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Emil Kraepelin

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Emil Kraepelin

Emil Kraepelin (* 15. Februar 1856 in Neustrelitz; † 7. Oktober 1926 in München) war ein deutscher Psychiater, auf den bedeutende Entwicklungen in der wissenschaftlichen Psychiatrie zurückgehen.

Von Kraepelin stammen die Grundlagen des heutigen Systems der Klassifizierung psychischer Störungen. Er führte experimentalpsychologische Methoden in die Psychiatrie ein und gilt als Begründer der modernen empirisch orientierten Psychopathologie, mit der in ersten Ansätzen ein psychologisches Denken in der Psychiatrie üblich wurde. Auch die Entwicklung der Psychopharmakologie geht auf ihn zurück. Diese Zuschreibung als Begründer der Psychopharmakologie rechtfertigen aber weder seine Forschungsarbeiten noch seine Publikationen. Im Wesentlichen beruht diese Zuschreibung auf dem schmalen Werk Über die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel von 1892.

Familie und Werdegang

Kraepelins Grab auf dem Heidelberger Bergfriedhof in der Abteilung V

Kraepelin wurde als jüngstes von drei Kindern eines Musiklehrers geboren. Sein Abitur legte er 1874 am Gymnasium Carolinum ab. Seit 1871 war er mit der um sieben Jahre älteren Ina Schwabe verlobt, die er 1884 heiratete. Mit ihr hatte er acht Kinder, von denen vier bereits im Kleinkindesalter starben. 1885 wurde seine erste Tochter geboren. Die vielleicht engste Beziehung hatte er zu seinem neun Jahre älteren Bruder Karl. Von ihm angeregt, studierte er ab 1874 Medizin an der Universität Leipzig und der Universität Würzburg.

Hier konnte er schon 1875 bei Franz von Rinecker an der psychiatrischen Uniklinik tätig werden, der ihn nach einem nochmaligen kurzen Aufenthalt in Leipzig, bei dem er Wilhelm Wundt kennenlernte, Ende 1877 sogar als Assistenten einstellte. 1878 schloss Kraepelin sein Studium mit der Promotion ab, wechselte für vier Jahre zu Bernhard von Gudden an die Kreis-Irrenanstalt in München und ging 1882 nach Leipzig zu Paul Flechsig, wo er den Unmut Flechsigs auf sich zog und „in hohem Grade“ dessen „Unzufriedenheit“ erregte, weil Kraepelin seinen ärztlichen Aufgaben in der Klinik nicht nachkam und schließlich gekündigt wurde (Kündigungsschreiben: „… behandelt … den Dienst für die Klinik thatsächlich als … Nebensache“). Mit Unterstützung seines Mentors Wilhelm Wundt gelang es ihm dennoch, mit einigen, gerade eben ausreichenden Publikationen – ohne eine eigene Habilitationsschrift zu verfassen – seine Habilitation zu erlangen.

Nach verschiedenen weiteren Tätigkeiten erhielt er 1886 seine erste Professur an der Universität Dorpat, bevor er 1891 für zwölf Jahre die Leitung der Großherzoglich Badischen Universitäts-Irrenklinik in Heidelberg übernahm, an der er entscheidende Neuerungen einführte. Aus Unzufriedenheit mit den geringen Möglichkeiten des Ausbaus der Klinik nahm er 1903 einen Ruf nach München an.

Am 21. Dezember 1903 unternahm Kraepelin zusammen mit seinem Bruder Karl von Heidelberg aus eine Reise, die ihn über Genua nach Südostasien führte. In Buitenzorg auf Java führte Kraepelin Studien an der einheimischen Bevölkerung durch. Diese veröffentlichte Kraepelin u. a. unter dem Titel Psychiatrisches aus Java, 1904. Das machte ihn wiederum zum Begründer der vergleichenden oder auch transkulturellen Psychiatrie.

