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Diskussion:Laurent Selvi
tachles 18.6.2021:
Laurent Selvi neuer Präsident
Auf ihrer ordentlichen Generalversammlung vom Dienstag, 15. Juni, wählte die Coordination Intercommunautaire contre l’Antisémitisme et la Diffamation (CICAD) ihren neuen Präsidenten. Der bisherige Vizepräsident Laurent Selvi wurde einstimmig gewählt. Selvi ist seit 2009 Mitglied des CICAD-Komitees und seit 2015 Vizepräsident. Er folgt auf Alain Bruno Lévy, der bei seit 2009 als Präsident amtete. Alain Bruno Lévy wird sein Engagement als Ehrenpräsident fortsetzen. Laurent Selvi wurde in Genf geboren und wuchs bis 1982 in Paris auf. Er kehrte für sein Studium nach Genf zurück und begann 1986 eine erfolgreiche berufliche Laufbahn im Bankwesen, zunächst in New York und dann in Genf. Von 2015 bis 2019 war er Vorstandsmitglied der Israelitischen Gemeinde Genf, zuerst als Vizepräsident und dann als Schatzmeister. In seiner Ansprache an die CICAD-Mitglieder sagte Laurent Selvi unter anderem, dass die Stimme der CICAD angesichts von grassierendem Antisemitismus niemals verstummen oder zum Schweigen gebracht werden könne. Als Erfolg seiner Arbeit darf Selvi die Anerkennung der Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance durch den Bundesrat verzeichnen. Damit erkenne auch die offizielle Schweiz die Definition von Antisemitismus an und damit deren Wichtigkeit und Relevanz. Die CICAD war in den letzten Jahren auch durch die Veröffentlichung ihrer Jahresberichte zur Situation des Antisemitismus in der Schweiz aktiv. Laurent Selvi rief bei seiner Ansprache eindringlich zu erhöhter Wachsamkeit und zu noch stärkerem Zusammenhalt auf, um die von seinen Vorgängern unternommenen Anstrengungen im Kampf gegen den Antisemitismus, denen er viel Anerkennung zollte, entschlossen fortzusetzen.
tachles-Interview mit Laurent Selvi, veröffentlicht am 27.8.21:
Die Coordination Intercommunautaire contre l’Antisémitisme et la Diffamation CICAD feiert ihr 30-jähriges Bestehen – der neu gewählte Präsident Laurent Selvi im tachles-Interview.
tachles: Seit 30 Jahren engagiert sich die CICAD im Kampf gegen Antisemitismus. Welche Ziele haben Sie erreicht und welche nicht? Laurent Selvi: Zunächst einmal haben sich in der CICAD ausnahmslos alle jüdischen Gemeinden der Romandie zusammengeschlossen, um eine Institution zu schaffen, die sie gegenüber Antisemitismus in der Öffentlichkeit verteidigen und vertreten kann und die gleichzeitig ein Zentrum für Hilfe und Unterstützung der Opfer ist. Dies ist meines Erachtens die Haupterrungenschaft der CICAD, denn es ist nicht immer einfach für alle Gemeinden, miteinander auszukommen – im Kampf gegen Antisemitismus hat es funktioniert. Das Wichtigste, was wir erreicht haben, sind die Kontakte, die wir knüpfen konnten, um uns für die verschiedenen Problematiken, mit denen wir uns beschäftigen, Gehör zu verschaffen. Sei es bei den Medien, der Politik, im Bildungswesen oder in der Kultur, die CICAD profitiert heute von aufmerksamen Zuhörern und sensibilisierten Gesprächspartnern. Unser einziger Anspruch ist es, unsere Religionsmitglieder unabhängig von ihrer Gemeindezugehörigkeit zu verteidigen, wenn sie mit antisemitischen Anfeindungen konfrontiert sind, und durch unsere Aufklärungsarbeit in der breiten Öffentlichkeit im Dienste unserer Mitbürger zu stehen.
