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Diskussion:Dana Ranga

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Jüdische Allgemeine vom 24. Januar 2019:


Porträt der Woche


Zwischen den Extremen


Dana Ranga schreibt Gedichte und findet nach einem Schlaganfall zur Sprache zurück


von Simone Flores 30.01.2019 12:56 Uhr


»Bei mir geht ein Auge immer nach innen«: Dana Ranga (55) lebt in Berlin. Foto: Stephan Pramme


Ich wurde 1964 in Bukarest geboren. Meine Mutter stammte eigentlich aus der DDR. Sie kam nach dem Zweiten Weltkrieg in ein Kinderheim. Ihre Mutter war früh an Herzversagen gestorben. Ihr Vater hatte nach der Schoa psychische Probleme und konnte sich nicht um meine Mutter kümmern. Es gibt die Vermutung, dass sie im Heim für die Stasi rekrutiert wurde. Das ist leider oft passiert bei Heimkindern. Es ist nur eine Vermutung, sie konnte nie belegt werden. Wir haben versucht, an die Akte heranzukommen, aber es ist uns nicht gelungen.


Meine Mutter studierte Medizin und bekam ein Stipendium für Bukarest. Möglicherweise sollte sie dort nebenbei als Spionin arbeiten, Informationen weitergeben und hat aus diesem Grund das Stipendium erhalten. Aber – wie gesagt – wir haben nie einen Beweis dafür gefunden.


In Bukarest hat meine Mutter jedenfalls beim Studium meinen Vater kennengelernt. Er war Professor für Medizin an der Hochschule, sie war seine Studentin, und die beiden haben geheiratet.


Meine Mutter starb an Krebs, als ich sieben Jahre alt war. Das letzte Mal, als ich sie gesehen habe, hat sie mit mir geschimpft. Das war im Krankenhaus. Dann war sie weg. Mein Vater sagte, sie sei in einem Sanatorium. Ich hatte als Kind Herzprobleme und wurde ungefähr zu dieser Zeit am Herzen operiert. Ich habe auf meine Mutter gewartet. Ich habe gewartet und gewartet und wusste nicht, was los war. Ich hatte so ein Gefühl, dass sie tot war, aber ich wusste es nicht. Freunde und Verwandte meines Vaters rieten ihm, er müsse es mir sagen. Aber ich habe es erst ein Jahr später erfahren. Er war mit mir auf dem Friedhof und sagte: »Hier liegt deine Mutter.« Ich konnte nie wirklich Abschied nehmen. Das war schrecklich. Ich konnte nie richtig Abschied von meiner Mutter nehmen.

Ich bin ein Einzelkind und war von da an viel allein. Wir wohnten im Zentrum von Bukarest in einer kleinen Zweiraumwohnung. Mein Vater hat als Anatomieprofessor viel gearbeitet. Morgens fuhr er weg und kam erst abends wieder. Meine Mutter hatte ihm vor ihrem Tod gesagt, er dürfe erst wieder heiraten, wenn ich 14 bin. Und so hat er es auch gemacht. Er hat wieder eine Studentin geheiratet. Erst war es gut, und dann wurde es schrecklich.

Als Kind war ich jeden Tag allein, habe mich einsam gefühlt. Auch in der Schule war ich eine Art Außenseiter. Geholfen hat mir damals das Schreiben. Ich habe Geschichten verfasst und viele Bücher gelesen, Franz Kafka und William Shakespeare. Schon mit elf Jahren. Mit 14 fing ich an, Englisch zu lernen. Ich hatte Einzelunterricht, und wir haben direkt mit Shakespeare begonnen. Von da an habe ich auch zu Hause auf Englisch geschrieben. Das hat meinen Vater geärgert, denn er konnte es nicht verstehen.


Judentum hat bei uns früher keine Rolle gespielt. Mein Familienname Ranga bedeutet übersetzt so viel wie »Brecheisen«. Das ist in Rumänien schon ein sehr spezieller Name. Mein Vater war in der Partei und wollte Karriere machen. Und mütterlicherseits gab es bei mir so gut wie keine Familie. Religion existierte also damals bei uns einfach nicht. Ich habe erst später begonnen, mich mit meinem Judentum auseinanderzusetzen. Heute ist es sehr wichtig für mich. Ich bin nicht streng religiös. Ich bin gläubig, aber eher auf eine philosophische Art. Es ist mir zum Beispiel nicht wichtig, regelmäßig in die Synagoge zu gehen. Aber das Lesen und die Feste zu feiern schon.


Nach dem Abitur habe ich zunächst angefangen, Medizin zu studieren – meinem Vater zuliebe. Ich mochte das Studium überhaupt nicht. Es war grauenvoll.

Damals hatte ich einen Schulfreund, der auch Jude war. Seine Eltern hatten eine Ausreisegenehmigung nach Israel erhalten, und ich habe ihn geheiratet. Ich war in ihn verliebt, wollte aber auch endlich aus Rumänien weg. Wir sind also für die Eheschließung zum Standesamt gegangen. Dort wussten sie noch nicht, dass Rado – so hieß mein Mann – eine Ausreisegenehmigung für Israel hatte. Es gab zu der Zeit noch keine Computer, und die Behörden waren nicht vernetzt. Rado ist dann allerdings von Israel aus sofort nach Deutschland geflogen, weil er nicht zum Militär wollte. Als ich kurze Zeit nach ihm in Israel ankam, haben sie mich gar nicht erst hereingelassen, denn mein Mann war bereits ausgereist. Die Mutter meiner Stiefmutter hatte gute Beziehungen und besorgte mir ein Visum für Deutschland. So kam ich 1988 zunächst nach Düsseldorf und anschließend nach Berlin.


