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Diskussion:Lessie Sachs

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tachles Newsletter vom 12.7.2019:

Lessie Sachs war Dichterin, Malerin und engagierte sich für die Räterepublik 1919, nun werden ihre pointierten Texte neu aufgelegt.

«Wie lernt man Amerikaner kennen?», fragte Lessie Sachs am 15. September 1939 in einem ihrer Artikel, die sie in der New Yorker Emigrantenzeitung aufbau veröffentlichte. Sachs, die für die Münchner Satirezeitschrift «Simplicissimus», die bei Ullstein verlegte «Vossische Zeitung» und das «Neue Wiener Tagblatt» gearbeitet hatte, erging sich in ihren im US-Exil entstandenen Beiträgen, mal humorvoll-selbstironisch, mal grüblerisch-melancholisch, in Betrachtungen über Herausforderungen des Alltags in der neuen Welt, sinnierte über die Unterschiede zwischen Amerikanerinnen und Europäerinnen, schrieb über «Nächtliche Nervosität», kleine Marotten – und den Tod. Und hatte für ihre Leserinnen einen wichtigen Rat: «Fange Dein Leben ganz von vorne wieder an», schrieb sie. «Es gibt kein Zurück ... Zwischen Dir und der Heimat liegt der Atlantik.»

Kunst und Knast Geboren 1896 in Breslau als Tochter des Nervenarztes Heinrich Sachs, entschied sich Lessie – Valeska Luise – Sachs für ein Kunststudium in Breslau. 1917 zog sie nach München, die deutsche Kunstmetropole, wo sie sich in der Boheme-Szene bewegte, erste Gedichte verfasste und als Malerin arbeitete. Im Sturm der Ereignisse um die Novemberrevolution 1918 engagierte sich Sachs plötzlich politisch, trat Anfang 1919 der KPD bei. Im Zuge der Niederschlagung der Münchner Räterepublik wurde sie verhaftet und im August wegen Beihilfe zum Hochverrat zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, die sie, nach Breslau überstellt, (mangels Frauengefängnis erst) im September 1920 antrat. Nach sechs Monaten auf Bewährung freigelassen, schlug sie sich als Künstlerin durch, leitete (wie später im aufbau über sie zu lesen war) in Breslau ein Atelier für Seidenmalerei. Belastet durch den Zwang, sich beständig «gesittet» verhalten zu müssen, ging Sachs dazu über, ihre Biografie in Teilen abzuändern, zu verschleiern. Und fand, endgültig, zum Schreiben von Dichtung. Ihre Verse stellte sie im Breslauer Freundeskreis vor. Zu diesem gehörte der Komponist und Pianist Josef Wagner (1909–1947), der im Oktober 1930 eines ihrer Gedichte als geeignet für eine «Jazz-Suite» befand, die zu komponieren ihn der schlesische Rundfunk beauftragt hatte. Der Auftakt zur journalistischen Karriere von Lessie Sachs: Weitere Vertonungen ihrer «Chansontexte» folgten, «Hörbilder»-Sendungen bei Radio Breslau, und ab 1930 reüssierte sie auch als Feuilletonistin für Journale.

Exil in Amerika Seit März 1933 verheiratet, veranstalteten Lessie und Josef Wagner beliebte Hauskonzerte. Die Klavierabende, die der von NS-Bestimmungen eingeschränkte Wagner etwa in Zürich, Prag, Budapest und Tallinn gab, warfen wenig ab. 1937 emigrierte die Familie – Tochter Dorothee wurde 1934 geboren – nach Amerika und liess sich 1938 in New York nieder. Während ihr Mann einen Verlag für seine Kompositionen­ fand, konzertierte und unterrichtete, die Tochter für Kinderkleidung posierte, hatte Lessie mit Seidenmalerei Erfolg und verdiente als Tagesmutter dazu. Im Juni 1938 erhielt das Paar eine Einladung des Deutsch-Jüdischen Clubs, an einem musikalisch-literarischen Abend mitzuwirken, vorab berichtete der aufbau über Lessie als «Dichterpersönlichkeit mitten unter uns». So fand sie zurück zum Schreiben, auch für die jüdische «C.V.-Zeitung». Immer fesselte, so Kurt Schwerin in seinem im Februar 1942 im aufbau erschienen Nachruf auf die Autorin, «die Melodie ihrer Sprache». Lessie Sachs, krebskrank, war Ende Januar gestorben, nur 45 Jahre alt geworden. Neben Mann und Tochter hinterliess sie ihre in Zürich lebende Schwester. Eine Auswahl lyrischer Werke von Lessie Sachs, versehen mit Geleitwort von Heinrich Mann, veröffentlichte ihr Witwer 1944. Nun sind ihre überraschend modern wirkenden Texte neu zu entdecken – Lyrik und Kurzprosa, eine Zeitreise in die grosse Zeit des Feuilletons. Die Texte spiegeln die Vielseitigkeit einer melancholischen Dichterin, scharfsichtigen Denkerin und feinen Humoristin. Wie nun lernt man denn Amerikaner kennen? «Durch Zufall.»

Lessie Sachs. Das launische Gehirn. 
Aviva Verlag, Berlin 2019.