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Fernand Braudel

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Fernand Paul Braudel (* 24. August 1902 in Luméville-en-Ornois, heute zur Gemeinde Gondrecourt-le-Château, Département Meuse; † 28. November 1985 in Cluses, Département Haute-Savoie) war ein französischer Historiker der Annales-Schule. Er wirkte als Professor an der Pariser Elite-Universität École des hautes études en sciences sociales (EHESS), dem Collège de France und war Mitglied der Académie française.

Leben und Wirken

Innerhalb der École des Annales gehörte Braudel zur zweiten Generation, wobei er ab den 1950er Jahren, zum einen durch sein direktes Schülerverhältnis zu den Gründervätern Marc Bloch und Lucien Febvre und zum anderen durch sein umfangreiches eigenes Werk, zur bestimmenden Figur dieser Phase der Annales-Schule wurde. Bloch war im Juni 1944 von der Gestapo ermordet worden, Febvre starb 1956 im Alter von 78 Jahren.

Ab 1924 unterrichtete Braudel als Lehrer an verschiedenen Gymnasien im damals französisch beherrschten Algerien (→ Französisch-Nordafrika), zuerst in Constantine und später in Algier. 1932 kehrte er nach Europa zurück und unterrichtete bis 1934 an drei Lycées: am Lycée Pasteur in Neuilly-sur-Seine, am Lycée Condorcet in Paris und am Lycée Henri IV in Paris. 1934 entsandte die französische Regierung einige junge Lehrer und Dozenten, darunter Claude Lévi-Strauss, Jean Maugüé, Pierre Monbeig und Braudel, nach São Paulo in Brasilien, um die gerade gegründete Universidade de São Paulo zu fördern. Auf der Schiffsreise zurück nach Europa lernte er den späteren Betreuer seiner Habilitationsschrift, Lucien Febvre, kennen. Ab 1937 wechselte er an die École pratique des hautes études in Paris. Dort stand er im Austausch mit seinem Lehrer Febvre und begann an seinem späteren Hauptwerk zu arbeiten. Die Arbeit daran war durch den drohenden Krieg mit Hitler-Deutschland überschattet; Braudel wurde schon 1938 zum Militärdienst eingezogen. Er geriet im Juni 1940, während des Westfeldzuges, in deutsche Kriegsgefangenschaft. Er war im Offizierslager ('Oflag') XII B Mainz auf der Zitadelle Mainz und gegen Kriegsende im Oflag X-C in Lübeck. In beiden Lagern war Braudel Rektor der Lageruniversität und hatte Zugang zu Bibliotheken.[1]

1963 gründete Gaston Berger auf Betreiben Braudels die Fondation Maison des Sciences de l’Homme (FMSH), eine staatlich unterstützte französische Stiftung zur Förderung der Wissenschaften, die Braudel bis zu seinem Tode leitete.[2] 1962 wurde er korrespondierendes Mitglied der British Academy. Seit 1964 war er korrespondierendes Mitglied der Bayerischen und seit 1965 der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. 1964 wurde er gewähltes Mitglied der American Philosophical Society.[3] 1970 wurde Braudel in die American Academy of Arts and Sciences gewählt.

Als bedeutender Schüler Braudels gilt der Sozialwissenschaftler Immanuel Wallerstein.

Grabmal Braudels in Paris

Braudel starb 1985 und wurde auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise (Abschnitt 32 # 1)[4] bestattet.

Publikationen

Das Mittelmeer und die mediterrane Welt

Braudels zu großen Teilen in Kriegsgefangenschaft verfasstes Hauptwerk, das er 1949 als Habilitationsschrift veröffentlichte, ist Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipps II. Darin entwirft Braudel eine Universalgeschichte des Mittelmeerraumes zur Zeit Philipps II. von Spanien. Das monumentale Werk von ursprünglich über 1200 Seiten ist dabei in drei Teile gegliedert.

Jeder dieser Teile entspricht einer bestimmten Zeitebene, mittels derer sich Braudel je verschieden der Vergangenheit zu nähern sucht. Während der erste Teil sich mit der Geschichte des Menschen in der Landschaft in seiner Beziehung zu einem geographischen Milieu beschäftigt, geht Braudel im zweiten Teil auf die Geschichte größerer Strukturen wie Staaten, Gesellschaften, Kulturen usw. ein.