Ich war mittlerweile an einem Punkt angekommen, an dem mir klar war, dass ich eigentlich etwas ganz anderes wollte. Ich studierte Theaterwissenschaft. Das war nach dem ungeliebten Medizinstudium aufregend und neu. Aber mein eigentliches Ziel war es immer, Gedichte zu schreiben. Bevor es aber dazu kam, habe ich Filme gemacht. Der erste Film war 1997 East Side Story. Darin ging es um sozialistische Musicals – das Thema meiner Magisterarbeit. Dieser Film war in den USA sehr erfolgreich. Ich war damit sogar beim Sundance Film Festival. Finanziell hat es mir leider überhaupt nichts eingebracht. Danach drehte ich eine Trilogie über Astronauten und das Weltall und lernte währenddessen auch meinen zweiten Ehemann kennen. Wir haben die Filme zum Teil gemeinsam gemacht.

Meine Gedichtbände drehen sich um das Weltall und die Tiefsee.

Das Thema Weltall hat mich schon immer fasziniert. Als Kind in Bukarest habe ich sogar in der Straße der Kosmonauten gewohnt. Im Grunde genommen war das Filmemachen eine Art, mich vor dem Gedichteschreiben zu drücken. Ich hatte immer den Drang, zu schreiben. Aber das tatsächlich beruflich zu machen, war schwierig für mich, denn meine Familie hätte das nie geschätzt. Während meiner Studienzeit wurden zwar einige meiner Gedichte in Literaturzeitschriften veröffentlicht. Allerdings war ich nie zufrieden. Ich fand sie nie gut genug. Erst bei meinem Debütband 2005 hatte ich zum ersten Mal ein gutes Gefühl.

Meine Gedichtbände drehen sich um das Weltall, die Tiefsee und das Innere des Körpers als Bezugswelten. Es geht also immer um extreme Räume. Ich glaube, das hat etwas mit meinem Leben zu tun. Meine Kindheit war auch ein Extrem. Deswegen suche ich mir extreme Räume. Im Gedichtband Hauthaus thematisiere ich zum Beispiel menschliche Organe und Anatomie. Das hängt sicher mit meinem Medizinstudium und meiner Familie zusammen. Ich bin dadurch schon sehr geprägt. Ich kann von mir sagen, dass ich eine besondere Beziehung zu meinem Körper habe. Das hat sicher mit meinen Erfahrungen als Kind und der Herz‐OP zu tun.

Vor fünf Jahren hatte ich einen Schlaganfall. Ich saß zu Hause und las. Auf einmal hatte ich ein Gefühl, als würde Strom durch meinen Arm fließen. Ich spürte das auf der ganzen Körperseite, in meinem Arm und meinem Bein. Mein Mann war gerade 15 Minuten davor aus dem Haus gegangen. Ich war wach, aber ich konnte nicht mehr sprechen. Es war mir nicht möglich, Hilfe zu holen, und ich habe fünf Stunden gewartet. Mein Mann rief sogar an, aber ich konnte nicht ans Telefon gehen. Mir war eigentlich zu dem Zeitpunkt schon klar, dass es ein Schlaganfall war. Danach war alles komplett weg. Ich konnte nicht mehr sprechen, konnte gar nichts mehr machen. Per Handzeichen habe ich »ja« und »nein« signalisiert, und sogar das habe ich anfangs immer verwechselt. Ich war drei Monate lang in der Reha und habe geübt, geübt, geübt. Und ganz langsam kam die Sprache zurück.

Wörter Mein Mann sagt immer, es ist gut, dass ich überhaupt keine Hemmungen habe. Es passiert auch heute noch, dass ich nicht weiß, wie ich etwas sagen soll und mir die Worte fehlen. Aber dann spreche ich die Leute einfach an und denke, sie werden schon verstehen, was ich möchte.

Das ist gut, denn dadurch ziehe ich mich nicht zurück. Eigentlich mache ich mir keine großen Gedanken mehr darüber, warum mir das passiert ist. Es ist passiert, und ich muss damit umgehen. Das Schreiben hilft mir sehr dabei. Das ist eigentlich momentan das Wichtigste. Verändert hat sich nur der Prozess des Schreibens.

Im Moment sind meine Gedichte noch sehr roh.

Meine Sprache ist durch den Schlaganfall anders geworden. Mir fehlen oft einfach die Worte. Im Moment sind meine Gedichte noch sehr roh. Aber ich schreibe sie aus dem Kopf, ich brauche keine Vorlage mehr wie noch vor einiger Zeit. Und es funktioniert immer besser. Mein Mann findet, diese rohen Gedichte hätten eine unglaubliche Kraft, gerade weil sie so sind. Es ist keine ausgefeilte, feine Sprache. Aber das Gefühl für die Ästhetik geht nicht verloren. Selbst wenn ich nur zehn Wörter zur Verfügung habe, kann ich daraus etwas Gutes formen. Es ist eben immer noch ein Prozess, aber es geht voran.

Aufgezeichnet von Simone Flores