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Formatio reticularis

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Die Formatio reticularis oder Retikulärformation (von lateinisch formatio „Gestaltung“, „Bildung“ und reticularis „netzartig“) bezeichnet ein ausgedehntes, diffuses Neuronennetzwerk im Hirnstamm, das von der Medulla oblongata (verlängertes Mark) bis zum Zwischenhirn (Diencephalon) reicht. Die Formatio reticularis setzt sich in das mediale Vorderhirnbündel fort.

Die Neurone sind maschenartig diffus verstreut oder zu Kernen verdichtet. Gut abgrenzbare Kerne innerhalb der Formatio reticularis sind die Raphekerne (medianer Anteil) und der Locus caeruleus. Darüber hinaus ist eine großzellige Kerngruppe im medialen und eine kleinzellige Kerngruppe im lateralen Anteil zu unterscheiden. Die zu höheren Hirnzentren aufsteigenden Neurone haben sensorische Funktionen, während die zum Rückenmark absteigenden (Efferenzen) motorische Funktionen besitzen.

Funktion

Die Formatio reticularis hat neben der Verschaltung der Hirnnervenkerne folgende Aufgaben und Koordinationszentren:

Der Hirnschrittmacher

Zwischen den eindeutig abgrenzbaren Bahnen und Kernen des Nervensystems liegen Nervenzellgruppen und die dazugehörigen Fasern in einer diffusen, netzartigen Anordnung, der Netzsubstanz, die vom Rückenmark bis in den Thalamus das Zentralnervensystem durchzieht.

Die Aufgabe dieser diffusen Nervennetze besteht in der zeitlich Koordination, z. B. beim Einsatz von Muskeln bei der Fortbewegung. Derartige Netzwerke zur zeitlichen Koordination sind in allen Wirbeltierhirnen, bei Insekten und niederen Tieren nachweisbar.

Das aufsteigende retikuläre Aktivierungssystem

Eine besondere Aufgabe kommt der Formatio reticularis bei den Säugetieren im Zusammenhang mit der Entwicklung der Großhirnrinde (Cortex) zu. Auch die kortikalen Aktivitäten müssen mit dem ganzen System zeitlich koordiniert werden. Zu diesem Zweck gehen von der Netzsubstanz des Thalamus Verbindungen in alle Teile des Cortex, die „Aufsteigendes Reticuläres Aktivierendes System“ (abgekürzt ARAS) genannt werden. Weil vom Thalamus auch die spezifischen Informationen der Sinnesorgane zum Cortex weitergeleitet werden, werden die ARAS-Verbindungen als die „unspezifischen Bahnen“ bezeichnet.

Bevor diese „unspezifischen Bahnen“ vom Thalamus aus den Cortex erreichen, machen sie eine Schleife zu den sogenannten Basalganglien (Nucleus caudatus, Pallidum, Putamen), die als längliches Kerngebiet zwischen Thalamus und Cortex liegen. In dieser Erregungsschleife, die über viele Zwischenneurone in der Laufzeit fein regulierbar ist, entsteht im Thalamus ein variabler Rhythmus, der dann von dort aus in alle Gebiete des Cortex geleitet wird.

Mit einer rhythmischen Erregung der kortikalen Pyramidenzellen durch das ARAS entsteht das, was wir Bewusstsein nennen: Oberhalb einer Frequenz von 6 Hz werden wir immer wacher, bis zu etwa 40 Hz. Wenn der Rhythmus langsamer als 6 Hz ist, schläft der Mensch, bei 3 Hz ist er in Tiefschlaf oder Narkose, und die Null-Linie im EEG wird als sicheres Todeszeichen angesehen.

Eine weitere Funktion des ARAS besteht in der Modulation eines Weckreizes. Man kennt die filternde Wirkung des Thalamus, der nur starke oder „wichtige“ Informationen ins Bewusstsein lässt. „Tor zum Bewusstsein“ wird der Thalamus in der Anatomie schon lange genannt, und die Frequenz des ARAS bestimmt, wie weit dieses Tor offen ist. Starke Reize bewirken augenblicklich eine Beschleunigung der Schrittmacherfrequenz, um sofort hellwach zu machen.

Eine weitere Funktion ist die Steuerung der Aufmerksamkeit, die so verständlich wird: Weil im Thalamus die von den Sinnesorganen einströmenden Informationen und die retikulären Strukturen des ARAS in unmittelbarer Nähe und Verbindung sind, können die Sinneserregungen dort auf die Aktivität des ARAS in der Art Einfluss nehmen, dass genau jene Projektionsfelder des Cortex aktiviert werden, in welche die stärksten Sinneseindrücke projiziert werden.

Da vom Cortex auch efferente Fasern zum Thalamus führen, kann der Cortex die Aktivität des ARAS beeinflussen und die Aufmerksamkeit unabhängig von äußeren Reizen in jedes kortikale Gebiet lenken.