In München beschäftigte er sich bereits vor dem Ersten Weltkrieg mit dem Gedanken, eine Forschungsstätte für Psychiatrie zu gründen. Durch eine großzügige Finanzierung durch James Loeb gelang ihm 1917 die Gründung der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie (Kaiser-Wilhelm-Institut), die nach dem Zweiten Weltkrieg als das heutige Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München weitergeführt wurde und noch heute Namensbestandteil desselben ist. Die Forschungsanstalt hatte folgende Abteilungen: klinische Abteilung (Johannes Lange), hirnpathologische Abteilung (Brodmann, Nissl, Spielmeyer), serologische Abteilung (Plaut, Jahnel) und die genealogische Abteilung (Rüdin, ein Anhänger der Degenerationslehre). Während des Ersten Weltkriegs beteiligte sich Kraepelin an der Gründung der bayerischen Sektion der Deutschen Vaterlandspartei. 1920 erhielt er ehrenhalber den Doktortitel der philosophischen Fakultät der Universität Königsberg.

Kraepelin legte seine persönliche Einstellung zur Degenerationslehre z. B. 1908 in dem Werk Zur Entartungsfrage oder 1918 in dem Werk Geschlechtliche Verirrungen und Volksvermehrung dar. Der Psychiater Kurt Kolle bezeichnete in einem seiner Werke (Große Nervenärzte, 1956/1970) diese Kraepelinsche Einstellung als „betont völkisch“.

Emil Kraepelin wurde auf dem Bergfriedhof Heidelberg beigesetzt. Seine letzte Ruhestätte liegt in der Abteilung V.

Werk

Auf Kraepelin geht die Entwicklung von Begriff und Konzept der Dementia praecox (vorzeitige Demenz) zurück, das sich allerdings als zu eng erwies und von Eugen Bleuler durch das der Schizophrenie ersetzt wurde. Bedeutsam ist jedoch Kraepelins Vorgehensweise, die heute selbstverständlich erscheint: Statt wie zuvor üblich psychische Störungen allein nach der von außen feststellbaren Ähnlichkeit ihrer Symptome einzuteilen, berücksichtigte er bei seinen Forschungen auch die Veränderung der Symptome im Laufe der Zeit und damit den Verlauf eines Krankheitsbildes. Damit gewann er ein weiteres Kriterium zur Differenzierung, Einschätzung und Beurteilung krankheitswertiger Symptome und Symptomkomplexe (Syndrome) bei psychischen Ausfällen, das zudem in der Lage war, auch andere als zeitliche, nämlich kausale Zusammenhänge näherungsweise einzugrenzen. Er initiierte in der 6. Auflage seines psychiatrischen Lehrbuches von 1899[1] die noch heute geltende Zweiteilung der Psychosen, indem er die Dementia praecox (heute die Gruppe der Schizophrenien) dem manisch-depressiven Irresein (heute Affektive Störung) gegenüberstellte. Kriterium für diese Dichotomie war der unterschiedliche Verlauf. Im Gegensatz zur Dementia praecox (Schizophrenie) bilden sich die Symptome des manisch-depressiven Irreseins (Affektive Störung) wieder zurück. Dass diese Regel nicht 100-prozentig zutrifft, weiß die psychiatrische Wissenschaft inzwischen. Die grundsätzliche Tendenz galt aber lange Zeit als unbestritten. Aufgrund von Befunden der neueren genetischen Forschung wird diese Dichotomie aber wissenschaftlich jetzt wohl nicht mehr länger aufrechterhalten werden können.[2] Einen guten Überblick über die Kontroverse um Kraepelin gibt eine 2007 erschienene Publikation[3] der World Psychiatric Association.

