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Edgar Sarton-Saretzki

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Edgar Sarton-Saretzki (* 10. Mai 1922 in Limburg an der Lahn) ist ein deutschstämmiger Journalist, Diplomat und Autor kanadischer Staatsangehörigkeit.

Private und berufliche Entwicklung

Kindheit und Schulzeit

Sarton-Saretzki wurde als einziges Kind des Tenors und jüdischen Kantors Nathan Saretzki (1887–1944) und seiner Ehefrau Emmy (1890–1944) geboren.[1] In Frankfurt am Main, wohin die junge Familie im Jahr seiner Geburt gezogen war, besuchte er die Holzhausenschule im Stadtteil Westend, bevor er 1932 zum humanistischen Lessing-Gymnasium wechselte. Dort war auch sein Vater bis zu diesem Jahr als Lehrer für jüdische Religion eingesetzt.

1933 wurde er für längere Zeit im Infektionsgebäude des Krankenhauses der Israelitischen Gemeinde in der Gagernstraße 36 wegen Diphtherie behandelt, die beinahe völlige Isolation war für ihn schwer zu ertragen.[2][3]

Nach der Machterschleichung der Nationalsozialisten musste er 1934 in eine jüdische Schule wechseln. Bis zum Frühjahr 1939 besuchte er daher das liberale Philanthropin, eine Reform-Realschule der Jüdischen Gemeinde Frankfurts in der Hebelstraße 17.[4]

Emigration und Internierung

Wenige Monate nach den Pogromen vom 9. November 1938, bei denen er in seinem direkten Wohnumfeld Zeuge physischer Gewalt wurde, gelangte er im April 1939 als Sechzehnjähriger ohne Begleitung über die Niederlande nach Großbritannien.[5] Gegen den erklärten Willen seiner deutsch-national eingestellten Eltern versuchte er dort angesichts der von den Nationalsozialisten verursachten Ausgrenzung und Vertreibung im Deutschen Reich zu entfliehen und auszuwandern. Als Schüler in Frankfurt am Main hatte er die Diskriminierung und Entrechtung des jüdischen Teils der deutschen Bevölkerung hautnah miterleben müssen. An der deutsch-niederländischen Grenze bei Emmerich am Rhein wurde er von einem SS-Angehörigen kontrolliert, sein deutscher Pass wortlos abgestempelt. Als er sich schon sicher im Nachbarland glaubte, drohte der niederländische Zugführer damit, ihn, den minderjährigen Juden, wieder über die Grenze zurück ins Deutsche Reich abzuschieben. In Arnheim traf er sich mit seiner Frankfurter Freundin Aenne, die zwischenzeitlich ein niederländisches Internat besuchte. Die Enttäuschung war groß, als beide feststellen mussten, dass sie sich während der Zeit ihrer Trennung entfremdet hatten.

In der britischen Hauptstadt London musste er sich zunächst in einem von Kriminellen geprägten Alltag eines entsprechend verrufenen Viertels durchschlagen, wo er sich erstmals mit der Realität der britischen Klassengesellschaft konfrontiert sah. Dann aber bekam er durch die Vermittlung einer jüdischen Hilfsorganisation die Chance, als Trainee bei einer Tochterfirma von Marks & Spencer tätig zu werden, in einer Textilfabrik in Leicester. Dort war er der einzige „foreigner“ (Ausländer) unter tausenden Beschäftigten. Die sich für ihn trotz der britischen Kriegserklärung vom 3. September 1939 gegenüber dem Deutschen Reich durch die Arbeitsmöglichkeit etwas normalisierende Lebenssituation kippte, als die Deutsche Wehrmacht im Mai 1940 in Frankreich einfiel und die Briten die französische Armee an der Front aktiv unterstützten. Als feindlicher Ausländer wurde er nun ungeachtet seines Status als verfolgter Jude von den Briten als „prisoner of war“ (POW = Kriegsgefangener) interniert und schließlich per Schiff über den Atlantik nach Kanada gebracht. Hinter Stacheldraht fand er dort einen Querschnitt der deutschen Gesellschaft wieder, wurde mit Spitzeln konfrontiert.