Kreislauf- und Atemzentrum

Von peripheren Barorezeptoren erreichen die Afferenzen den Nucleus tractus solitarii (NTS). Von dort aus besteht ein efferenter Schenkel über den Nucleus dorsalis nervi vagi und den Nervus vagus (10. Hirnnerv) zum Herzen und führt zur Senkung des Blutdrucks (negativ inotrop). Ein zweiter, antagonistischer Schenkel verläuft über die Formatio reticularis vom NTS zur kaudalen ventrolateralen Medulla oblongata, von dort aus zur rostralen ventrolateralen Medulla oblongata und schließlich ins Rückenmark zu den sympathischen Zentren. Der Sympathikus führt dann zum Herzen und zu den arteriellen Blutgefäßen um den Blutdruck zu steigern. Bemerkenswert ist, dass das zentrale Antihypertonikum Clonidin an α2-Adrenozeptoren der rostralen venterolateralen Medulla oblongata über eine Inhibition des sympathischen Systems wirkt.

Zur Kontrolle der Atmung enthält die Formatio reticularis inspiratorisch aktive und exspiratorisch aktive Neurone. Leitet der Nervus vagus Signale über die Dehnung der Lunge zum Prä-Bötzinger-Komplex der Formatio reticularis, so werden die inspiratorischen Neurone mehr und mehr gehemmt, die exspiratorischen Neurone enthemmt, bis irgendwann die Inspiration zum Stehen kommt und in eine Exspiration umschlägt. Dieser Reflex läuft bedingt unwillkürlich ab und kann in gewissen Bereichen durch willentliche Beeinflussung moduliert werden. Man nennt ihn nach seinen Erstbeschreibern den Hering-Breuer-Reflex.

Extrapyramidale Steuerung der Motorik

Die motorische Formatio reticularis ist ein Abschnitt des extrapyramidalmotorischen Systems. Sie ist in ein Bahnungs- und ein Hemmungsgebiet unterteilt. Das Bahnungsgebiet umfasst einen großen Teil der gesamten Formatio reticularis von der Medulla oblongata bis zum Mittelhirn. Es erhält Impulse unter anderem von der Großhirnrinde, dem Kleinhirn, dem vegetativen Nervensystem sowie von sensorischen Leitungsbahnen. Dadurch werden in ihm motorische, sensorische und vegetative Erregungsprozesse integriert. Das Hemmungsgebiet der Formatio reticularis nimmt einen kleinen Teil der ventralen Medulla oblongata ein.

Brechzentrum

Zum Brechzentrum gehört neben Teilen der Formatio reticularis die Area postrema sowie der Nucleus tractus solitarii.

Pontine Kontrolle der Harnblasenentleerung

Die Funktion des pontinen Miktionszentrums, mit absteigenden Bahnen zum Miktionszentrum im Rückenmark (Segmente S1-4), ist die Koordination somatischer, sympathischer und parasympathischer Einflüsse auf die Blasenentleerung, mit dem Ziel, eine vollständige Blasenentleerung zu ermöglichen. Dies wird deutlich bei einer Querschnittlähmung, bei der diese absteigenden Bahnen durchtrennt werden. Während des spinalen Schocks (Wochen bis Monate nach der Verletzung) kommt es zur Areflexie, also dem Ausfall der spinalen Reflexe, verbunden mit einer Inkontinenz. Da nicht nur der Verschlussmechanismus der Blase gestört ist, sondern auch der Blasenmuskel, kommt es neben der Inkontinenz zu einer ungenügenden Entleerung der Blase, zu Restharn. Dieses Stadium geht in eine Hyperreflexie über: Eine unwillentliche Kontraktion des Blasenmuskels, die reflektorisch bei einer bestimmten Blasenfüllung startet, vermindert die Restharnmenge. Manchen Patienten ist es möglich, den Reflex durch Beklopfen der Blase auszulösen und damit einen gewissen willentlichen Einfluss auf die Blasenfunktion zurückzugewinnen.

Modulation der Schmerzempfindung

Neben dem Vorderseitenstrang aszendiert in der weißen Substanz des Rückenmarks ein spinoreticulo-thalamisches System. Diese Fasern enden in der Formatio reticularis und werden von dort weiter verschaltet:

Emotionen

Durch Verbindung von hypothalamischen Kernen und dem limbischen System ist die Formatio reticularis auch für die affektive Färbung von Sinneseindrücken bedeutsam (mesolimbische Bahn von der Area tegmentalis ventralis zum Nucleus accumbens, siehe dort).

Literatur

  • Hassler, Rolf: Regulation der psychischen Aktivität (in „Hirnforschung und Psychiatrie“ Colloquium Verlag, Berlin 1971)
  • Alexander R. Lurija: Das Gehirn in Aktion. rororo, 1998, ISBN 3-499-19322-1
  • Martin Trepel: Neuroanatomie. 5. Auflage. Urban & Fischer, München 2012, ISBN 978-3-437-41299-8, S. 145.
  • Eric R. Kandel, James H. Schwartz, Thomas M. Jessell: Principles of Neural Science, McGraw-Hill Medical, 4 edition (January 5, 2000), ISBN 0-8385-7701-6
  • Aktories et al.: Pharmakologie und Toxikologie. Urban & Fischer, 9. Auflage 2005
  • Purves et al.: Neuroscience Including Sylvius. 3. Auflage 2004, Sinauer Verlag, ISBN 0-87893-725-0
  • Pschyrembel Klinisches Wörterbuch, 261. Auflage
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