.[5] Nach Angaben des Nachrichtenmagazins Der Spiegel bezeichneten ehemalige Sänger der Regensburger Domspatzen Ratzinger als „extrem cholerisch und jähzornig“. Er soll „noch Ende der achtziger Jahre bei Chorproben erzürnt Stühle in die Männerstimmen hineingeworfen“ haben.[6] Andere ehemalige Domspatzen, welche sich kurz darauf an die Mittelbayerische Zeitung wandten, nahmen Ratzinger dagegen in Schutz und betonten, es habe zu ihrer Zeit keine derartigen Gewaltanwendungen gegen Sänger gegeben.[7]

Ratzinger gab 2010 darüber hinaus an, dass er keine Kenntnis von sexuellen Missbrauchsfällen bei den Domspatzen habe, im Haus sei über diese Dinge nie gesprochen worden.[8] Dem stehen Berichte von mehreren Betroffenen gegenüber, die sich ihren Angaben zufolge 1970/71 mit den Eltern an Ratzinger gewandt und sexuelle Übergriffe gemeldet haben.[9] Eine im Auftrag der Diözese eingeleitete Untersuchung durch einen Rechtsanwalt kam im Januar 2016 zu dem Ergebnis, dass Ratzinger als Vorstand der Stiftung der Regensburger Domspatzen und langjähriger Leiter des Chores „seit spätestens Ende der 80er“ von den zahlreichen Misshandlungsfällen bei dem Knabenchor „gewusst haben“ müsse.[10] Ratzinger wies diese Darstellung erneut zurück;[11] er sagte unter anderem:

„Diese Kampagne ist für mich ein Irrsinn. Es ist einfach Irrsinn, wie man über 40 Jahre hinweg überprüfen will, wie viele Ohrfeigen bei uns verteilt worden sind, so wie in anderen Einrichtungen auch.“[12]

In seinem Abschlussbericht, der am 18. Juli 2017 vorgelegt wurde, kam der Rechtsanwalt Ulrich Weber zu dem Ergebnis, Ratzinger habe „kein Wissen über sexuelle Gewalt“ gehabt. Bei Fällen körperlicher Gewalt griff er jedoch trotz Kenntnis nicht ein.[13][14] Ratzinger werde, so der Anwalt, von damaligen Chormitgliedern als musikalischer Perfektionist geschildert. Er sei zwar kein Sadist gewesen, aber ein Choleriker, der oft in „rasende, unkontrollierte Wutausbrüche“ geraten sei, auf Sänger eingeschlagen und mit Notenständern geworfen habe.[15] Domkapellmeister Roland Büchner sagte in einem Interview nach der Veröffentlichung des Berichts: „Es herrschte ein System der Angst“. Ratzinger sei als Chorleiter „impulsiv, ja fanatisch“ gewesen, „wenn er seine Vorstellungen von musikalischer Qualität durchsetzte“. Manche Schüler hätten ihn als Vorbild gesehen, „andere fürchteten ihn als Schläger“.[16][17]

Eine vom Bistum Regensburg in Auftrag gegebene kriminologische Studie kam 2019 zu dem Ergebnis, dass Domkapellmeister Ratzinger „den ihm übertragenen Erziehungs- und Fürsorgeauftrag aus kriminologischer Sicht gegenüber zahlreichen ehemaligen Schülern der Domspatzen aufgrund seines Gewaltverhaltens nicht erfüllt“ habe. Er habe den betroffenen Schülern sowohl „in Form der Vernachlässigung zuvorderst im Hinblick auf seine diesbezüglich nicht wahrgenommenen Aufgaben als Vorsitzender des Direktoriums der Stiftung der Regensburger Domspatzen und Kuratoriumsmitglied in Etterzhausen – wie direkt – in Form ausgeübter physischer und psychischer Gewalt – schweres Leid zugefügt.“ Typologisch habe Domkapellmeister Ratzinger im Untersuchungszeitraum „zur physisch-expressiven Gewalt“ tendiert, es sei „über die Jahrzehnte hinweg gemessen am Verhalten kein Wille erkennbar, an der eigenen Unbeherrschtheit und damit verbundenen spontan-reaktiven Gewaltausübung etwas verändern zu wollen.“[18]

Eine vom Bistum Regensburg in Auftrag gegebene historische Studie beschrieb 2019 die Einrichtungen der Domspatzen als „totale Institution“, in der das Wohl der Schüler den Interessen der Institution untergeordnet worden seien.[19]

Ehrungen

Im Jahre 1967 verlieh Papst Paul VI. Georg Ratzinger den Ehrentitel Kaplan Seiner Heiligkeit und 1976 den Titel Päpstlicher Ehrenprälat. Am 23. Oktober 1993 erhielt Ratzinger von Johannes Paul II. den Titel Apostolischer Protonotar, die höchste päpstliche Ehrenprälatenwürde.