In der Romandie herrscht Einigkeit, aber in der Schweiz veröffentlichen zwei Organisationen einen Antisemitismusbericht: Nebst der CICAD tut dies nun auch der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) gemeinsam mit der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA). Warum zwei Berichte für ein Problem? Wir wissen beide, dass es in der Schweiz de facto zwei Länder gibt – die französische und die deutsche Schweiz. Innerhalb dieser geografischen Aufteilung hat die CICAD die Aufgabe der Messung und Bekämpfung des Antisemitismus in der Westschweiz übernommen. SIG und GRA tun dies in der Deutschschweiz. Ob es effektiver wäre, einen statt zwei Berichte zu erstellen, ist fragwürdig. Ich persönlich halte es angesichts der sprachlichen und kulturellen Gegebenheiten in der Schweiz für keine schlechte Idee, zwei Stellen mit dieser Aufgabe zu betrauen. Ausserdem existiert heute eine gewisse Koordinierung bei der Veröffentlichung der Berichte.
Sie sprechen von der Synthese, diese basiert jedoch auf unterschiedlichen Daten beziehungsweise unterschiedlichen Datenerhebungen. Nicht sehr vertrauenswürdig? Im Gegensatz zu gängigen Behauptungen stehen wir in regelmässigem, engem Kontakt und teilen unsere Analysen mit dem SIG, der mit seinem Vizepräsidenten Ralph Friedländer einen Vertreter bei der CICAD hat. Die Veröffentlichung einer nationalen Synthese ist eine gute Sache. Die Situation und die Voraussetzungen sind nicht dieselben in den beiden Landesteilen. In der Deutschschweiz ist die jüdische Gemeinschaft weniger mit Ideologen wie Alan Soral oder Hasspredigern wie Dieudonné konfrontiert. Die Erscheinungsformen des Antisemitismus sind unterschiedlich. Trotz unvermeidlicher Ähnlichkeiten sind die Einflüsse und die Entwicklung antisemitischer Netzwerke nicht unbedingt dieselben. Daher erscheint es logisch, das Problem von einer geografischen Perspektive her anzugehen. Bei der Methodik bestehen in der Tat verschiedene Herangehensweisen. Der Hauptunterschied liegt bei der Überwachung und Erfassung antisemitischer Vorfälle im Internet und in sozialen Netzwerken, die im Jahr 2021 nicht mehr ignoriert werden können …
… weil sie heute das Sorgenkind aller Behörden und NGOs sind, wenn es um die Verbreitung von Hass oder Radikalisierung geht. Das Internet ist der Ort, an dem sich Antisemitismus am schnellsten verbreitet. Ist die CICAD dem SIG und der GRA in dieser Hinsicht voraus? Ich möchte in einem so wichtigen Bereich wie dem Kampf gegen Antisemitismus keine Konkurrenz schaffen. Die Ansätze sind unterschiedlich. Wir bevorzugen den unsrigen, da er uns umfassender und besser an die französische Schweiz angepasst erscheint und uns einen besseren Überblick des Zustands des Antisemitismus bietet. Angesichts unserer gegenseitigen Aktivitäten und der Präsenz des SIG im CICAD-Ausschuss ist es für uns selbstverständlich, mit dem SIG in einen Dialog zu treten. Darüber hinaus verfügt jeder unserer Verbände in seiner Sprachregion über Expertise, von der beide profitieren. Auch da ein Grossteil der Fragen in Sachen Sicherheit oder Beziehungen zu Behörden oft auf kommunaler oder kantonaler Ebene behandelt, erscheint der regionale Ansatz durchaus angemessen.
Warum hat man sich trotzdem in den letzten 20 Jahren nicht auf eine Methodik geeinigt? Das ist schwer zu beantworten. Wenn ich mich recht erinnere, reicht die Methode der CICAD bei der Analyse und Zählung von Vorfällen weiter zurück – bis ins Jahr 2003, als der erste CICAD-Bericht erschien. Ansatz und Methodik wurden von Anfang immer wieder neu diskutiert und durchgedacht, bis man zur aktuellen Version gelangte. Ich muss hier einräumen, dass wir schon seit geraumer Zeit mit dem SIG die Frage der Herangehensweise und der Behandlung von Online-Fällen diskutieren. Gerade bei dieser Frage gehen die Meinungen schon länger auseinander. Ich bin jedoch nach wie vor davon überzeugt, dass sowohl die CICAD als auch der SIG in einer so wichtigen Angelegenheit letztlich mit dem gleichen Bemühen um Effizienz arbeiten.
