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Feudalismus

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Der Ausdruck Feudalismus (von lateinisch feudum ‚Lehen‘ → Lehnswesen) bezeichnet in den Sozialwissenschaften vor allem die Gesellschafts- und Wirtschaftsform des europäischen Mittelalters. Der Begriff wurde in Frankreich im frühen Zeitalter der Aufklärung geprägt, durch Montesquieu 1748 bekannt gemacht und insbesondere von Voltaire erläutert. In der Französischen Revolution 1789 spielte er als Kampfbegriff zur Charakterisierung der früheren Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung eine große Rolle. Im deutschsprachigen Raum kam der Ausdruck Feudalismus Anfang des 19. Jahrhunderts auf. Später klassifizierte Karl Marx den Feudalismus als notwendige Vorstufe des Kapitalismus. Als Selbstbezeichnung einer Gesellschaftsordnung wird der Begriff nicht verwendet.

Merkmale

Eine idealtypische feudale Gesellschaft kann durch folgende Merkmale beschrieben werden: Ein Landesherr überlässt einer entstandenen Kriegerkaste zu deren materieller Versorgung die Nutzung von Teilen seines Landes; einschließlich der darauf befindlichen Bewohner. Das feudum ist ein zum Lehen (also ein im anfänglichen Grundprinzip nur zur Leihe), übertragenes beneficium, d. h. eine Wohltat im Sinne materieller Ausstattung. Aus den Lehensgütern entwickeln sich mit der Zeit herrschaftliche und wirtschaftliche Rechtsnormen, die den unteren Stand der Bauern von einer staatlich-politischen Willensbildung ausschließen und gleichzeitig nach oben hin, zum obersten Landesherrn, der Entstehung einer geschlossenen Staatsverwaltung entgegenwirken. Streng genommen beinhaltet der Begriff Feudalismus daher zwei voneinander getrennte Dimensionen:

  1. das Verhältnis und die Gefolgschaftstreue des obersten Landesherrn zur Kriegerklasse und
  2. die Herrschaftsverhältnisse der mit Lehen ausgestatteten Klasse nach unten zu der nicht lehensfähigen Bevölkerung.

Die Produktion des Feudalismus ist stark von der Naturalwirtschaft geprägt. Der überwiegende Teil der Bevölkerung besteht aus Bauern. Sie sind aber nicht Eigentümer des von ihnen bestellten Landes. Dieses Land ist Eigentum des Grundherrn. Die Bauern befinden sich im Zustand der Hörigkeit, sie sind also persönlich abhängig vom Grundherrn und unfrei.

Das bedeutet:

  • Sie sind an die Scholle (das zu bestellende Land) gebunden (glebae adscripti) und haben nicht das Recht, es zu verlassen.
  • Sie sind der Rechtsprechung ihres Herrn unterworfen.
  • Sie schulden den Grundherren Abgaben, sowohl in Form von Arbeitsleistungen (Fron) auf dem direkt vom Grundherren bestellten Land (Salland), als auch in Form von Naturalabgaben, die aus demjenigen Stück Land aufgebracht werden müssen, das sie selbst bewirtschaften (Zehnt). Die Frondienste oder die Naturalabgaben können im Verlauf der Entwicklung auch durch Geldabgaben abgelöst werden.

Das Eigentum des Grundherrn ist auch nur bedingt, denn er hat es als Lehen von einem höhergestellten Adligen erhalten, dem er dafür Kriegsdienste schuldet. Er ist sein Vasall.

Zur Beurteilung des Feudalismus als Wirtschaftssystem gehört auch die Beobachtung, dass ein Teil der Einnahmen des Feudalherrn wieder verteilt wird, als patriarchalisches Almosen, als Geschenk an „treue“ Vasallen o. ä. Es ist nämlich Teil der Aufgabe des Feudalherrn, für Gerechtigkeit zu sorgen, (die allerdings in der Realität von den Feudalherren nur selten voll erfüllt wurde - außerdem wich das damalige Gerechtigkeitsideal zuweilen recht deutlich vom heute üblichen ab).

Die Kette dieser abhängigen, mit Kriegsdienst verbundenen Lehen reicht bis zum König, dessen hoheitliche Domäne letzten Endes alles Land ist. In der mittelalterlichen Vorstellung ist er allerdings auch nur ein Vasall, er ist Gott unterstellt. Die politische Souveränität ist nach unten hin quasi parzelliert. Der König ist in diesem System nur das Oberhaupt seiner Vasallen, an die er durch gegenseitige Bande der Lehnstreue gebunden ist, aber er hat keinen direkten Zugang zu seinen Untertanen.