Im August 2008 wurde Georg Ratzinger die Ehrenbürgerschaft von Castel Gandolfo verliehen. Am 25. Januar 2009 wurde er anlässlich seines 85. Geburtstages im Rahmen einer feierlichen Pontifikalvesper von Bischof Gerhard Ludwig Müller zum Ehrendomherrn am Regensburger Dom ernannt.[20]

2010 erhielt er in Rom den „Ehrenpreis der Fondazione Pro Musica e Arte Sacra“, die höchste Auszeichnung, die von der römischen Stiftung für geistliche Kunst und Musik vergeben wird.[21][22]

Am 15. Januar 2014 beging Georg Ratzinger seinen 90. Geburtstag im Vatikan. Ihm zu Ehren wurde in Anwesenheit seines Bruders, Papst em. Benedikt XVI., ein privat organisiertes Konzert gegeben; Michael Hesemann hielt eine Laudatio.[23]

Auszeichnungen

Publikationen

  • mit Michael Hesemann: Mein Bruder, der Papst. Herbig, München 2011, ISBN 978-3-7766-2678-0.
  • Missa L’ anno santo für gemischten Chor a cappella. Feuchtinger & Gleichauf, Regensburg 2000.

Literatur

  • Paul Winterer: Der Domkapellmeister. Georg Ratzinger – ein Leben für die Regensburger Domspatzen. Mittelbayerische Druck- und Verlagsgesellschaft, Regensburg 1994, ISBN 3-927529-34-6.
  • Anton Zuber: Der Bruder des Papstes. Georg Ratzinger und die Regensburger Domspatzen. Herder, Freiburg 2007, ISBN 978-3-451-29604-8.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. „Papstbruder“ Georg Ratzinger in Regensburg gestorben. In: Bayerischer Rundfunk. 1. Juli 2020, abgerufen am 1. Juli 2020.
  2. Bewegender Abschied: Das geschah beim Papst-Besuch bei seinem kranken Bruder. www.tz.de, 1. Juli 2020.
  3. Andreas Meixner: Inniger Konzertabend mit Domspatzen. In: mittelbayerische.de, 3. Dezember 2014. Abgerufen am 27. Juni 2017.
  4. Domspatzendirektor Meier und seine (Ex-)Freunde Recherche auf regensburg-digital vom 15. Dezember 2015.
  5. Domspatzen: Papstbruder Ratzinger verteilte Ohrfeigen bei Chorproben Der Spiegel vom 9. März 2010
  6. www.spiegel.de Neue Missbrauchsvorwürfe bei Regensburger Domspatzen, vom 13. März 2010
  7. Ehemalige Domspatzen nehmen Georg Ratzinger in Schutz Mittelbayerische Zeitung vom 16. März 2010
  8. Ratzingers Beichte Süddeutsche Zeitung vom 9. März 2010.
  9. Die Methode Ratzinger Darstellung der Betroffenengruppe intern-at von 2010.
  10. Hunderte Misshandlungen bei den Domspatzen – Georg Ratzinger soll davon gewusst haben, br.de, 8. Januar 2016; abgerufen am 8. Januar 2016
  11. PNP-Interview: Georg Ratzinger weist Vorwürfe gegen sich zurück, Passauer Neue Presse, 10. Januar 2016
  12. sueddeutsche.de 12. Januar 2016: Ratzinger nennt Aufarbeitung des Missbrauchsskandals „Irrsinn“
  13. Abschlussbericht in Regensburg vorgelegt: Domspatzen-Ermittler zählte 547 Missbrauchsfälle (Memento vom 6. Januar 2018 im Internet Archive) auf www.br.de, 18. Juli 2017
  14. Abschlussbericht Domspatzen (Memento vom 20. Juli 2017 im Internet Archive), Vorfälle von Gewaltausübung an Schutzbefohlenen bei den Regensburger Domspatzen, Untersuchungsbericht, Ulrich Weber/Johannes Baumeister, 18. Juli 2017.
  15. FAZ.net 18. Juli 2017: Sadisten im geistlichen Gewand
  16. Georg Ratzinger war Teil des Gewaltsystems bei den Regensburger Domspatzen auf www. sueddeutsche.de, 19. Juli 2017
  17. Regensburger Domkapellmeister erhebt schwere Vorwürfe gegen Georg Ratzinger auf www.zeit.de, 19. Juli 2017
  18. Matthias Rau, Lisanne Breiling, Martin Rettenberger: Regensburger Aufarbeitungsstudie, Sozialwissenschaftliche Analysen und Einschätzungen zur Gewalt bei den Regensburger Domspatzen 1945 bis 1995, Elektronische Schriftenreihe der KrimZ, Band 18, 2019, S. 143
  19. Bernhard Frings, Bernhard Löffler: Der Chor zuerst, Institutionelle Strukturen und erzieherische Praxis der Regensburger Domspatzen 1945 bis 1995, Pustet Regensburg, 2019
  20. „Trage das Kreuz in Deinem Herzen“: Georg Ratzinger wird Ehrendomherr
  21. Italien: Papstbruder erhält Auszeichnung (Memento vom 29. Oktober 2010 im Internet Archive), Radio Vatikan, 25. Oktober 2010.
  22. www.festivalmusicaeartesacra.net
  23. Georg Ratzinger feierte 90. Geburtstag mit seinem Bruder Benedikt XVI. kath.net, 16. Januar 2014.
  24. Foto Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse


Vorgänger Amt Nachfolger
Theobald Schrems Domkapellmeister am Regensburger Dom
19641994
Roland Büchner
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