Betrachten wir den Bericht aus einem anderen Blickwinkel: Die jüdische Gemeinschaft und die von ihr gegründeten Organisationen messen den Antisemitismus und bekämpfen ihn mit ihren eigenen Mitteln. Wäre das nicht eigentlich die Aufgabe des Staates? In der Tat, ja. Entscheidend ist jedoch die Kooperation und zudem das Bewusstsein unserer Behörden, dass die Phänomene Diskriminierung, Rassismus und Antisemitismus höchste Aufmerksamkeit verdienen. Unsere Verbände sind vor Ort und engagieren sich täglich. Dies verschafft uns breites Fachwissen und sollte unsere Behörden zu mehr Unterstützung ermutigen. Wenn die Aufgabe des Staates darin besteht, Sicherheit, Frieden und Gleichheit für alle Bürger zu gewährleisten, so ist es Aufgabe der Zivilgesellschaft, mit ihren Erfahrungen und ihren Fähigkeiten ihren Beitrag zu leisten. In Genf, wie auch in anderen französischsprachigen Kantonen, arbeiten wir zum Beispiel eng mit dem Bildungs-, Justiz- und Sozialdepartement zusammen. Im Rahmen unserer Bildungsprogramme haben wir Zugang zu Schulen und Lehrern. Sollte der Staat die Verteidigung seiner jüdischen Bürger übernehmen? Natürlich muss er alle seine Bürger verteidigen. Aber man muss auch pragmatisch und realistisch sein. Dies ist selten der Fall. Wir müssen also den Behörden helfen, uns angemessen zu schützen. Ausserdem: Wer ausser uns könnte die Bedrohung besser erkennen, auf sie reagieren, sie analysieren usw.? Es muss eine echte Partnerschaft zwischen dem Staat, unseren Institutionen und dem Rest der Gesellschaft geben.
Sie stehen also in Kontakt mit den Behörden. Doch eigentlich erhebt der SIG den Anspruch, die Stimme der jüdischen Bevölkerung in der Schweiz zu sein – de facto deckt die CICAD die jüdischen Gemeinden der Schweiz umfassender ab. Wie funktioniert das? Die CICAD vertritt ausnahmslos die jüdischen Gemeinden der Westschweiz und ihre Mitglieder. Die Liberale Jüdische Gemeinde Genf war 1991 unter den Gründern der CICAD. Der SIG und die Plattform der Liberalen Juden der Schweiz (PLJS) wurden vor einigen Jahren Mitglieder der CICAD und traten unserem Ausschuss bei. Sieht man von diesen sehr institutionellen Überlegungen ab, kann niemand wirklich behaupten, die «Stimme der Schweizer Juden» zu vertreten. Das ergibt keinen Sinn. Im besten Fall repräsentieren sie Institutionen oder Gemeinschaften. Ich würde sagen, dass sowohl die CICAD als auch der SIG, und nicht zu vergessen die PJLS, ihre Mitglieder vertreten. Die Tür ist immer offen für alle jene, die sich uns anschliessen möchten. Unsere Beziehungen zum SIG sind ausgezeichnet, und im Besonderen schätze ich die Beziehung zu seinem Vizepräsidenten, der den SIG in unserem Ausschuss vertritt. Alles, was wir in gegenseitiger Achtung unserer Institutionen gemeinsam tun können, bringt einen Vorteil für alle.
Spüren Sie bei den Behörden den «Kampfeswillen» gegen Antisemitismus? Was die Bekämpfung des Antisemitismus betrifft, so bleibt noch viel zu tun, aber der Wille ist vorhanden, auch wenn wir das Gefühl haben, dass dies keine Priorität ist. Der Kampf gegen andere Formen von Vorurteilen scheint, aufgrund der Aktualität, im Vordergrund zu stehen, was schade ist, denn eigentlich sollte es Platz für Massnahmen gegen jegliche Form von Diskriminierung oder Hass haben.