Berufliche Entwicklung

Aus der Internierung entlassen, lernte er schließlich als Holzfäller und Transportarbeiter das weite Land kennen, seine Natur, Wirtschaft und Gesellschaft.[6] Durch eine Verkettung von Umständen erlangte er in der kanadischen Hauptstadt Ottawa in der Provinz Ontario den Status eines Trägers von Staatsgeheimnissen, wodurch er nach Kriegsende 1946 die kanadische Staatsbürgerschaft erhielt – durch Beschluss des Regierungskabinetts – auf den Tag genau sieben Jahre nach seiner Flucht aus Frankfurt am Main. Er arbeitete als Hörfunk- und Fernsehjournalist und trat schließlich in den diplomatischen Dienst Kanadas ein.[7] Als Europadirektor vertrat er die kanadische Provinz Alberta. Seine berufliche Karriere fand ihren Abschluss als Botschaftsrat für Investment an der Kanadischen Botschaft in der bundesdeutschen Hauptstadt Bonn. In Deutschland wurde er gefragter Gastredner an Hochschulen, etwa zu seinen Jugenderfahrungen im Deutschen Reich der 1930er Jahre oder über den kanadischen Kommunikationswissenschaftler Marshall McLuhan. Die Lehrredaktion des Instituts für Journalistik der Technischen Universität Dortmund fertigte ein Fernsehportrait von ihm.[8]

Aufarbeitung

Sarton-Saretzki veröffentlichte schließlich 1987 ein autobiographisches Werk, das die ersten Jahre seiner Emigration von Frankfurt am Main über die Niederlande nach Großbritannien und Kanada beschreibt.[9][10][11]

Im Jahr 1990 wurde der Autor auf der Frankfurter Buchmesse angesprochen, die Nachfahren einer mit seinen Eltern befreundeten katholischen Familie sprachen ihn auf seinen Familiennamen Saretzki hin an. Als sich im Gespräch herausstellte, dass er tatsächlich der Sohn von Emmy und Nathan Saretzki ist, übergab ihm die Familie eine Vielzahl von historischen Dokumenten, die der Vater aus der während der Pogrome vom 9. November 1938 brennenden Hauptsynagoge Frankfurts gerettet hatte. Dabei handelte es sich um Partituren namhafter jüdischer Komponisten und handschriftliche Anmerkungen zum synagogalen Ritus der liberalen jüdischen Liturgie. Deren Einzigartigkeit stellte sich rasch heraus, waren doch die meisten Unterlagen jener Zeit durch Nationalsozialismus und Kriegseinflüsse verloren gegangen.[12] Im Jahr 2000 übergab Sarton-Saretzki die Noten und Notizen an das [[Europäisches Zentrum für jüdische Musik]Europäische Zentrum für jüdische Musik]] in Hannover, wo die Sammlung als Oberkantor-Nathan-Saretzki-Stiftung für die Forschung bewahrt wird, Listen der Dokumente befinden sich auch im Historischen Museum und im Institut für Stadtgeschichte von Frankfurt am Main.[13][14]

Edgar Sarton-Saretzki lebt heute in Ottawa, Ontario, Kanada, und in Frankfurt am Main, Hessen, Deutschland. In Frankfurt am Main lebt er keine fünf Minuten vom letzten Wohnsitz seiner Eltern in der Lersnerstraße entfernt.

Es gibt keinen Tag, wo ich nicht an meine Eltern in Auschwitz denke.

Edgar Sarton-Saretzki, 2010

[15]

Stolpersteine

Im Jahr 2005 hielt er anlässlich der Verlegung des 100. Stolpersteines in Frankfurt am Main für seinen Vater Nathan, seine Mutter Emmy und seine Großmutter Rosa Ullmann eine kurze Ansprache, in der er seine persönlichen Erfahrungen von damals mit seinen heutigen Eindrücken vereinte.[16]

Diese Steine, eingefügt in die ganz gewöhnliche Struktur der Straße, wiegen für mich mehr, als die Grandiosität so mancher, dem Gedenken gewidmeten Stätte.