Der dritte Teil orientiert sich an der traditionellen Geschichtsschreibung mit ihrer Betonung der politischen und militärischen Ereignisse, wobei Braudel selbst immer wieder die Bedeutung individueller menschlicher Handlungen relativiert.

Zeitebenen

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Insgesamt unterscheidet Braudel drei Zeitebenen. Die unterste Schicht wird gebildet von einer langsam fließenden Geschichte, in der Veränderungen kaum wahrnehmbar sind, einer histoire quasi immobile, die Braudel auch géohistoire nennt. Diese Zeit ist die der Naturerscheinungen, in der alle Bewegungen in einem Kreislauf an ihren Ausgangspunkt zurückkehren. Es ist dies die Geschichte der Täler und Gebirge, der Inseln und Küsten, des Klimas, der Land- und Seewege.

Die darüberliegende Schicht ist jene, die später besonders mit dem Begriff der longue durée verbunden wurde. Es ist die Zeit der in langsamen Rhythmen verlaufenden Geschichte, der größeren sozialen, kulturellen, ökonomischen und politischen Strukturen, die einen Zeitraum von ein, zwei Jahrhunderten umfassen können.

Ganz an der Oberfläche befindet sich letztlich die Geschichte der Ereignisse, die histoire événementielle. Geschichte lässt sich nach Braudel nicht verstehen, wenn nur diese letzte Ebene betrachtet wird, vielmehr erscheinen die menschlichen Ereignisse wie bloße Wellen auf der Oberfläche des Stroms der Geschichte, ohne deren tieferen Grund zu berühren.

Sein Hauptinteresse gilt somit nicht der Ereignisgeschichte, sondern er orientiert sich an der fast unbeweglichen Zeit der Naturerscheinungen. Er konzentriert sich also auf zeitlose Phänomene und beschreibt etwa, dass in der Regel Bergbewohner konservativer sind als die Bewohner der Ebenen oder dass die Adria immer eine Kulturscheide war. Für diese langsamen Zeitabläufe prägt Braudel den Begriff der longue durée. Diese Bezeichnung wurde auch von anderen Annales-Historikern aufgegriffen, ohne aber damit immer dasselbe zu meinen wie Braudel.

Civilisation matérielle

Als wichtigstes Werk Braudels gilt die Trilogie Civilisation matérielle, Economie et Capitalisme, XVe–XVIIIe siècle. Braudel untersucht in diesen Bänden (1: Structures du quotidien – 2: Les jeux de l’échange – 3: Les temps du monde) die Entwicklungen und Einstufung der Wirtschaftssysteme: Lokalökonomie des Tausches und kleiner Märkte, Marktwirtschaft als Ausgleichssystem unter normalen Wettbewerbsbedingungen, Kapitalismus und Weltwirtschaft als Antiökonomie. Wirtschaftssysteme können nur dann optimal funktionieren, wenn diese drei Stufen arbeiten können. Diese Sichtweise kann ein Ansatzpunkt für Regionalpolitiken und Strukturpolitiken sein.

Werke (Auswahl)

  • La Méditerranée et le monde méditeranéen à l’epoque de Philippe II. Paris 1949 (Habilitationsschrift 1947).
  • La longue durée. In: Annales. 1958, S. 725–753.
    • Deutsch als: Die lange Dauer. In: Schriften zur Geschichte Bd. 1: Gesellschaft und Zeitstrukturen. 1992, S. 49–87.
  • Mit Georges Duby und Maurice Aymard: La Méditerranée. Arts et métiers graphiques, Paris 1978.
    • Deutsch zuletzt als: Die Welt des Mittelmeeres. Zur Geschichte und Geographie kultureller Lebensformen. Fischer TB, Frankfurt 2006, ISBN 978-3-596-16853-8.
  • Civilisation matérielle, économie et capitalisme (XVe–XVIIIe siècles). Armand Colin, Paris 1979 (3 Bände).
    • Deutsch als: Sozialgeschichte des 15.–18. Jahrhunderts. Kindler, München 1985 (3 Bände). Band 1: Der Alltag. 1985. Band 2: Der Handel. 1986. Band 3: Aufbruch zur Weltwirtschaft. 1986.
  • La dynamique du capitalisme. Arthaud, Paris 1985, ISBN 2-08-081192-4.
    • Deutsch als: Die Dynamik des Kapitalismus. 2. Auflage. Klett-Cotta, Stuttgart 1991, ISBN 3-608-93093-0.
  • L’identité de la France. Arthaud, Paris 1986 (3 Bände).
    • Deutsch als: Frankreich. Klett-Cotta, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-608-94644-4 (3 Bände: Band 1: Raum und Geschichte. Band 2: Die Menschen und die Dinge. Band 3: Die Dinge und die Menschen.).
  • Le modèle italien. Arthaud, Paris 1989.
    • Deutsch zuletzt als: Modell Italien 1450–1650. Wagenbach, Berlin 2003, ISBN 3-8031-2457-3.
  • Schriften zur Geschichte. Klett-Cotta, Stuttgart 1992 (2 Bände). Band 1: Gesellschaft und Zeitstrukturen. 1992, ISBN 3-608-93142-2. Band 2: Menschen und Zeitalter. 1993, ISBN 3-608-93159-7.
  • Wie Geschichte geschrieben wird. Wagenbach, Berlin 1998, ISBN 3-8031-2326-7 (Aufsatzsammlung).
  • Geschichte als Schlüssel zur Welt. Vorlesungen in deutscher Kriegsgefangenschaft 1941. Klett-Cotta, Stuttgart 2013, ISBN 978-3-608-94843-1 (Aus dem Französischen von Peter Schöttler und Jochen Grube).