Hieraus ergibt sich eine bestimmte Entwicklungsdynamik:

  1. Aus der germanischen Zeit überlebte lange Zeit das dörfliche Gemeindeland, die Allmende. Die Zersplitterung der Souveränität erschwerte die Aneignung dieses Landes durch die Feudalherren und stärkte die Stellung der Bauern.
  2. Die Parzellierung der Souveränität unterstützte die Existenz und Entwicklung von Städten. Die Stadtbürger beschäftigten sich mit Handwerk und Handel und erkämpften mit der Zeit die Autonomie (siehe auch unter Kommunen).
  3. Die Zersplitterung der Souveränität kann zu anarchischen Zuständen führen und damit den Bestand des feudalen Staates gefährden. Deshalb waren die Könige bestrebt, ihre Rechte über die reinen Feudalbeziehungen hinaus auszuweiten und direkte Beziehungen zu ihren Untertanen zu etablieren, z. B. in Form des Rechtes der Steuererhebung. Dadurch gerieten sie in einen Gegensatz zum Adel.
  4. Die Kirche, im Altertum ein Bestandteil des Staatsapparates, wurde im Mittelalter eine selbstständige Institution, die sich ebenfalls feudalisierte. Daraus resultieren häufige Spannungen zwischen weltlichen und religiösen Herrschaften, die zu einem Riss in der feudalen Legitimität führen konnten. Ein Beispiel hierfür ist der Investiturstreit.

Einzelne Aspekte des Feudalismus konnten sich mancherorts für lange Zeit in Gesellschaften erhalten, die insgesamt nicht mehr feudal geprägt waren. So folgte das schottische Immobilienrecht noch bis 2002 einem als "feudal tenure" bezeichneten System, in dem etwa der Käufer eines Grundstücks formell Vasall eines Lehnsherrn wurde.[1]

Entstehung und Geschichte

Die feudale Gesellschaft entstand im Frühmittelalter durch eine Verschmelzung der sich auflösenden antiken Gesellschaft und der germanischen Gesellschaften. Nach der Völkerwanderung entstanden auf dem Gebiet des ehemaligen römischen Reiches mehrere germanische Königreiche. Die oben beschriebenen feudalen Institutionen entwickelten sich aber erst nach dem Jahr 800 im Reich der Franken, als eine vormals zum Teil freie Bauernschaft durch ständige Kriege und Invasionen der Wikinger, Sarazenen, Magyaren etc. ökonomisch ruiniert und so in die Abhängigkeit von den Feudalherren gezwungen wurde. Es gab aber auch gewaltsame Einverleibungen durch Feudalherren (beispielsweise Stedingerkrieg).

  • In heute zu Deutschland zählenden Gebieten liegen die Anfänge des Feudalismus im 9. Jahrhundert und erreichen im 12. Jahrhundert mit der vor allem von der marxistischen Literatur so bezeichneten Entstehung der Ersten Leibeigenschaft ihre hochmittelalterliche Ausprägung. Im 16. Jahrhundert kommt es zu einer Neubewertung der Herrschaftsverhältnisse, welche in Deutschland östlich der Elbe zur sogenannten Zweiten Leibeigenschaft führen, während in anderen Teilen Deutschlands der Absolutismus die symbolische Aufladung des Landesherrn und Adels mit Macht demonstrativ vorantreibt, gleichzeitig aber eine Vereinheitlichung des Staates von oben herab initiiert wird. Die bürgerliche Revolution von 1848 gilt in Deutschland als Ende feudaler Herrschaftsprinzipien (mit Ausnahme Mecklenburgs: dort 1918).
  • Die Kernregion des europäischen Feudalismus war der Norden des heutigen Frankreich, das dem idealtypischen Feudalsystem sehr viel mehr als jede andere Region entsprach. Hier existierte eine einzigartig dichte Lehnshierarchie mit vielfältigen Ebenen der Subinfeudation.
  • In Südeuropa (Spanien, Languedoc, Italien) waren die Überbleibsel der Antike stärker. So war verhältnismäßig mehr Land absolutes, nicht lehnsgebundenes Allod (Eigentum). Zudem verschwanden die Städte nicht so weitgehend wie in Nordeuropa und sie erlebten im Languedoc und in Italien bereits ab dem 10. Jahrhundert eine neue Blütezeit.
  • In Nordeuropa (Sachsen, England, Skandinavien) mit stärkeren Überresten der germanischen Gesellschaften dauerte es viel länger, bis es zur Etablierung der Leibeigenschaft kam. In Sachsen und teilweise auch in anderen Gebieten Deutschlands bis zum 12. Jahrhundert; in Schweden konnte sie sich nie vollständig durchsetzen. In England wiederum verschwand die autonome Volksgerichtsbarkeit nie vollständig. Aus ihr entwickelte sich das Common Law.