In diesem Punkt verfolgt die GRA einen umfassenderen Ansatz. Um Antisemitismus wirksam zu bekämpfen, muss er nach Ansicht des Gründers Sigi Feigel in einen breitere Kontext gestellt werden: den Rassismus. Die CICAD hingegen befasst sich nur mit Antisemitismus. Mit der Logik, dass, wenn man sich mit Rassismus beschäftigt, man dies automatisch auch mit Antisemitismus tut, bin ich nicht einverstanden. Man muss den Antisemitismus ins Visier nehmen, weil er eine besondere Form des Hasses verkörpert. Natürlich bestehen ähnliche Mechanismen bei der Entstehung von antisemitischen und anderen Vorurteilen. Deshalb basiert unser gesamtes pädagogisches Konzept auf dem Grundsatz, dass das Vorurteil an sich bekämpft werden muss. Der Kampf gegen Antisemitismus gliedert sich in ein umfassenderes Verständnis von Vorurteilen ein, die sich auch gegen andere Minderheiten richten können. Andererseits weisen einige antisemitische Vorurteile Besonderheiten auf, die eine angemessene Reaktion erfordern. Wie jüngst bei den antisemitischen Kampagnen, die einige der Impfdemonstrationen begleiteten. Es handelt sich dabei in Tat und Wahrheit um alte antisemitische Klischees, die wieder auftauchten und die die heftigen Reaktionen der CICAD rechtfertigen. Angesichts solcher Phänomene ist spezifisches Fachwissen, wie das unsere, unumgänglich.
Besteht eine Kooperation mit Organisationen anderer Minderheiten, was eventuell dazu beitragen könnte, möglichen Antisemitismus oder Vorurteile innerhalb dieser Minderheit zu beseitigen? Ja, es bestehen Kontakte. Wir arbeiten seit vielen Jahren etwa mit Ibuka zusammen, einer Organisation, die ihre Arbeit dem Gedenken an die Opfer des Völkermords an den Tutsi in Ruanda widmet. Sie nehmen an unseren Veranstaltungen teil und wir an ihren. Da leider beide Bevölkerungsgruppen einen Völkermord hinter sich haben – auch wenn die Ursachen für den Völkermord in Ruanda nichts mit den Ursachen für die Schoah zu tun haben –, besteht bei beiden die Aufgabe der Erinnerungswahrung. Wir stehen auch im Austausch mit anderen Verbänden, die sich für die Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung engagieren, und auch mit anderen Minderheiten und diskriminierten Gruppen. Natürlich konzentrieren unsere jeweiligen Organisationen ihre Aktivitäten auf bestimmte Formen der Diskriminierung, aber es gibt auch gemeinsame Anliegen. In diesem Zusammenhang, liegt mir ein Punkt sehr am Herzen: die Änderung der Strafprozessordnung, damit wir in Prozessen als Zivilpartei auftreten können. Wir sehen uns mit einer unglaublichen Situation konfrontiert, in der wir als Hinweisgeber bei den öffentlichen Ministerien intervenieren, ohne die Möglichkeit zu haben, Partei zu sein und an Verfahren teilnehmen zu können. So etwa im Fall Alain Soral, der seine Aktivitäten fortsetzt und bei dem sich die Staatsanwaltschaft Lausanne weigert, darauf einzugehen. Und wir stehen ohne irgendeine Möglichkeit da, rechtlich vorzugehen. Um in dieser Sache zu obsiegen, müssen wir uns mit anderen Verbänden zusammentun und ich bin davon überzeugt, dass wir Verbündete finden werden.
Sie wurden im Juni zum Präsidenten gewählt. Was sind Ihre zukünftigen Ziele? Was werden die wichtigsten Schritte sein? Wie ich bereits sagte, bin ich ein Pragmatiker, die Ziele sind festgelegt und ich weiss, in welche Richtung sich die CICAD entwickeln muss. Aber das Festhalten an einer bestimmten Vision darf nicht dazu führen, dass wir Dinge verpassen, die sich laufend entwickeln. Daher bin ich sehr aufmerksam gegenüber der Entwicklung der Welt, in der wir leben, und der Gesellschaft, in der wir uns entfalten. Davon mal abgesehen ist ein weiterer Punkt, der mir sehr am Herzen liegt, ein besserer pädagogischer Umgang mit dem Phänomen des Antisemitismus. Die CICAD arbeitet an allen möglichen Bildungsmodulen und -werkzeugen, und ich würde gerne viele weitere entwickeln. Wir richten uns natürlich an die Schulöffentlichkeit, aber auch an die Sport- und Polizeigemeinschaften. Das politische Ziel der Änderung der Strafprozessordnung habe ich bereits erwähnt. Ich hoffe, dass auch der SIG uns bei dieser Arbeit unterstützen wird. Zuletzt gibt es den täglichen Kampf gegen Antisemitismus. Wir müssen in der Lage sein, alle Handlungen, die wir beobachten, zu überwachen, anzuprangern und ganz einfach den Druck auf diejenigen aufrechtzuerhalten, die den Juden schaden wollen.
Jaschar Dugalic