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Gedenkstätte Zellentrakt

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Im Bereich der vorderen Ecke im Erdgeschoss des Herforder Rathauses befindet sich der Zellentrakt.

Die Gedenkstätte Zellentrakt ist eine Erinnerungsstätte an die Opfer des Nationalsozialismus in der ostwestfälischen Stadt Herford. Sie wurde 2005 in den ehemaligen Hafträumen der Polizei in den Kellergewölben des Herforder Rathauses eröffnet.[1] Während des Nationalsozialismus wurden ab dem 1. März 1933 dort Schutzhäftlinge auf Grund der Reichstagsbrandverordnung untergebracht.[2]

Die Gedenk-, Dokumentations- und Begegnungsstätte wird vom Kommunalarchiv Herford und vom Verein Kuratorium Erinnern Forschen Gedenken e. V. betrieben. Sie erinnert an die Verfolgung und Vernichtung von Minderheiten in der Vergangenheit und soll Tendenzen und Umgang mit diesem Thema in der Gegenwart aufzeigen.[3] Neben einem Gedenkraum an die ermordeten jüdischen Herforder bieten der Zellentrakt auch Platz für pädagogische Angebote und wechselnde Ausstellungen. Thematische Schwerpunkte sind das jüdische Leben, die Zeit des Nationalsozialismus, Minderheiten und fremde Kulturen.[3]

Zur Gedenkstätte gehört auch die Präsentation der vor der Vernichtung geretteten Bibliothek der jüdischen Unternehmerfamilie Elsbach/Maas im Elsbachhaus.[4]

Vorgeschichte

Seit Ende der 1980er Jahre beschäftigten sich in Herford einige engagierte Personen mit der Zeit des Nationalsozialismus und der Verfolgung und Ermordung jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger. Nach einer ersten Ausstellung mit dem Titel Juden in Herford im Jahr 1988 und weiteren Aktionen wurde im Gemeindehaus der jüdischen Gemeinde Herford-Detmold der Verein Kulturen in der Region e. V. gegründet. In dem Zusammenhang wurde auch über eine zentrale Gedenkstätte diskutiert. Daraufhin wurde am 27. Januar 1997, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, das Kuratorium Erinnern Forschen Gedenken mit dem Ziel gegründet, in Herford eine Dokumentations- und Begegnungsstätte in Erinnerung an die zwischen 1933 und 1945 verfolgten und ermordeten MitbürgerInnen einzurichten. Mitbegründer waren neben Kulturen in der Region, die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Herford, die jüdische Kultusgemeinde Detmold-Herford, die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) und zahlreiche Einzelpersonen aus Stadt und Kreis Herford.

Ein möglicher Ort für die Gedenkstätte war die kleine Markthalle, wo am 27. Januar 1999 eine Gedenk- und Mahntafel zur Erinnerung an die von dort deportierten Herforder Bürgerinnen und Bürger installiert wurde.

Ende 2004 konnte die geplante Gedenkstätte nach längeren Gesprächen mit Politik und Verwaltung im Zellentrakt umgesetzt werden.[5]

Geschichte

Die Räume im Untergeschoss des Herforder Rathauses, das während des Ersten Weltkriegs auf dem Gelände der ehemaligen Fürstabtei gebaut worden war, dienten von 1917 bis 1963 als Polizeigewahrsam für die in den danebenliegenden Räumen stationierte Polizeiwache. Von 1933 bis 1945 wurde das Polizeigefängnis auch von der Gestapo benutzt.

Im Zellentrakt wurden durch Kriminalpolizei und Gestapo ab 1. März 1933 meist ohne gesetzliche Grundlage zuerst politisch nicht genehme Personen, wie der Sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Julius Finke in Schutzhaft genommen.[2] Später wurden auch Angehörige verfolgter Minderheiten eingesperrt. Nach der Reichspogromnacht am 9. November 1938 wurden zahlreiche Juden kurzzeitig eingesperrt, um über Bielefeld ins KZ Buchenwald transportiert zu werden. Von Bielefeld aus ging es nach Vernehmungen und Haft von bis zu acht Wochen Dauer vor Gerichte und in andere Gefängnisse, aber auch oft direkt in Konzentrationslager.

Nach Kriegsende blieben Wache und Zellentrakt noch bis zum Bau einer neuen Polizeiwache 1964 in Betrieb. Danach wurden Flur und Zellen als Aktenlager der Stadtverwaltung genutzt. Daher sind die Räume bis auf nachträglich eingezogene Kabelkanäle in relativ ursprünglichem Zustand erhalten geblieben. Das 1997 gegründete Kuratorium Erinnern Forschen Gedenken plante seit langem die Errichtung einer dauerhaften Gedenkstätte für Stadt und Kreis Herford. Nach längeren Verhandlungen wies die Stadtverwaltung den Zellentrakt im Herbst 2004 als Außenstelle dem Stadtarchiv Herford zu. Seit 2005 ist der Zellentrakt eine Außenstelle des Kommunalarchivs.[3]

Die offizielle Eröffnung fand am 18. Juli 2005 durch den damaligen Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel statt.[6]

Aufgaben

Für zahlreiche Opfer des NS-Regimes begann in dem Zellentrakt in den Jahren 1933 bis 1945 ein Leidensweg. Kriminalpolizei und Gestapo vernahmen die Inhaftierten in der Polizeiwache. Bis zu mehrere Wochen wurden sie im Rathaus festgehalten. Für viele Menschen jüdischen Glaubens, Zwangsarbeiter, Zeugen Jehovas, politische Gefangene und andere waren die Zellen Orte der Ungewissheit und Angst. Manche von ihnen erwarteten Haftanstalten, KZ- und andere Lager oder gar das Todesurteil. An diese Menschen und ihre Schicksale erinnert die Gedenkstätte mit halbjährig wechselnden Ausstellungen im weitgehend originalgetreu erhaltenen Zellentrakt. Er ist ein lebendiger Ort der Auseinandersetzung mit den dunklen Zeiten in der Geschichte des Herforder Raums. Eine der Zellen dient als Gedenkstätte für die jüdischen Opfer aus Herford.