Refeudalisierung

Die Wiedereinführung der Leibeigenschaft durch die Preußen im mittleren Osteuropa wird als „Refeudalisierung" oder auch als „zweite Leibeigenschaft" bezeichnet.[2]

Angesichts aktueller Entwicklungen im 20. und 21. Jahrhundert sprechen Sozialwissenschaftler auch heute von einer Refeudalisierung der Gesellschaft.[3] Es

„droht mit dieser Entwicklung das, was man eine Refeudalisierung der Gesellschaft nennen könnte: eine Gesellschaft, in der Reichtum ebenso wie Armut innerhalb abgegrenzter sozialer Gruppen ‚vererbt‘ werden, und zwar nicht nur durch die Weitergabe bzw. das Fehlen von materiellen Gütern, sondern – sozialisatorisch weit früher und tiefgreifender – insbesondere durch die soziale Determination von Bildungs- und Aufstiegschancen. So sind heute die Chancen eines Kindes aus einem Elternhaus mit hohem sozialem Status mehr als siebenmal größer, ein Studium aufzunehmen, als die eines Arbeiterkindes. Einem ‚Adel der Chancen‘ am einen stehen am anderen Ende die Gruppen der Besitz- und Ressourcenlosen ohne Perspektiven gegenüber.“[4]

Charakteristika sind unter anderem die zunehmende Vermögensungleichheit, die bloße Inszenierung von Öffentlichkeit, das Darstellen von Partikularinteressen von Personen oder Verbänden als Allgemeininteressen, der Ausschluss der Öffentlichkeit bei Entscheidungen von öffentlichem Interesse, soziale Herkunft als entscheidender Faktor für Wohlstand.[5]

Siehe auch

Literatur

  • Perry Anderson: Von der Antike zum Feudalismus. Spuren der Übergangsgesellschaft („Passages from antiquity to feudalism“). Suhrkamp, Frankfurt/M. 1981, ISBN 3-518-10922-7.
  • Harold J. Bermann: Recht und Revolution. Die Bildung der westlichen Rechtstradition Suhrkamp, Frankfurt/M. 2009 / 2. Aufl., ISBN 978-3518288030.
  • Marc Bloch: Die Feudalgesellschaft („La societé féodale“). Klett-Cotta, Stuttgart 1999, ISBN 3-608-91234-7.
  • Jan Dhondt: Das frühe Mittelalter (Fischer Weltgeschichte; 10). Fischer-Taschenbuchverlag, Frankfurt/M. 2003, ISBN 3-596-50732-4.
  • Georges Duby: Die drei Ordnungen. Das Weltbild des Feudalismus („Les trois ordres ou l’imaginaire du féodalisme“). Suhrkamp, Frankfurt/M. 1993, ISBN 3-518-28196-8.
  • Natalie Fryde (Hrsg.): Die Gegenwart des Feudalismus („The presence of feudalism“). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2002, ISBN 3-525-35391-X.
  • Alain Guerreau: L'avenir d'un passé incertain. Quelle histoire du moyen age au XXI siècle. Édition Le Seuil, Paris 2001, ISBN 2-02-049697-6.
  • Alain Guerreau: Fief, féodalité, féodalisme. Enjeux sociaux et réflexion historienne. In: Annales. Economies, sociétés, civilisations. Bd. 45 (1990), S. 137-166.
  • Friedrich-Wilhelm Henning: Deutsche Agrargeschichte des Mittelalters. 9. bis 15. Jahrhundert Ulmer, Stuttgart 1994, ISBN 3-8001-3092-0.
  • Max Weber: Agrarverhältnisse im Altertum [3. Fassung], in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften Band 1, Jena 1909 3. Auflage, 52–188, GASW 1–288

Weblinks

 Commons: Feudalismus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen

  1. http://www.caledonia.org.uk/land/feudal2.htm
  2. Christian Giordano: Interdependente Vielfalt: Die historischen Regionen Europas. in: Karl Kaser u.a. (Hg.): Europa und die Grenzen im Kopf, Wieser-Verlag, Klagenfurt 2003, S. 113 - 134.
  3. So etwa Jürgen Habermas: Die Konkurrenz der organisierten Privatinteressen gegenüber dem Neomerkantilismus einer interventionistischen Verwaltung [führen] zu einer Refeudalisierung der Gesellschaft, weil mit der Verschränkung und privatem Bereich nicht nur politische Instanzen gewisse Funktionen in der Spähre des Warenverkehrs und der gesellschaftlichen Arbeit, sondern auch umgekehrt gesellschaftliche Mächte politische Funktionen übernehmen. Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt am Main, 1990, S. 336f.; Sighard Neckel, Refeudalisierung der Ökonomie, Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln 2010. Rainer Forst: Die erste Frage der Gerechtigkeit, 2005.
  4. Rainer Forst: Die erste Frage der Gerechtigkeit, 2005 S. 24.
  5. Jürgen Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit; Sighart Neckel, Refeudalisierung der Ökonomie, Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln 2010. Rainer Forst: Die erste Frage der Gerechtigkeit, 2005.
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