Edgar Sarton-Saretzki, 2005

[17]

Werk

  • Beratende Funktion für den Dokumentarfilm „Memorandum“ (1966) von Donald Brittain des kanadischen Fernsehens über den Auschwitz-Prozess in Frankfurt am Main[18][19]
  • Ute Daub (Hrsg.), Edgar Sarton Saretzki: „Auf sie haben wir gewartet...“. CoCon-Verlag. Hanau 1997. ISBN 3-9281-0055-6

Literatur

  • Dr. Gabriele Toepser-Ziegert/Prof. Dr. Horst Pöttker (Hrsg.): „Journalismus, der Geschichte schrieb. 60 Jahre Pressefreiheit in der Bundesrepublik Deutschland“. In: Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung. Band 65. De Gruyter Saur. Berlin 2010. ISBN 3-1102-3507-4
  • Europäisches Zentrum für Jüdische Musik, Hannover: Sammlung Oberkantor Nathan Saretzki (Notensammlung Nathan Saretzkis mit seinen handschriftlichen Aufzeichnungen). o. Sign.
  • Historisches Museum Frankfurt am Main, „Bibliothek der Alten“: Von Edgar Sarton-Saretzki ausgestatteter Kasten mit zahlreichen autobiographischen Erinnerungen und Dokumenten auch zu Nathan Saretzki (u. a. eine Liste der aus der brennenden Hauptsynagoge geborgenen Noten und handschriftlichen Notizen und einen Mitschnitt der rekonstruierten letzten Weihestunde im Philanthropin). o. Sign.
  • Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main: S2, Sign. 17.164: Saretzki, Nathan.

Einzelnachweise

  1. Familiendaten Emmy, Nathan, Edgar Saretzki auf: uni-hamburg.de
  2. Edgar Sarton-Saretzki: Ein Patient berichtet aus dem Jahr 1933, Interview vom 18. Februar 2010 auf: juedische-pflegegeschichte.de
  3. Videoclip: Interview-Ausschnitt mit Edgar-Sarton-Saretzki vom 18. Februar 2010 auf: juedische-pflegegeschichte.de (0:29 Min.)
  4. Ute Daub/Edgar Sarton Saretzki: „Auf sie haben wir gewartet...“. S. 17.
  5. Saretzki, Emmy, Nathan und Ullmann, Rosa auf: frankfurt.de
  6. Inhaltsangabe: „Auf Sie haben wir gewartet“ auf: cocon-verlag.de
  7. Biographien und Institutionen in Frankfurt am Main: Edgar Sarton-Saretzki auf: juedische-pflegegeschichte.de
  8. Vorwort von Prof. Dr. Horst Pöttker, Dekan der Fakultät Kulturwissenschaften der Technischen Universität Dortmund. S. 14-15 auf: e-cademic.de (PDF-Datei, 197 KB)
  9. Kanadische Autoren in deutscher Übersetzung auf: gc.ca
  10. Wolfgang Benz im Gespräch mit Edgar Sarton-Saretzki, Technische Universität Berlin, 2. Juni 2003 auf: tu-berlin.de
  11. "Auf Sie haben wir gewartet" Edgar Sarton-Saretzki liest aus seiner Autobiographie. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Nr. 6, 8. Februar 1998, S. 26 auf: faz.net
  12. Heidy Zimmermann: „Schir Zion. Musik und Gesang in der Synagoge“. In: Eckhard John, Heidy Zimmermann (Hrsg.): „Jüdische Musik? Fremdbilder – Eigenbilder“. S. 53-75
  13. Historisches Museum Frankfurt am Main. Dokumente zu Nathan Saretzki. In: Bibliothek der Alten.
  14. Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main: S2, Sign. 17.164: Saretzki, Nathan.
  15. Schicksale: Emmy und Nathan Saretzki, Familie Ullmann aus Westerburg, Edgar Sarton-Saretzki auf: google.com
  16. „Die Aktion Stolpersteine schließt eine Lücke in unserer Erinnerungskultur“. In: Rede von Stadtrat Franz Frey aus Anlass der Verlegung des 100. Stolpersteines in Frankfurt am Main für Nathan Saretzki, 14. September 2005 auf: stolpersteine-frankfurt.de
  17. Edgar Sarton-Saretzki: „Worüber man Tag für Tag hinweggeht“. Ansprache vom 14. September 2005 in Frankfurt am Main. S. 6 auf: stolpersteine-frankfurt.de (PDF-Datei, 3,8 MB)
  18. Ute Daub: Erinnerungen an einen Dokumentarfilm zum Auschwitz-Prozess. S. 69-73 auf: e-cademic.de (PDF-Datei, 191 KB)
  19. „VHS-Kreis wagt Blicke in die Zukunft “. In: Frankfurter Neue Presse, 23. September 2011 auf: fnp.de

Weblinks

Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Edgar Sarton-Saretzki aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.