Aufgrund seiner Forschungen konnte Kraepelin postulieren, dass psychotische Erkrankungen, die noch bis 1991 (bis zur Klassifikation nach ICD 10) endogen genannt wurden (der Begriff geht auf Paul Julius Möbius zurück), eigengesetzlich entstehen. Gestörten Gehirnfunktionen wurde dabei vornehmliche Beachtung geschenkt. Kraepelin förderte die Hirnforschung auf jede Weise. Soziokulturellen Aspekten schenkte er Aufmerksamkeit durch die Begründung der transkulturellen Psychiatrie im Jahr 1904. Dagegen scheint er an den Weiterentwicklungen psychopathologischen Denkens über seinen klinisch-deskriptiven Ansatz hinaus durch die mit dem Namen Jaspers verbundene methodisch genaue phänomenologische Erfassung der seelischen Zustände, die Kranke wirklich erleben, weniger interessiert gewesen zu sein (obwohl Franz Nissl, Kraepelins jahrelanger Mitarbeiter, Jaspers’ Lehrbuch höher einschätzte als das Kraepelins) und noch weniger an der Erforschung der Psychodynamik seelischen Geschehens, um die sich zur gleichen Zeit Forscher wie Freud, Adler, Jung und andere bemühten.

Von der Freudschen Traumdeutung hielt er nichts. Kraepelin veröffentlichte jedoch 1906 eine längere Monografie über Sprachstörungen in seinen Träumen (286 Vorbilder insgesamt), die er auf eigene Weise analysierte. Er setzte die Aufzeichnung seiner Träume nach 1906 fort bis seinem Tode 1926. Dieses zweite Traumkorpus – ebenfalls mit Sprachstörungen (391 Vorbilder) – befindet sich noch heute im Historischen Archiv des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie.

Kritiker machen Kraepelin für die inhumanen Methoden in der deutschen Psychiatrie des 20. Jahrhunderts mit verantwortlich.

„Emil Kraepelin hatte die Gespräche, die seine Vorgänger, wie Wilhelm Griesinger von 1817 bis 1868 und Carl Wilhelm Ideler von 1795 bis 1860 noch mit ihren Patienten geführt hatten, durch die gesprächslose Beobachtung von Symptomen ersetzt, durch die ‚Krankheitsbilder‘- oder ‚Nosologische‘ Psychiatrie. Darum konnte er seine Patientinnen und Patienten auch nicht mehr als Mitmenschen erkennen, wie es nur durch Gespräche möglich ist. Die beobachteten Symptome traten an die Stelle des Menschen mit seinen Erfahrungen. Kraepelin forderte (Zitat): »Ein rücksichtsloses Eingreifen gegen die erbliche Minderwertigkeit, das ›Unschädlichmachen‹ der psychopathisch Entarteten mit Einschluss der Sterilisierung« (Zitatende).“

Dorothea Buck[4]

Die Goldene Kraepelin-Medaille ist ebenso nach ihm benannt wie der Kraepelinweg im Hamburger Stadtteil Barmbek-Süd und im Berliner Stadtteil Spandau sowie die Kraepelinstraße im Münchner Stadtteil Schwabing. Letztere Benennung wird seit Februar 2012 kritisch von der Stadtratsfraktion der Partei DIE LINKE hinterfragt.

Schriften

Werkausgabe

Wolfgang Burgmair, Eric J. Engstrom und Matthias Weber (Hrsg.): Emil Kraepelin. belleville, München; bisher erschienen:

Bd. I: Persönliches, Selbstzeugnisse. 2000, ISBN 3-933510-90-2
Bd. II: Kriminologische und forensische Schriften: Werke und Briefe. 2001, ISBN 3-933510-91-0
Bd. III: Briefe I, 1868–1886. 2002, ISBN 3-933510-92-9
Bd. IV: Kraepelin in Dorpat, 1886–1891. 2003, ISBN 3-933510-93-7
Bd. V: Kraepelin in Heidelberg, 1891–1903. 2005, ISBN 3-933510-94-5
Bd. VI: Kraepelin in München I, 1903-1914. 2006, ISBN 3-933510-95-3
Bd. VII: Kraepelin in München II, 1914-1921. 2009, ISBN 978-3-933510-96-9
Einzelne Schriften