Autobiographisches

  • Personal Testimony. In: Journal of Modern History 44, 1972, Nr. 5, S. 448–467.
  • Wie ich Historiker wurde. In: Schriften zur Geschichte. Band 2: Menschen und Zeitalter, Klett-Cotta, Stuttgart 1993, ISBN 3-608-93159-7.

Literatur

  • Carlos Antonio Aguirre Rojas: Fernand Braudel und die modernen Sozialwissenschaften. Leipziger Universitäts-Verlag, Leipzig 1999, ISBN 3-931922-93-6.
  • Peter Burke: Die Geschichte der „Annales“. Die Entstehung der neuen Geschichtsschreibung. Wagenbach, Berlin 1991, ISBN 3-8031-2503-0.
  • Georg G. Iggers: Die Annales und ihre Kritiker. Probleme moderner französischer Sozialgeschichte. In: Historische Zeitschrift. 219, Nr. 3, 1974, S. 578–608.
  • Barbara Kronsteiner: Zeit, Raum, Struktur. Fernand Braudel und die Geschichtsschreibung in Frankreich. Geyer-Edition, Wien 1989, ISBN 3-85090-135-1.
  • Yves Lemoine: Fernand Braudel. Espaces et temps de l’historien. Punctum, Paris 2005, ISBN 2-35116-006-1 (Vies choisies).
  • Erato Paris: La genèse intellectuelle de l’œuvre de Fernand Braudel, La Méditerranée et le monde méditerranéen à l’epoque de Philippe II (1923–1947). Athen 1999.
  • Jörg Schmidt: Der historiographische Ansatz Fernand Braudels und die gegenwärtige Krise der Geschichtswissenschaft. Phil. Diss., Ludwig-Maximilians-Universität, München 1971.
  • Eric Piltz: Fernand Braudel und die Spatial Stories der Geschichtswissenschaft. In: Jörg Döring, Tristan Thielmann (Hrsg.): Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Transcript, Bielefeld 2008, S. 75–102.
  • Peter Schöttler: Fernand Braudel, prisonnier en Allemagne: face à la longue durée et au temps présent. In: Sozial.Geschichte Online, H. 10, 2013, S. 10–27 [1]

Weblinks

 Commons: Fernand Braudel – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Laura Hannemann: Der entfesselte Geist. Die französischen Lageruniversitäten im 2. Weltkrieg. In: Francia 33, 2006, Heft 3, S. 95 ff. (http://mdzx.bib-bvb.de/francia/Blatt_bsb00016440,00115.html?prozent=1 (Memento vom 10. Februar 2013 im Webarchiv archive.is)Vorlage:Webarchiv/Wartung/Linktext_fehlt).
  2. Geschichte (Memento vom 13. September 2016 im Internet Archive) der Fondation Maison des Sciences de l'Homme auf der Webseite der Organisation, abgerufen am 20. Oktober 2015.
  3. Member History: Fernand P. A. Braudel. American Philosophical Society, abgerufen am 18. Mai 2018.
  4. Angaben auf "findagrave.com", abgerufen am 15. August 2016
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Fernand Braudel aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.