Das Kuratorium Erinnern Forschen Gedenken arbeitet in der Gedenkstätte die Geschichte und Gegenwart verfolgter Minderheiten in der Stadt und im Kreis Herford auf und dokumentiert diese. Insbesondere die Geschichte und Bedeutung sowie die Verfolgung und Vernichtung der Juden, die Geschichte und Kultur anderer Verfolgter des NS-Regimes, wie Sinti und Roma, politisch Verfolgte, Bibelforscher, Homosexuelle, Zwangssterilisierte und andere. Dazu gehören auch der Alltag der Verfolgung, das Denken und Verhalten der Täter und Zuschauer, die Geschichte des Raumes Herford in der NS-Zeit, der Umgang mit der NS-Zeit bis heute, das christlich-jüdische Verhältnis in Geschichte und Gegenwart, die Intoleranz gegenüber fremden Kulturen in der Vergangenheit und heute und die Geschichte und Kultur von heute hier lebenden Minderheiten.

Die praktische Umsetzung umfasst die Einrichtung und Unterhaltung einer Gedenk- und Begegnungsstätte, die Archivierung von Materialien, die Erforschung noch offener Aspekte, die Veröffentlichung von Arbeiten mit lokalgeschichtlichem Hintergrund, das Angebot von Veranstaltungen in Ergänzung zum regulären Schulunterricht und von Projekten für und mit Jugendlichen, aber auch generationsübergreifende Angebote sowie kulturelle und interkulturelle Veranstaltungen.[7]

Gedenkveranstaltungen

Das Kuratorium ist an mehreren jährlichen Gedenkveranstaltungen beteiligt. So beteiligt es sich an der jährlichen Gedenkveranstaltung für Euthanasieopfer Anfang September am Mahnmal am Deichtorwall.[8] Die Gedenkveranstaltung für den Herforder Antifaschisten und NS-Justizopfer Heiko Ploeger richtet das Kuratorium regelmäßig am 15. September zusammen mit dem DGB auf dem Friedhof zum Ewigen Frieden in Herford aus.[9] Ebenso veranstaltet und beteiligt sich das Kuratorium an Lesungen und Konzerten zum Holocaustgedenktag.[10] Im Jahr 2020 veranstaltete es z. B. zusammen mit NRWeltoffen u.w. ein Konzert mit der Holocaustüberlebenden Esther Bejarano.[11]

Ausstellungen

Ausstellung im Kiosk 24 über Nazis in der Weimarer Republik

Seit 2005 konnte das Kuratorium Erinnern Forschen Gedenken verschiedene namhafte Ausstellungen in der Gedenkstätte Zellentrakt zeigen. Dabei wurden sowohl regionale Themen wie zum Beispiel die Zerstörung der Synagogen in Ostwestfalen-Lippe oder die Schicksale Euthanasie-Geschädigter im Raum Herford als auch bundesweit diskutierte Fragen wie in der Ausstellung Antisemitismus? Antizionismus? Israelkritik? aufgegriffen.[12]

2008 gab es eine Ausstellung über die Schutzhaft im Zellentrakt.[2] 2018 haben mehr als 3500 Personen die Ausstellungen im Zellentrakt besucht.[13]

Im Jahr 2019 gab es im Zellentrakt eine Ausstellung über die vernachlässigte Opfergruppe, die Zeugen Jehovas, beziehungsweise „Bibelforscher“, wie sie damals genannt wurden.[14]

Während des COVID-19-Lockdowns 2020/2021 wurde auf den Kiosk 24 als Ausstellungsraum ausgewichen und dort die antidemokratischen Tendenzen der Weimarer Republik von rechts gezeigt.[15]

Sonstige Aktivitäten

Antrag auf Aberkennung des Bundesverdienstkreuz eines NS-Täters

Das Kuratorium Stiften und Erinnern hat durch eigene Nachforschungen entdeckt, dass der ehemalige Herforder Amtsarzt Heinrich Siebert für mindestens 188 Zwangssterilisierungen während des Nationalsozialismus verantwortlich war. Siebert konnte seine Taten während des Entnazifizierungsverfahrens vertuschen und wurde in der Nachkriegszeit Leiter des Gesundheitsamtes in Herford. Dafür wurde er 1961 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet. Das Kuratorium beantragte deswegen zusammen mit dem Kreis eine Aberkennung des Bundesverdienstkreuzes beim Bundespräsidenten. Diese wurde vom Bundespräsidialamt abgelehnt, da eine Aberkennung nach dem Tode nicht möglich sei.[16][17]

Weblinks

Einzelnachweise

Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Gedenkstätte Zellentrakt aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.