Literatur

  • Huub Engels: Emil Kraepelins Traumsprache: erklären und verstehen. In: Dietrich von Engelhardt und Horst-Jürgen Gerigk (ed.): Karl Jaspers im Schnittpunkt von Zeitgeschichte, Psychopathologie, Literatur und Film. Mattes, Heidelberg 2009, ISBN 978-3-86809-018-5, p. 331–343
  • Eric J. Engstrom & Matthias M. Weber (Hrsg.): Making Kraepelin History: A Great Instauration? Special Issue of History of Psychiatry 18.3 (2007).
  • Eric J. Engstrom, Wolfgang Burgmair, Matthias M. Weber: Emil Kraepelin’s 'Self-Assessment: Clinical Autography in Historical Context. History of Psychiatry 13 (2002), S. 89–119
  • Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, Frankfurt am Main 2005, 333
  • Helmut Siefert: Kraepelin, Emil. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 12, Duncker & Humblot, Berlin 1980, S. 639 f. (Onlinefassung).
  • Holger Steinberg: Kraepelin in Leipzig. Eine Begegnung von Psychiatrie und Psychologie. Psychiatrie-Verlag, Bonn 2001 (Edition Das Narrenschiff), ISBN 9783884143001
  • Holger Steinberg (Hrsg.): Der Briefwechsel zwischen Wilhelm Wundt und Emil Kraepelin. Zeugnis einer jahrzehntelangen Freundschaft. Hans Huber, Bern 2002, ISBN 3-456-83805-0
  • Holger Steinberg, Matthias Claus Angermeyer: Emil Kraepelin’s years at Dorpat as professor of psychiatry in nineteenth-century Russia. History of Psychiatry 2001; 12: 297-327
  • Holger Steinberg: Emil Kraepelin in Leipzig: Wie einer Entlassung eine Habilitation folgen kann – Eine Quellenstudie. In: Holger Steinberg (Hrsg.): Leipziger Psychiatriegeschichtliche Vorlesungen. [Beiträge zur Leipziger Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte B 7]. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2005, S. 75–102, ISBN 3-374-02326-6
  • Matthias M. Weber, Wolfgang Burgmair, Eric J. Engstrom: Zwischen klinischen Krankheitsbildern und psychischer Volkshygiene: Emil Kraepelin 1856–1926. Deutsches Ärzteblatt, 13. Oktober 2006, 103.41 (2006): A2685-2690
  • Benedikt Weyerer: Der Mäzen James Loeb. In: ausgegrenzt-entrechtet-deportiert Hrsg. Ilse Macek, München 2008, 457
Bibliografien
  • Bibliografie in: Emil Kraepelin: Lebenserinnerungen. Herausgegeben von Hanns Hippius, Gerd Peters und Detlev Ploog unter Mitarbeit von Paul Hoff und Alma Kreuter. Springer Verlag, Berlin 1983.
  • Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München, Archiv: Bibliographie Emil Kraepelin: Gedrucktes, Nachlass und Briefe, Ausgewählte Sekundärliteratur. Online

Weblinks

 Commons: Emil Kraepelin – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
 Wikisource: Emil Kraepelin – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

  1. Einband der 6. Auflage
  2. Nick Craddock, Michael J. Owen: The beginning of the end for the Kraepelinian dichotomy. In: The British Journal of Psychiatry. Nr. 186, 2005, S. 364–366
  3. Nick Craddock, Michael J. Owen: Rethinking psychosis: the disadvantages of a dichotomous classification now outweigh the advantages. In: World Psychiatry. Jg. 6, Nr. 2, Juni 2007; S. 20–27
  4. Dorothea Buck: 70 Jahre Zwang in deutschen Psychiatrien – erlebt und miterlebt. (PDF; 52 kB) 20. Januar 2008
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Emil Kraepelin aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.